3117/J XXVIII. GP

Eingelangt am 07.08.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Lukas Hammer, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Innovation, Mobilität und Infrastruktur

betreffend die wiederholten und gravierenden Versäumnisse der Eisenbahnaufsichtsbehörde bei der Überwachung der Bahnsicherheit, die anhaltende Gefährdung im österreichischen Schienennetz und die Ignoranz eigener Sicherheitsempfehlungen

BEGRÜNDUNG

Am 24. März dieses Jahres wurde von einem aufmerksamen Wagenmeister der ÖBB im Bezirk St. Pölten bei einem Gefahrengutzug einer Fremdfirma eine "rollende Bombe" entschärft, wie der Kurier berichtete. Interne Berichte sprechen von "Rissen an der Radsatzwelle sowie an der Radscheibe" – ein Mangel, dessen Gefährdungspotenzial als extrem hoch eingestuft wird und in der Vergangenheit zu den verheerendsten Bahnunfällen mit Todesopfern und immensen Schäden geführt hat, wie beispielsweise in Eschede (1998), in Viareggio (2009) oder im Gotthard-Tunnel (2023).

Die Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB) in Ihrem Ressort sah sich im aktuellen Fall dennoch nicht veranlasst, eine Untersuchung einzuleiten, da die Risse bei einer "routinemäßigen Untersuchung" entdeckt wurden und nicht zu einem Unfall führten. Auch eine Meldung an die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) unterblieb. Dieses Vorgehen ist nicht nur angesichts der potenziellen Katastrophe höchst bedenklich, sondern erinnert in frappierender Weise an Antworten, die bereits der damalige Verkehrsminister Werner Faymann im Jahr 2008 auf eine ähnliche Parlamentarische Anfrage der Grünen Abgeordneten Dr. Gabriela Moser (Nr. 4852/J-NR/2008) gab.

Schon damals wurden "Probleme mit Vertrauenszügen" thematisiert, bei denen Mängel im Ausland übersehen wurden und "wirtschaftliche Argumente" über der Sicherheit stehen könnten. Minister Faymann schien diesem Thema jedoch nicht die nötige Bedeutung zu geben, denn er verließ sich weitgehend auf Auskünfte der ÖBB, während er die konkrete Verantwortung der Eisenbahnaufsichtsbehörde seines Ressorts nicht hinreichend thematisierte oder wahrnahm. Die Antwort auf Frage 10 bis 12 der damaligen Anfrage, die das Verkehrs-Arbeitsinspektorat betraf, schob die Zuständigkeit vollständig auf die Eisenbahnaufsichtsbehörde ab – offenbar ohne, dass diese Behörde selbst Daten oder Meldungen zu sicherheitsrelevanten Mängeln bei "Vertrauenszügen" vorliegen hatte.

Das jüngste Beinahe-Katastrophenereignis zeigt nun, dass die Problematik der unzureichenden technischen Überwachung und der mangelnden behördlichen Aufsicht weiterhin besteht.

Dies ist umso gravierender, als die Oberste Eisenbahnbehörde (BMK - IV/E4 Überwachung) in Ihrem nunmehrigen Ressort bereits am 12. Dezember 2023 – also Monate vor dem Vorfall in St. Pölten – selbst eine Sicherheitsempfehlung herausgegeben hat (GZ. 2022-0.659.779). Dieses Schreiben, das an alle Eisenbahnverkehrs- und Eisenbahninfrastruktur-Unternehmen gerichtet war, thematisierte eine Anzeige des Betriebsrats des ÖBB-Konzerns zu einem neuen Branchenregelwerk. Die Oberste Eisenbahnbehörde stellte in diesem Schreiben fest, dass das Regelwerk

"zahlreiche offensichtliche sicherheitsrelevante Nichtkonformitäten"

aufwies. Es wurde explizit auf das Risiko hingewiesen, dass die Beurteilung des Betriebszustandes von Fahrzeugen künftig

"durch Personen erfolgen könnte, deren Kompetenz für die Beurteilung nicht ausreicht, und in weiterer Folge nicht betriebsfähige oder nicht lauffähige Fahrzeuge in Zügen eingesetzt werden".

Die Behörde forderte die Unternehmen auf, die Änderungen ihrer Verfahren zu überprüfen und drohte mit künftigen anlassunabhängigen Prüfungen.

Diese Sicherheitsempfehlung ist ein klarer Beweis dafür, dass die Behörde bereits lange vor dem Vorfall im März 2025 Kenntnis von massiven Sicherheitsmängeln hatte, die genau zu dem Szenario einer "rollenden Bombe" führen konnten. Die Tatsache, dass der Vorfall in St. Pölten dennoch eintreten konnte und die SUB daraufhin untätig blieb, ist inakzeptabel. Dies fällt zudem in eine Zeit, in der gegen vier – teils leitende – Mitarbeiter der SUB selbst Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts der Begünstigung und des Amtsmissbrauchs laufen, weil sie bei früheren Flugvorfällen Ermittlungen manipuliert haben sollen, um "schwere Störungen" herunterzustufen.

Als zuständiger Bundesminister für Innovation, Mobilität und Infrastruktur tragen Sie die explizite Verantwortung für die ordnungsgemäße Funktion und die wirksame Aufsicht der Eisenbahnaufsichtsbehörde in Ihrem Ressort. Diese Zuständigkeit ergibt sich direkt aus der EU-Richtlinie 2004/49/EG über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (sowie ihrer Nachfolgerichtlinie (EU) 2016/798) und dem nationalen Eisenbahngesetz 1957 (EisbG) samt den daraus abgeleiteten Verordnungen.

