RN/68
13.39
Abgeordneter David Stögmüller (Grüne): Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, werte Damen und Herren! Ich glaube, eines ist klar: Europa steht verteidigungspolitisch vor einer Zeitenwende – das ist in den vergangenen Wochen auch unmissverständlich klar geworden. Russland führt weiterhin einen Krieg gegen Europa, nicht nur einen blutigen Angriffskrieg gegen Europa in der Ukraine, sondern auch – wie uns diese Woche wieder in Erinnerung gerufen worden ist – einen hybriden Krieg gegen Europa, auch hier bei uns in Österreich. Gleichzeitig zieht sich Amerika aus seiner historischen Rolle als verlässlicher Sicherheitspartner zurück und fällt Verbündeten in den Rücken – meiner Meinung nach eine historische Fehlentscheidung von Trump, die Putin für seine mörderische Invasion de facto belohnt und auch ein klares Zeichen an uns sendet: Europa steht alleine da!
Damit beginnt aber auch für Europa eine neue Ära: eine neue Ära der Unsicherheit, eine Ära der Aufrüstung (Abg. Kickl [FPÖ]: Die Grünen! – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Jetzt habt ihr gerade abgerüstet!), aber auch eine Ära, die Möglichkeiten bringt. (Abg. Kickl [FPÖ]: Man glaubt es nicht!) – Wir haben uns diese Zeitenwende nicht ausgesucht, Herr Kollege Kickl; wir haben sie nicht ausgesucht. (Abg. Kickl [FPÖ]: Na, ihr seid schon wieder hintennach!) Vielleicht haben Sie darauf gehofft, dass Russland angreift, aber das ist nicht so; wir haben uns diese Zeitenwende nicht ausgesucht.
Es ist aber wie gesagt auch eine Ära der Möglichkeiten, und wir können daraus etwas machen. Die Frage ist: Was machen wir als Europa daraus? – Für die FPÖ ist die Antwort eh klar (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Wo hast denn du deinen Grundwehrdienst gemacht?), die FPÖ sagt: Wir isolieren uns – Isolation ist euer neues Lieblingswort (Abg. Reifenberger [FPÖ]: Souveränität! Du verwechselst da etwas!) – und sagen den internationalen Partnern – außer euren Freunden –: Geht uns eh alles nichts an, da wollen wir gar nicht mitmachen! Wir leugnen unsere gemeinsame europäische Verantwortung oder biedern uns sogar unseren Aggressoren an. – Das ist das, was ihr wollt und was ihr macht (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Wo hast du deinen Grundwehrdienst geleistet? Wo warst du eingerückt?) – aber sicherlich nicht mit uns. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Kickl [FPÖ]: Rückst du auch noch ein?)
Für uns ist das eine Möglichkeit. Wir verstecken uns nicht, wir fürchten uns nicht vor dieser neuen prekären Lage (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Du warst nicht eingerückt! Und jetzt gescheit reden!), sondern ganz im Gegenteil: Wir sehen da eine Gelegenheit, eine Gelegenheit, unsere europäische Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen, eine Gelegenheit, unsere Nachrede bei unseren Partnerstaaten, bei unseren Kolleginnen und Kollegen wiederherzustellen, das Ansehen Österreichs in der internationalen Friedensdiplomatie wieder aufzuwerten. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Selber nicht einrücken und sich wichtigmachen!) – Weil ihr da immer so schreit: Wo sind denn eure Anträge zur Friedensdiplomatie? (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Wo warst du eingerückt, Herr Kollege, wo?) Wo sind die? – Es sind keine da.
Es ist auch eine Gelegenheit, unsere Neutralität zu wahren und gleichzeitig neu, aktiv zu denken, zu überlegen, wo Österreichs Platz in diesem neuen Europa voller Solidarität und Zusammenarbeit liegt und wie wir als neutraler Staat sehr wohl einen Beitrag leisten können, der diesem Europa auch einen Mehrwert bringt. Das sollt ihr euch fragen. Die EU hat das bereits als eine Gelegenheit begriffen und ein historisches 800 Milliarden Euro schweres Investitionspaket auf den Weg gebracht, das die territoriale Sicherheit des Kontinents wieder herstellt – ein doch wichtiger Schritt, ein großer Schritt auch für Europa.
Auch wir setzen einen großen ersten Schritt hier im Haus, indem wir mit unserer Teilnahme an der Sky-Shield-Initiative ein für alle Mal signalisieren: Österreich wird ein verlässlicher Partner im Rahmen der kollektiven Sicherheit Europas bleiben!, und daran kann auch die FPÖ nicht rütteln. (Zwischenruf des Abg. Reifenberger [FPÖ].)
Uns bleibt die enge parlamentarische Kontrolle – na no, na na –, gerade bei den Rüstungsausgaben, und die ist wichtiger denn je. Und ich sage eines auch klar: Die parlamentarische Aufsicht ist keine Hürde für das österreichische Bundesheer, sondern sehr wohl eine Stütze.
