RN/28

Antrittsansprache des Präsidenten

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Frau Staatssekretärin! Exzellenzen und Ehrengäste! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments! Angehörige und Freunde der heute angelobten Abgeordneten! Liebe Zuseher vor den Fernsehgeräten! Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Hohes Haus! Frisch gewählt darf ich mich in erster Linie an Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete, mit mir zusammen 183 an der Zahl, wenden. Sie alle wurden am 29. September 2024 durch allgemeine, freie, geheime, gleiche, persönliche und unmittelbare Wahl zu Volksvertretern in den österreichischen Nationalrat gewählt.

Viele Menschen dieses Landes haben ihre Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen für ein besseres Österreich in Sie, in jeden Einzelnen, gesetzt. Sie sind im Rahmen der Gesetzgebung gemeinsam mit der zweiten Kammer dieses Hauses, dem Bundesrat, aufgerufen, als Repräsentanten dafür zu sorgen, dass das Recht vom Volk ausgeht, wie es unsere Bundesverfassung in Artikel 1 normiert. Jeder Einzelne möge sich dessen bewusst sein.

Wenn auch die Wege und Lösungen für ein besseres Österreich und seine Menschen unterschiedlich gesehen werden können, für diesen – nennen wir es – Wettbewerb der Ideen steht unterstützend auch dieses Haus samt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung. Die Diskussion, die Auseinandersetzung können im Ringen um die besten Lösungen durchaus lebhaft, kontrovers und in der Sache hart sein – versuchen Sie aber, dabei ohne Diffamierung, Herabwürdigung und Beleidigung in Ihrer Argumentation zu bleiben! Es gibt auch den Begriff der Streitkultur.

Damit Sie alle die besten Arbeitsbedingungen vorfinden, gibt es zur Leitung des Hohen Hauses ein Präsidium nach der Usance: von den Vertretern der stimmenstärksten Parteien nominiert und mit Mehrheit gewählt. Auf Vorschlag des freiheitlichen Klubs mit Klubobmann Herbert Kickl an der Spitze hat mich soeben eine Mehrheit in das Amt des Präsidenten gewählt, und ich bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Es ist für mich noch schwer realisierbar, dass Sie mich damit in eine Reihe historischer Persönlichkeiten dieses Landes stellen: Männer wie Leopold Figl und Anton Benya – um nur zwei exemplarisch herauszugreifen – oder eine Frau, Barbara Prammer, die meine erste Präsidentin als frisch gebackener Abgeordneter war. Dem zolle ich meinen hohen und großen Respekt.

Sie haben heute das Recht, von mir Grundsätze meines Amtsverständnisses zu erfahren. Manche hat es im Vorfeld nicht interessiert, daher bedanke ich mich auch ausdrücklich für die Einladung der NEOS zu einer Aussprache. Das Gespräch habe ich als äußerst wertschätzend empfunden. Dialog ist ein Grundpfeiler der Demokratie, überdies schüttet der Dialog Gräben zu und baut Brücken.

Der erste und wichtigste Maßstab für mich sind Verfassung, Freiheits- und Grundrechte, Geschäftsordnungsgesetz und andere Regelwerke, wie die Verfahrensordnung der Untersuchungsausschüsse. Usancen, also Gewohnheitsrecht, sind mir dabei wichtig, auch wenn manches vielleicht sogar eher wiederbelebt werden muss.

Mein Verständnis vom Amt ist es jedenfalls, im konstruktiven Einvernehmen mit den beiden anderen Mitgliedern des Präsidiums auch über die routinemäßigen Präsidialsitzungen hinaus die Geschicke dieses Hauses zu lenken.

Seitens der ÖVP wird Abgeordneter Peter Haubner für das Amt des Zweiten Präsidenten vorgeschlagen, für das Amt der Dritten Präsidentin seitens der SPÖ Frau Abgeordnete Doris Bures – beide langjährige Parlamentarier, mit denen ich einerseits auf Klubebene, andererseits in der Präsidialkonferenz auf das Beste zusammenarbeiten durfte. Beide zeichnen sich durch Konsensfähigkeit und Pragmatismus aus, wenn es um Angelegenheiten des parlamentarischen Miteinanders geht. – Verstehen Sie das durchaus als Wahlempfehlung! Ich freue mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit.

Auch die Zusammenarbeit mit den fünf Parlamentsklubs werde ich konsensual führen – kommen Sie mit Ihren Anliegen jederzeit zu mir! Dabei werde ich mir auch bei den Ausgaben, die aus dem Budget des Parlaments zu bedecken sind, alles ansehen und im Konsens dahin gehend prüfen, ob sie die Arbeit der Abgeordneten erleichtern und mit mehr Qualität ausstatten.

Dazu zählt für mich auch weiterhin ein guter Budgetdienst, aber vor allem ein zu stärkender Rechts- und Legislativdienst, der jedem Abgeordneten mit höchster Kompetenz für dessen gesetzgeberische Vorstellungen neutral zur Verfügung steht. Ein selbstbewusstes Parlament muss auch die Möglichkeit haben, abseits von Regierungsvorlagen eigene Gesetze legistisch einwandfrei vorzubereiten.