Die Eisenbahnaufsichtsbehörde ist die primäre Instanz, die die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes gewährleisten, die Sicherheitsmanagementsysteme der Unternehmen überwachen, Vorschriften durchsetzen und bei Mängeln eingreifen muss.

Diese wiederkehrenden und offensichtlich nicht behobenen Sicherheitsdefizite sowie die jüngsten Vorfälle erschüttern das Vertrauen in die Bahnsicherheit massiv.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1)   Welche konkreten, über die bloße Herausgabe einer "Sicherheitsempfehlung" hinausgehenden Maßnahmen hat die Eisenbahnaufsichtsbehörde nach dem 12. Dezember 2023 ergriffen, um die von ihr selbst festgestellten "zahlreiche[n] offensichtliche[n] sicherheitsrelevante[n] Nichtkonformitäten" bei der Beurteilung des Betriebszustandes von Fahrzeugen durch alle Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturunternehmen aktiv zu beheben und das Risiko des Einsatzes unsicherer Fahrzeuge zu minimieren?

2)   Welche Überprüfungen oder Audits wurden zwischen dem 12. Dezember 2023 und dem erwähnten Vorfall im März 2025 bei den betroffenen Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen durchgeführt, um die Umsetzung der Sicherheitsempfehlung und die Behebung der darin angeführten Mängel sicherzustellen?

3)   Welche Überprüfungen oder Audits wurden seit dem erwähnten Vorfall im März 2025 bis zum Zeitpunkt

a) der Einbringung dieser Parlamentarischen Anfrage,

b) der Beantwortung dieser Parlamentarischen Anfrage

       bei den betroffenen Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen durchgeführt, um die Umsetzung der Sicherheitsempfehlung und die Behebung der darin angeführten Mängel sicherzustellen?

4)   Inwiefern sehen Sie einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen den in der Sicherheitsempfehlung vom 12. Dezember 2023 explizit genannten Risiken (ungenügende Kompetenz von Personal, Einsatz nicht betriebsfähiger Fahrzeuge) und dem aktuellen Vorfall der "rollenden Bombe" im März 2025? Wurde dieser Zusammenhang von der Eisenbahnaufsichtsbehörde untersucht?

5)   Warum hat die Eisenbahnaufsichtsbehörde in Ihrem Ressort, trotz der eigenen Warnungen aus dem Dezember 2023 und der offenkundigen potenziellen Katastrophe, keine eigene, umfassende aufsichtsrechtliche Untersuchung des Vorfalls vom 24. März 2025 mit dem Gefahrengutzug und den festgestellten Radmängeln eingeleitet, unabhängig von der Entscheidung der SUB?

6)   Wie stellt die Eisenbahnaufsichtsbehörde die Einhaltung der Melde- und Untersuchungspflichten gemäß der EU-Eisenbahnsicherheitsrichtlinie sicher, wenn ein Vorfall dieser Schwere, der auch grenzüberschreitende Relevanz hat, nicht an die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) gemeldet wurde?

7)   Welche konkreten, über die reine Stichprobenkontrolle hinausgehenden Maßnahmen hat die Eisenbahnaufsichtsbehörde seit 2008 (und den Antworten von Minister Faymann auf die Anfrage 4852/J in der XXlll.GP) ergriffen, um die Qualität der technischen Überprüfung und Wartung von "Vertrauenszügen" und ausländischen Güterwagen, die das österreichische Schienennetz befahren, effektiv zu überwachen und Mängel vor dem Eintritt in Österreich zu erkennen, insbesondere vor dem Hintergrund der 2023 selbst festgestellten Nichtkonformitäten?

8)   Was ist die offizielle Position der Eisenbahnaufsichtsbehörde zu der berichteten Ausweitung der Revisionsintervalle für die betroffenen Räder von vier auf bis zu zwölf Jahre, und welche unabhängigen Sicherheitsbewertungen wurden von Ihrer Behörde hinsichtlich dieser Änderung durchgeführt oder in Auftrag gegeben?

9)   Welche konkreten Sanktionen oder aufsichtsrechtlichen Maßnahmen (z.B. Auflagen, Entzug von Sicherheitsbescheinigungen oder -genehmigungen) wurden oder werden gegen die beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmen oder die ECM erwogen, angesichts der extremen Gefährdung, die von den fehlerhaften Waggons ausging, und insbesondere vor dem Hintergrund der bereits 2023 ausgesprochenen Warnung?

10) Welche Schritte unternimmt die Eisenbahnaufsichtsbehörde, um proaktiv und risikobasiert Schwachstellen im Bahnsystem zu identifizieren, bevor es zu Beinahe-Katastrophen oder tatsächlichen Unfällen kommt, und wie werden diese Erkenntnisse in die Überwachungspraxis integriert, insbesondere im Lichte der eigenen "Sicherheitsempfehlung" von Dezember 2023 und der festgestellten "zahlreiche[n] offensichtliche[n] sicherheitsrelevante[n] Nichtkonformitäten"?

11) Welche sofortigen und transparenten Maßnahmen werden Sie als zuständiger Bundesminister persönlich einleiten, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Bahnsicherheit und die Effektivität der Eisenbahnaufsichtsbehörde wiederherzustellen, auch angesichts der laufenden Ermittlungen gegen SUB-Mitarbeiter:innen und der offensichtlich seit vielen Jahren bestehenden Defizite in der Sicherheitsüberwachung samt Ignorieren eigener Warnungen?