3143/J XXVIII. GP
Eingelangt am 18.08.2025
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Anfrage
der Abgeordneten Nina Tomaselli, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Vorarlbergs Führerscheinprüfungsjongleur und Stammgutachter am Landesgericht Feldkirch
Die Medienmeldungen zu Gefälligkeits-Pickerl für Autos haben sich in Vorarlberg in den letzten beiden Jahren auffällig gehäuft. Der zentrale Vorwurf: Werkstätten oder Mechaniker sollen zu Unrecht und gegen Geld Autos eine Bedenkenlosigkeit bescheinigt haben. Das Vorarlberger Nachrichtenportal vol.at spricht zuletzt von 15 bekannten Fällen und elf Anklagen. Weitere Ermittlungen sind offenbar am Laufen.[1]
Fakt ist: In Vorarlberg sind in letzter Zeit so viele Pickerl-Lizenzen entzogen worden, dass der Vorarlberger ÖAMTC laut eigenen Aussagen mit Auto-Begutachtungen kaum mehr hinterherkommt.[2]
Immer wieder in den Medien genannte Quelle: Christian W. – gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Verkehr und Fahrzeugtechnik.
Eine zweite Causa, die in Vorarlberg in den letzten Tagen für Aufregung sorgte, ist jene rund um mögliche Bereicherungen von Sachverständigen im Rahmen von Führerscheinprüfungen. Der medial kolportierte Verdacht: Sachverständige sollen sich durch absichtliches Durchfallen von Fahrschüler:innen ein zusätzliches, erhöhtes Nebengehalt erwirtschaftet haben. Die Rechnung dahinter: Jeder Prüfungsantritt erhöht die Einnahmen der Sachverständigen. Einzelne Sachverständige (Landesbedienstete, Exekutivbeamte und Justizmitarbeitende), so die Vorarlberger Nachrichten, hätten teilweise jährlich bis zu rund EUR 50.000 mit Fahrprüfungen zusätzlich zu ihrem Gehalt als öffentliche Bedienstete kassiert.[3]
Unstrittig ist jedenfalls, dass die Durchfallquote in Vorarlberg bei Führerscheinprüfungen im Vergleich mit anderen Bundesländern extrem hoch ist: Mehr als vier von zehn Fahrschüler:innen mussten die praktische Prüfung in den Jahren 2021-2023 wiederholen.[4]
Sollte sich bewahrheiten, dass dieser Ring aus Führerscheinprüfer:innen in Vorarlberg tatsächlich mit Absicht die Durchfallquote hoch hält um höhere Einnahmen aus Prüftätigkeiten zu lukrieren, kann das nur als schäbig bezeichnet werden: Das eigene Zubrot wird aufgefettet, indem 18-Jährige ein zweites oder drittes Mal zur Kassa gebeten werden.
Was macht die beiden geschilderten Causen interessant?
Christian W.
Christian W. ist nicht nur Sachverständiger für Verkehr und Fahrzeugtechnik, sondern auch Mitarbeiter im Amt der Vorarlberger Landesregierung, und soll laut Medienberichten der mutmaßliche Strippenzieher hinter den oben genannten Ungereimtheiten betreffend Führerscheinprüfungen in Vorarlberg sein.[5]
Wie bereits oben erwähnt, taucht Christian W. in der Berichterstattung zu dem eingangs genannten “Pickerl-Netzwerk” immer wieder auf. W. kenne alle Fälle, er meint: “Hier handelt es sich nicht um ein Service mit Pickerl, sondern um ein Pickerl-Service.”[6] Dokumentiert war er beispielsweise verkehrstechnischer Gutachter Ende Juli bei einem “Pickerl-Prozess”[7], einem weiteren Verfahren wegen Verdacht auf Amtsmissbrauch aufgrund von falschen Pickerl im August 2024[8].
