Entwurf

Erläuterungen

I. Allgemeiner Teil

Allgemeines

Cyberflashing, das auch das unaufgeforderte Übermitteln von Genitalbildern im Internet und den sozialen Medien über Dating-Apps, Nachrichten-Apps, per E-Mail oder SMS sowie Mechanismen wie Airdrop oder Bluetooth umfasst, stellt eine spezielle Form der sexuellen Belästigung dar, die durch fremde und bekannte Personen gleichermaßen vorkommen kann (vgl. die Publikation des Europarats Van der Wilk, Protecting Women and Girls from Violence in the Digital Age [2021] 28, 55).

Auf Ebene der Europäischen Union wurde im Jahr 2024 die Richtlinie (EU) 2024/1385 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ABl. L 2024/1358 vom 24. Mai 2024, S. 1ff (in Folge „RL Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“) beschlossen. Diese ist bis 14. Juni 2027 in nationales Recht umzusetzen und verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 7 lit. c, eine vorsätzliche, unaufgeforderte mittels IKT erfolgende Zusendung eines Bildes, eines Videos oder sonstigen vergleichbaren Materials, auf dem Genitalien abgebildet sind, an eine Person unter Strafe zu stellen.

In Österreich ist das unaufgeforderte Zusenden von Fotos entblößter Geschlechtsteile einer erwachsenen Person an eine andere Person derzeit nicht gerichtlich strafbar. Mit dem vorliegenden Entwurf soll das im Regierungsprogramm 2025-2029 (S. 115 und 139) vorgesehene Verbot der Zusendung unerwünschter „dick picsdurch Schaffung eines neuen Straftatbestands im Strafgesetzbuch (StGB) umgesetzt werden. Gleichzeitig soll den Vorgaben des Art. 7 lit. c der RL Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen entsprochen werden.

Kompetenzgrundlage:

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivil- und Strafrechtswesen).

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Der Entwurf dient der Umsetzung von Unionsrecht, nämlich folgender Rechtsakte:

-       Art. 7 lit. c der RL Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

II. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderungen des Strafgesetzbuches)

Zu Z 1 und Z 2 (§ 218 Abs. 1 und Abs. 1a StGB):

Es handelt sich um redaktionelle Anpassungen in Folge der Neufassung des § 218 Abs. 3 StGB (siehe dazu bei Z 4).

Zu Z 3 (§ 218 Abs. 1b StGB):

1. Das unaufgeforderte Zusenden von Aufnahmen entblößter Geschlechtsteile einer Person an eine andere Person kann eine Form der sexuellen Belästigung darstellen, die nicht von den bestehenden Straftatbeständen des § 218 StGB (Sexuelle Belästigung und öffentliche geschlechtliche Handlungen), §§ 111ff StGB (Ehrenbeleidigungsdelikte), § 107a StGB (Beharrliche Verfolgung), § 107c StGB (Fortdauernde Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems), § 120a StGB (Unbefugte Bildaufnahmen) oder des PornoG erfasst wird, weil eine Subsumtion regelmäßig an einem oder mehreren Tatbestandselementen scheitert.

In Umsetzung des Regierungsprogramms 2025-2029 sowie von Art. 7 lit. c der RL Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wird vorgeschlagenen, die unaufgeforderte Übermittlung von Bildaufnahmen von Genitalien strafrechtlich zu sanktionieren. Da damit eine spezielle Form der sexuellen Belästigung adressiert werden soll, scheint es sachgerecht, den neuen Straftatbestand im zehnten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB zu verorten. Konkret ist eine Erweiterung des Straftatbestands der sexuellen Belästigung nach § 218 StGB indiziert.

