2923/J XXVIII. GP

Eingelangt am 14.07.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Sigrid Maurer, Freundinnen und Freunde

an die Bundesministerin für Frauen, Wissenschaft und Forschung

betreffend Wie sicher ist unsere Wissenschaft? Besorgniserregende Vorgänge am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA)

BEGRÜNDUNG

Die jüngsten Ereignisse am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg und die Enthüllungen über die russische Stiftung „Pravfond" zeichnen ein besorgniserregendes Bild der Herausforderungen, denen sich die österreichische Wissenschaft derzeit gegenübersieht. Beide Fälle zeigen auf unterschiedliche Weise, wie wissenschaftliche Integrität, Freiheit und Sicherheit unter Druck geraten können – sei es durch interne Diskriminierung oder externe fremdstaatliche Einflussnahme.

Der Fall Rotem Zelingher: Eine antisemitische Anfeindung

Im Vorjahr hat die israelische Ökonomin Rotem Zelingher eine Forschungsarbeit zur Ernährungssicherheit im Gazastreifen verfasst, die am IIASA veröffentlicht werden sollte, der STANDARD hat berichtet[1]. Sie analysierte dabei die Preisentwicklung von Lebensmitteln und benannte Faktoren wie die Blockade der Palästinensergebiete und die Korruption der Hamas als Ursachen für die prekäre Versorgungslage.

Kurz nach der Veröffentlichung im April 2024 reichte jedoch eine Gruppe von Forschenden am IIASA eine Beschwerde bei der institutsinternen Ethikkommission ein. Die Hauptvorwürfe bezogen sich nicht primär auf inhaltliche Fehler, sondern auf die Herkunft Zelinghers und die Unterstellung eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer israelischen Staatsbürgerschaft und der Finanzierung ihrer Stelle durch die israelische Mitgliedsorganisation des IIASA. Der Kern der Kritik lag in der Annahme, Behauptungen einer israelischen Forscherin müssten besonders gut untermauert werden, um nicht als Propaganda wahrgenommen zu werden – eine Haltung, die den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis widerspricht, wonach jede wissenschaftliche Behauptung umfassend belegt sein muss, ungeachtet der Nationalität des/der Autor:in.

Die Ethikkommission leitete daraufhin eine Untersuchung ein und nahm den Policy-Brief vorsorglich offline, was Rotem Zelingher als demütigend empfand und eine Schädigung ihrer Reputation befürchten ließ. Die folgende Debatte stand vor allem unter dem Vorzeichen der Herkunft der Forscherin, darüber hinaus berichtet Zelingher von zahlreichen antisemitischen Anfeindungen am Institut. Externe Ökonomen, die den Fall als "antisemitisch bzw. antiisraelisch" einstuften, prüften die Untersuchungsergebnisse der Arbeit und konnten keine Fehler feststellen.

Erst im November 2024 stellte die Ethikkommission fest, dass kein Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis gefunden werden konnte. Der Vorwurf, Zelinghers Nationalität mache sie voreingenommen, wurde explizit als Verstoß gegen die Prinzipien akademischer Fairness bezeichnet. Trotz dieses positiven Ergebnisses für die Forscherin bleibt ihre Arbeit bis heute zurückgezogen. Auch verletzte das Institut Grundsätze des rechtlichen Gehörs und seine selbst geschaffenen Verfahrensregeln: Eine obligatorische Vorprüfung fand nicht statt, Zelingher wurde außerdem keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Das IIASA begründete die aufrechte Sperre vage mit einer "verfrühten Veröffentlichung" und nicht näher definierten "internen Direktiven", was die Transparenz der Vorgänge weiter infrage stellt und die Reputation des Instituts in diesem Fall stark belastet.

Der Fall Pravfond: Russische Einflussnahme im Herzen der österreichischen Forschung

Parallel zum Fall Zelingher offenbarten Recherchen[2] die Aktivitäten der russischen Stiftung „Pravfond" in Österreich und Deutschland. Diese Stiftung, die offiziell Rechtshilfe für im Ausland lebende russische Staatsbürger anbietet, wird von europäischen Geheimdiensten als Tarnorganisation russischer Geheimdienste eingestuft, die Desinformation verbreitet und auf Instabilität in anderen Staaten abzielt. Die EU hat Pravfond im Juni 2023 aufgrund dieser Aktivitäten sanktioniert.

