3170/J XXVIII. GP
Eingelangt am 28.08.2025
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Anfrage
der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
betreffend Umsetzung der Vorsorgeuntersuchung gemäß § 116 und 132b ASVG
Die jährliche Vorsorgeuntersuchung (VU) ist ein zentrales Instrument, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Viele Menschen in Österreich vertrauen darauf, dass diese Untersuchung stets nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gestaltet ist und neue medizinische Erkenntnisse zeitnah berücksichtigt werden. Doch seit der umfassenden Überarbeitung der Vorsorgeuntersuchung im Jahr 2005 gab es nur vereinzelte Anpassungen. Eine systematische Aktualisierung der gesamten Richtlinie – wie sie der medizinische Fortschritt und die gesetzlichen Bestimmungen verlangen – hat bisher nicht stattgefunden. Selbst das vom Dachverband der Sozialversicherungsträger am 30.01.2019 präsentierte Evidenz-Update 2020 (auch bekannt als „Empfehlungen Vorsorgeuntersuchung 2020“) blieb bisher ungenutzt.
Besonders deutlich zeigt sich der Handlungsbedarf bei Nierenerkrankungen: Rund ein Viertel der Bevölkerung weist mindestens einen Risikofaktor für eine Nierenerkrankung auf, bis zu 10 Prozent sind bereits betroffen, oftmals ohne es zu wissen. Nierenerkrankungen zählen zu den am schnellsten wachsenden Todesursachen weltweit und werden Prognosen zufolge bis 2050 die fünfthäufigste Todesursache sein – obwohl sie in vielen Fällen durch frühzeitige Diagnostik (Früherkennung) und Behandlung vermeidbar wären. Expert:innen und medizinische Fachgesellschaften fordern daher schon seit Jahren, dass ein risikobasiertes Screening Teil der Vorsorgeuntersuchung wird. Das Evidenz-Update 2020 des Dachverbands, das auf einer umfassenden wissenschaftlichen Bewertung beruhte und im Einklang mit internationalen Leitlinien stand, empfahl die Aufnahme eines risikobasierten Screenings. Auch die Landesgesundheitsreferent:innenkonferenz hat im Oktober 2024 klar betont, dass die Vorsorgeuntersuchung dringend um zusätzliche Fragen und Laborparameter ergänzt werden sollte, um eine rechtzeitige Erkennung zu ermöglichen. Dennoch gibt es bislang keine verbindliche Umsetzung dieser Forderungen – das Ministerium teilte im April 2025 sogar mit, dass der Dachverband nach eingehender Befassung mit der Thematik zum Ergebnis gelangt ist, dass einer Aufnahme in das Vorsorgeuntersuchungs-Programm aktuell nicht entsprochen werden kann.
Die Bürger:innen erwarten zu Recht, dass die Vorsorgeuntersuchung evidenzbasiert, wirksam und zeitgemäß ist. Wenn wissenschaftlich fundierte Empfehlungen trotz gesetzlicher Verpflichtungen (§ 116 und 132b ASVG) nicht oder nur zögerlich umgesetzt werden, entsteht der Eindruck, dass organisatorische oder finanzielle Hürden den Schutz der Gesundheit in den Hintergrund drängen. Es ist Aufgabe des Staates, hier für Klarheit zu sorgen und sicherzustellen, dass die Vorsorgeuntersuchung allen Menschen die bestmögliche Gesundheitsvorsorge bietet.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
Evidenzbasierte Früherkennung und Frühintervention (§ 116 ASVG):
1) Auf welcher wissenschaftlichen Evidenz basiert die aktuelle Richtlinie der Vorsorgeuntersuchung, und wann wurde diese Evidenz zuletzt systematisch überprüft?
2) Welche evidenzbasierten Anpassungen der Vorsorgeuntersuchung wurden seit der Gesundheitsreform 2013 vorgeschlagen, und nach welchem systematischen Verfahren wurden sie evaluiert?
a) Welche wurden umgesetzt, welche nicht – und warum?
