3151/J XXVIII. GP

Eingelangt am 25.08.2025
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Anfrage

 

der Abgeordneten Süleyman Zorba, Agnes-Sirkka Prammer, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend massiver Ausbau der Videoüberwachung durch das BMI

BEGRÜNDUNG

 

Am 12. August kündigte Innenminister Karner den verstärkten Einsatz von Videoüberwachung im öffentlichen Raum an. In Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden soll die polizeiliche Kameraüberwachung ausgeweitet und die Einrichtung neuer Kameras deutlich erleichtert werden.

Zum Einsatz kommen soll dabei eine „sicherheitspolizeiliche Lageeinschätzung“, die zukünftige gefährliche Angriffe oder erkennbare kriminelle Strukturen prognostiziert. Nach bisheriger Rechtslage war eine derartige Maßnahme laut Innenministerium nur zulässig, wenn bereits zahlreiche Straftaten verübt worden waren. Ermöglicht werden soll die Änderung laut Ankündigung durch § 54 Abs. 6 Sicherheitspolizeigesetz (SPG).[1]

Diese Ankündigung fällt in eine Zeit, in der mit dem sogenannten Bundestrojaner gerade erst ein neues Überwachungsinstrument eingeführt wurde und gleichzeitig die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) rasant zunimmt. Moderne Auswertungssoftware kann große Datenmengen schneller und effizienter verarbeiten – birgt jedoch auch das Risiko unbekannter algorithmischer Verzerrungen („Bias“).

Der Ausbau bestehender und bislang eingeschränkter Überwachungsmaßnahmen ist daher kritisch zu betrachten. Problematisch ist insbesondere, dass keine systematische Bewertung der Gesamtbelastung der Privatsphäre stattfindet. Während einzelne Maßnahmen für sich betrachtet verhältnismäßig erscheinen mögen, wird die kumulative Wirkung mehrerer parallel eingesetzter Instrumente nicht umfassend geprüft.

Hinzu kommt, dass der Einsatz von KI die Eingriffsintensität potenziell weiter erhöht. Eine Neubewertung aller sicherheitspolitischen Überwachungsmaßnahmen wäre im Lichte dieser technischen Entwicklungen eigentlich unerlässlich.

 

Dass sicherheitsrechtliche Überwachungsmaßnahmen einen Eingriff in grundrechtlich geschützte Freiheiten darstellen, ist in der Rechtsprechung von EuGH und EGMR[2] anerkannt. Für die betroffene Person ist oft schwer erkennbar, wie hoch die Überwachungslast in ihrem Umfeld tatsächlich ist. Selbst wenn keine unmittelbaren Konsequenzen spürbar sind, ist der sogenannte „chilling effect“ gut dokumentiert: Die anlasslose und dauerhafte Beobachtung führt zu einer spürbaren Einschüchterung, die sich auch auf völlig legitime Verhaltensweisen – wie Meinungsäußerungen im öffentlichen Raum – auswirken kann.[3]

Neben diesem fundamentalen Effekt auf die Ausübung von Grundrechten Unbescholtener kann Videoüberwachung weitere unerwünschte Folgen haben: etwa die Verdrängung von Kriminalität an andere Orte statt ihrer tatsächlichen Prävention, die Stigmatisierung bestimmter Räume oder das Entstehen eines Generalverdachts gegenüber ganzen Bevölkerungsgruppen.

Dass Kriminalität durch Videoüberwachung hingegen vorgebeugt werden kann, ist äußerst umstritten.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)        Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert der Erlass zur verstärkten Videoüberwachung im öffentlichen Raum?

a.    Sollte dieser – wie angekündigt – auf § 54 Abs. 6 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) beruhen, erläutern Sie bitte die Rechtsgrundlage, auf deren Basis von der bisherigen Voraussetzung „vorangegangener gefährlicher Angriffe“ abgewichen wird, beziehungsweise ob es Judikatur gibt, die andere „bestimmte Tatsachen“ definiert, welche die Aufstellung von Bild- und Tonaufzeichnungen rechtfertigen.

b.    Welche aktuelle Gefahrenseinschätzung rechtfertigt die geänderte Vollzugspraxis?

c.    Auf Basis welcher wissenschaftlichen Grundlagen gehen Sie davon aus, dass diese Ziele durch die Maßnahme erreicht werden können?