Besonders brisant ist die Verbindung zum IIASA: Dimitri Erochin, ein am IIASA beschäftigter Wissenschaftler, der zu Desinformation forscht, agierte gleichzeitig als Vorsitzender eines Pravfond-finanzierten Vereins in Wien. Dieser Verein betrieb eine Anlaufstelle für die russische Diaspora und teilte seine Adresse mit dem russischen Kulturinstitut. Interne E-Mails zeigen, dass Erochin auch nach der Verhängung der EU-Sanktionen weiterhin Geld von Pravfond erhalten haben soll, obwohl die Stiftung sanktioniert war. Dies deutet auf mögliche Sanktionsumgehungen und eine systematische Fortführung der Einflussaktivitäten hin.

Die Bedeutung von Pravfond als Instrument russischer Einflussnahme wird auch durch ihre Rolle bei der Finanzierung der Rechtsverteidigung des russischen Auftragsmörders Wadim Krassikow im Berliner Tiergartenmordprozess deutlich. Der verurteilte Täter, dessen Mord dem russischen Staat zugeschrieben wurde, erhielt durch Pravfond eine teure Verteidigung. Dies unterstreicht die Reichweite und die Ernsthaftigkeit der Aktivitäten der Stiftung.

Für Geheimdienstexperten dienen Personen wie Dimitri Erochin als sogenannte „Brückenköpfe“, die russischen Diensten eine Möglichkeit bieten, auch nach massiven Agentenausweisungen weiterhin in westlichen Gesellschaften zu operieren, Propaganda zu lancieren und Kontakte zu knüpfen. Die estnische Geheimdienstsprecherin Marta Tuul bezeichnet Pravfond als „eine Erweiterung der russischen Geheimdienste“, die russischsprachige Gemeinschaften im Ausland als „Werkzeuge für ihre Einflussoperationen“ nutzt.

Handlungsbedarf für die österreichische Wissenschaftspolitik

Beide geschilderten Fälle – die interne Kontroverse am IIASA um wissenschaftliche Fairness und die externe Bedrohung durch fremdstaatliche Einflussnahme – stellen die österreichische Wissenschaft und Forschung vor erhebliche Herausforderungen. Sie zeigen die Notwendigkeit robuster Mechanismen zum Schutz der wissenschaftlichen Freiheit vor Diskriminierung und zur Abwehr von politischer Instrumentalisierung.

Das Bundesministerium für Frauen, Wissenschaft und Forschung wirkt gleich auf mehreren Ebenen in das IIASA hinein:

·     Gremienbeteiligung: Mitwirkung im Austrian IIASA Committee als offizieller Vertreter

·     Politische Repräsentation: Mitgestaltung österreichischer Interessen im IIASA Council

·     Finanzverantwortung: Budgetierung und Beitragszahlung für IIASA-Mitgliedschaft

·     Strategische Wissenschaftsförderung: Unterstützung wissenschaftlicher Projekte, Programme, Nachwuchsförderung

·     Standortpolitik: Mitverantwortung für Infrastruktur und institutionelle Basis in Laxenburg

Es bedarf deshalb einer klaren Positionierung und proaktiver Schritte seitens der zuständigen Ministerin, um das Vertrauen in den Forschungsstandort Österreich zu wahren und dessen Integrität zu gewährleisten.

Beide Fälle, obgleich unterschiedlich in ihrer Natur, berühren zentrale Aspekte der Wissenschaftsfreiheit, der Schutzwürdigkeit von Forschenden und der nationalen Sicherheit im Kontext der Forschung. Es ist unerlässlich, dass das Ministerium aktiv wird, um derartige Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern und das Vertrauen in den österreichischen Wissenschaftsstandort zu stärken.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1.   Ist Ihnen der Fall Rotem Zelingher und der Umgang mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit am IIASA bekannt? Falls ja, seit wann?

2.   Welche Maßnahmen hat das Ministerium ergriffen oder beabsichtigt es zu ergreifen, um die wissenschaftliche Freiheit und den Schutz von Forschenden vor Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft oder Nationalität an öffentlich finanzierten oder mitfinanzierten Forschungseinrichtungen in Österreich sicherzustellen?

3.   Teilen Sie die Auffassung, dass die Unterstellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens oder Befangenheit basierend auf der Herkunft eines Forschenden diskriminierend ist und gegen die Prinzipien akademischer Fairness verstößt?

4.   Wurde Ihr Ministerium vom IIASA über die "internen Direktiven" informiert, die angeblich zur Rücknahme von Rotem Zelinghers "Policy-Brief" führten? Falls ja, welche Direktiven sind das, und wie stellt das Ministerium sicher, dass diese die wissenschaftliche Freiheit nicht unverhältnismäßig einschränken?