2. Bei der Frage, wie das Element der Belästigung oder Beeinträchtigung der Empfängerin bzw. des Empfängers der Bildaufnahme durch deren Empfang im Tatbestand festgeschrieben werden kann, bieten die einzelnen Tatbestände des § 218 StGB mehrere Anhaltspunkte. Denkbar wären ein Abstellen auf das „Belästigen“ iSd § 218 Abs. 1 StGB, aber auch auf „Umstände, unter denen dies geeignet ist begründetes Ärgernis zu erregen“ iSd § 218 Abs. 2 StGB (bzw. § 218 Abs. 1 Z 2 StGB) oder auf die Verletzung der Würde iSd § 218 Abs. 1a StGB. Der Entwurf gibt dem Tatbestandsmerkmal des „Belästigens“ aus folgenden Gründen den Vorzug: Zum einen sind es weniger die „Umstände“, die begründetes Ärgernis erregen, sondern die übermittelte Bildaufnahme selbst, zum anderen scheint das Abstellen auf die Verletzung der Würde als objektiver Maßstab iSd der Materialien, Rechtsprechung und Literatur zu § 218 Abs. 1a StGB (vgl. etwa EBRV StRÄG 2015, 689 BlgNR 25. GP, S. 39; Philipp in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 218 Rz 19/9: „Das Opfer [wird] zu einem Objekt, einem bloßen Mittel, herabgewürdigt, das weniger wert ist als andere Menschen“) bei der Übermittlung bzw. dem Empfang einer Bildaufnahme von Genitalien weniger passend – und auch enger – als das Tatbestandselement des Belästigens (siehe dazu im Detail Punkt 4.).

Art. 7 lit. c der RL Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sieht vor, dass die Mitgliedstaaten „die unaufgeforderte, mittels IKT erfolgende Zusendung eines Bildes, eines Videos oder sonstigen vergleichbaren Materials, auf dem Genitalien abgebildet sind, an eine Person, sofern diese Handlungen wahrscheinlich dazu führen, dass der Person schwerer psychischer Schaden zugefügt wird“ unter Strafe stellen. Auch diesen Vorgaben wird durch den vorgeschlagenen neuen Straftatbestand entsprochen. Das für § 218 Abs. 1b StGB vorgeschlagene Erfordernis der Belästigung der Empfängerin bzw. des Empfängers geht über die in Art. 7 lit. c der RL geforderte Wahrscheinlichkeit der Zufügung eines schweren psychischen Schadens aus folgenden Gründen hinaus: Einerseits scheint die Anknüpfung an den Aspekt der Belästigung wie oben ausgeführt sachgerechter; andererseits würde das Kriterium der Wahrscheinlichkeit eines schweren psychischen Schadens Ermittlungs- und Beweisverfahren voraussichtlich verlängern und verkomplizieren, letztlich mit der Gefahr, dass grundsätzlich als strafwürdig zu qualifizierende Verhaltensweisen nicht sanktioniert werden können.

3. Nach dem vorgeschlagenen § 218 Abs. 1b StGB soll strafbar sein, wer eine andere Person belästigt, indem er ihr im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems eine Bildaufnahme von Genitalien unaufgefordert und absichtlich übermittelt.

Dabei erfasst der Begriff der Bildaufnahme wie in § 107c StGB und § 120a StGB sowohl Fotos als auch Videos (vgl. Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 107c [Stand 1.4.2021, rdb.at] Rz 12; Thiele in SbgK, § 107c Rz 26). Auch der Begriff der Genitalien wird bereits in § 120a StGB und § 207a StGB verwendet und bezieht sich auf die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane, also die primären Geschlechtsmerkmale (EvBl 1979/223 = SSt 50/35; EvBl 1979/231; 11 Os 40/88; Philipp in Höpfel/Ratz, WK² StGB [Stand 27.4.2020, rdb.at] § 207a Rz 13). Der Begriff des Übermittelns ist wie in §§ 126a und 126b StGB zu verstehen, wobei im vorliegenden Kontext lediglich eine unaufgeforderte (also nicht von der Empfängerin oder dem Empfänger erbetene) Übermittlung unter bestimmten Umständen strafbar sein soll. Die unaufgeforderte Übermittlung der Bildaufnahme hat im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems erfolgen. Diese bereits in verschiedenen Straftatbeständen (vgl. §§ 107a, 107c, 119 und 208a StGB) enthaltene Wendung umfasst u.a. SMS, MMS, Faxe, E-Mails, Sofortnachrichten (sogenannte „instant messages“, die regelmäßig über Nachrichten-Apps oder auch Dating-Apps ausgetauscht werden), Postings, die Platzierung von Bildaufnahmen auf Webseiten oder Internetplattformen aller Art sowie die Verbreitung durch soziale Netzwerke (vgl. Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 107c [Stand 1.4.2021, rdb.at] Rz 15 mwN). Auch die im Kontext des Cyberflashing durchaus häufigen Übermittlungen über Mechanismen wie Airdrop oder Bluetooth erfolgen unter Verwendung eines Computersystems im Sinne des vorgeschlagenen Tatbestands.