 

2)        Wie wird der Ausbau der Videoüberwachung dann konkret aussehen?

a.    Warum kam es bisher nicht zu einem Ausbau der bestehenden Videoüberwachung?

b.    Gab es bereits einen Erlass, der die Videoüberwachung regelte? Inwiefern unterscheidet sich dieser vom neuen Erlass?

c.    Von wem und wann wurde der vorhergehende Erlass ausgegeben?

 

3)        Welche Ziele verfolgt die Videoüberwachung?

 

4)        Angekündigt wurde: „Aufgrund einer sicherheitspolizeilichen Lageeinschätzung, die zukünftige gefährliche Angriffe oder erkennbare kriminelle Strukturen prognostiziert, kann die Videoüberwachung eingesetzt werden.“

a.    Wie wird eine solche sicherheitspolizeiliche Lageeinschätzung vorgenommen?

b.    Woraus ergeben sich Anhaltspunkte für die Prognose künftiger Angriffe?

c.    Kommt dabei künstliche Intelligenz zum Einsatz?

                                  i.    Falls ja, welche Software welches Herstellers wird eingesetzt?

                                ii.    Wie hoch sind die Kosten für diese Software?

                               iii.    Erfolgt(e) eine öffentliche Ausschreibung?

 

5)        Auf Basis welcher Daten werden kriminelle Strukturen prognostiziert?

a.    Wer stellt diese Daten zur Verfügung oder wird sie künftig bereitstellen?

b.    Wie werden diese Daten erfasst?

 

6)        Inwiefern wurde der erweiterte Einsatz der Videoüberwachung auf seine Verhältnismäßigkeit überprüft?

a.    Was waren die Ergebnisse dieser Verhältnismäßigkeits-Prüfung?

b.    Gibt es für jeden einzelnen Ort, an dem eine Videoüberwachung stattfinden soll eine Verhältnismäßigkeitsabwägung?

c.    Wo kann diese Verhältnismäßigkeitsabwägung eingesehen werden?

d.    Inwiefern kann eine Videoüberwachung das gelindeste Mittel sein, wenn es an einem Ort bislang keinerlei gefährliche Angriffe gab?

 

7)        Gem § 91 c Abs 2 SPG haben die Sicherheitsbehörden, die die Überwachung öffentlicher Orte mit Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten im Sinne des § 54 Abs. 6 bis 7a beabsichtigen, unverzüglich den Bundesminister für Inneres zu verständigen. Dieser hat dem Rechtsschutzbeauftragten Gelegenheit zur Äußerung binnen drei Werktagen zu geben. Der tatsächliche Einsatz der Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte oder die Aufnahme der Datenverarbeitung darf erst nach Ablauf dieser Frist oder Vorliegen einer entsprechenden Äußerung des Rechtsschutzbeauftragten erfolgen. Unterbleibt ein Einsatz, sofern der Rechtsschutzbeauftragte eine ablehnende Äußerung erstattet?

a.    Inwiefern bekommt der Rechtsschutzbeauftragte, der nun mit hunderten derartigen Äußerungsaufträgen konfrontiert sein wird, das für die Bearbeitung erforderliche Personal?

b.    Welche zusätzlichen Ressourcen erhält der Rechtsschutzbeauftragte für diese erhebliche zusätzliche Workload (es ist von einer Verfünffachung der Videoüberwachung die Rede)?

 

8)        Inwiefern wurde der erweiterte Einsatz der Videoüberwachung im Hinblick auf die Gesamtheit aller angewendeten Überwachungsmaßnahmen auf seine Verhältnismäßigkeit geprüft bzw. wird die Gesamtheit aller angewendeten Überwachungsmaßnahmen am aufgestellten Ort überprüft?

 

9)        Gab es eine Form der öffentlichen Beteiligung, eine Begutachtung oder die Beiziehung externer Expert:innen bei der Ausarbeitung des neuen Erlasses?

 

10)     Wurde eine Datenschutz-Folgenabschätzung iSd Art 35 DSGVO durchgeführt.

