3093/J XXVIII. GP
Eingelangt am 24.07.2025
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Anfrage
der Abgeordneten Leonore Gewessler, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus
betreffend Österreichische Positionierung gegen Atomkraft auf EU-Ebene
Frankreich, Polen und weitere Staaten setzen sich seit Jahren auf EU-Ebene stark dafür ein, dass Atomenergie als – aus ihrer Sicht - nachhaltige Technologieform anerkannt und auch finanziell gefördert wird. Es geht um nichts Geringeres als um Milliarden an Finanzflüssen, die in die Atomindustrie fließen sollen. In den letzten Wochen wurden die Rufe nach Unterstützung für den Ausbau der Atomkraft noch lauter. Am Freitag, 13. Juni 2025, hat die EU-Kommission das Atomkraft-Programm PINC veröffentlicht und stellt darin fest, dass bis 2050 in der EU 241 Milliarden Euro an Investitionen in Atomkraft fließen könnten.
Die neue Regierung in Deutschland vollzieht nach Jahren der Ablehnung von Atomkraft eine Wende und spricht sich öffentlich für die Unterstützung der Atomkraft in der EU aus. In einem Papier von Bundeskanzler Friedrich Merz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wurde vereinbart, man wolle „die Diskriminierung von Atomenergie auf EU-Ebene beenden“. Die deutsche Wirtschaftsministerin Reiche hält laut Spiegel eine Förderung französischer Atomanlagen mit EU-Mitteln auch für vorstellbar – etwa, wenn es sich um kleine modulare Reaktoren handle[1]. Am 16. Juni hat die deutsche Wirtschaftsministerin am Rande des EU-Rats der Energieminister:innen zum ersten Mal als Beobachterin an einem Meeting der Nuklear-Allianz und nicht am Treffen der von Österreich mitgegründeten Allianz „Friends of Renewables“ teilgenommen[2].
Die EU-Kommission hat im Affordable Energy Act angekündigt, dass sie den Investitionsbedarf im Bereich Atomkraft bewerten und Investitionen in saubere Energietechnologien der nächsten Generation, wie Kernfusion fördern möchte. Im Clean Industrial Deal ist festgehalten, dass die EU-Kommission die staatlichen Beihilfen für die Atomkraft-Lieferkette prüfen wird.
Diese Entwicklungen könnten dazu führen, dass öffentliches Steuergeld statt in sichere Erneuerbare Energieträger und Speicher, in risikoreiche Atomenergie fließt. Aus ökologischer, sozialer und ökonomischer Perspektive ist das kontraproduktiv.
Erneuerbare Energien haben laut der Lazard Analyse 2024 deutlich niedrigere Stromerzeugungskosten als Atomkraft[3]. Weltweit wurde kein einziger Reaktor ohne staatliche Unterstützung gebaut. Ohne staatliche Zuschüsse in Milliardenhöhe würde auch kein Land der Welt Atomkraftwerke bauen, es gibt schlichtweg keinen Business Case für Atomenergie. Die Baukosten für das Kernkraftwerk Flamanville in Frankreich, ursprünglich geschätzt auf 3,4 Milliarden Euro, sind auf über 13 Milliarden Euro gestiegen. Das Projekt wurde 12 Jahre später als geplant in Betrieb genommen. Der französische Rechnungshof hat die Gesamtkosten sogar auf 19,1 Milliarden Euro geschätzt[4].
Anders als oft behauptet, sind Atomkraftwerke auch nicht klimaneutral. Sie verursachen Emissionen entlang des gesamten Lebenszyklus - etwa durch Abbau und Vermahlung von Uran oder Herstellung von Brennstäben. So rechnete der Weltklimarat IPCC in seinem Bericht von 2014 mit 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde Atomstrom[5], bei niedrigem Erzgehalt kann sich der Wert sogar auf 288 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde erhöhen.[6]
Die Atomindustrie steht daher unter Rechtfertigungsdruck und sucht nach neuen Argumenten, um an neue Fördergelder und Unterstützungen heranzukommen. Neue Technologien der sogenannten Generation IV sollen nun alten Probleme lösen. Besonders propagiert werden die sogenannten Small Modular Reactors (SMRs). Mit einer Leistung bis zu 300 MW und der Größe eines Wohnhauses sollen sie weltweit eingesetzt werden. Frankreich hat unter Berufung auf SMRs seinen Reduktionskurs in Richtung Atomstromanteil von 50% statt aktuell 70% aufgegeben und angekündigt eine Milliarde Euro in den Ausbau der Atomindustrie zu investieren. Auch Polen und die USA wollen auf SMRs setzen, um ihre Klimaziele zu erreichen.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1) Welche Schritte unternimmt Österreich auf EU-Ebene, um neue Investitionen in die gefährliche Atomkraft (inklusive SMRs) möglichst zu verhindern sowie gegen direkte und indirekte EU-Beihilfen (Transferzahlungen, Garantieübernahmen, etc.) für Atomkraft einzutreten?
2) Hat Österreich sich im EU-Rat und in den vorbereitenden Ratsarbeitsgruppen und Stellungnahmen seit März 2025 gegen direkte und indirekte EU-Beihilfen für die Atomkraft-Lieferkette ausgesprochen? Wenn ja, wann und wie?
3) Welche Position hat Österreich im EU-Energieministerrat und in den vorbereitenden Ratsarbeitsgruppen und Stellungnahmen zum Atomkraft-Programm PINC der EU-Kommission eingenommen? Insbesondere beim Rat am 16. Juni 2025?
4) Hat Ihr Ministerium seit März 2025 Kontakt mit Regierungen anderer EU-Länder aufgenommen, um gegen die Bereitstellung von direkten und indirekten EU-Förderungen für die Atomkraft-Lieferkette einzutreten? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?
5) Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Österreich in dieser Legislaturperiode seine Aktivitäten in der Allianz „Friends of Renewables“ weiter ausbaut und sich weiterhin für den raschen Ausbau der erneuerbaren Energie einsetzt?
6) Der deutsche Kanzler Friedrich Merz möchte laut Berichten „die Diskriminierung von Atomenergie auf EU-Ebene beenden“. Welche Position vertritt Österreich im Rat der Europäischen Union zu dieser Frage? Sind Sie oder Ihr Ministerium dazu mit der deutschen Bundesregierung im Austausch? Wenn ja, wie und wann?
7) Die deutsche Wirtschaftsministerin Katharina Reiche hält eine „Förderung französischer Atomanlagen mit EU-Mitteln auch für vorstellbar“. Welche Position vertritt Österreich im Rat der Europäischen Union zu dieser Frage? Sind Sie oder Ihr Ministerium dazu mit der deutschen Bundesregierung im Austausch? Wenn ja, wie und wann?
[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/eu-taxonomie-bundesregierung-findet-frankreichs-atomstrom-jetzt-klimafreundlich-a-37ebf61f-7979-4848-a6e0-4880e222d956
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/atomkraft-katherina-reiche-bei-eu-allianz-fuer-kernenergie-a-6a8c7f42-feba-43f5-ba72-df03142e690b
[3] https://www.lazard.com/media/xemfey0k/lazards-lcoeplus-june-2024-_vf.pdf
[4] https://energiestiftung.ch/zerfall-der-atomindustrie-in-europa
[5] https://www.ipcc.ch/report/ar5/wg3/
[6] Wenisch et al. (2011) Energiebilanz der Nuklearindustrie, https://wua-wien.at/images/stories/publikationen/studie-energiebilanz-nuklearindustrie.pdf