3178/J XXVIII. GP

Eingelangt am 04.09.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Markus Koza, Freundinnen und Freunde

an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

betreffend Aufsicht über die PVA - Umgang mit Gutachten und Verfahren bei ME/CFS-Erkrankten sowie Betroffenen anderer postviraler Erkrankungen

BEGRÜNDUNG

In der Beantwortung der schriftlichen Anfrage Nr. 2445/J vom 18.07.2025 wird unter Punkt 12 ausgeführt, dass dem Ministerium bzw. der PVA keine Daten über die Höhe der Ausgaben für Gutachten und Gegengutachten in Verfahren mit ME/CFS-Betroffenen vorliegen. Gleichzeitig beruft man sich auf die Autonomie der Sozialversicherungsträger im Rahmen ihrer Selbstverwaltung.

Aus unserer Sicht greift diese Antwort zu kurz. Trotz Selbstverwaltung sind die Sozialversicherungsträger gemäß § 448 ASVG und § 449 ASVG der Rechts- und Zweckmäßigkeitskontrolle durch den Bund unterstellt. Dies schließt ein, dass das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMASGPK) Informationen einholt, prüft und bei strukturellen Missständen steuernd eingreift. Außerdem kann Sie die Aufsichtspflicht auf Fragen der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erstrecken.

Diverse Rückmeldungen von Betroffenen – unter anderem auch in den Medien[1] - deuten auf schwerwiegende Probleme bei der PVA hin, insbesondere bei chronischen Erkrankungen wie ME/CFS sowie vergleichbaren postakuten Infektionssyndromen (PAIS). Zu den vielfach geschilderten Praxisproblemen zählen vor allem:

-      wiederholte, medizinisch nicht begründete Zusatzgutachten trotz bereits attestierter Arbeitsunfähigkeit,

-      der systematische Rückgriff auf fragwürdige psychologische Testverfahren (darunter z.B. das SRSI),

-      die faktische Weigerung, Akteneinsicht vor Entscheidungen zuzulassen, obwohl dies dem Recht auf Parteistellung(§ 17 AVG) widerspricht,

-      fehlende rechtliche Kontrollmöglichkeiten gegen Verfahrensanordnungen der PVA,

-      sowie überlange Verfahren, die zu gravierenden sozialversicherungsrechtlichen Nachteilen führen (z.B. Verlust des Sonderkrankengeldes oder des Pensionsvorschusses).

Diese Verfahrensweisen erzeugen nachweislich eine erhebliche Belastung für Antragstellende - nicht nur gesundheitlich, sondern auch finanziell und sozial. Zugleich entstehen der öffentlichen Hand durch unnötige Zusatzgutachten, gerichtliche Klageverfahren und gerichtlich bestellte Sachverständigengutachten erhebliche Folgekosten.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

Aufsicht und Datenlage:

1)   Ist das Ressort weiterhin der Ansicht, dass zur Frage, wie hoch die jährlichen Ausgaben der PVA für medizinische Gutachten und Gegengutachten in Verfahren mit ME/CFS-Betroffenen sind, keinerlei Daten verfügbar sind?

2)   Hat das BMASGPK in Ausübung seiner Aufsichtspflicht gemäß §§ 448ff ASVG seit der letzten Anfrage einen konkreten Informationsauftrag an die PVA erteilt, um diese Daten zu erhalten?

a.     Wenn ja, wann?

b.     Wenn nein: Warum nicht?

3)   Plant das Ministerium, diese Daten künftig systematisch von der PVA zu erheben - insbesondere unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit öffentlicher Mittel?

4)   Gibt es im Ressort allgemeine Auswertungen oder Kennzahlen verfügbar, wie viele Gutachten pro Jahr in Verfahren zu Rehabilitationsgeld, lnvaliditätspension oder Berufsunfähigkeit eingeholt werden und mit welchen Kosten diese verbunden sind?

5)   Ist das Ministerium der Meinung, dass Gutachtenkosten und Verfahrensverzögerungen - insbesondere bei mehrfachen Gutachten oder Gegengutachten - in einem angemessenen Verhältnis zur Qualität der Leistungsfeststellung stehen?


 

Verfahrenspraxis und Grundrechte:

6)   Teilt das Ministerium die rechtliche Einschätzung, dass medizinische Untersuchungsverpflichtungen im Rahmen der PVA-Leistungsprüfung einen Eingriff in Art. 8 Abs. 2 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) darstellen und daher einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen?

7)   Wie stellt das Ressort sicher, dass in der Praxis der PVA dieser Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten wird – etwa in folgenden Konstellationen:

- mehrfach begutachtete Antragstellende ohne medizinische Notwendigkeit,

- Einsatz fachfremder Ärzt:innen zur Beurteilung spezifisch chronischer Erkrankungen (wie ME/CFS),

- der Einsatz von Tests wie „SRSI", in dem Wissen, dass bei dem Krankheitsbild ME/CFS Betroffene sehr dynamische Symptome haben und diese nicht jeden Tag gleich sind?

