710/J XXVIII. GP

Eingelangt am 25.03.2025
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Agnes-Sirkka Prammer, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Ankündigung Stopp Familiennachzug

BEGRÜNDUNG

 

Im aktuellen Regierungsprogramm heißt es im Kapitel Asyl/Migration:

Familiennachzug wird mit sofortiger Wirkung vorübergehend und im Einklang mit Art. 8 EMRK gestoppt.“

Anlässlich des TV-Antrittsinterviews der neuen Bundesregierung im ORF am 3. März bekräftigte Bundeskanzler Stocker diese Forderung aus dem Regierungsprogramm. Der Familiennachzug solle „mit sofortiger Wirkung“ gestoppt werden. Und weiter: „Dafür werde ich kämpfen.“

Am 4.3 verschickte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) einen Brief über die diesbezüglichen Pläne an die EU-Kommission. Die APA, der der Brief vorliegt, zitiert daraus wie folgt:

"Der Familiennachzug von schutzberechtigten Personen stellt für Österreich eine sehr große Herausforderung dar", beginnt Karners Brief an die EU-Kommission. "Für die Bewältigung dieser Thematik ist es daher dringend erforderlich, weitere notwendige Schritte zu setzen." Insbesondere durch den Zuzug von Menschen aus Syrien und Afghanistan seien in Österreich die "Systeme ausgelastet bzw. haben die Kapazitätsgrenzen weit überschritten", so der Innenminister.

Gefährdet sieht Karner in seinem Brief auch die "Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des österreichischen Staates und seiner wichtigsten öffentlichen Dienste", allen voran den Bildungsbereich. Mangelhafte Bildung in gewissen Bereichen führe zudem zu geringeren Perspektiven und in weiterer Folge "zu Auswirkungen in den Bereichen öffentliche Sicherheit, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und beeinträchtigt damit den Wohlstand und die sozialstaatlichen Strukturen".

"Wir werden den Familiennachzug stoppen"

"Aus diesen Gründen sehe ich mich veranlasst, den dringend gebotenen Schritt zu setzen, den weiteren Zuzug im Rahmen des Familiennachzugs zu Personen mit internationalem Schutzstatus zu stoppen", folgert Karner. Der Begriff der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit umfasse "im Licht der bisherigen Rechtsprechung jedes nichtwirtschaftliche Grundinteresse einer Gemeinschaft und ist daher weiter zu verstehen als die Sicherheitsinteressen eines Staates".[1]

Umgesetzt werden sollte der Stopp des Familiennachzugs per Verordnung. Wann konkret in Österreich mit einer diesbezüglichen Verordnung zu rechnen ist, ist unklar, nachdem eine Vielzahl von Rechtsexpert:innen die verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Voraussetzungen dafür bezweifelten oder überhaupt in Abrede stellten. Es fehle sowohl an einer innerstaatlichen Verordnungsermächtigung, an einem Notstand im Sinne der EU-Notstandsklausel sowie an einer hinreichenden Güterabwägung, die bei einem absoluten Stopp schlicht nicht möglich wäre.

Schlussendlich einigten sich die Koalitionsparteien anlässlich des Ministerrats am 12. März 2025 darauf, die „nationalrechtlichen Regelungen an[zu]passen, um den Familiennachzug mit sofortiger Wirkung vorübergehend zu stoppen“. Unter anderem sollen in einem „Integrationsbarometer“ Daten mehrerer Behörden gesammelt werden, die in weiterer Folge eine Reglementierung des Familiennachzug ermöglichen sollen.

Das alles erweckt den Eindruck, als würde es dem wiederbestellten Innenminister gar nicht darum gehen, die ohnehin kaum mehr gestellten Neuanträge im Bereich der Familienzusammenführung rasch zu verunmöglichen, sondern vielmehr darum, die rund 400.000 Stimmen, die bei der letzten Nationalratswahl von der ÖVP zur FPÖ gewandert sind, mit populistischen Ansagen wieder zurückzugewinnen.

Dabei wird wieder einmal Politik auf Kosten der Schutzsuchenden gemacht. Viel zu kurz kommt in diesem Zusammenhang, dass der Familiennachzug die einzige verbleibende reguläre Möglichkeit für Schutzberechtigte darstellt, ihre Angehörigen regulär nach Österreich zu holen. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Präambel zum „konsequenten Kampf gegen illegale Migration“ bekannt. An mehreren Stellen wird ein „Stopp der irregulären Migration“ gefordert. Die aktuelle Politik der ÖVP unter Duldung der SPÖ und der Neos führt dazu, dass diese Maßnahmen konterkariert werden und Frauen und Kinder sich veranlasst sehen könnten, mit Hilfe von kriminellen Schleppern, gefährliche und unsichere Wege auf sich zu nehmen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Auf Basis welcher innerstaatlichen Rechtsgrundlage soll die Verordnung zur Aussetzung des Familiennachzugs erlassen werden?