Eine umfassende Medienrecherche der Erst-Unterzeichnerin macht deutlich: Auch in anderen Strafprozessen am Landesgericht Feldkirch wird W. gerne als Gutachter zu Rate gezogen. 2024 finden sich medial dokumentiert gleich acht (!) verschiedene Verfahren, in denen W. als Sachverständiger eingesetzt wurde. Im Jahr 2022 sind es immerhin noch fünf, im Jahr 2021 sechs. Ein abschließender Überblick ist mit öffentlich verfügbaren Daten kaum möglich, da nur Medienberichte durchsuchbar sind und es Treffer nur mit Namensnennungen gibt. Auffällig ist jedenfalls, dass die beiden anderen gerichtlichen Sachverständigen für Verkehr und Fahrzeuge mit dem exakt gleichen Fachgebiet wie W. eine bzw. keine einzige mediale Nennung im Vergleichszeitraum haben.[9]
Die Frage, die sich aktuell zusätzlich stellt, ist, ob die intensive Bestellung als Gutachter auch irgendeinen Zusammenhang mit der oben beschriebenen Führerschein-Causa hat. Auf der Liste der Sachverständigen für Führerscheinprüfungen, sollen sich laut Vorarlberger Nachrichten, denen die Liste vorliegt, neben elf Landesbediensteten auch 20 externe Prüfer:innen – Staatsanwälte, Richter und leitende Polizisten – befinden.[10] Die Vorarlberger Landesregierung verweigert trotz öffentlichem Interesse die Herausgabe der Liste. Deshalb sei ausdrücklich erwähnt, dass die Erst-Unterzeichnerin sich daher auf Zweitquellen stützen muss.
Drei der angeblich Führerschein-prüfenden Justizbediensteten am Landesgericht haben, medial dokumentiert, zusammen gleich mehrere Prozesse zur “Pickerl-Causa” geführt. In mindestens drei der Fälle war W. laut Medienberichten verkehrstechnischer Gutachter. Weitere berufliche Berührungspunkte sind ebenfalls medial dokumentiert.
Laut Vorarlberger Nachrichten sollen zwei der Richter, die Führerschein-Prüfungen durchgeführt haben, alleine im Jahr 2024 gut 20.000 Euro als Sachverständige für Führerscheinprüfungen lukriert haben.[11] 20.000 Euro an Prüfungseinnahmen entsprechen laut FSG-PV-Fachprüfungsverordnung 350 Fahrprüfungen. Das sind gar nicht so wenige, wenn man den stressigen Berufsalltag von Richter:innen und Staatsanwält:innen mitbedenkt.
Gesondert zu prüfen gilt es jedenfalls auch, ob und wie diese Mitarbeitenden der Strafjustiz die Voraussetzung laut §34b FSG - einer zweijährigen Tätigkeit im Verkehrsbereich - erfüllen.
Jedenfalls wirft es auch Fragen auf, wenn am Gerichtsstandort Feldkirch just jener mutmaßliche Drahtzieher des mutmaßlichen Führerscheinabzocknetzwerkes gleichzeitig als Stammgutachter für strafrechtliche Vergehen im Straßenverkehr herangezogen wird. In der Justiz muss schon der Anschein einer Befangenheit von Anfang an vermieden werden.
Das gilt auch für die allfällige Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft am Standort LG Feldkirch für die Überprüfung einer möglichen strafrechtlichen Relevanz der Führerschein-Causa.
In Sorge um das gute Ansehen der Justiz stellen die unterzeichnenden Abgeordneten folgende
1) Wie viele der 26 auf justiz.gv.at genannten beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Verkehr und Fahrzeugtechnik aus dem Bundesland
Vorarlberg sind in den Jahren 2021-2025 in Strafprozessen in jeweils wie vielen Fällen herangezogen worden? Bitte um tabellarische Auflistung auch mit dem dadurch durchschnittlichen jährlichen Verdienst.
2) Wie viele der drei auf justiz.gv.at genannten beeideten und gerichtlich
zertifizierten Sachverständigen für Verkehr und Fahrzeugtechnik mit dem
Spezialgebiet Verkehrsunfall Straßenverkehr, Unfallanalyse aus dem Bundesland Vorarlberg sind in den Jahren 2021-2025 in Strafprozessen in jeweils wie vielen
Fällen herangezogen worden? Bitte um tabellarische Auflistung auch mit dem
dadurch durchschnittlichen jährlichen Verdienst.[12]
3) Wie hoch sind die Ausgaben insgesamt für Sachverständige für Verkehr und Fahrzeugtechnik in Strafverfahren am LG Feldkirch jährlich von 2021-2025? Wie
viele Gutachten wurden eingeholt?
4) Wie hoch sind die Ausgaben insgesamt für Sachverständige für Verkehr und Fahrzeugtechnik – Schwerpunkt, Straßenverkehr und Unfallanalyse in Strafverfahren am LG Feldkirch jährlich von 2021-2025? Wie viele Gutachten wurden eingeholt?
