323/J XXVIII. GP
Eingelangt am 17.12.2024
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Anfrage
der Abgeordneten Olga Voglauer, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft
betreffend Preisdumping bei Erzeuger:innenpreisen für Bäuerinnen und Bauern
In den letzten 20 Jahren ging fast ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe verloren. Betroffen sind hier vor allem die kleinen Betriebe – die Zahl der Betriebe mit weniger als 10 Hektar sank in 20 Jahren sogar um zwei Drittel. Im EU-Vergleich gilt die österreichische Landwirtschaft weiterhin als kleinstrukturiert.
Ein genauerer Blick auf die Einkommenssituation der österreichischen Bäuerinnen und Bauern zeigt: insbesondere kleine landwirtschaftliche Betriebe können oft nicht einmal ihre Lebenshaltungskosten decken und leben prekär. Die realen landwirtschaftlichen Einkommen schwanken jedes Jahr stark. Die Erzeuger:innenpreise reichen oft nicht um die Produktionskosten zu decken. Eine Folge davon ist auch der Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe.
Während wir in Österreich kontinuierlich bäuerliche Familienbetriebe verlieren, machen die Supermärkte, als letztes Glied in der Wertschöpfungskette von landwirtschaftlichen Produkten hin zum:r Konsumenten:in, gute Gewinne: Die Spar Holding AG machte im Jahr 2023 einen Umsatz von 14,8 Mrd € und hatte ein Jahresergebnis von 168 Mio €. Die REWE Holding hatte einen Umsatz von 83 Mrd € und ein Jahresergebnis von 736 Mio €.
Die Top 4 des Lebensmitteleinzelhandels (REWE, Spar, Hofer und Lidl) haben in Österreich einen gemeinsamen Marktanteil von 91%. Dadurch konzentriert sich enorme Marktmacht bei diesen vier Unternehmen. Vier Fünftel der von der Bundeswettbewerbsbehörde BWB in ihrer „Branchenuntersuchung Lebensmittel“ befragten Lieferant:innen an den LEH sagen, dass eine Auslistung beim für sie umsatzstärksten LEH-Unternehmen starke wirtschaftliche Folgen hätte. Die BWB hat daher in dieser Branchenuntersuchung festgehalten, dass der Lebensmitteleinzelhandel bzw. deren Top Unternehmen relative Marktmacht im Sinne des § 4a Kartellgesetz hat.
Diese relative Marktmacht zeigt sich derzeit auch im medial präsenten Preis-Streit zwischen Spar und den Lieferant:innen der Molkerei NÖM. Die Molkerei NÖM – im Miteigentum und beliefert von den Bäuer:innen der MGN Milchgenossenschaft – hatte ja aufgrund der Weigerung von Spar, die Preise für Milchprodukte aufgrund der höheren Betriebsmittelpreise zu erhöhen, im Herbst einen Lieferstopp für NÖM-Markenprodukte ausgerufen. Für die Eigenmarken von Spar wird jedoch weiterhin produziert und geliefert. Nun ist die NÖM selbst eine große Marke und ein relevanter Lieferant, und kann es sich erlauben einen Lieferstopp auszurufen, weil die Marke bei Kund:innen nachgefragt ist. Zahlreiche Lieferant:innen haben diesen Druck nicht – es fehlt in den Verhandlungen also häufig selbst dieses Gegengewicht. Ganz zu schweigen von Bereichen, in denen Marken weniger präsent sind als im Bereich der verarbeiteten tierischen Produkte – wie etwa Frischobst und Frischgemüse.