Ein Appell an alle Klubs – welche auch immer –, die aus der Opposition heraus demnächst Regierungsparteien werden: Denken Sie an Ihre oft zu Recht eingebrachte Kritik in Bezug auf vertagte Ausschussanträge oder Anträge ohne Begutachtungsverfahren! Das alles ist zwar durch die Geschäftsordnung gedeckt, aber verfallen Sie nicht in den Grundsatz: Der Standort bestimmt den Standpunkt!

Noch etwas zu meinem Amtsverständnis: Es wird manchmal behauptet, der Nationalratspräsident sei der zweitmächtigste Mann, sei die zweitmächtigste Person in der Republik. Unterstellungen, ich könnte zum Beispiel Sitzungen nicht einberufen und so die Demokratie behindern, entbehren jeder Grundlage. Solche Horrorszenarien sind bei mir unangebracht. Es ist lediglich wahr, dass der Präsident nach dem Protokoll, also den verbindlichen Formen, im diplomatischen Verkehr hinter dem Bundespräsidenten die – unter Anführungszeichen – „Nummer zwei“ ist. Ich sehe diese repräsentative Zuschreibung dem geschuldet, dass der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt wird und die Zusammensetzung des Nationalrates, dem ich in dieser Gesetzgebungsperiode nun vorsitze, präsidiere, ebenso Ausfluss einer demokratischen Bundeswahl ist. Für mich steht daher auf Platz eins und auf Platz zwei die Demokratie, und das unterstreicht deren unverrückbare Bedeutung.

Es wurde mir auch die Frage gestellt, wie ich bei der Leitung von Untersuchungsausschüssen mit einer allfälligen Befangenheit umgehen würde. Aufgrund meines beruflichen Lebens als Jurist, Rechtsanwalt, Strafverteidiger, Volksanwalt ist mir die Befangenheit ein Begriff, mit dem ich sehr sensibel umgehe: Die Vermeidung des Anscheins einer Befangenheit geht über die Verpflichtung der Leitung eines Untersuchungsausschusses hinaus. Dafür gibt es eben Regelungen zur Stellvertretung. Ich schließe eigentlich nahtlos an das an, was Abgeordneter Scherak hier vor ein paar Minuten oder vielleicht schon vor Längerem gesagt hat.

Apropos Untersuchungsausschuss: Eine Übertragung, eine Liveübertragung von Untersuchungsausschüssen ist echt überfällig; sie würde der Qualität der Untersuchungsausschüsse sicher guttun. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Jetzt aber zu einem anderen Aspekt, der das Haus an sich betrifft: Das Parlament ist über die Gesetzgebung hinaus ein Ort der Begegnung. Es muss für die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen noch stärker ein Ort für Diskurs und Bildung im Sinne der Demokratie sein, für Jung und Alt – nicht nur am 26. Oktober, an dem Tag, an dem wir des Nationalratsbeschlusses im Verfassungsrang über die immerwährende Neutralität gedenken.

Dieses Gesetz ist ein wichtiger Grundstein für die erfolgreiche Entwicklung Österreichs nach Zerstörung durch Diktatur und Weltkrieg mit ihren Millionen Toten auf den Schlachtfeldern, in den Vernichtungslagern, in den Richtstätten der Henker und nach den Bomben auf Zivilisten: Kinder, Frauen, Männer. Daher bleibt es unser Auftrag, vor allem die Jugend mit dem Wesen der Demokratie als beste aller Staatsformen vertraut zu machen; eine Jugend, die zum Großteil noch gar nicht wählen darf, aber ich denke an meinen Sohn mit seinen 13 Jahren und weiß, die Zeit vergeht schnell: Noch in dieser XXVIII. Gesetzgebungsperiode des 1945 wieder entstandenen Österreichs wird er das Wahlalter erreichen. Daher: weiter eine starke Demokratiewerkstatt, verstärkt auch mobil in den Bundesländern, Onlinewerkstätten gibt es auch bereits.

Aber auch – unter Anführungszeichen – „älteren Semestern“ können neben Führungen und einem Besuch der Sitzungen attraktive Formate zur Verfügung gestellt werden; vielleicht – und das wäre ein Ansatz, den ich vorhätte, mit Ihnen zu diskutieren – immer in Kooperation mit dem gerade Vorsitz führenden Bundesland im Bundesrat mit einem Bundesländerschwerpunkt und mit den ebenfalls dafür notwendigen Landtagen. Immerhin definiert Artikel 2 der Bundesverfassung Österreich als Bundesstaat. Ich bin ein Verfechter eines guten Föderalismus.