Wie in den Fällen des § 218 Abs. 1 StGB soll es auch bei dem neu vorgeschlagenen Abs. 1b erforderlich sein, dass der Täter bzw. die Täterin jene Person, an die er bzw. sie die Bildaufnahme übermittelt, belästigt. Dies bedeutet, dass die Handlung unerwünscht ist und negative Gefühlsempfindungen von einigem Gewicht erzeugt (vgl. Tipold in Leukauf/Steininger, StGB Update 2020 § 218 [Stand 1.2.2020, rdb.at] Rz 4 mwN). Die betroffene Person erkennt die Handlung des Täters oder der Täterin (auch in ihrer sexuellen Tendenz) und sie führt bei ihr zu einer gewichtigen, negativen Gefühlsempfindung, etwa Schrecken, Ekel oder Ärger (Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 218 [Stand 10.3.2022, rdb.at] Rz 3; Philipp in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 218 [Stand 27.4.2020, rdb.at] Rz 13).

Damit wird auch klargestellt, dass keine Kriminalisierung solcher Fälle erfolgen soll, in denen eine Person zwar nicht zur Übermittlung der Bildaufnahme aufgefordert wurde, jedoch von einem Einverständnis der beteiligten Personen zur Übermittlung bzw. dem Empfang derartiger Bilder auszugehen ist. Dies kann beispielsweise in Beziehungen der Fall sein oder auch bei Teilnahme an Angeboten im Internet, in sozialen Medien oder Apps, die auf den (zulässigen) Empfang oder Austausch von sexuellen Inhalten ausgerichtet sind. Die bloße Präsenz oder Teilnahme auf Kontakt-Portalen zur Partnersuche oder in sogenannten „Dating-Apps“ genügt dabei freilich nicht.

Die Belästigung muss zum Zeitpunkt der Übermittlung eintreten (arg. „indem er … übermittelt“). Eine erst zu einem späteren Zeitpunkt empfundene Belästigung – zB nach dem Beziehungsende – ist nicht tatbestandsmäßig.

4. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite soll darauf abgestellt werden, dass die Übermittlung der Bildaufnahme von Genitalien absichtlich (§ 5 Abs. 2 StGB) erfolgt. Es soll somit (auch im Sinne einer Beschränkung der gerichtlichen Strafbarkeit auf besonders strafwürdiges Verhalten; vgl. entsprechend zu § 120a StGB EBRV HiNBG, 481 BlgNR 27. GP, S. 16) ein zielgerichtetes Übermitteln erforderlich sein. Dem Täter bzw. der Täterin muss es gerade auf die Übermittlung der Bildaufnahme an die Empfängerin bzw. den Empfänger ankommen. Dass es der Täter bzw. die Täterin nur ernstlich für möglich hält und in Kauf nimmt, dass die Bildaufnahme an bestimmte Personen gelangen kann – etwa wenn seine Partnerin bzw. sein Partner mitunter anderen Personen Zugang zu ihren bzw. seinen Accounts, Profilen oder Endgeräten gewährt – genügt nicht. Ebenso wenig kann bei versehentlicher Auswahl falscher Empfängerinnen und Empfänger eine Absichtlichkeit hinsichtlich der Übermittlung vorliegen. Für die übrigen Tatbestandsmerkmale ist entsprechend § 5 Abs. 1 StGB Eventualvorsatz erforderlich.

