2445/J XXVIII. GP

Eingelangt am 21.05.2025
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Anfrage

 

der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Freundinnen und Freunde

an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Verzögerung der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zu postakuten Infektionssyndromen (PAIS)

BEGRÜNDUNG

 

Mit dem im März 2024 präsentierten Nationalen Aktionsplan zu postakuten Infektionssyndromen (PAIS) liegt erstmals ein strukturierter, interdisziplinär erarbeiteter Maßnahmenplan zur Verbesserung der Versorgungslage von Menschen mit Erkrankungen wie ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) und Long COVID vor. Unter Beteiligung von Vertreter:innen der Bundesländer, der Sozialversicherungsträger (PVA, ÖGK, SVS, BVA), von Fachgesellschaften sowie Betroffenen-Organisationen wurden insgesamt 50 Empfehlungen entwickelt, die zentrale Versorgungsdefizite adressieren.

Insbesondere für ME/CFS besteht in Österreich seit Jahren eine gravierende Unterversorgung. Schätzungen zufolge sind mindestens 80.000 Personen betroffen – eine Zahl, die sich durch die COVID-19-Pandemie erheblich erhöht hat. Laut Daten der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) aus dem Jahr 2023 sind rund 20.000 zusätzliche ME/CFS-Erkrankungen durch SARS-CoV-2-Infektionen entstanden. Es bleibt die Frage offen wie hoch die Dunkelziffer ist. Aufgrund des Anstiegs postviraler Erkrankungen weltweit wird ME/CFS inzwischen von der WHO als ein zentrales Public-Health-Thema anerkannt.

Besonders alarmierend ist die epidemiologische Verteilung der Erkrankung:

·         Über 75 % der ME/CFS-Betroffenen sind Frauen.

·         Auch Kinder und Jugendliche sind zunehmend betroffen; in Österreich wird die Zahl an erkrankten Kindern auf über 2.000 geschätzt – mit steigender Tendenz.

·         Die Erfahrungen der COVID-19-Pandemie legen nahe, dass globale Gesundheitskrisen mit postinfektiösen Langzeitfolgen künftig zunehmen werden. Der Klimawandel gilt dabei als treibender Faktor für die Zunahme zoonotischer Infektionen und pandemischer Erreger.

Trotz dieser bekannten Herausforderungen werden zentrale Empfehlungen des Aktionsplans, insbesondere zur Einrichtung dezentraler, spezialisierter Behandlungseinrichtungen, bislang nicht umgesetzt. Aktuelle Recherchen belegen, dass österreichweit keine öffentlich finanzierten ME/CFS-Spezialambulanzen existieren.

In den letzten Monaten wurde zudem vermehrt die Legitimität und Umsetzbarkeit des Aktionsplans öffentlich in Frage gestellt. So erklärte der damalige Vorsitzende des Dachverbands der Sozialversicherungen, Peter Lehner, im Dezember 2024 gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten, der Plan sei „nicht abgestimmt“ gewesen. Ähnliche Kritik wurde auch von Landesgesundheitsreferent:innen geäußert, die sich laut Medienberichten nicht ausreichend eingebunden fühlten. Diese Aussagen stehen jedoch im Widerspruch zur offiziellen Darstellung im Aktionsplan, wonach Vertreter:innen aller Bundesländer und Sozialversicherungen an der Erarbeitung beteiligt waren (vgl. PAIS, S. 55 ff.[1]).

Angesichts der Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung, tatsächlicher Beteiligung und dringend notwendiger Versorgungsmaßnahmen gibt es eine Vielzahl an offenen Fragen.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

Beteiligung der Bundesländer und Sozialversicherungsträger

Bundesländer

1.    Waren alle neun Bundesländer – wie im Aktionsplan angegeben – mit Expert:innen in die Erstellung eingebunden?

2.    Entspricht die Teilnehmer:innenliste auf Seite 55 ff. des PAIS-Aktionsplans der tatsächlichen Mitwirkung?

3.    Welche konkreten Beiträge haben die Bundesländer im Rahmen der Erstellung des Aktionsplans geleistet?

4.    Welche Bundesländer haben im Rahmen der Konferenz der Landesgesundheitsreferent:innen am 16. Mai 2025 angegeben, nicht eingebunden gewesen zu sein?

5.    Wurde diesen Bundesländern in der Sitzung die offizielle Teilnehmer:innenliste zur Kenntnis gebracht?

6.    Wie bewertet Ihr Ressort die Haltung einzelner Bundesländer, die trotz vorhandener Vereinbarungen im Finanzausgleichsgesetz (FAG) und eindeutiger Empfehlungen des Aktionsplans keine Umsetzungsmaßnahmen setzen und stattdessen die Verantwortung auf den niedergelassenen Bereich bzw. auf die Sozialversicherungen abschieben?