2.    Soll insbesondere die Verordnungsermächtigung gemäß § 36 AsylG hier als taugliche Rechtsgrundlage herangezogen werden, beziehungsweise wie soll eine entsprechende Verordnungsermächtigung gesetzlich ausgestattet werden?

3.    Wann ist mit einer entsprechenden Verordnung zu rechnen?

4.    Wie soll sich die geplante Verordnung auf bereits laufende Familienzusammenführungsverfahren auswirken?

5.    Wie haben Sie gegenüber der EU-Kommission die geplante Anwendung der EU-Notfallklausel gerechtfertigt?

6.    Beschränken sich ihre Äußerungen gegenüber der Kommission auf den in der Begründung zitierten Brief vom 4. März 2025?

7.    Wurde die im Brief vom 4. März 2025 erwähnte Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen des österreichischen Staates und seiner wichtigsten öffentlichen Dienste gegenüber der EU-Kommission konkretisiert? Wenn ja, wie?

8.    Welche Einrichtungen des österreichischen Staates sehen Sie aufgrund des aktuellen Zuzugs von Menschen, neben dem besagten Bildungsbereich, noch gefährdet?

9.    Wurden die im Brief vom 4. März 2025 erwähnten negativen Auswirkungen in den Bereichen öffentliche Sicherheit, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Wohlstands und der sozialstaatlichen Strukturen durch mangelhafte Bildung (in weiterer Folge) gegenüber der EU-Kommission näher begründet?

10. Wurde gegenüber der EU-Kommission dargelegt, warum insbesondere keine gelinderen Mittel zum Stopp des Familiennachzugs zur Anwendung gelangen können (Verteilung der Schutzberechtigten auf das gesamte Bundesgebiet, Entzerrung der Ankünfte im Rahmen des Familiennachzugs)?

11. Hat die EU-Kommission auf Ihr Schreiben vom 4. März 2025 inhaltlich geantwortet und wenn ja, wie lautet die Rückmeldung/die Rückmeldungen?

12. Gab es über das Schreiben vom 4. März 2025 hinaus eine Besprechung zwischen Ihnen bzw. Mitarbeiter:innen Ihres Hauses und der EU-Kommission, bei der die Notwendigkeit des Stopps des Familiennachzuges zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit näher erläutert wurden? Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

13. Unterstützt der für Inneres und Migration zuständige EU-Kommissar Magnus Brunner Ihre Bestrebungen hinsichtlich des Aussetzens des Familiennachzugs und sieht er den geplanten Stopp mit dem EU-Recht vereinbar?

14. Inwiefern sehen Sie den generellen Stopp des Familiennachzugs im Einklang mit Artikel 8 EMRK sowie mit der UN-Kinderrechtskonvention?

15. Wie gedenken Sie sicherzustellen, dass Schutzberechtigte in Österreich eine realistische Möglichkeit haben, Ihr Recht auf Familienleben auszuüben?

16.   Wie viele Anträge gem § 35 AsylG wurden im Jahr 2024 gestellt? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Botschaft pro Monat und Kategorie Familienangehöriger von Asylberechtigtem/Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigtem

17. Wie viele positive Wahrscheinlichkeitsprognosen wurden vom BFA erteilt? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Botschaft pro Monat 2024.

18. In wie vielen Fällen wurde eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose vom BFA erteilt? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Botschaft pro Monat 2024.

19. In wie vielen Fällen brachten die Antragsteller eine DNA-Analyse in das Verfahren ein? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat. In der AB 18707 XXVII GP wurde ausgeführt, dass derartige Statistiken nicht geführt werden. Gleichzeitig hat aber der Herr Innenminister angeführt, dass die Zahl der DNA-Tests massiv gesteigert werden sollen (13.05.2024) und dass dies auch gelungen sei. Auf welcher Datengrundlage wurde diese Behauptung erhoben. Bitte um Auswertung dieser Daten für den Zeitraum 2024.