5. Es wird vorgeschlagen, die Strafdrohung wie bei den Tatbeständen nach Abs. 1 und Abs. 1a mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen festzulegen.

Zu Z 4 (§ 218 Abs. 3 StGB):

1. De lege lata enthält (nur) § 218 Abs. 1 StGB eine ausdrückliche Subsidiaritätsklausel. Hinsichtlich Abs. 1a nimmt zwar der Einführungserlass zur Strafgesetznovelle 2017 aufgrund der Formulierung „Nach Abs. 1“ in § 218 Abs. 1a StGB ebenfalls ausdrückliche Subsidiarität an (Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz vom 22. August 2017, GZ BMJ-S318.039/0007-IV 1/2017, eJABl Nr. 16/2017, A.8.). In der Literatur wird dagegen von „wohl“ stillschweigender Subsidiarität ausgegangen (Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 218 [Stand 10.3.2022, rdb.at] Rz 5/1). Höchstgerichtliche Rechtsprechung liegt – soweit ersichtlich – dazu bis dato nicht vor. Auch der neue Straftatbestand nach § 218 Abs. 1b StGB sollte gegenüber strenger bestraften Delikten subsidiär sein.

Es wird daher vorgeschlagen, in § 218 Abs. 3 StGB ausdrücklich die Subsidiarität der Tatbestände nach Abs. 1, Abs. 1a und Abs. 1b zu normieren.

Hinsichtlich § 218 Abs. 1b StGB ist bei entsprechender Beharrlichkeit des Täters bzw. der Täterin etwa an eine Subsumtion nach § 107a Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 2 StGB zu denken.

In Bezug auf Fotos und Videos entblößter Geschlechtsteile von Unmündigen und mündigen Minderjährigen ist grundsätzlich § 207a StGB (Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildliche sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen) einschlägig. § 207a Abs. 4 Z 3 lit. b StGB umfasst wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien oder der Schamgegend Minderjähriger soweit es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen. Dabei handelt es sich um ein objektives, der Darstellung selbst anhaftendes Tatbestandsmerkmal (Hinterhofer in SbgK, § 207a StGB, Rz 42), das insbesondere auch beim Präsentieren des Geschlechtsteils erfüllt ist (Apostol/Hofbauer, Sexuelle Integrität (2020) Rz 4.160). Lediglich im Fall der Straflosigkeit nach § 207a Abs. 6 Z 1 StGB in Bezug auf die Übermittlung einer Bildaufnahme der eigenen Genitalien eines bzw. einer mündigen Minderjährigen kommt künftig – bei Vorliegen der entsprechenden Tatbestandsmerkmale – Strafbarkeit nach § 218 Abs. 1b StGB in Betracht.

2. Der neue Straftatbestand nach § 218 Abs. 1b StGB soll, wie die geltenden Tatbestände nach Abs. 1 und Abs. 1a, als Ermächtigungsdelikt (§ 92 StPO) ausgestaltet werden. Dadurch soll die Autonomie Betroffener in größtmöglichem Maße gewahrt werden. Zwar besteht ein automatisches Verfolgungsrecht durch die Staatsanwaltschaft, dessen Ausübung ist jedoch von der Zustimmung des Ermächtigungsberechtigten abhängig. Dadurch bleibt es den Betroffenen freigestellt, ob sie im konkreten Fall den Gerichtsweg beschreiten und dadurch Beteiligte in einem Strafprozess werden möchten; sofern sie sich dafür entscheiden, entsteht ihnen – im Gegensatz zum überwiegenden Teil der Privatanklagedelikte (§ 71 StPO) – kein Kostenrisiko.

Bei geständigen und einsichtigen jugendlichen Tätern bzw. Täterinnen wird eine maßvolle Praxis im Sinne des Erlasses der Bundesministerin für Justiz vom 21. November 2023, GZ: 2023-0.806.754, Pkt IV geboten sein.