5.   Welche Schritte unternehmen Sie, um die Transparenz der Entscheidungsprozesse bei Ethikkommissionen an Forschungsinstituten in Österreich zu erhöhen, insbesondere wenn es um die Reputation von Forschenden geht?

6.   Gibt es im Ministerium oder bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (die ÖAW ist die Nationale Mitgliedsorganisation, die Österreich im IIASA vertritt) Leitlinien oder Empfehlungen für Ethikkommissionen an Forschungseinrichtungen, die den Umgang mit Beschwerden regeln, insbesondere in Bezug auf die Unterscheidung zwischen sachlicher Kritik und diskriminierenden Vorwürfen?

7.   Wie bewerten Sie die Tatsache, dass Rotem Zelinghers Arbeit, obwohl sie von der Ethikkommission nachträglich als nicht fehlerhaft eingestuft wurde (abgesehen von einem Grafikfehler), weiterhin offline ist? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Reputation des Forschungsstandorts Österreich?

8.   Welche Unterstützung bietet das Ministerium Forschenden an, die sich gegen unbegründete Vorwürfe oder diskriminierendes Verhalten an österreichischen Forschungseinrichtungen zur Wehr setzen müssen?

9.   Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Fall Rotem Zelingher und welche Sanktionen werden Sie setzen?

10. Um die Wissenschaft vor ausländischer Einflussnahme zu schützen, hat Ihr Ministerium erste Maßnahmen gesetzt (https://www.bmb.gv.at/en/Topics/researchsecurity.html). Wie lautet der Status dieser Maßnahmen, welches Budget gibt es dafür und welche Kompetenzen konnten dazu bisher aufgebaut werden?

11. In welchen konkreten Bereichen gibt es aus Ihrer Sicht einen Verbesserungs- oder Handlungsbedarf in der Sicherheit und Resilienz an österreichischen Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen?

12. Ist Ihnen die Verbindung von Dimitri Erochin, einem am IIASA beschäftigten Wissenschaftler, zur russischen Stiftung Pravfond und seine Rolle als Leiter eines Pravfond-finanzierten Vereins in Wien bekannt? Falls ja, seit wann?

13. Welche Maßnahmen wurden oder werden vom Ministerium ergriffen, um die Integrität und Unabhängigkeit österreichischer Forschungseinrichtungen vor fremdstaatlicher Einflussnahme, insbesondere durch als Tarnorganisationen eingestufte Entitäten, zu schützen?

14. Gibt es bestehende Richtlinien oder Empfehlungen des Ministeriums an Forschungseinrichtungen bezüglich der Prüfung der Herkunft und des Zwecks von Drittmitteln und Kooperationen, insbesondere wenn diese aus Staaten oder von Organisationen stammen, die als potenziell kritisch eingestuft werden (z.B. aufgrund von Sanktionen)?

15. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, dass ein am IIASA beschäftigter Wissenschaftler, Dimitri Erochin, auch nach der EU-Sanktionierung von Pravfond weiterhin Zahlungen von dieser Stiftung erhalten haben soll? Wurden oder werden rechtliche Schritte oder andere Maßnahmen gegen die betroffene Person oder das IIASA geprüft?

16. Wie stellen Sie sicher, dass Forschungsergebnisse und -daten, die an österreichischen Einrichtungen generiert werden, nicht für Zwecke missbraucht werden, die den Interessen Österreichs oder der EU zuwiderlaufen, insbesondere im Kontext von Desinformation oder Propaganda?

17. Welche Sensibilisierungsmaßnahmen oder Schulungen werden für Mitarbeiter an Forschungsinstitutionen angeboten, um sie für die Risiken von Spionage, Einflussnahme und Desinformation zu wappnen?

18. Beabsichtigen Sie, die Regelungen für internationale Forschungskooperationen und Gastwissenschaftler in Österreich zu verschärfen oder zu präzisieren, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern?

19. Wie bewerten Sie die Rolle der russischen Botschaft in Wien im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Pravfond und der Unterstützung von Vereinen in Österreich? Steht das Ministerium diesbezüglich im Austausch mit dem Außenministerium und welche Erkenntnisse konnten hinsichtlich dem IIASA bisher gewonnen werden?

20. Welche konkreten Schritte werden Sie nun setzen, um sicherzustellen, dass die österreichische Wissenschaft ein offener, aber auch sicherer Raum bleibt?



[1] https://www.derstandard.at/story/3000000264426/warum-die-forschungsarbeit-einer-israelin-bei-einem-der-fuehrenden-institute-keinen-platz-hat

[2] https://www.derstandard.at/story/3000000270730/russische-tarnorganisation-macht-in-wien-trotz-sanktionen-weiter