3) Wie wird sichergestellt, dass evidenzbasierte Empfehlungen österreichischer und internationaler medizinischer Fachgesellschaften in die Entscheidungsprozesse einfließen?
a) Welche Empfehlungen wurden seit 2013 in die Richtlinie übernommen?
4) Welche finanziellen, strukturellen oder inhaltlichen Hürden haben die Umsetzung evidenzbasierter Empfehlungen bisher verzögert?
a) Welche Maßnahmen hat der Dachverband ergriffen, um diese Hürden zu überwinden?
5) Welche Schritte wurden unternommen, um die Forderung der Landesgesundheitsreferent:innenkonferenz aus Oktober 2024 zur Aufnahme spezifischer Fragen und Laborparameter in die Vorsorgeuntersuchung zu bearbeiten und umzusetzen?
6) Das Evidenz-Update 2020, erstellt im Auftrag des Dachverbands vom Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Universität Krems (Cochrane Österreich), beruhte auf einer umfassenden, nach international anerkannter Methodik durchgeführten systematischen Bewertung und führte zu konkreten Anpassungsempfehlungen. Gilt dieser internationale Bewertungsstandard weiterhin als Maßstab für ‚wissenschaftliche Evidenz‘ bei der Weiterentwicklung der Vorsorgeuntersuchung?
a) Falls nein: Nach welchen Kriterien wurde er verändert – und aus welchen Gründen?
Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts (§ 132b ASVG):
7) Gibt es einen definierten Prozess mit festen Intervallen für die regelmäßige Überprüfung des Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft gemäß § 132b ASVG? Falls ja, wann wurden die letzten systematischen Überprüfungen nach international anerkannten Standards (z. B. Evidenz-Update 2020) durchgeführt, und welche Änderungen ergaben sich daraus?
8) Welche wissenschaftlichen Empfehlungen aus dem Evidenz Update 2020 (Donau-Universität Krems / Cochrane Österreich) wurden vollständig oder in Teilen in die Richtlinie übernommen?
a) Falls keine oder nur Teilbereiche umgesetzt wurden: Aus welchen Gründen?
b) Wurden diese Entscheidungen dokumentiert und veröffentlicht?
9) Wurde seit dem Evidenz Update 2020 eine systematische Neubewertung des medizinischen Fortschritts in Auftrag gegeben? Falls ja: Wann, durch wen, mit welchem methodischen Anspruch und mit welchem Ziel?
a) Entsprach dieser Anspruch dem Standard des Evidenz-Updates 2020 oder wich er in Umfang und Tiefe davon ab?
10) Im Juli 2025 wurden – nach dem Beschluss im Verwaltungsrat der ÖGK vom 3. Juni 2025 und der anschließenden öffentlichen Ankündigung durch den Dachverband am 16. Juli 2025 – selektive Änderungen der Vorsorgeuntersuchung (Darmkrebsvorsorge ab 45, FIT-Test, überarbeiteter Anamnesebogen) beschlossen. Warum wurden dabei die umfassenden evidenzbasierten Empfehlungen des Evidenz-Updates 2020 nicht berücksichtigt?
a) Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Empfehlungen Eingang in die Richtlinie finden – und welche nicht?
Prozessuale Aspekte innerhalb der SV:
11) Welche internen Abläufe oder Entscheidungsprozesse sind für die Aktualisierung der Vorsorgeuntersuchung maßgeblich?
a) Gibt es festgelegte Zeitintervalle oder verbindliche Verfahren?
12) Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung über eine Anpassung der Richtlinien? Gab es finanzielle, strategische oder vertragliche Vorgaben, die eine Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts verhindert haben, und in welchem Verhältnis stehen diese zu wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen?
13) Gibt es einen verbindlichen Mechanismus, um sicherzustellen, dass positive HTA-Ergebnisse oder systematische Evidenzbewertungen – wie das Evidenz-Update 2020 – tatsächlich in die Richtlinien integriert werden?
a) Falls nein, warum nicht?