Zur Sicherstellung fairer Handelsbeziehungen in der Wertschöpfungskette im Agrar- und Lebensmittelbereich wurde im Jahr 2021 mit einer Novelle des Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetzes FWBG die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette umgesetzt. Nach mittlerweile drei Jahren der Umsetzung liegen mehrere Berichte vor, aus denen die Notwendigkeit von Nachbesserungen abgeleitet werden kann bzw. in denen sich konkrete Empfehlungen finden. In der Branchenuntersuchung der BWB ist festgehalten: „Die Ergebnisse der Branchenuntersuchung geben zu der Vermutung Anlass, dass unlautere Handelspraktiken im Sinne des FWBG auf dem österreichischen Markt in nicht unerheblichem Ausmaß vorkommen.“
Laut einer Befragung der Lieferant:innen des LEH durch die BWB waren etwa 40% der Lieferant:innen bereits mit mindestens einer absolut verbotenen Praktik laut FWBG konfrontiert. Am stärksten betroffen sind Lieferant:innen von Obst und Gemüse und von Fleisch und Wurstwaren. Am häufigsten kommen die Zahlung mehr als 30 Tage nach Lieferung bei verderblichen Produkten, die einseitige Änderung von Liefervereinbarungen, die Zahlungsaufforderung ohne Gegenleistung, und die Zahlung für nicht vom Lieferanten verschuldeten Qualitätsverlust vor. Von den Praktiken, die nur bei vorhergehender klarer Vereinbarung erlaubt sind, werden am häufigsten genannt die Zahlung für Werbemaßnahmen, die Zahlung für Vermarktungsmaßnahmen, und die Zahlungen für Preisnachlässe deren Dauer und Ausmaß nicht abgeschätzt werden kann. Ein relevanter Anteil davon war entweder nicht vereinbart (und damit verboten) oder nur unter Druck seitens des LEH auf die Lieferant:innen zustande gekommen.
Im Jahresbericht 2023 des Fairness-Büros, der 2022 eingerichteten Erstanlaufstelle für Produzent:innen/Lieferant:innen, die von unfairen Handelspraktiken betroffen sind, sind einige Fälle exemplarisch dargestellt, sowie weitere Wahrnehmungen des Fairness Büros aufgelistet, die insgesamt ein verheerendes Bild der bestehenden Praktiken zeichnet. Daran anschließend finden sich zahlreiche Anregungen, wie die Situation der Produzent:innen mittels Novelle des FWBG verbessert werden könnte.
Auch die Europäische Kommission hat sich in Reaktion auf die Proteste von Bäuer:innen in ganz Europa zu Jahresbeginn 2024 die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedsstaaten angesehen. Hier zeigt sich, dass zahlreiche Mitgliedsstaaten über die in der EU-Richtlinie verbotenen Praktiken hinausgegangen sind und noch weitere verbotene Handelspraktiken definiert haben. Die EK beschäftigt sich hier ganz besonders mit dem Verbot des Verkaufs unter dem Einstandspreis bzw. dem Verbot des Verkaufs mit Verlust, wofür es Regelungen in 5 Mitgliedsstaaten gibt. Auch andere für Österreich relevante Regelungen, wie dass nur kalkulierbare Preise vereinbart werden dürfen – d.h. Rabattaktionen deren Dauer und Ausmaß nicht vorab definiert sind, dürfen unter keinen Umständen von den Produzent:innen getragen werden – gibt es in anderen Mitgliedsstaaten.
Obwohl diese Berichte mittlerweile seit 9-12 Monaten vorliegen, sind bisher keine daraus abgeleiteten Handlungen erkennbar.
Quellen:
· BML, Grüner Bericht 2024: https://gruenerbericht.at/cm4/
· Statistik Austria, Landwirtschaftliche Gesamtrechnung, Zugriff 11.11.2024 https://www.statistik.at/statistiken/land-und-forstwirtschaft/land-und-forstwirtschaftliche-oekonomie-und-preise/landwirtschaftliche-gesamtrechnung/landwirtschaftliche-gesamtrechnung-auf-nationaler-ebene.
· BWB 2023: BWB, Branchenuntersuchung Lebensmittel, Wien, 2023. https://www.bwb.gv.at/fileadmin/user_upload/BU-LM_final_original1_inh_NEU2.pdf
· FB 2023: Fairness Büro, Tätigkeitsbericht 2023, Wien, März 2024, https://www.fairness-buero.gv.at/
· EK 2024: Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Umsetzung des Verbots unlauterer Handelspraktiken zur Stärkung der Position von Landwirten und Marktteilnehmern in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – Aktueller Stand. SWD(2024) 106 final, Brüssel, 23.4.2024. https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/EU/181399/imfname_11365234.pdf; sowie Commission Staff Working Document accompanying the report; COM(2024) 176 final. https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/EU/181400/imfname_11365235.pdf
· Eurostat: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=File:Average_utilised_agricultural_area_per_holding,_2010_and_2013_(%C2%B9)_(hectares)_YB16-de.png; Zugriff 04.12.2024
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1) Wie beurteilen Sie die in Kapitel 4 „Anregungen für FWBG“ des Tätigkeitsberichts 2023 des Fairness-Büros aufgelisteten Anregungen für das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz? Wir ersuchen um Information zu jedem einzelnen Vorschlag (d.h. zu jedem der Unterkapitel von 4.1 „Generalklausel für unfaire Handelspraktiken“ bis 4.9 „Kompetenzen des Fairness-Büros“), ob Sie diese als a) sinnvoll und b) machbar einstufen.