Bevor ich zum Schluss komme, muss ich etwas sehr Ernstes, das mich bewegt, ansprechen. Im Vorfeld meiner Nominierung gab es Anwürfe, Unterstellungen, Vorurteile, ja sogar hier im Saal Lügen, noch dazu die meisten in der Anonymität der sozialen Medien: Das muss ein Politiker aushalten. Eine Aussage aber geht tief in mich, nämlich wenn ich lesen musste: „FPÖ-Rosenkranz als Nationalratspräsident gefährdet jüdische Zukunft in Österreich“. – Diese Unterstellung weise ich entschieden zurück.

Es geht offenbar darum, dass von Gesetzes wegen eine Einrichtung des Parlaments, der Nationalfonds, vom Präsidenten geleitet wird. Ein hochkarätiges Gremium unterstützt mit seinen Fördermitteln Opfer des Nationalsozialismus in besonderer Weise, fördert Projekte zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus, zur Bildungspolitik und Gedenkprojekte.

Ich gehe ein bisschen zurück in meine Vergangenheit: Als Klubobmann der FPÖ in der Regierung Kurz I war ich an der Errichtung der Schoah-Namensmauer 2018 beteiligt.

Im Regierungsprogramm 2017, das von mir mitverhandelt wurde, wurde die Doppelstaatsbürgerschaft für Nachfahren von NS-Verfolgten aus Österreich vorgesehen. In dieser Zeit habe ich mich mit zahlreichen Vertretern der jüdischen Gemeinschaft in Österreich zum Dialog getroffen.

Seit fünf Jahren habe ich die ehrenvolle Aufgabe, im Kuratorium des Zukunftsfonds – einer parallelen Einrichtung zum Nationalfonds – gemeinsam mit Persönlichkeiten wie Erwin Pröll, Max Kothbauer, Hans Winkler, Terezija Stoisits und Johanna Rachinger unter der Leitung von Pof. Herwig Hösele nach Vorberatung durch einen Beirat, bestehend aus Margarete Grandner, Robert Pfaller, Manfried Rauchensteiner und Danielle Spera, immer einstimmig beträchtliche Fördermittel zu vergeben, unter anderem an das Mauthausen-Komitee, die IKG und viele andere Fördernehmer – im Sinne der Untersuchung der Verbrechen des Nationalsozialismus, gegen Antisemitismus, Diskriminierung und für Toleranz, Menschenrechte, Minderheiten in Österreich und Demokratie.

Das wird offensichtlich – mangels besseren Wissens oder absichtlich – ausgeblendet. 

Ob Sie es glauben oder nicht: Das, was im Haus – und es ist angesprochen worden – zur Bekämpfung des Antisemitismus begonnen wurde, wird sicher fortgesetzt, und sollten Teile der jüdischen Gemeinschaft in Wien und ganz Österreichs einen Dialog mit mir wie bisher verweigern, sodass der Besuch wichtiger Veranstaltungen im Parlament, wie die Veranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus oder das Gedenken an die Pogromnacht 1938, vom jüdischen Leben boykottiert wird, so stehe ich nicht an, als Person zur Seite zu treten und nicht aus Bestemm oder Eitelkeit die Teilnahme zu verhindern. Es wird mit meinen Stellvertretern, mit den beiden Präsidenten, ganz bestimmt eine Lösung dafür geben.

Eines aber sage ich meinen Kritikern: Wenn es Menschen als Vorbild für alle in der Frage einer Aussöhnung gibt, so sind es zwei große Österreicher: Viktor E. Frankl und Arik Brauer – Letzteren durfte ich noch kennenlernen. Versuchen wir, deren Vermächtnis zumindest ein wenig zu folgen! (Beifall bei FPÖ und ÖVP sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

Einige Gedanken noch zum Schluss: Bei aller Bedeutung von öffentlichen Ämtern, bei aller notwendigen Demut vor derart hohen Aufgaben habe ich etwas für mich gefunden, das in einer Anekdote Papst Johannes XXIII. zugeschrieben wird. Sie zu zitieren, würde zu lange dauern, aber der Tenor lautet: Nimm dich nicht so wichtig!

Es steht uns 183 Abgeordneten gut an, nicht abgehoben zu sein, nur weil wir jetzt Mitglieder des Nationalrates sind. Verlieren Sie nicht den Kontakt zu den Menschen in diesem Land, in den Regionen! So haben Sie, die Sie aus allen Bundesländern und Bezirken unserer wunderbaren Heimat Österreich kommen, die Gelegenheit, die Bedürfnisse der Menschen dort, ihre Ängste, Nöte, Hoffnungen hautnah vermittelt zu bekommen und sie direkt in dieses Haus zu transportieren und mit diesem Wissen Gesetze zu verabschieden, derer ein besseres Österreich dringend bedarf. Und denken Sie dabei immer daran: Die Gerechtigkeit ist das Recht der Schwächeren.

Mit einem kurzen Satz – Sie haben ihn auch heute schon so oft gehört – beschließe ich meine Ausführungen – es steckt eigentlich das ganze Programm für uns drinnen –: Es lebe die Republik Österreich! (Anhaltender Beifall bei der FPÖ und Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)