Sozialversicherungsträger (ÖGK, SVS, BVA, PVA)

7.    Waren die genannten Sozialversicherungen – wie im Aktionsplan angegeben – mit Fachvertreter:innen in die Erstellung eingebunden?

8.    Entspricht die im Aktionsplan dokumentierte Teilnehmer:innenliste der tatsächlichen Beteiligung?

9.    Welche inhaltlichen Beiträge wurden seitens der Sozialversicherungsträger eingebracht?

10. Wie erklärt das Sozialministerium die Aussage des damaligen Vorsitzenden des Dachverbands, Peter Lehner, wonach die Sozialversicherungsträger „nicht eingebunden“ gewesen seien?

11. Gibt es im Rahmen der ministeriellen Aufsicht Bestrebungen, die Haltung einzelner Sozialversicherungen – insbesondere der PVA – zur Anerkennung und Versorgung von ME/CFS-Betroffenen zu evaluieren und kritisch zu hinterfragen?

12. Liegen dem Ministerium Daten darüber vor, wie hoch die jährlichen Ausgaben für Gutachten und Gegengutachten in Verfahren mit ME/CFS-Betroffenen in der PVA sind?

II. Aktuelle Versorgungslage

Spezialisierte Ambulanzen (öffentlich finanziert)

13. Wie viele öffentlich finanzierte Ambulanzen, die sich auf ME/CFS oder vergleichbare postvirale Erkrankungen spezialisieren, existieren aktuell in Österreich? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland.

14. Falls vorhanden: Wo befinden sich diese Ambulanzen, und wer sind die jeweiligen Träger (z. B. Universitätskliniken, Landeskliniken)?

Niedergelassene Versorgungseinheiten (mit Kassenvertrag)

15. Wie viele Ordinationen oder Primärversorgungseinheiten mit Kassenvertrag bieten derzeit spezialisierte Versorgung für ME/CFS oder vergleichbare postvirale Erkrankungen an?
a. Bitte um Angabe: Bundesland, Anzahl, vertragsbeteiligte Sozialversicherungsträger sowie Art und Umfang der angebotenen Leistungen (z. B. Diagnostik, Therapie, Langzeitbetreuung).

III. Evaluierung und Umsetzung

16. Welche Evaluierungskriterien sollen herangezogen werden, wenn bislang kaum spezialisierte Einrichtungen existieren?

17. Wie wird sichergestellt, dass die im Aktionsplan empfohlene Einrichtung hochspezialisierter Versorgungseinheiten bis 2026 tatsächlich realisiert wird – insbesondere angesichts der nun geplanten Evaluierung, die die Umsetzung verzögert?

IV. Zeitplan

18. Mit welchen konkreten Umsetzungsschritten können Betroffene rechnen, wenn der Aktionsplan derzeit überarbeitet wird?

19. Welche Maßnahmen plant das Ministerium, um sicherzustellen, dass Bundesländer wie Oberösterreich – die einen bundesweiten Umsetzungsplan einfordern, jedoch selbst keine Maßnahmen ergreifen – künftig aktiv zur Verbesserung der Versorgungslage beitragen?

20. Bis wann sind Gespräche mit der PVA zur kritisierten Praxis in Bezug auf ME/CFS-Betroffene geplant? Wie wird sichergestellt, dass daraus verbindliche Maßnahmen und Zeitpläne hervorgehen?

V. Schulung, Versorgung und Awareness

21. Welche Maßnahmen werden gesetzt, um eine geschlechtergerechte Versorgung sicherzustellen, vor dem Hintergrund, dass ME/CFS überwiegend Frauen betrifft?

22. Welche Fortbildungsmaßnahmen für Ärzt:innen und Pflegepersonal werden geplant oder umgesetzt, um den spezifischen Bedürfnissen von ME/CFS-Betroffenen – insbesondere hinsichtlich Aktivitätsgrenzen und Crash-Prävention – gerecht zu werden?

23. Welche spezifischen Konzepte werden für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS entwickelt?

24. Sind öffentlichkeitswirksame Awareness-Kampagnen geplant, um Bevölkerung und Fachpersonal für ME/CFS zu sensibilisieren?

 



[1] https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=842&attachmentName=Aktionsplan_zu_postakuten_Infektionssyndromen.pdf

[1] https://www.nachrichten.at/politik/innenpolitik/krankenkassen-chef-duerfen-vom-gesundheitssystem-nicht-den-mercedes-in-vollausstattung-erwarten;art385,4012318