8)   Ist dem Ministerium bekannt, dass Antragsteller:innen nach wie vor regelmäßig während laufender Verfahren keine Akteneinsicht erhalten und somit keine fundierte Entscheidung über ihre Mitwirkungspflicht oder mögliche Rechtsmittel treffen können?

9)   Ist das Ministerium bereit, auf eine gesetzliche Klarstellung hinzuwirken, die auch für Anordnungen in diesen Verfahren (z.B. Untersuchungstermine) einen anfechtbaren Bescheid vorsieht, um den Antragsteller:innen effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen?

10) Wie will das Ministerium zukünftig im Zuge seiner Aufsichtsfunktion dafür Sorge tragen, dass Gutachter:innen bei der PVA ausreichend und auf dem aktuellen medizinisch- und wissenschaftlichen Stand geschult sind um Bildungslücken wie beispielsweise bei den Symptomen und dem Umgang von ME/CFS Patient:innen zu vermeiden?

11) Wann wurde der Lehrplan der ÖBAK (Österreichische Akademie für ärztliche und pflegerische Begutachtung) zuletzt aktualisiert?

a.     Ca. 70.000-80.000 Menschen leiden in Österreich an ME/CFS. Wurde in den Zertifizierungslehrgängen der ÖBAK auf diese strukturelle Häufung der Krankheit Rücksicht genommen?

Rechtsfolgen und volkswirtschaftliche Auswirkungen:

12) Inwieweit wird das Ressort seiner Aufsichtsfunktion gerecht, wenn sich in der Praxis zeigt, dass mehrfach durch Gutachten bereits festgestellte Invalidität ignoriert oder durch interne Stellungnahmen übergangen wird – mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen und die öffentlichen Finanzen?

13) Wie bewertet das Ministerium das wiederholte Auftreten folgender Verfahrensmuster in der Praxis:

- Ein medizinisches Gutachten stellt Arbeitsunfähigkeit fest;

- die PVA ordnet dennoch psychologische Zusatzgutachten an;

- Leistungen werden auf Grundlage von Testinstrumenten versagt, die international nicht mehr als valide gelten;

- gleichzeitig wird Akteneinsicht bis zum Bescheiderlass verweigert;

- die gerichtliche Klage führt regelmäßig zu neuen, kostspieligen Begutachtungen.

a.     Halten Sie dieses Vorgehen für das Staatsbudget und in Zeiten eines EU Defizitverfahrens für gerechtfertigt und notwendig?

14) Gibt es interne ministerielle Vorgaben oder Leitfäden für die Qualitätssicherung und Verfahrensökonomie bei der Einholung von Gutachten durch Sozialversicherungsträger?

Systemische Fragen zu ME/CFS und PAIS-Verfahren:

15) Welche Schlüsse zieht das Ministerium aus öffentlich dokumentierten Fällen, bei denen aufgrund nicht koordinierter Verfahren zwischen PVA, ÖGK und AMS:

a.     Betroffene in finanzielle Notlagen geraten,

b.     abgesicherte Krankenverläufe durch verlorene Leistungsansprüche unterbrochen werden,

c.     oder Fehlanreize zum Aufkündigen von Dienstverhältnissen entstehen?

16) Wie viele Klagsverfahren gegen Bescheide der PVA im Zusammenhang mit ME/CFS, Rehageld oder Invalidität wurden in den Jahren 2022-2025 jährlich eingebracht, bei denen das Gericht der PVA widersprochen und einen Leistungsanspruch zugesprochen hat?

17) Plant das Ministerium angesichts der zunehmenden Zahl chronischer Erkrankungsverläufe im Kontext von PAIS und ME/CFS strukturelle Maßnahmen, um eine faire, raschere und individuell angepasste Leistungsprüfung sicherzustellen?

Abschließende Fragen zur Ausrichtung des Systems:

18) Wie beurteilt Ihr Haus das ethische und sozialpolitische Signal, das entsteht, wenn erkrankte Menschen offenbar systematisch mit wiederholten Gutachten konfrontiert und durch fehlende Akteneinsicht in Verfahren gedrängt werden, welche ihre gesundheitliche Lage, soziale Stellung und finanzielle Sicherheit verschlechtern?

19) Welche konkreten Maßnahmen wird das Ministerium prüfen, um sicherzustellen, dass österreichische Sozialversicherungsträger – insbesondere die PVA- sowohl rechtsstaatlich einwandfrei agieren als auch das Vertrauen chronisch kranker Menschen in öffentliche Institutionen nicht weiter untergraben?



[1] https://www.derstandard.at/story/3000000268818/betroffenen-von-mecfs-oder-post-covid-bleiben-berufsunfaehigkeitspension-und-pflegegeld-oft-verwehrt

https://www.dossier.at/dossiers/gesundheit/verdacht-statt-versorgung/

https://www.diepresse.com/19660039/post-covid-und-mecfs-antraege-auf-berufsunfaehigkeitspension-und-pflegegeld-meist-abgelehnt

https://orf.at/stories/3392880/