2611/J XXVIII. GP

Eingelangt am 17.06.2025
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Mag. Paul Hammerl, MA

an den Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus

betreffend Welche Risiken für die Netzstabilität entstehen in Österreich durch fehlende Momentanreserve infolge des PV-Ausbaus und der damit verbundenen Drosselung rotierender Wasserkraftwerke im Sommerbetrieb?

 

 

Der großflächige Blackout auf der Iberischen Halbinsel im Frühjahr 2025 hat verdeutlicht, dass ein Stromsystem, das auf nicht-rotierenden erneuerbaren Erzeugungsanlagen basiert, ohne geeignete Ausgleichsmechanismen erheblich an Stabilität verliert. Wie die Analyse des LEMUR-Instituts der Universität Oviedo zeigte, war nicht ein einzelner technischer Ausfall ursächlich, sondern ein systemisches Defizit an Momentanreserve, das eine zeitgerechte Frequenzstabilisierung verhinderte.

 

Eine vergleichbare strukturelle Risikolage ergibt sich zunehmend auch in Österreich. Der wachsende Zubau von Photovoltaikanlagen führt insbesondere im Frühling und Sommer dazu, dass in den Mittagsstunden ein erheblicher Anteil der Last über wechselrichtergekoppelte PV-Erzeugung gedeckt wird. Gleichzeitig müssen rotierende Wasserkraftwerke, die traditionell eine wesentliche Quelle der Momentan-reserve darstellen, häufig gedrosselt oder temporär vom Netz genommen. In Folge fehlt in diesen kritischen Zeitfenstern die physikalische Trägheit, die notwendig wäre, um Frequenzabweichungen unmittelbar zu dämpfen.

 

Die damit einhergehende Entkopplung von rotierender Masse und Netzfrequenz macht das System anfällig für plötzliche Frequenzeinbrüche – insbesondere bei simultanen Erzeugungsverlusten oder abrupten Wetterumschwüngen. Ersatzleistungen in Form synthetischer Trägheit sind bislang technologisch begrenzt verfügbar, werden nicht flächendeckend genutzt und sind wirtschaftlich nur teilweise incentiviert. Vor diesem Hintergrund ist eine fachlich fundierte Auseinandersetzung mit der real verfügbaren Momentanreserve und ihrer zukünftigen Sicherstellung unabdingbar.

 

 

In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Abgeordnete an den Bundes-minister für Wirtschaft, Energie und Tourismus nachstehende

 

Anfrage

 

1.    Welche realen Werte für Momentanreserve (MWs bzw. Sekunden Netzträgheit) wurden im österreichischen Übertragungsnetz im Frühjahr und Sommer 2024 an sonnenintensiven Tagen jeweils zur Mittagszeit aufgezeichnet und wie variierten diese im Verlauf des Tages?

2.    In welchem Umfang wurden rotierende Wasserkraftwerke an diesen Tagen gedrosselt oder vom Netz genommen?

a.    Wwie wurde der dadurch entstandene Trägheitsverlust systemseitig bewertet und dokumentiert?

3.    Welche Simulationsmodelle, Netzanalysetools oder Frequenzstabilitäts-rechnungen werden vom Ministerium oder der APG genutzt, um den Einfluss wachsender PV-Einspeisung auf die Momentanreserve systematisch zu bewerten?

4.    Welche technischen Schwellenwerte oder Mindestvorgaben gelten aktuell für die Momentanreserve im österreichischen Netz?

a.    Auf welcher physikalischen Basis wurden diese definiert?

5.    Welche rechtlichen, betrieblichen oder vertraglichen Rahmenbedingungen verpflichten Betreiber von rotierenden Erzeugungsanlagen zur Vorhaltung von Momentanreserve – unabhängig von wirtschaftlichen Optimierungszielen?

6.    Welche Technologien zur Erbringung synthetischer Trägheit (z. B. grid-forming Inverter, virtuelle Synchrongeneratoren, Batteriespeicher mit inertialer Reaktion) sind derzeit in Österreich aktiv in Betrieb

a.    Welche Reaktionszeiten und Leistungsklassen weisen diese auf?

7.    Wie ist der derzeitige Stand marktwirtschaftlicher Mechanismen zur Vergütung systemstabilisierender Leistungen, wie Momentanreserve und Fast Frequency Response in Österreich und welche Entwicklungen sind bis 2030 geplant?

8.    Welche technischen Strategien werden aktuell angewendet, um bei abruptem Rückgang der PV-Einspeisung – etwa durch Bewölkung – die Frequenzstabilität kurzfristig sicherzustellen?

a.    Wie schnell können diese Systeme im Ernstfall aktiviert werden?

9.    Welche konkreten Lehren wurden aus dem spanischen Blackout 2025 für Österreich gezogen und welche Maßnahmen zur Vermeidung eines vergleich-baren Szenarios wurden bereits umgesetzt oder eingeleitet?

10. Wie ist der Planungsstand hinsichtlich eines österreichischen Kapazitäts-mechanismus oder alternativer Modelle zur gezielten Förderung inertialer Netzstützung – insbesondere in einem zunehmend dekarbonisierten Strom-system?

11. Welche bestehenden grenzüberschreitenden Vereinbarungen sichern Österreich im Rahmen des europäischen Verbundsystems bei Frequenz-störungen ab und welche Rolle spielt Österreich selbst als Anbieter oder Empfänger systemkritischer Momentanreserve?

12. Welche Anforderungen an Frequenzverhalten, Blindleistungsbereitstellung und inertiale Eigenschaften müssen neue PV- und Windkraftanlagen in Österreich erfüllen?

a.    Wie wird deren technische Umsetzung kontrolliert und validiert?

13. In welcher Weise adressiert der aktuelle Nationale Energie- und Klimaplan (NEKP) die Sicherstellung der Momentanreserve als Bestandteil der System-stabilität im österreichischen Stromnetz?

a.    Welche spezifischen Maßnahmen oder Strategien zur Erhaltung bzw. zum Ersatz rotierender Trägheit werden darin vorgesehen?