2962/J XXVIII. GP
Eingelangt am 14.07.2025
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ANFRAGE
des Abgeordneten Christoph Steiner
an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumenten-schutz
betreffend Benachteiligung von Schwerstbehinderten durch EU-Gesetzgebung
„Uns haben sie politisch vergessen“[1] titelte die „Tiroler Tageszeitung“ am 14. Mai 2025. Bezogen ist diese Schlagzeile auf ein Projekt für Menschen mit erhöhtem Pflegebedarf in Uderns, welches durch das neue europäische Behindertengesetz verhindert wurde.
Die Ursache des Problems liegt in der Umsetzung der EU-weiten Integrations- und Teilhaberegelungen: Die Gleichbehandlung von Menschen mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen führt in der Praxis zu massiven Benachteiligungen jener, die auf umfassende Betreuung rund um die Uhr angewiesen sind. Der Bau eines dringend benötigten Wohnhauses für Schwerstbehinderte in Uderns musste vom Land Tirol abgelehnt werden – aufgrund der Vorgaben des Teilhabegesetzes, das sowohl eine Beschränkung auf maximal 40 % Bewohner mit Behinderung pro Wohnprojekt als auch räumliche Trennung von Wohn- und Tagesbetreuungsorten vorsieht.
In der Praxis bedeutet dies: Menschen mit schwerster Beeinträchtigung, die weder erwerbsfähig sind, noch ihren Alltag eigenständig bestreiten können, wird dadurch ein dauerhaftes, betreutes Wohnen in einem geschützten Umfeld verunmöglicht – gerade dann, wenn die betreuenden Angehörigen altersbedingt zunehmend selbst Unterstützung benötigen. Die Betroffenen bleiben dadurch dauerhaft auf ihre Familie angewiesen.
Ein funktionierendes Konzept, wie es etwa in Kaltenbach seit Jahren erfolgreich betrieben wird, sollte ursprünglich als Modell auch in Uderns realisiert werden. Dass dieses Vorhaben nun an juristischen Hürden scheitert, lässt viele Betroffene fassungslos zurück. Es entsteht der Eindruck, dass die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen im aktuellen Gesetzesrahmen weder gesehen, noch berücksichtigt werden. In der Folge entsteht auch ein strukturelles Versorgungsdefizit – insbesondere in ländlichen Regionen.
In diesem Zusammenhang richtet der unterfertigte Abgeordnete an die Bundes-ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nachstehende
Anfrage
1. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen des europäischen Teilhabegesetzes auf Wohnprojekte für Menschen mit sehr hohem Pflege- und Betreuungsbedarf?
2. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um sicherzustellen, dass Menschen mit schwerster Behinderung nicht durch Integrationsregelungen vom betreuten Wohnen ausgeschlossen werden?
3. Welche gesetzlichen oder verordnungstechnischen Änderungen sind auf Bundes- oder Landesebene in Planung, um Vorhaben wie jenes in Uderns künftig zu ermöglichen?
4. Gibt es Bestrebungen seitens der Bundesregierung, auf europäischer Ebene Änderungen oder Ausnahmeregelungen zu beantragen?
5. Gibt es von Ihrer Seite Bestrebungen, dem Nationalrat zeitnah eine Gesetzes-initiative vorzulegen, um diese Lücke im Teilhabegesetz zu korrigieren?
6. Welche Strategien verfolgt die Bundesregierung zur Entlastung von pflegenden Angehörigen, insbesondere in Fällen, in denen diese selbst altersbedingt pflegebedürftig werden?
7. Wie viele Wohnprojekte für schwerstbehinderte Menschen wurden in den vergangenen fünf Jahren in Österreich aufgrund der 40-Prozent-Regelung nicht realisiert oder gestoppt?
8. Wo wurden Wohnprojekte für schwerstbehinderte Menschen in den vergangenen fünf Jahren in Österreich aufgrund der 40-Prozent-Regelung nicht realisiert oder gestoppt? (Bitte um Bekanntgabe der jeweiligen Gemeinde)
9. In welchen Bundesländern gibt es ähnliche Regelungen wie jene in Tirol?
[1] www.tt.com/artikel/30908381/wohnhaus-der-caritas-darf-in-uderns-nicht-gebaut-werden-uns-haben-sie-politisch-vergessen