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn ja, bitte um Bekanntgabe der Inhalte der Datenschutz-Folgenabschätzung.

 

11)     Wie wurde den Anforderungen des Art 6 Abs 3 DSGVO Rechnung getragen?

 

12)     Wie wird den Grundsätzen des Art 5 DSGVO Rechnung getragen?

 

13)     Wie wird Art 9 DSGVO im Hinblick auf besondere Kategorien von Daten, etwa rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder biometrische Daten Rechnung getragen?

 

14)     Wie erfolgt die Information von einer Videoüberwachung betroffener Personen iSd Art 34 DSGVO, die nicht Ziel/Teil der polizeilichen Ermittlungsmaßnahme sind, aber mitüberwacht werden?

 

15)     Wie wird Bürger:innen zur Kenntnis gebracht, dass an den betreffenden Orten eine Videoüberwachung erfolgt, in der sie mitüberwacht werden?

 

16)     Wie erfolgt der Rechtsschutz der von einer Videoüberwachung Betroffenen?

 

17)     Inwiefern können unbescholtene Bürger:innen sich vor derartigen Aufnahmen und dem daraus folgenden Eingriff in ihr Recht auf Privatsphäre und Datenschutz schützen?

a.    Welche Betroffenenrechte haben unbescholtene Bürger:innen und wie können sie diese ausüben?

b.    Insbesondere: Wie können Bürger:innen ihr Widerspruchsrecht gem Art 21 DSGVO geltend machen?

 

18)     In welchen Intervallen und mit welchen Methoden wird der Einsatz der Videoüberwachung künftig evaluiert und nach welchen Kriterien wird überprüft, ob die mit der Maßnahme verfolgten Ziele erreicht wurden?

 

19)     Welche permanent aufgestellten Ton- und Bildaufzeichnungsgeräte, die seit 2018 installiert wurden, sind nach Beruhigung der jeweiligen Situation wieder abgebaut worden? Wie häufig wird ihre Notwendigkeit überprüft?

 

20)     Gibt es andere Überwachungsmaßnahmen, die seit 2018 eingeführt und ohne gerichtliches Einschreiten wieder zurückgenommen wurden?

 

21)     Wie wirkt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen auf Verhältnismäßigkeitsprüfungen aus?

a.    Werden bei Weiterentwicklungen oder Updates der eingesetzten Software neue Beurteilungen der Verhältnismäßigkeit vorgenommen?

 

22)     Ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Auswertung der Videoaufnahmen geplant oder erfolgt hier bereits ein Einsatz künstlicher Intelligenz?

a.    Wenn ja, um welche Software welches Herstellers handelt es sich?

b.    Gab es dazu eine öffentliche Ausschreibung oder ist eine öffentliche Ausschreibung geplant?

c.    Wie hoch ist das Auftragsvolumen in EUR zu beziffern?

 

23)     Welche künstliche Intelligenz verwendet das Innenministerium in der Auswertung seiner Daten generell?

a.    Mit welchen Firmen wird hier zusammengearbeitet?

b.    Gab es dazu eine öffentliche Ausschreibung?

c.    Wie hoch ist das Auftragsvolumen in EUR zu beziffern?

 

24)     Welche Software nützt das Innenministerium, um gewonnene Bild- und Tonaufzeichnungen zu verwerten und zu verwalten?

 

25)     In welchen Fällen nutzt das BMI aktuell Gesichtserkennungssoftware? Welche Software wird verwendet und von welcher Firma wird sie programmiert?

a.    Gab es dazu eine öffentliche Ausschreibung?

b.    Wie hoch ist das Auftragsvolumen in EUR zu beziffern?

 



[1] https://www.bmi.gv.at/news.aspx?id=624869364E756C48376B673D

[2] EuGH, Urteil v. 8.4.2014, C-293/12, C-594/12 (Digital Rights Ireland) = NJW 2014, 2169. EGMR, Urt. v. 25.05.2021, Nr. 58170/13, 62322/14, 24960/15 (Big Brother Watch / Vereinigtes Königreich); dazu B. Huber, NVwZ-Beilage 2021.

[3] https://www.amnesty.de/informieren/blog/deutschland-wie-ueberwachung-die-meinungsfreiheit-gefaehrdet