3104/J XXVIII. GP
Eingelangt
am 01.08.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert.
Abweichungen vom Original sind möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Agnes-Sirkka Prammer, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend: Werden prominente Häftlinge im österreichischen Strafvollzug bevorzugt?
BEGRÜNDUNG
Laut Medienberichten wurde dem ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser wenige Wochen nach Antritt seiner vierjährigen Haftstrafe wegen Untreue und Bestechung ein Freigang gewährt, der es ihm unter anderem ermöglichte, gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Mittagessen in einem prominenten Lokal am Wörthersee einzunehmen.
Laut Aussagen seines Rechtsanwalts sei der Freigang „legal“ und es stehe Grasser frei, „zu tun, was er wolle“. Auch das Justizministerium äußerte sich allgemein zur Rechtslage: Demnach steht Strafgefangenen gemäß Strafvollzugsgesetz (§ 99 Abs. 1 Z1 StVG) höchstens zweimal pro Quartal ein Ausgang zu, etwa „zur Regelung wichtiger persönlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Angelegenheiten“.
Fachleute wie der Rechtsanwalt und Strafvollzugsexperte Helmut Graupner äußerten öffentlich erhebliche Zweifel an der üblichen Praxis eines derart frühen Ausgangs bei so langen Freiheitsstrafen. Auch der ehemalige Staatsanwalt Gerhard Jarosch kritisierte die damit verbundene „verheerende Optik“ und betonte die gesellschaftliche Wirkung solcher Ausnahmen.
Vor diesem Hintergrund stellen sich zentrale Fragen nach der Gleichbehandlung im Strafvollzug, der Transparenz von Entscheidungsverfahren über Haftausgänge sowie der tatsächlichen Umsetzung gesetzlicher und vollzugsinterner Kriterien. Die Öffentlichkeit hat ein legitimes Interesse daran zu erfahren, ob ähnliche Genehmigungen auch anderen Strafgefangenen mit vergleichbarem Haftverlauf und Delikt gewährt wurden – oder ob tatsächlich prominente Personen privilegiert behandelt werden.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1. In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2020 in österreichischen Justizanstalten Haftausgänge zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen (z. B. Besuch von Angehörigen, Teilnahme an privaten Mahlzeiten, Spaziergänge, Ausflüge etc.) beantragt?
2. In wie vielen dieser Fälle wurde der Antrag genehmigt, in wie vielen abgelehnt?
3. In wie vielen dieser Fälle wurde der Häftling zu einer mindestens vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt?
4. Wie viele Haftausgänge zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen wurden seit 2020 innerhalb der ersten zwei Monate nach Haftantritt bewilligt?
5. In wie vielen dieser Fälle lag die Gesamtstrafdauer bei mindestens vier Jahren?
6. Nach welchem zeitlichen Anteil der Gesamtstrafe (in Monaten bzw. Prozent) erfolgt durchschnittlich erstmals ein Haftausgang zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen?
7. Welche konkreten Kriterien werden bei der Entscheidung über den Freigang berücksichtigt (z. B. Verhalten in der Haft, Deliktsart, Haftdauer, Rückfallrisiko, Schuldeinsicht etc.)?
8. Welche dieser Kriterien lagen im Fall Karl-Heinz Grasser konkret vor?
9. Welche rechtlichen oder internen Bestimmungen (z. B. Strafvollzugsgesetz, Vollzugspläne, ministerielle Erlässe) regeln die Gewährung von Freigängen in solchen Fällen?
10. Gibt es standardisierte Verfahren oder Checklisten für die Bewilligung von Freigängen, auf die sich Anstaltsleiter:innen bei der Entscheidung über Haftausgänge zur Aufrechterhaltung familiärer und sonstiger persönlicher Bindungen stützen? Wenn ja: welche?
11. Gab es im konkreten Fall eine dokumentierte Stellungnahme oder Einschätzung des Vollzugspersonals, einer psychologischen Fachkraft oder anderer Stellen?
12. Wie viele rechtskräftig verurteilte Personen mit einer ursprünglich über vierjährigen Freiheitsstrafe haben in den letzten fünf Jahren innerhalb der ersten zwei Monate ihrer Haftzeit zumindest einen tageweisen Freigang erhalten (bitte nach Jahr und Justizanstalt aufschlüsseln)?
13. Wie viele dieser Fälle betrafen Personen, die wegen Wirtschaftsdelikten oder vergleichbarer Delikte (§§ 153, 165, 168b, 302 ff StGB) verurteilt wurden?
14. Wie viele rechtskräftig verurteilte Personen mit einer ursprünglich über vierjährigen Freiheitsstrafe haben in den letzten fünf Jahren innerhalb der ersten zwei Monate ihrer Haftzeit zumindest einen tageweisen Freigang beantragt, aber nicht erhalten (bitte nach Jahr und Justizanstalt aufschlüsseln)?
15. Wie viele dieser Fälle betrafen Personen, die wegen Wirtschaftsdelikten oder vergleichbarer Delikte (§§ 153, 165, 168b, 302 ff StGB) verurteilt wurden?
16. Wie wird innerhalb des Justizvollzugs sichergestellt, dass Entscheidungen über Ausgänge nach § 99 StVG österreichweit einheitlich, objektiv und nachvollziehbar getroffen werden?
17. Werden derartige Genehmigungen regelmäßig evaluiert oder überprüft? Wenn ja, in welchem Verfahren?
18. Wie wird in der Ausbildung von Justizwache- und Strafvollzugsbediensteten auf die Sensibilität für Gleichbehandlung im Strafvollzug eingegangen?
19. Wie wird sichergestellt, dass der Eindruck einer Sonderbehandlung prominenter Häftlinge vermieden wird, insbesondere im Hinblick auf die mediale Berichterstattung und öffentliche Wahrnehmung?