14) Wie ist die tatsächliche Steuerungskompetenz des Dachverbands bei der Weiterentwicklung der Richtlinien der Vorsorgeuntersuchung im Verhältnis zu den Versicherungsträgern, der Ärztekammer und der Aufsichtsbehörde verteilt? Welche verbindlichen Entscheidungs- und Umsetzungsmechanismen stehen dem Dachverband konkret zur Verfügung, um evidenzbasierte Empfehlungen in die Richtlinien zu integrieren?
15) In welchen Fällen hat der Dachverband seit 2019 aktiv seine Richtlinienkompetenz gemäß § 132b ASVG gegenüber den Versicherungsträgern und der Ärztekammer genutzt, um wissenschaftlich fundierte Änderungen durchzusetzen?
a) Falls nicht, warum?
16) Welche Abteilungen, Arbeitsgruppen oder Gremien sind für die Überarbeitung der Richtlinien verantwortlich? Wie oft werden diese einberufen, und wie wird ihre Arbeit überwacht und koordiniert?
17) Welche konkreten Verwaltungsprozesse (z.B. Gremien, Sitzungen, offizielle Beschlüsse) wurden seit 2019 zur Überarbeitung der Richtlinien durchgeführt, und mit welchen Ergebnissen?
18) Welche personellen und finanziellen Ressourcen wurden seit 2019 konkret vom Dachverband für die Aktualisierung bereitgestellt, und wie wird deren Effektivität bewertet?
Informationsfluss:
19) Wie erfolgt die systematische Kommunikation mit den Versicherungsträgern und der Ärztekammer zur Aktualisierung der Vorsorgeuntersuchung?
a) Gibt es verbindliche Prozesse, um wissenschaftliche Evidenz in die Entscheidungswege einzuspeisen?
20) Welche Vorschläge zur Aktualisierung der Richtlinien wurden seit 2019 vom Dachverband an die Ärztekammer übermittelt, und welche Ergebnisse wurden daraus erzielt?
21) Welche Empfehlungen wurden seit 2019 von medizinischen Fachgesellschaften eingeholt, und welche davon wurden in den Überarbeitungsprozess integriert?
Verhandlung Gesamtvertrag:
22) Welche Verhandlungstermine (Datum, Dauer, Teilnehmer) zum Thema „Aktualisierung der Vorsorgeuntersuchung“ hat es seit 2019 gegeben, welche Ergebnisse wurden erzielt, und welche offenen Punkte sind derzeit noch ungeklärt?
23) Die Zusatzvereinbarung vom 21.8.2024 zwischen BKNÄ und DVSV sieht vor, das Vorsorgeuntersuchungsprogramm „im Jahr 2024 … unter Beachtung von evidenzbasierten Empfehlungen … [zu] überarbeiten“, mit dem Ziel, der Bevölkerung ab 2025 ein inhaltlich adaptiertes Programm anzubieten. Welche konkreten Schritte und Termine wurden für diese evidenzbasierte Gesamtüberarbeitung definiert (z.B. unter Berücksichtigung des Evidenz Update 2020 oder gleichwertige systematische Neubewertungen)?
a) Wie wird die Umsetzung sichergestellt – und warum wurde bislang nur eine selektive Anpassung (Darmkrebs) vorgenommen?
24) Welche Hindernisse bestehen derzeit, die einer überarbeiteten Vorsorgeuntersuchung entgegenstehen, und welche Maßnahmen hat der Dachverband bereits konkret ergriffen, um diese zu überwinden?
Aufsicht:
25) Wie erfüllt die Aufsichtsbehörde nach § 449 ASVG ihre Pflicht, die Gebarung des Dachverbands zu überwachen und darauf hinzuwirken, dass die Vorgaben der §§ 116 (“evidenzbasierte Früherkennung von und Frühintervention”) und 132b (“Berücksichtigung des Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft”) ASVG eingehalten werden?
26) Welche konkreten Maßnahmen wurden gesetzt, als wissenschaftlich fundierte Empfehlungen (z. B. Evidenz-Update 2020) nicht in die Richtlinien aufgenommen wurden?