2610/J XXVIII. GP

Eingelangt am 17.06.2025
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Paul Hammerl, MA

an den Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus

betreffend Ideologie kann Physik nicht übertrumpfen – weitere Verteuerung der Energie in Österreich zu erwarten

 

 

Die Europäische Kommission hat am 6. Mai 2025 ihre „Roadmap zum Ausstieg aus den Energieimporten aus Russland“ vorgestellt.[1] Ziel dieses Fahrplans ist es, sämtliche Energieimporte aus der Russischen Föderation, insbesondere Gas, Öl und Kernbrennstoffe, bis spätestens 2027 vollständig zu beenden. Im Mittelpunkt stehen legislative Maßnahmen, die unter anderem ein EU-weites Verbot neuer sowie bestehender Gasverträge mit Russland vorsehen. Mit Ende dieses Jahres soll ein Verbot in Kraft treten, welches den Neuabschluss von Verträgen für die Lieferung von russischem Gas untersagt. Ab Ende 2027 soll sichergestellt sein, dass keine Einfuhr in Mitgliedsländer der Europäischen Union mehr erfolgt. Hierzu haben die Mitgliedsstaaten nationale Ausstiegspläne vorzulegen, welche die nationalen Besonderheiten und Diversifizierungsbedarfe zu berücksichtigen haben.

 

Die zentrale Ersatzstrategie für russisches Gas ist eine verstärkte Versorgung über verflüssigtes Erdgas (LNG), insbesondere aus den USA, sowie aus Katar, afrikanischen Staaten und Aserbaidschan. Bereits jetzt stammen knapp 60% aller LNG-Importe aus den USA. Wie medial berichtet, werden weitere Langfristverträge mit den USA über die Einfuhr nach Europa angestrebt, und soll der Anteil in Europa an Erdgas aus den USA signifikant gesteigert werden.

 

Aufgrund des angestrebten Verbots von Lieferungen von russischem Gas ist davon auszugehen, dass die letzte noch verbliebene Lieferverbindung über die TurkStream-Pipeline stillgelegt wird. Jedoch werden aktuell die EU Mitgliedsländer Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Griechenland über diese Pipeline versorgt. Darüber hinaus hat diese Lieferverbindung auch eine zentrale Bedeutung für die notwendige Versorgung der Ukraine, von Nordmazedonien, von Bosnien und der Türkei.

 

In den vergangenen Monaten hat sich Ungarn zu einem Knotenpunkt für die Versorgung von Osteuropa entwickelt. Insbesondere für die Slowakei und die Ukraine sind die Gas-Lieferungen aus Ungarn wichtig. Ungarn wiederum wird hauptsächlich über die TurkStream und aus Österreich versorgt.

 

 

Abbildung 1: Physikalische Gasflüsse, Gas Connect Austria[2]

 

Die Ukraine hat lt. AGSI+ einen Jahresverbrauch von rund 215 TWh und Speicherkapazitäten von etwa 320 TWh.[3] Österreich hat hierbei zum Vergleich 76 TWh Jahresverbrauch und rund 100 TWh Speicherkapazität.

 

Seit Anfang Februar erfolgt die Versorgung der Ukraine mit Gas in erster Linie über Westeuropa, da die Eigenproduktionsanlagen der Ukraine durch russische Angriffe stark beschädigt wurden. Auch sind die ukrainischen Speicher so gut wie leer (lt. AGSI+ aktueller Füllstand zum 01.06.2025: 6,85%). Da aber die Ukraine ihre Speicher vor dem nächsten Winter möglichst stark befüllen wird müssen, ist mit weiterhin großen Lieferungen aus Europa in die Ukraine zu rechnen.

 

Abbildung 2: bruegel[4]

 

Im Falle der Einstellung der Gasversorgung von Osteuropa über die TurkStream Pipeline haben die westeuropäischen Länder die Gasflüsse in die betroffenen Länder sicherzustellen. Dabei wird besonders Österreich, insbesondere auf Grund der West-Austria-Gasleitung (WAG) und der Tans Austria Gasleitung (TAG) sowie der Erdgasdrehscheibe Baumgarten, eine Schlüsselrolle zukommen. Zwar ist die österreichische Gastransitinfrastruktur auf eine sehr hohe Gastransportkapazitäten bei der Errichtung ausgelegt worden, jedoch wurde sie für physische Gasflüsse von Osten nach Westen konzipiert. Seit dem Wegfall der hohen Gasflüsse aus dem Osten werden die Anlagen im sogenannten Reverse Flow geführt, sodass Gas aus unseren Nachbarländern Deutschland und Italien nach Österreich transportiert werden kann. Auf Grund der technischen Auslegung der Anlagen ist dies jedoch nur mit wesentlich geringeren Transportkapazitäten möglich.

 

Um die Kapazitäten im Reverse Flow zu erhöhen, soll die Gasinfrastruktur der WAG ausgebaut werden. Hierzu befindet sich das bekannte Projekt WAG Loop 1 im behördlichen Genehmigungsverfahren. Mit einer Fertigstellung wird frühestens im Jahr 2027 gerechnet. Jedoch zeigen die aktuellen Berechnungen der physikalischen Kapazitäten, dass auch mit Inbetriebnahme des WAG Loop 1 die benötigten Gasmengen – gerade in den Wintermonaten – nicht im notwendigen Ausmaß nach Osteuropa geliefert werden können.

