3917/J XXVIII. GP
Eingelangt am 14.11.2025
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Anfrage
der Abgeordneten Ralph Schallmeiner, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
betreffend strukturelle Mängel in der Akutversorgung und fehlende gesamtösterreichische Planung im Gesundheitswesen
In den vergangenen Tagen wurde durch mehrere tragische Ereignisse einmal mehr deutlich, dass das österreichische Gesundheitswesen mit massiven strukturellen Problemen zu kämpfen hat.
Ein 19-jähriger Patient in der Steiermark starb, nachdem der Notarzt erst über 40 Minuten nach der Alarmierung am Einsatzort eintraf. Im Kepler Universitätsklinikum Linz müssen ab November monatlich rund 150 planbare Operationen abgesagt werden, weil Anästhesist:innen und Pflegekräfte fehlen. Eine 55-jährige Mühlviertlerin, die mit einem akuten Aorteneinriss im Krankenhaus Rohrbach eingeliefert wurde, konnte von keinem der angefragten Spitäler in Oberösterreich oder Niederösterreich übernommen werden und verstarb, nachdem die Salzburger Landeskliniken ihre Aufnahmebereitschaft signalisiert hatten, die Patientin jedoch nicht mehr transportfähig war. Und aktuell wurde ein weiterer, ähnlich gelagerter Fall aus Salzburg bekannt: Ein 79-jähriger Mann mit einem bekannten Aortenaneurysma erlitt im März dieses Jahres eine Aortenruptur und wurde im Landeskrankenhaus Salzburg notfallmäßig aufgenommen. Da das dortige Operationsteam zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem anderen Notfall beschäftigt war und offenbar kein zweites Team verfügbar war, musste der Patient stundenlang auf eine Operation warten. Eine Verlegung in andere Spitäler scheiterte laut Medienberichten an fehlenden Kapazitäten. Erst nach über vier Stunden wurde der Mann per Hubschrauber nach Linz überstellt, wo er in der Schleuse auf dem Weg in den Operationssaal verstarb. Der Anwalt der Hinterbliebenen wirft den Salzburger Landeskliniken ein Organisationsversagen vor, da zwar ein zweiter OP-Saal verfügbar gewesen sei, es jedoch „keine Leute“ gegeben habe.
Diese vier Fälle zeigen exemplarisch, wie sehr das österreichische Gesundheitssystem unter zersplitterten Zuständigkeiten, fehlender Personalplanung und mangelnder überregionaler Koordination leidet. Während die Länder ihre Kompetenzen eifersüchtig verteidigen, gerät die Versorgungssicherheit für Patient:innen zunehmend unter Druck.
Die aktuellen Fälle machen in aller Deutlichkeit sichtbar, dass unser Gesundheitswesen an den Grenzen seiner Belastbarkeit steht. Die Ursachen liegen nicht allein im Fachkräftemangel, sondern in einem seit Jahren ungelösten Strukturproblem: einem föderal zersplitterten System ohne klare Gesamtverantwortung.
Patient:innen in Not dürfen nicht Opfer politischer Zuständigkeitsgrenzen werden. Österreich braucht endlich eine bundesweit abgestimmte Gesundheitsplanung, eine Reform des Sanitätergesetzes nach internationalen Standards und ein Ende des gegenseitigen Blockierens zwischen Bund und Ländern. Nur so kann sichergestellt werden, dass Menschen unabhängig von ihrem Wohnort rasch und sicher medizinisch versorgt werden.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1. Liegen dem Bundesministerium detaillierte Informationen über die vier genannten Vorfälle (Notarztfall Steiermark, abgewiesene Patientin Rohrbach, verschobene Operationen, Aortenruptur-Fall Salzburg) vor? Insbesondere betreffend den Ablauf und die Klärung von Verantwortung und Learnings aus den Vorfällen?
a) Wenn ja, welche? (Bitte nach Fall aufschlüsseln.)
2. Wurden diese Fälle vom Ministerium bereits hinsichtlich ihrer systemischen Ursachen analysiert?
a) Wenn ja, mit welchem Ergebnis?
b) Wenn nein, warum nicht?
3. Welche unmittelbaren Maßnahmen werden seitens des Ministeriums gesetzt, um derartige tragische Versorgungslücken künftig zu verhindern?
4. Sieht das Ministerium in den genannten Fällen ein Versagen oder zumindest eine Überforderung der föderalen Zuständigkeitsstruktur im österreichischen Gesundheitswesen?
5. Sieht das Ministerium die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung der Spitäler über die Ländergrenzen hinweg?
a) Wenn ja, welche Schritte wurden diesbezüglich schon unternommen?
b) Wenn nein, warum nicht?
6. Bei zumindest jenem Vorfall, bei dem die 55-jährige Rohrbacherin verstorben ist, scheint es zu Verzögerungen gekommen zu sein, weil zuerst das engagierte Team des KH Rohrbach die anderen Spitäler durchtelefonieren musste. Liegen Ihrem Haus Informationen vor, warum es keine innerhalb des Bundeslandes funktionierende Datenbank im EDV-System gibt, welche freie Kapazitäten aufzeigt und so eine rasche zielgerichtete Versorgung ermöglichen würde?
7. Teilt das Ministerium die Einschätzung, dass es an einer österreichweiten, einheitlichen Gesundheitsplanung fehlt, die Spitalskapazitäten, Rettungsnetz, Personalressourcen und Versorgungsaufträge koordiniert?
a) Wenn ja, welche konkreten Schritte plant das Ministerium, um eine solche Planung umzusetzen?
8. Sieht das Ministerium die aktuelle präklinische Versorgung als ausreichend an?
a) Wenn nein, sehen Sie die Notwendigkeit einer professionalisierten Ausbildung im präklinischen Bereich, wie sie bereits in den Nachbarstaaten Österreichs besteht?
9. Welche Maßnahmen wurden in den vergangenen drei Jahren gesetzt, um die präklinische Versorgung – insbesondere durch Notfallsanitäter:innen – zukünftig zu stärken und Notarztabhängigkeiten zu verringern? Wo steht Ihr Haus aktuell in dieser Frage?
10. Wann ist mit einer Reform des Sanitätergesetzes (SanG) zu rechnen und welche Eckpunkte sind derzeit in Diskussion?
11. Welche Maßnahmen plant das Ministerium, um künftig sicherzustellen, dass Notfallpatient:innen bei überregionalen Engpässen schnellstmöglich und unabhängig von Landesgrenzen versorgt werden können?
12. Sehen Sie die Notwendigkeit eines österreichweiten Online-Systems, in dem die Kapazitäten und der Bereitschaftsgrad aller Kliniken permanent und minutenaktuell einsehbar sind?
13. Sieht das Ministerium die bestehende föderale Kompetenzverteilung im Gesundheitswesen als hinderlich für eine krisenfeste, gleichwertige Versorgung in allen Regionen Österreichs?
14. Plant das Ministerium Initiativen zur Überführung der gesamtverantwortlichen Gesundheitsplanung in Bundeskompetenz?
a) Wenn ja, wann ist mit ersten konkreten Ergebnissen zu rechnen?