650/J XXVIII. GP
Eingelangt am 27.02.2025
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Anfrage
der Abgeordneten Nina Tomaselli, Agnes Sirkka-Prammer, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend: Warum hält sich die Republik nicht an Sebastian Kurz, der ÖVP und weiteren Beschuldigten in der ÖVP-Inseratenaffäre schadlos?
Im Oktober 2021 wurde eine Razzia im Bundeskanzleramt, in der Parteizentrale der Österreichischen Volkspartei (in der Folge ÖVP), bei der Tageszeitung Österreich und zig weiteren Stellen durchgeführt. Damit wurde bekannt, dass Sebastian Kurz und sein Machtzirkel mittels Inseraten und manipulierten Umfragen nicht nur die gesamte Republik, sondern auch die eigene Partei getäuscht haben sollen.
Seither ermittelt die WKStA unter dem AZ 17 St 5/19d in Zusammenhang mit der Beauftragung von Studien und der Vergabe von Inseraten unter anderem gegen Johannes Pasquali, Thomas Schmid, Sebastian Kurz, Stefan Steiner, Gerald Fleischmann, Johannes Frischmann, Wolfgang Fellner und Helmut Fellner, Sophie Karmasin, Sabine Beinschab, die ÖVP Bundespartei sowie die Mediengruppe „Österreich“ GmbH und die oe24 GmbH wegen Untreue gemäß § 153 Abs. 1 und 3 StGB, Bestechlichkeit gemäß § 304 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie Bestechung gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, teils in unterschiedlichen Beteiligungsformen.[1]
Im Oktober 2024 veröffentlichte die Wochenzeitung Der Falter den Privatbeteiligtenanschluss der Finanzprokuratur in der Strafsache gegen Thomas Schmid. Die Republik schloss sich dem Strafverfahren als Geschädigte an und forderte Schadenersatz von den Beteiligten. Was kritisch ins Auge fiel: Die Finanzprokuratur wollte sich zwar an Thomas Schmid, am ehemaligen Mitarbeiter im Finanzministerium Johannes Pasquali sowie an Sabine Beinschab iHv insgesamt rund 3 Mio. Euro schadlos halten, aber nicht an Sebastian Kurz sowie seinen Vertrauten Frischmann und Fleischmann. Die Ex-Ministerin Karmasin ist ebenso wenig erwähnt wie die ÖVP, gegen die als Verband ermittelt wird.[2]
Im ZiB2-Studio in der Sendung vom 29.10.2024 wurde der Leiter der Finanzprokuratur, Wolfang Peschorn mit diesen Vorgängen konfrontiert. Auch wurde die Frage gestellt, warum die Finanzprokuratur nicht auch Gelder von den im Verfahren erwähnten Medienmanagern hole. Eine juristisch schlüssige Antwort blieb Peschorn jedenfalls schuldig.[3] Als gesichert gilt jedenfalls, sollte sich die Republik noch an weiteren Beschuldigten schadlos halten wollen, ist damit im Strafverfahren kein Kostenrisiko verbunden.
Seitens der Finanzprokuratur wurden Vorwürfe, wonach man ÖVP-Beschuldigte nicht verärgern oder gar schonen wolle, dementiert. Es hieß, man werde das Ermittlungsverfahren weiter beobachten. Kämen Beweismittel hervor bzw. würden sich weitere Verdächtigungen „materialisieren“, würde man nicht zögern, auch gegen diese Personen Ansprüche geltend zu machen und sich auch gegen diese Personen dem Verfahren anzuschließen.[4]
Am 21. Oktober 2024 erschien eine Studie von Wissenschafter:innen der Universität Wien und der Universität Freiburg, wonach im Zuge der Inseratenaffäre die Berichterstattung erfolgreich zugunsten von Sebastian Kurz beeinflusst worden war. Kurz wurde häufiger in den untersuchten Medien erwähnt, Konkurrent:innen negativer dargestellt.[5]
Am 28. November 2024 wurde bekannt, dass Thomas Schmid der Kronzeugenstatus zuerkannt wurde.[6] Die Justiz misst also dem reumütigen Geständnis von Schmid einen hohen Wahrheitsgehalt zu. Und in diesem Geständnis belastete Schmid die oben angeführten weiteren Beschuldigten aus ÖVP-Kreisen schwer.
Vor diesem Hintergrund stellen die unterzeichnenden Abgeordneten folgende
1. Waren Sie oder Ihr Vorgänger mit der Frage befasst, ob – und wenn ja, gegen welche Beschuldigten – sich die Republik Österreich wegen der rechtswidrigen Verwendung von Mitteln des BMF als Privatbeteiligte dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zur sogenannten „Inseratenaffäre“ (17 St 5/19d; in der Folge „Verfahren“ genannt) anschließen soll?
