3118/J XXVIII. GP
Eingelangt am 07.08.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Lukas Hammer, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Innovation, Mobilität und Infrastruktur
betreffend das untätige Verhalten der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB) bei einem schwerwiegenden Beinahe-Katastrophenereignis im Schienenverkehr und die gravierenden Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung
BEGRÜNDUNG
Am 24. März dieses Jahres wurde von einem aufmerksamen Wagenmeister der ÖBB im Bezirk St. Pölten bei einem Gefahrengutzug einer Fremdfirma eine "rollende Bombe" entschärft, wie der Kurier berichtete.
Ein interner Bericht der ÖBB spricht von "Rissen an der Radsatzwelle sowie an der Radscheibe". Solche Risse gelten als extrem gefährlich und sind vergleichbar mit fatalen Schäden an der Achse eines Autos.
Die Brisanz dieses Vorfalls kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Geschichte des europäischen Schienenverkehrs ist leider gezeichnet von tragischen Katastrophen, die auf genau solche Materialfehler zurückzuführen sind :
• Der Entgleisung eines Güterzugs im Schweizer Gotthard-Tunnel im Jahr 2023, welche monatelange Sperrungen und massive Schäden verursachte, ging ein übersehener Riss in einem Rad voraus.
• Im italienischen Viareggio starben 2009 bei der Entgleisung eines Gefahrengutzugs aufgrund eines gebrochenen Rades in der Folgeexplosion 32 Menschen, wofür österreichische Bahnmanager zu Haftstrafen verurteilt wurden.
• Die Entgleisung eines ICE in Eschede (Deutschland) im Jahr 1998, die 101 Todesopfer forderte, hatte ebenfalls einen Radbruch als Ursache.
Der im Bezirk St. Pölten verhinderte Vorfall reiht sich nahtlos in diese Kette potenzieller Katastrophen ein. Der Zug war mit diesen gravierenden Schäden bereits kilometerweit unterwegs und hat dabei Menschenleben und Umwelt massiv gefährdet. Die Entdeckung dieser "schweren Mängel" durch den Wagenmeister der ÖBB hat offenkundig eine mögliche Katastrophe von unermesslichem Ausmaß verhindert, die nicht nur zu Sachschäden in hoher Millionenhöhe, sondern auch zu Streckensperrungen und einem erheblichen Risiko für Mensch und Umwelt hätte führen können.
Besonders alarmierend ist die Reaktion der zuständigen Untersuchungsstelle (SUB) im Verkehrsministerium. Entgegen der gesetzlichen Verpflichtung, jede schwere Störung, die zu einem Unfall hätte führen können, zu untersuchen, hat die SUB in diesem Fall keine Sicherheitsuntersuchung eingeleitet! Dies wurde damit begründet, dass die Risse bei einer "routinemäßigen Untersuchung" entdeckt und nicht zu einem Unfall geführt hätten. Eine Meldung an die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) erfolgte folglich ebenfalls nicht.
Diese Entscheidung fällt in eine Zeit, in der gegen vier - teils leitende – Mitarbeiter:innen der SUB selbst Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts der Begünstigung und des Amtsmissbrauchs laufen, weil bei früheren (Flugverkehrs)Vorfällen Ermittlungen manipuliert worden sein sollen, um "schwere Störungen" herunterzustufen. Dies schürt gravierende Zweifel an der Unabhängigkeit und Seriosität der Sicherheitsuntersuchungen in Österreich.
Angesichts der historischen Präzedenzfälle im europäischen Schienenverkehr und des offenkundig enormen Gefährdungspotenzials wirft das Vorgehen massive Fragen auf.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1) Warum wurde der Vorfall des Gefahrengutzugs mit Rissen an Radsatzwelle und Radscheibe von der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes (SUB) nicht als „Vorfall" im Sinne des Unfalluntersuchungsgesetzes eingestuft, obwohl das Gefährdungspotenzial einer "rollenden Bombe" bestand?
2) Wie rechtfertigt die SUB ihre Entscheidung, keine Sicherheitsuntersuchung einzuleiten, angesichts der historischen Präzedenzfälle (z.B. Eschede, Viareggio, St. Gotthard), bei denen ähnliche Materialermüdungen zu katastrophalen bzw. tödlichen Entgleisungen führten?
3) Welche Rolle spielte die in Medienberichten erwähnte neue Richtlinie, wonach Revisionen dieser Räder nun von vier auf bis zu zwölf Jahre ausgeweitet wurden, bei der SUB-Entscheidung und der ursprünglichen Entstehung der Risse?
4) Warum erfolgte die Meldung dieses brisanten Vorfalls an die SUB erst am 10. April 2025, drei Wochen nach der Entdeckung der Risse am 24. März 2025?
5) Warum wurde der Vorfall nicht an die zuständige Europäische Eisenbahnagentur (ERA) gemeldet, obwohl die europäische Sicherheitsrichtlinie dies bei schwerwiegenden Sicherheitsrisiken, insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr, vorsieht?
6) Welche „Entity in Charge of Maintenance" (ECM) war für die Instandhaltung des betroffenen Waggons zuständig, und welche Maßnahmen wurden gegen diese ECM ergriffen, nachdem die Mängel dort nicht auffielen?
7) Welche Konsequenzen zieht der zuständige Minister aus der offensichtlichen Tatsache, dass der Zug mit diesen schwerwiegenden Mängeln bereits "kilometerweit unterwegs" war und welche Sicherungsmaßnahmen wurden für bereits in Betrieb befindliche baugleiche Waggons getroffen?
8) Wie viele baugleiche Waggons mit ähnlichen Wartungs- und Revisionszyklen sind aktuell auf dem österreichischen und europäischen Schienennetz unterwegs, und welche sofortigen Inspektions- und Überprüfungsmaßnahmen werden für diese ergriffen?
9) Welche Auswirkungen haben die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien gegen zum Teil leitende Mitarbeiter:innen der SUB wegen Begünstigung und Amtsmissbrauchs auf die Glaubwürdigkeit und die Integrität der Sicherheitsuntersuchungen in Österreich, und welche Maßnahmen ergreifen Sie hierzu?
10) Welche konkreten, kurzfristigen Maßnahmen werden Sie persönlich ergreifen, um sicherzustellen, dass zukünftig alle sicherheitsrelevanten Vorfälle im Schienenverkehr, insbesondere Beinahe-Katastrophen mit hohem Gefährdungspotenzial, umfassend und unverzüglich untersucht und transparent kommuniziert werden, auch und gerade wenn sie durch aufmerksame Mitarbeiter:innen verhindert werden?