Die Beschaffungs-Prüfkommission, die wir in der letzten Gesetzgebungsperiode eingeführt haben, stellt gemeinsam mit diesem Haus sicher – so steht es im Antrag –, dass Investitionen in die Sicherheit Österreichs kosteneffizient und transparent vorgenommen werden und die Qualität der Geräte – das ist auch der Anspruch – den Bedürfnissen des Bundesheeres entspricht. Auf der einen Seite steht die Handlungsfähigkeit des Bundesheeres, und auf der anderen Seite bringen Transparenz und Effizienz auch bei Sky Shield Transparenz und Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger.
Wir haben diesen Antrag initiiert, weil wir das sicherstellen wollen, weil wir Transparenz haben wollen, weil wir haben wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass Steuergeld für die besten Geräte ausgegeben wird und nicht irgendwo hintenherum verschwindet. (Beifall bei den Grünen.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diese Gelegenheit wirklich ergreifen wollen und sofern zumindest unter vier der fünf Parteien hier im Haus Konsens herrscht, dass wir unsere europäischen Partner nicht im Stich lassen, können wir nicht bei Sky Shield haltmachen – Punkt. Das spielt es nicht. Österreichs Rolle kann und muss die eines verlässlichen Partners in Europa sein. Es kann nicht sein, dass wir einfach als Trittbrettfahrer unterwegs sind, das links liegen lassen, sondern wir müssen gemeinsam daran arbeiten, wir müssen zusammenarbeiten.
Es ist die Zeit gekommen, größer zu denken. Diskussionen, wie unsere Neutralität im 21. Jahrhundert aussehen soll, spuken in diesem Haus schon seit drei Jahren herum. Jetzt muss die Regierung endlich einen offenen, breiten öffentlichen Diskurs führen. Es geht dabei nicht um etwas Unwichtiges, nicht um irgendwelche akademischen Debatten, Frau Verteidigungsminister, wie Sie letzte Woche im „Standard“ gesagt haben, sondern ganz im Gegenteil, das ist eine Grundsatzfrage. Es geht um die Rolle, die Österreich in Europa in diesem neuen Zeitalter einnehmen soll. Das ist durchaus konkret und wichtig.
Zentral ist, dass diese Debatte in der Öffentlichkeit stattfindet, nicht auf Verwaltungsebene, sondern sehr wohl politisch – mit der Zivilgesellschaft, mit der Opposition. Diese Zukunftsfrage müssen wir uns gemeinsam mit der österreichischen Bevölkerung stellen.
Natürlich – ich höre schon wieder Herrn Kickl mit seinen Zwischenrufen (Abg. Kaniak [FPÖ]: ... Wahnvorstellungen oder was? – Heiterkeit bei der FPÖ) – ist solch ein Umdenken auch möglich, ohne die Verfassung zu verletzen. Wir müssen nicht die Verfassung verletzen, sondern das Gegenteil ist der Fall. Die Frage ist: Was will unsere Neutralität, was wollen wir? Und dazu kommt ja nichts von Ihnen. Wo sind denn Ihre Anträge dahin gehend, dass Österreich Vorreiter in der internationalen Rüstungskontrolle wird? Wo sind denn diese Entwürfe, wo sind denn eure Friedensinitiativen? Ihr redet da draußen, aber hier im Parlament macht ihr nichts, genau null. Die Neutralitätssprecherin sitzt hier vorne – null Anträge, nichts kommt!
Das ist genau der Punkt. Österreich hat den Unoda-Sitz in Wien, der Irandeal 2015 wurde hier unterzeichnet, wir haben die Vienna Declaration and Programme of Action (Zwischenruf des Abg. Hafenecker [FPÖ]), gehören zu den Unterzeichnerstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages. Genau an diese diplomatischen Erfolge müssen wir anknüpfen, da müssen wir weiterarbeiten, auch daran, die Neutralität Österreichs als Asset zu sehen. Genau bei diesen Punkten müssen wir weiterarbeiten und dürfen uns nicht irgendwie als rhetorischer Schutzschirm von Putin verstehen, dafür missbraucht werden. Genau das ist die große Herausforderung.
Überlassen wir unsere Neutralität wirklich denen, die mit einem Diktator einen Freundschaftsvertrag unterzeichnet haben, während dieser auf österreichischem Boden FSB-Agenten herumschickt? – Nein, sage ich. Überlassen wir es einem Diskurs, wie wir diese Neutralität aktiv gestalten, wie wir Diplomatie ausbauen! Arbeiten wir enger mit den Partnerstaaten in Europa zusammen, bauen wir gemeinsam ein Sicherheitsgefüge von morgen auf, und setzen wir Österreich wieder in das Zentrum der globalen Friedensdiplomatie! – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)
13.46
Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Frau Bundesministerin Klaudia Tanner zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Ministerin.