1.1 Falls ja, welche Informationen aus welchen Quellen sind Ihnen dazu zugeflossen?
1.2 Falls nein, welche Schritte haben Sie oder Ihr Vorgänger gesetzt, um die entscheidungsnotwendigen Informationen zu erhalten?
2. Haben Sie, Ihr Vorgänger oder die jeweiligen Ministerbüros Besprechungen zur Frage geführt, ob und gegen wen sich die Republik Österreich dem Verfahren als Privatbeteiligte anschließen soll?
2.1. Falls ja, wer nahm wann an diesen Besprechungen in welcher Funktion teil, welche Informationen standen Ihnen dabei zur Verfügung, welcher Inhalt wurde besprochen und welche konkreten Schlussfolgerungen wurden bezüglich der einzelnen beschuldigten Personen und Verbände gezogen?
2.2. Falls nein, auf welchem anderen Wege wurden die entsprechenden Entscheidungen vorbereitet?
3. Haben Sie, Ihr Vorgänger oder Bedienstete Ihres Hauses Aufträge oder Weisungen bezüglich des Privatbeteiligtenanschlusses der Republik Österreich im Verfahren gegeben?
3.1. Falls ja, konkretisieren Sie bitte, an wen diese Weisungen gingen und was der genaue Inhalt war.
3.2. Falls nein, warum nicht?
4. Haben Sie oder Ihr Vorgänger den Auftrag erteilt, die Finanzprokuratur möge die Erklärung zum Privatbeteiligtenanschluss im Verfahren nur bezüglich einzelner Beschuldigter abgeben?
4.1. Falls ja, warum?
5. Haben Sie oder Ihr Vorgänger den Auftrag erteilt, die Finanzprokuratur möge die Erklärung zum Privatbeteiligtenanschluss im Verfahren bezüglich aller Beschuldigten abgeben?
5.1. Falls nein, warum nicht?
6. Haben Sie, Ihr Vorgänger, die jeweiligen Ministerbüros oder Abteilungen des Bundesministeriums Studien, Gutachten oder Empfehlungen externer Expert:innen zur Frage eingeholt, gegen wen sich die Republik im Verfahren als Privatbeteiligte anschließen soll?
6.1. Falls ja, welche und zu welchem Ergebnis kamen diese?
6.2. Falls ja, werden Sie den Inhalt veröffentlichen?
6.3. Falls nein, warum nicht?
7. Haben Sie, Ihr Vorgänger, die jeweiligen Ministerbüros oder Abteilungen des Bundesministeriums Studien, Gutachten oder Empfehlungen externer Expert:innen zur Frage eingeholt, wie die Republik Österreich bzw. das BMF bestmöglich seine zivilrechtlichen Ansprüche im Verfahren geltend machen kann?
7.1. Wenn ja, welche und zu welchem Ergebnis kamen diese?
7.2. Wenn ja, werden Sie den Inhalt veröffentlichen?
7.2.1. Falls nein, warum nicht?
8. Ist Ihnen bekannt, ob seitens der Finanzprokuratur Gutachten zum Verfahren und/oder Kostenschätzungen erstellt wurden?
8.1. Wenn ja, welche und mit welchem Ergebnis?
8.2. Wenn ja, werden Sie den Inhalt veröffentlichen?
9. Hat die Finanzprokuratur Ihnen, Ihren Vorgängern oder den jeweiligen Ministerbüros Empfehlungen und Einschätzungen übermittelt, ob und gegen wen sich die Republik Österreich als Privatbeteiligte im Verfahren anschließen soll?
9.1. Falls ja, welche Empfehlungen wurden darin ausgesprochen?
10. Haben Sie oder Ihre Vorgänger mit dem Leiter der Finanzprokuratur zur Frage des Privatbeteiligtenanschlusses im oben genannten Verfahren Kontakt gehabt?
11. Hat die Finanzprokuratur im Verfahren inzwischen weitere Erklärungen abgegeben, wonach sich die Republik Österreich – außer, wie medial bekannt, gegen Thomas Schmid, Johannes Pasquali und Sabine Beinschab – gegen weitere Beschuldigte (u.a. gegen Sebastian Kurz, die Österreichische Volkspartei oder weitere Beschuldigte aus dem Kreis der ÖVP) als Privatbeteiligte anschließt?
