3176/J XXVIII. GP
Eingelangt am 04.09.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Markus Koza, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
betreffend angebliche Aussagen von PVA-Generaldirektor Pinggera über ME/CFS-Erkrankte
BEGRÜNDUNG
Laut einem Interview mit einem Vater von zwei von ME/CFS betroffenen Söhnen auf krone.at[1] soll der Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Dr. Andreas Pinggera, im Zusammenhang mit an ME/CFS erkrankten Personen von „Scharlatanen“ und „Trittbrettfahrern“ gesprochen haben. Diese Aussagen haben unter Betroffenen und Selbsthilfeorganisationen zu erheblicher Verunsicherung und nachvollziehbarer Empörung geführt.
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere, oftmals chronische und bislang unheilbare neuroimmunologische Erkrankung, die laut aktuellen Schätzungen in Österreich tausende Menschen betrifft. Die Erkrankung führt zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit, viele Betroffene sind dauerhaft erwerbsunfähig und auf Sozialleistungen angewiesen. Seit 1969 ist ME/CFS von der WHO unter dem ICD-10 Code G93.3 klassifiziert. Internationale Institutionen wie CDC[2] (USA) und NICE[3] (UK) haben Leitlinien zum Krankheitsbild erstellt. Zur Diagnose stehen etablierte klinische Kriterienkataloge zur Verfügung. Gleichzeitig ist aber die Versorgungslage dramatisch schlecht: Es gibt in Österreich bisher kaum spezialisierte Behandlungsstrukturen, keine flächendeckenden Diagnosestandards und lange Wartezeiten auf fachgerechte Begutachtungen. Zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Sie werden im Zuge ihrer Behandlung mit ihren Symptomen nicht ernst genommen - oft werden sie einfach mit einer psychiatrischen Diagnose abgespeist. Ebenso fehlen trotz zigfacher Zusagen von Sozialversicherungen und den für den intramuralen Bereich zuständigen Bundesländern (zum Beispiel in Form eines gemeinsam erarbeiteten Aktionsplans) die dringend benötigten öffentlich finanzierten Versorgungsstrukturen.
Gerade im Zusammenhang mit der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und deren Rolle bei Begutachtungen, Rehabilitationsmaßnahmen und der Gewährung von Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspensionen gibt es bereits seit Jahren massive Kritik. Betroffene berichten regelmäßig von:
• fehlender Anerkennung der Erkrankung,
• Gutachten, die die Schwere von ME/CFS nicht adäquat berücksichtigen ,
• wiederholten, belastenden Begutachtungsverfahren,
• sowie der Aufforderung zu medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen, die bei ME/CFS nachweislich kontraindiziert sein können.
Zuletzt hat ein Rechercheteam von Ö1 , Dossier und der APA im Frühjahr die offenkundig standardisierte Schikane vor allem der PVA aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund werfen die angeblich getätigten Aussagen des Generaldirektors Pinggera die Frage auf, wie ernst die PVA die Erkrankung ME/CFS nimmt und wie sich solche abwertenden Formulierungen auf die Praxis der Leistungsgewährung und Begutachtung auswirken.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE
1) Sind Ihnen das oben verlinkte Interview und die darin zitierten Aussagen von Dr. Pinggera, wonach dieser von „Scharlatanen“ und „Trittbrettfahrern“ im Zusammenhang mit ME/CFS-Erkrankten spricht, bekannt?
2) Teilen Sie die erwähnte Einschätzung in Bezug auf ME/CFS-Betroffene oder Behandler:innen?
3) Haben Sie oder Ihr Ressort nach Bekanntwerden dieser angeblich getätigten Aussagen bereits das Gespräch mit Generaldirektor Pinggera gesucht?
a. Wenn ja: Wann fand dieses Gespräch statt, und was waren die Inhalte?
b. Falls nein: Werden Sie ein solches Gespräch führen, um die Hintergründe dieser Aussagen zu klären?
4) Hält das BMASGPK die Aussagen von Dr. Pinggera für sachlich gerechtfertigt oder werden diese als unangemessen bewertet?
5) Ist diese Wortwahl (die von „Scharlatanen“ und „Trittbrettfahrern“ im Zusammenhang mit ME/CFS spricht) mit der gesetzlichen Aufgabe der PVA vereinbar - insbesondere mit Blick auf § 221 ASVG, der die Pensionsversicherung verpflichtet, bei geminderter Arbeitsfähigkeit (z. B. Invalidität, Berufsunfähigkeit) für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge zu sorgen?
6) Wie beurteilt das BMASGPK die besondere Verantwortung der PVA, bei der Bewertung von ME/CFS-Fällen wissenschaftlich fundiert, objektiv und wertschätzend vorzugehen?
7) Welche Schritte werden Sie setzen, um sicherzustellen, dass ME/CFS-Betroffene von der PVA künftig respektvoll, korrekt und nach den aktuellen medizinischen Erkenntnissen behandelt werden?
8) Wie viele Anträge auf Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension von ME/CFS-Betroffenen wurden in den letzten fünf Jahren bei der PVA gestellt?
9) Wie viele dieser Anträge wurden jeweils genehmigt, wie viele abgelehnt? (Aufschlüsselung bitte pro Jahr von 2019-2024)
10) Welche Leitlinien oder wissenschaftlichen Grundlagen verwendet die PVA derzeit für die Begutachtung und Bewertung von ME/CFS?
11) Gibt es spezielle Schulungen für PVA-Gutachter:innen im Umgang mit ME/CFS-Betroffenen?
12) Wie viele Gutachter:innen der PVA, die bei Fällen von ME/CFS zum Einsatz kommen, haben an entsprechenden Fortbildungen in den letzten Jahren teilgenommen?
13) Wie viele Beschwerden sind in den letzten fünf Jahren bei der Volksanwaltschaft oder Ihrem Ressort wegen des Umgangs der PVA mit ME/CFS-Betroffenen eingegangen?
14) Welche Maßnahmen ergreift Ihr Ressort, um sicherzustellen, dass Begutachtungen bei ME/CFS nach international anerkannten Standards erfolgen?
15) Gibt es laufende Gespräche zwischen Ihrem Ressort, der PVA und Expert:innen, um einheitliche und wissenschaftlich fundierte Begutachtungsstandards zu etablieren?
16) Ist Ihnen bekannt, dass Hausbesuche bei der Begutachtung von ME/CFS-Betroffenen im Bundesgebiet von Bundesland zu Bundesland immer noch unterschiedlich genehmigt werden?
a. Was unternimmt Ihr Ressort, um hier bundesweit einheitliche Standarts im Interesse der betroffenen Patient:innen zu implementieren?