5) Wie ist die Verteilung im Vergleich zu anderen Landesgerichtsstandorten?
6) Entspricht es der üblichen Praxis, dass vor allem ein Sachverständiger für Straßenverkehr und Unfallanalyse gehäuft an einem Gerichtsstandort
herangezogen wird?
7) Entspricht es der üblichen Praxis, dass vor allem ein Sachverständiger für Straßenverkehr und Unfallanalyse immer wieder in ähnlichen Causen – Stichwort Pickerl – herangezogen wird?
8) Wie viele Verfahren wurden jeweils in den Jahren 2021-2025
jährlich zu Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit § 57a-Begutachtung in
Feldkirch geführt?
8.1. Wie viele Anzeigen jährlich?
8.2. Wie viele Einstellungen?
8.3. Wie viele Verurteilungen?
9) Wie viele Verfahren sind derzeit noch wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit § 57a-Begutachtung in Feldkirch offen?
10) In Bezug auf Frage 8 und 9, wie sieht die Verteilung in den anderen
Bundesländern aus?
11) Wie viele Richter:innen und wie viele Staatsanwält:innen am LG Feldkirch gehen
einer Nebentätigkeit als Führerscheinprüfer:innen nach?
12) Ist bei allen eine Genehmigung der Nebentätigkeit erfolgt? Wann und durch wen?
13) Inwiefern sind mögliche Befangenheiten im Zusammenhang anderer beruflicher Kontakte mit W. geprüft worden?
14) Laut § 63 RStDG Abs. 3 sind Nebenbeschäftigungen auch dann zu unterlassen,
wenn das zeitliche Ausmaß eine Behinderung der Dienstpflichten mit sich bringt. Inwieweit ist vom Dienstgeber geprüft worden, ob 350 Führerscheinprüfungen
jährlich die Berufsausübung als Richter erschweren?
15) Gibt es in Zusammenhang mit dem in der Begründung genannten und medial kolportierten Verdacht, wonach Sachverständige mutmaßlich bewusst
Prüfkandidat:innen bei Führerscheinprüfungen durchfallen ließen, um sich
dauerhaft höhere Nebeneinkünfte zu sichern, Ermittlungen?
a) Wenn ja: gegen wie viele Personen wird ermittelt?
b) Wenn ja: Welche Staatsanwaltschaft ermittelt?
c) In welchem Verfahrensstadium befinden sich die Ermittlungen?
d) Wegen des Verdachts der Begehung welcher strafbaren Handlungen wird ermittelt?
e) Wenn nein: warum wird nicht ermittelt?
[1] https://www.vol.at/so-desastroes-ist-die-heuchelei-mit-pickerln-in-vorarlberg-wirklich/9586007
[2] https://www.vol.at/wegen-gefaelschter-pickerl-stress-beim-oeamtc/9557933
[3] https://www.vol.at/richter-gnadenlos-bei-welchen-fahrpruefern-durchkommen-glueckssache-ist/9600530
[4] Rechenschaftsberichte der Vorarlberger Landesregierung für die Jahre 2021-2023
[5] https://www.vol.at/ex-pruefer-packt-aus-man-kann-jeden-durchfallen-lassen-egal-wie-gut-er-faehrt/9598094
[6] https://www.vol.at/so-desastroes-ist-die-heuchelei-mit-pickerln-in-vorarlberg-wirklich/9586007
[7] Vorarlberger Nachrichten vom 29.07.2025, Prozess um Pickerl-Skandal
[8] Vorarlberger Nachrichten vom 21.8.2024, Pickerl für Rostlaube ausgestellt
[9] https://justizonline.gv.at/jop/web/exl-suche/sv
[10]https://www.vol.at/fuehrerschein-causa-fahrschulen-fordern-lueckenlose-aufklaerung/9602513#:~:text=Unter%20den%20hohen%20Durchfallquoten%20leidet,der%20Fahrschulen%20in%20der%20Wirtschaftskammer.
[11] https://www.vol.at/jeder-zweite-faellt-durch-das-lukrative-geschaeft-mit-den-fahrpruefungen/9595049
[12] Sollte es datenschutzrechtliche Bedenken bei der Beantwortung der Frage 1 und 2 geben, bitte ich um anomyisierte Darstellung der Sachverständigen mit A-C und A-Z.