a. Im Fall, dass Sie eine Anregung als sinnvoll und/oder machbar einstufen, ersuchen wir um Information ob Sie sich für eine Umsetzung bereits eingesetzt haben und/oder in Zukunft einsetzen werden und welche konkreten Schritte bereits gesetzt wurden bzw. geplant sind.
b. Im Fall, dass Sie eine Anregung als nicht sinnvoll und/oder nicht machbar einstufen, ersuchen wir um Begründung weshalb nicht.
2) Wie beurteilen Sie die in Kapitel 3 der Branchenuntersuchung Lebensmittel der BWB genannten Wettbewerblichen Empfehlungen 6 „Marktuntersuchungen aufgrund des FWBG“, 7 „Rechtssicherheit für Lieferant:innen durch Schriftform“, 8 „Kein Druck zur Zustimmung zu Praktiken des Anhangs II zum FWBG“, und 9 „Verbesserte gesetzliche Grundlage zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen aufgrund von Branchenuntersuchungen“? Wir ersuchen um Information zu jeder einzelnen Empfehlung, ob Sie diese als a) sinnvoll und b) machbar einstufen.
a. Im Fall, dass Sie eine Empfehlung als sinnvoll und/oder machbar einstufen, ersuchen wir um Information ob Sie sich für eine Umsetzung bereits eingesetzt haben und/oder in Zukunft einsetzen werden und welche konkreten Schritte bereits gesetzt wurden bzw. geplant sind.
b. Im Fall, dass Sie eine Empfehlung als nicht sinnvoll und/oder nicht machbar einstufen, ersuchen wir um Begründung weshalb nicht.
3) Welche der im Commission Staff Working Document SWD(2024) 106 final/2 auf den Seiten 14 bis 28 aufgelisteten zusätzlich auf nationaler Ebene eingeführten „schwarzen“ und „grauen“ Praktiken beurteilen Sie als für Österreich ebenfalls relevant? Wir ersuchen um die Auflistung aller in anderen EU-Mitgliedsstaaten eingeführten „schwarzen“ und „grauen“ unlauteren Handelspraktiken, jeweils mit der Information ob Sie für diese eine Umsetzung in Österreich als sinnvoll befinden oder nicht, inklusive der Nennung aller EU-Mitgliedsstaaten die diese eingeführt haben.
a. Im Fall, dass Sie ein Beispiel aus einem anderen Mitgliedsstaat als sinnvoll befinden, ersuchen wir um Information ob und wie Sie sich bereits für eine Umsetzung in Österreich eingesetzt haben und/oder in Zukunft einsetzen werden und welche konkreten Schritte bereits gesetzt wurden bzw. geplant sind.
b. Im Fall, dass Sie ein Beispiel aus einem anderen Mitgliedsstaat nicht als sinnvoll für eine Umsetzung in Österreich befinden, ersuchen wir um Begründung weshalb nicht.
4) Haben Sie seit Erscheinen des Tätigkeitsberichts 2023 des Fairness-Büros im März 2024 Gespräche mit dem Leiter des Fairness-Büros geführt, um die im Bericht genannten Anregungen für das FWBG zu erörtern?
a. Falls ja, ersuchen wir um Auflistung der Gesprächstermine inklusive Nennung der Gesprächsschwerpunkte, der vereinbarten nächsten Schritte je Anregung hinsichtlich einer Umsetzung, und ob Sie persönlich, Mitarbeiter:innen Ihres Kabinetts, und/oder Mitarbeiter:innen der relevanten Sektion bei den Gesprächen anwesend waren.
b. Falls nein, ersuchen wir um Begründung weshalb dies nicht der Fall war.