20. In wie vielen Fällen gab es einen Verdacht auf gefälschte oder verfälschte Dokumente? In wie vielen Fällen gab es den Verdacht auf Vorliegen eines echten, aber unrichtigen Dokuments? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit, Botschaft und Monat 2024.
a. Betraf das in allen Fällen Dokumente im Rahmen eines Familienverfahrens gem § 35 AsylG?
b. In wie vielen Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen der Vorlage eines gefälschten Dokuments 2024 eingeleitet?

21. Wie viele Asylanträge infolge Einreisegestattungen wurden 2024 gestellt? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat.

22. Entscheidungen
a) Wie viele Asylanträge infolge Einreisegestattung wurden 2024 positiv (Asyl) beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
b) Wie viele Asylanträge infolge Einreisegestattung wurden 2024 mit der Gewährung von subsidiärem Schutz beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
c) Wie viele Asylanträge infolge Einreisegestattung wurden 2024 ab- bzw zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
d) Wie viele Asylanträge von nachgeborenen Kindern wurden 2024 positiv (Asyl) beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
e) Wie viele Asylanträge von nachgeborenen Kindern wurden 2024 mit der Gewährung von subsidiärem Schutz beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
f) Wie viele Asylanträge von nachgeborenen Kindern wurden 2024 ab- bzw zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
g) Wie viele Asylanträge von Mehrfachantragsteller:innen wurden 2024 positiv (Asyl) beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
h) Wie viele Asylanträge von Mehrfachantragsteller:innen wurden 2024 mit der Gewährung von subsidiärem Schutz beschieden? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz.
i) Wie viele Asylanträge von Mehrfachantragsteller:innen wurden 2024 ab- bzw zurückgewiesen? Bitte um Aufschlüsselung nach Staatsangehörigkeit und Monat und Instanz

23. Wie lange dauert es durchschnittlich von Einreiseantrag bis tatsächlicher Einreise/Asylantragstellung? Bitte um Aufschlüsselung für das Jahr 2024.

24. Wie viele Anträge auf Einreisegestattung und Einreisegestattungen wurden nach Organisationseinheit gestellt bzw ausgestellt? Bitte um Auflistung nach Organisationseinheit (Regionaldirektion).
            a) Bitte um Auflistung je nach Altersgruppen und Geschlecht pro Monat.

25. Wie viele Anträge gern § 35 AsylG waren zum Zeitpunkt des Ersten jeden Monats 2024 jeweils anhängig? Bitte um Auflistung nach Botschaft.

26. Wie viele Verfahren wurden infolge des angekündigten Stopps bzw. Neuüberprüfung im Frühjahr 2024 überprüft?
- in wie vielen Fällen wurde eine ursprünglich positive Mitteilung umgewandelt in eine negative Mitteilung?
- Ist diese Überprüfung abgeschlossen? Wenn nein, wann wird diese abgeschlossen sein?

27. In wie vielen Fällen wurde die Rückerstattung der Kosten für die DNA-Tests 2024 beantragt? Bitte um eine Aufschlüsselung nach Monat.

28. In wie vielen Fällen wurden die Kosten für die DNA-Tests 2024 erstattet? Wie hoch war hier der Gesamtaufwand für die Republik? Bitte um eine Aufschlüsselung nach Monat.

29. Wie viele positive Wahrscheinlichkeitsprognosen wurden seit dem medial angekündigten Stopp erteilt? Bitte um Auflistung nach Botschaft und Staatsangehörigkeit.

30. Wie viele Einreiseanträge sind zum Zeitpunkt 1.1.2025 anhängig? Bitte um Auflistung nach Herkunftsland.

31. Wie viele tatsächliche Einreisen sind 2024 infolge Einreisegestattung tatsächlich erfolgt? Bitte um Auflistung nach Altersgruppe, Geschlecht, Monat der Einreise und Nationalität.

32. Wie viele Anträge afghanischer Frauen und Mädchen hat es bis zum Beantwortungszeitpunkt seit 01.01.2024 in Österreich gegeben? Bitte um Aufschlüsselung nach Monat und Altersgruppe

33. Wie viele Entscheidungen bezüglich afghanischer Frauen und Mädchen hat es in Österreich seit 2015 gegeben? Bitte um Aufschlüsselung pro Monat und Art der Entscheidung (Asyl positiv, subsidiärer Schutz positiv, humanitärer Aufenthaltstitel positiv, humanitärer Aufenthaltstitel negativ, Rückkehrentscheidung zulässig, Duldung, Zurückweisung).

34. Wie viele Abschiebungen afghanischer Frauen hat es in Österreich seit 2015 gegeben? Bitte um Aufschlüsselung nach Jahr und Destination der Abschiebung.

 



[1] APA0260 2025-03-05/13:42