11.1. Wenn ja, gegen wen und in welcher Höhe?
11.2. Wenn nein, warum nicht?
12. Welche sonstigen Weisungen oder Aufträge haben Sie, Ihr Vorgänger oder Ihr Haus bezüglich des Verfahrens, insbesondere im Zusammenhang mit verfahrensleitenden Anträgen, an die Finanzprokuratur erteilt?
13. Werden Sie den Auftrag erteilen, die Finanzprokuratur möge sich im Namen des Bundes in der Inseratenaffäre gegen weitere Beschuldigte als Privatbeteiligte anschließen?
13.1. Wenn ja, wann und unter welchen Voraussetzungen und gegen wen?
13.2. Wenn nein, warum nicht?
14. Liegen Ihnen rechtliche Einschätzungen dazu vor, ob das beschriebene Vorgehen der Finanzprokuratur, nämlich nicht gegen weitere Beschuldigte im Verfahren den Privatbeteiligtenanschluss zu erklären, den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bzw. den Pflichten gem. § 4 Abs. 6 Finanzprokuraturgesetz entspricht?
14.1. Falls ja, wie lautet die Begründung?
15. Werden Sie der Finanzprokuratur den Auftrag erteilen, die Ermittlungsergebnisse im Verfahren neuerlich zu prüfen, insbesondere dahingehend, ob sich weitere Verdachtslagen seit Herbst 2024 erhärtet haben, und dies in regelmäßigen Abständen zu wiederholen?
15.1. Falls ja, werden Sie sich die Ergebnisse dieser Prüfung berichten lassen und sie unter Wahrung datenschutzrechtlicher und medienrechtlicher Grundsätze veröffentlichen?
i. Wenn ja, bis wann?
ii. Wenn nein, warum nicht?
15.2. Wenn nein, warum nicht?
16. Haben Sie, Ihr Vorgänger, die jeweiligen Ministerbüros oder andere Angehörige des Bundesministeriums zur Frage, ob sich die Republik Österreich gegen weitere Beschuldigte als Privatbeteiligte anschließen soll, Gespräche mit Vertreter:innen der ÖVP geführt?
16.1. Wenn ja, wann und mit wem?
17. Haben sich Vertreter:innen der ÖVP an Sie, Ihren Vorgänger oder die jeweiligen Ministerbüros zur Frage des Privatbeteiligtenanschlusses gewandt?
17.1. Falls ja, wer und wann?
18. Werden Sie im Sinne der Transparenz die unter Ihren beiden Vorgängern durchgeführte interne Prüfung von Vergaben bezüglich Inseraten und Studien im BMF ab 2015 vollständig veröffentlichen?
18.1. Falls ja, wann?
18.2. Wenn nein, warum nicht?
19. Wie groß ist der im Zuge der
sog. „Inseratenaffäre“ verursachte (geschätzte) Schaden
für Ihr Ressort bzw. den Bund nach Ihrem aktuellen Kenntnisstand?
20. Gegen wie viele weitere an der Inseratenaffäre beteiligte Mitarbeiter im Finanzministerium wurden neben Johannes Pasquali dienstrechtliche Schritte eingeleitet?
21. Gegen wie viele weitere an der Inseratenaffäre beteiligte Mitarbeiter im Finanzministerium neben Johannes Pasquali wurde die Einleitung dienstrechtlicher Schritte geprüft, aber dann als Ergebnis der Prüfung nicht durchgeführt?
[1] Bericht des Untersuchungsausschusses betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss) (4/US) (1996 d.B.), S. 52
[2] Der Falter, Inseratenaffäre: Schützt Finanzprokuratur-Chef Wolfgang Peschorn die ÖVP? Ausgabe 42/2024
[3] https://www.falter.at/maily/20241030/warum-werden-sebastian-kurz-die-oevp-und-wolfgang-fellner-geschont
[4] Ö1 Mittagsjournal 12:00 - Erwartungen an eine neue Regierung - Interview mit Finanzprokuratur-Chef Wolfgang Peschorn, 31.12.2024
[5] Balluff, P., Eberl, J.-M., Oberhänsli, S. J., Bernhard, J., Boomgaarden, H. G., Fahr, A., und M. Huber (2024): The Austrian Political Advertisement Scandal: Patterns of "Journalism for Sale". The International Journal of Press/Politics.
[6] Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Verfahrenskomplex CASAG: Kronzeugenstatus zuerkannt: https://www.justiz.gv.at/wksta/wirtschafts-und-korruptionsstaatsanwaltschaft/medienstelle/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2024/verfahrenskomplex-casag-kronzeugenstatus-zuerkannt.f4c.de.html