 

Wie die Ereignisse der letzten Jahre deutlich zeigen, haben beschränkte Leitungskapazitäten einen wesentlichen Einfluss auf die Energiepreise. Die nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Transportkapazitäten führen zu einer Verknappung des Angebotes, dies wiederum zu einer Preissteigerung bei gleicher Nachfrage. Es ist damit davon auszugehen, dass die aktuellen Preis-Spreads auf europäischen Handelsplätzen (z.B. zwischen TTF und CEGH oder THE und CEGH) weiter zunehmen werden, und damit Gas in Österreich signifikant teurer wird als in anderen westlichen EU-Ländern.

 

Hohe Energiepreise führen zu einer Verstärkung des bereits bestehenden Wettbewerbsnachteils für die heimische Wirtschaft und Industrie sowie zu einer Mehrbelastung der österreichischen Haushalte. Im weltweiten Vergleich sind die Energiepreise in Europa um ein Vielfaches teurer als bspw. in den USA oder in Asien.

 

 

In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Abgeordnete an den Bundes-minister für Wirtschaft, Energie und Tourismus nachstehende

 

Anfrage

 

1.    In welchem Ausmaß rechnen Sie im Zuge des EU-weiten Ausstiegs aus russischem Gas mit einer zunehmenden Abhängigkeit Österreichs und der EU von LNG-Importen aus den USA?

2.    Wie bewerten Sie die neue Abhängigkeit Europas von wieder nur einem Staat, insbesondere durch die angedachten Langfristverträge zur Lieferung von LNG?

3.    Wie bewerten Sie das Risiko, dass bei einem etwaigen Einfuhrverbot von russischem Erdgas und der damit einhergehenden Stilllegung der TurkStream-Pipeline die Nachfrage Osteuropas nach Gas aus Österreich steigen würde, und infolgedessen auch die Gaspreise in Österreich steigen würden?

4.    Welche Auswirkungen auf die Preise am österreichischen Handelsplatz CEGH erwarten Sie infolge des geplanten Einfuhrverbotes von Gas aus Russland?

5.    Welche Preis-Spreads zwischen den europäischen Handelsplätzen TTF zu CEGH sowie THE zu CEGH erwarten Sie auf Grund des Einfuhrverbotes von Gas aus Russland?

6.    Welche Maßnahmen haben Sie bereits gesetzt und welche Maßnahmen werden Sie noch setzen, um die Interessen der österreichischen Bevölkerung und der heimischen Wirtschaft an günstigen Preisen für Erdgas zu sichern?

7.    Welche Maßnahmen haben Sie bereits gesetzt und welche Maßnahmen werden Sie noch setzen, um eine rasche Inbetriebnahme des WAG Loops 1 sicherzustellen?

8.    Wann wird das Genehmigungsverfahren des WAG Loops 1 abgeschlossen sein und mit der Errichtung begonnen werden können?

9.    Mit welcher prozentuellen Auslastung wird die Gastransitkapazität der WAG, der TAG und am Gasknoten Baumgarten genutzt werden, wenn die Versorgung von Osteuropa mit Erdgas - nach Wegfall der Liefermengen über die TurkStream Pipeline - über Österreich erfolgen muss? (Bitte um Angabe der jeweiligen Tageswertprognosen für das Jahr 2028)

10. Welche Maßnahmen setzen Sie, um die österreichische Gastransitinfrastruktur zur Versorgung von Osteuropa mit Erdgas auszubauen, um die notwendige Spitzenlastabdeckung sicherzustellen?

11. Auf welche Leistungskapazitäten ist die österreichischen Gastransitinfrastruktur auszulegen, um die hohen Energieflüsse nach Osteuropa - gerade an kalten Tagen – sicherzustellen?

12. Mit welchen Folgen für die heimische Wirtschaft und insbesondere für die energieintensive Industrie rechnen Sie, wenn die Preise für Erdgas in Österreich im Vergleich zu den USA und Asien noch weiter steigen?

13. Welche Maßnahmen sind geplant, damit die österreichische Industrie in dem Fall trotzdem wettbewerbsfähig bleiben kann?

14. Inwiefern gehen Sie davon aus, dass Österreich im Falle eines Versorgungs-engpasses in osteuropäischen Mitgliedstaaten verpflichtet wäre, solidarische Gaslieferungen zu leisten und wie würde sich dies auf die heimische Versorgungslage auswirken?

15. Welche bilateralen oder regionalen Abstimmungen (z. B. im CESEC-Rahmen) führt Österreich aktuell mit Nachbarstaaten durch, um potenzielle negative Folgen eines Ausstiegs aus russischem Gas auf nationaler und regionaler Ebene abzufedern?



[1]    https://commission.europa.eu/news-and-media/news/roadmap-fully-end-eu-dependency-russian-energy-2025-05-06_de

[2]    https://www.gasconnect.at/netzinformationen/auf-einen-blick/daily-cee-flowchart, 17.05.2025

[3]    https://agsi.gie.eu/

[4]    https://www.bruegel.org/dataset/european-natural-gas-imports