5) Haben Sie oder Mitarbeiter:innen Ihres Hauses seit Erscheinen des Berichts der BWB über die Branchenuntersuchung Lebensmittel im November 2023 direkte Gespräche mit Vertreter:innen der BWB geführt, um die im Bericht genannten Wettbewerblichen Empfehlungen zu erörtern?
a. Falls ja, ersuchen wir um Auflistung der Gesprächstermine inklusive Nennung der Gesprächsschwerpunkte, der vereinbarten nächsten Schritte je Empfehlung hinsichtlich einer Umsetzung, sowie ob Sie persönlich, Mitarbeiter:innen Ihres Kabinetts, und/oder Mitarbeiter:innen der relevanten Sektion bei den Gesprächen anwesend waren.
b. Falls nein, ersuchen wir um Begründung weshalb dies nicht der Fall war.
6) Haben Sie seit Erscheinen des Berichts der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Verbots unlauterer Handelspraktiken (COOM(2024) 176 final) im April 2024 mit den Mitgliedsstaaten, deren über das EU-Recht hinausgehende Regelungen Sie laut Antwort auf Frage 3 für eine Umsetzung in Österreich als sinnvoll befinden, Kontakt zum Zwecke des Erfahrungsaustauschs aufgenommen?
a. Falls ja, ersuchen wir um Auflistung der Gesprächstermine inklusive der Nennung des jeweiligen EU-Mitgliedsstaats, der Gesprächsschwerpunkte sowie ob Sie persönlich, Mitarbeiter:innen Ihres Kabinetts, und/oder Mitarbeiter:innen der relevanten Sektion bei den Gesprächen anwesend waren.
b. Falls nein, ersuchen wir um Begründung weshalb dies nicht der Fall war.
7) Haben Sie oder Mitarbeiter:innen Ihres Hauses im Zeitraum seit November 2023 Gespräche mit dem für das FWBG zuständigen Bundesminister Kocher bzw. Mitarbeiter:innen des BMAW geführt, mit dem Ziel einer Novellierung des FWBG?
a. Falls ja, ersuchen wir um Auflistung der Gesprächstermine inklusive Nennung der Gesprächsschwerpunkte, der vereinbarten nächsten Schritte hinsichtlich einer Novellierung des FWBG, sowie ob Sie persönlich, Mitarbeiter:innen Ihres Kabinetts, und/oder Mitarbeiter:innen der relevanten Sektion bei den Gesprächen anwesend waren.
b. Falls nein, ersuchen wir um Begründung weshalb dies nicht der Fall war.
8) Ist die seit Jänner 2024 bestehende Tätigkeit des derzeitigen Leiters des Fairness-Büros Dr. Abentung als Generalsekretär des BML Ihrer Ansicht nach mit dem § 5e Abs. 2 des FWBG („Der Leiter [… ] dürfen für die Dauer ihrer Funktion keine weiteren Tätigkeiten ausüben, die sie an der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern oder die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen oder sonst wesentliche Interessen ihrer Funktion zu gefährden.“) zu vereinbaren?
a. Falls ja, bitte um Begründung und Erläuterung, inwiefern sichergestellt ist, dass die vollen zeitlichen Ressourcen für die Tätigkeit als Leiter des Fairnessbüros zur Verfügung stehen.
b. Falls ja, bitte um Begründung und Erläuterung, inwiefern die Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit von Dr. Abentung in seiner Funktion als Leiter des Fairnessbüros gewährleistet wird.
c. Falls ja, bitte um Begründung und Erläuterung, wie sichergestellt ist, dass aus der Doppelfunktion auch keine Zweifel an der Unbefangenheit entstehen.
d. Falls ja, bitte um Begründung und Erläuterung, inwiefern die gesetzlich vorgesehene Anonymität und Vertraulichkeit für die Beschwerdeführer:innen trotz der Doppelfunktion von Dr. Abentung gewährleistet ist.
e. Falls nein, bitte um Begründung und Erläuterung, weshalb Dr. Abentung zusätzlich zur Funktion des Leiters des Fairnessbüros mit der Funktion des Generalsekretärs des BML betraut wurde.
9) Bezieht Dr. Abentung das volle jeweilige Gehalt sowohl in seiner Funktion als Leiter des Fairness-Büros als auch in seiner Funktion als Generalsekretär?
a. Falls ja, bitte um Begründung und Erläuterung aus welcher Rechtslage sich dieser Bezug ergibt.
b. Falls nein, bitte um Begründung und Erläuterung warum dem so ist.