RN/9
Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Danke, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sie haben bereits mehrfach ausdrücklich versichert, dass Sie als österreichischer Bundeskanzler einer neuen Schuldenaufnahme durch die Europäische Union nicht zustimmen würden. Gleichzeitig sind Sie zum Sondergipfel am 6. März und zwei Wochen später zum EU-Gipfel am 20. März nach Brüssel gefahren und haben dort kommentarlos dem zutiefst unseriösen und verantwortungslosen 800-Milliarden-Plan der EU-Kommission zugestimmt – einem Plan, mit dem die freie Wirtschaft in der EU in eine Kriegswirtschaft umgewandelt und die freie Produktion willkürlich in eine Rüstungsproduktion umgewandelt werden soll, einem Plan, der die Interessen der österreichischen Bevölkerung verletzt und ausverkauft, und vor allen Dingen einem Plan, der ohne neue Schuldenaufnahme durch die EU sicher nicht umsetzbar ist.
Nun zu meiner Frage: Wie wird denn nun die EU die geplanten 800 Milliarden Euro aufstellen, wenn dies ohne neue Schuldenaufnahme passieren soll?
Die schriftlich eingebrachte Anfrage hat folgenden Wortlaut:
„Wie wird die Europäische Union die geplanten 800 Milliarden Euro für die EU-Kriegswirtschaft bereitstellen – und das ohne neue Schulden, wie es Kanzler Stocker zugesichert hat?“
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Bundeskanzler, bitte.
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Frau Abgeordnete, ich darf da vielleicht ein Missverständnis aufklären: Bei diesem Programm geht es nicht um eine Schuldenaufnahme durch die Europäische Union, sondern es geht um Instrumente, die den Nationalstaaten zur Verfügung gestellt werden, um ihre Verteidigungsausgaben zu finanzieren. (Abg. Kassegger [FPÖ]: Von wem zur Verfügung gestellt? Von wem? Vom Weihnachtsmann?) Das sind keine Schulden der Europäischen Union. (Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Wer stellt das zur Verfügung? Sie?)
Wir haben durch diese Maßnahmen, die da vorgeschlagen werden, einerseits für jene Staaten, die aufgrund ihrer gesamtwirtschaftlichen und budgetären Lage schlechte Konditionen am Finanzierungsmarkt haben, ein Instrument in Aussicht genommen, in dessen Rahmen die Europäische Investitionsbank günstige Kredite – aber aufgenommen durch die Nationalstaaten – zur Verfügung stellt.
Bei den anderen Finanzierungsinstrumenten ist es so, dass diese teilweise aus dem Stabilitätspakt herausgerechnet werden, weil – und da widerspreche ich Ihnen – es nicht darum geht, auf Kriegswirtschaft umzustellen, sondern darum – wir haben gesehen, wie sich die USA verhalten haben und welche Signale wir bekommen –, für unsere Verteidigung in Europa mehr zu tun als in der Vergangenheit, damit wir resilienter sind, unabhängiger sind und natürlich auch insgesamt unsere Verteidigung ernster nehmen, als es vielleicht in der Vergangenheit notwendig war. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage?
RN/9.1
Abgeordnete Dr. Susanne Fürst (FPÖ): Weil Sie gerade gesagt haben, wir haben gesehen, wie sich die USA verhalten haben, möchte ich da meine Zusatzfrage anschließen: Ja, wir haben gesehen, wie von der neuen US-Administration Verhandlungen initiiert worden sind, um einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu erreichen. Die EU hat diese bisher mit keinem Wort unterstützt. Da Sie heute hier schon erklärt haben, Sie werden auch dafür sorgen, dass nicht unsere Söhne, dass keine österreichischen Soldaten jemals auf ein fremdes Schlachtfeld geschickt werden, möchte ich Sie schon fragen:
Wie möchten Sie das sicherstellen? Warum beteiligt sich da Österreich nicht an den Friedensverhandlungen oder unterstützt diese? Und warum sagen Sie nicht Ihrer Außenministerin, sie soll die österreichische Neutralität wahren? Wenn sie schon in ein Kriegsgebiet fährt, dann soll sie dort erklären, dass von unserer Seite die Verhandlungen unterstützt werden und dass Österreich ein geeigneter Ort für die Durchführung von Friedenskonferenzen oder -gesprächen wäre. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Shetty [NEOS].)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Bitte, Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Frau Abgeordnete, ich beginne mit dem, mit dem Sie aufgehört haben: Österreich hat sich für Friedensgespräche angeboten. Soweit ich weiß, steht die Russische Föderation unter Präsident Putin diesem Angebot eher skeptisch gegenüber, weil er nicht verstehen will, dass, wenn wir zwischen Opfer und Täter unterscheiden können und wissen, wer bei diesem Krieg der Täter war, dies nicht bedeutet, dass wir als feindseliger Ort für Verhandlungen zu sehen sind. Wir sind aber jemand, der schon darauf Wert legt, dass wir die Täter-Opfer-Umkehr nicht vornehmen und dass der Frieden – den wir uns alle wünschen, und ich begrüße jede Verhandlung, die dazu führen wird, dass die Waffen schweigen, denn niemand wünscht sich das mehr als die Ukraine; ich habe das auch in Brüssel in meinen öffentlichen Äußerungen gesagt –, wenn wir über Frieden reden, ein gerechter Frieden sein muss, es muss ein dauerhafter Frieden sein, und dieser Frieden muss auch in einer gewissen Weise garantiert sein.
Wir bieten uns als Verhandlungsort jederzeit an und wir unterstützen alles, was zu diesem Ergebnis führt. Wir stehen auf dem Standpunkt: Die Ukraine soll am Tisch sitzen und auch Europa eine Rolle spielen, weil ich glaube, dass auch die Europäische Union und Europa dazu einen guten Beitrag leisten könnten. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Edtstadler.
RN/9.2
Abgeordnete Mag. Karoline Edtstadler (ÖVP): Vielen Dank, Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundeskanzler! Diese Bundesregierung ist noch nicht einmal ein Monat im Amt, hat schon vieles auf den Weg gebracht, zahlreiche Initiativen angestoßen, und Sie hatten auch schon zweimal die Möglichkeit, im Rahmen des Europäischen Rates mit den Staats- und Regierungschefs der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Herausforderungen unserer Zeit zu diskutieren – Herausforderungen in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, militärischer und sicherheitspolitischer Hinsicht.
Österreich war stets ein verlässlicher Partner und wird mit Ihnen an der Spitze dieser Bundesregierung auch weiterhin ein verlässlicher und vor allem auch ein konstruktiver Partner bleiben. Und dieser konstruktive Beitrag ist notwendig, alle Augen sind auf Brüssel gerichtet, die Erwartungen sind groß und, wie ich hoffe und meine, auch die Erkenntnis, dass ein Zusammenrücken notwendig ist, dass es notwendig ist, mit einer Stimme zu sprechen und die großen Herausforderungen gemeinsam anzugehen.
Daher meine Frage an Sie: Inwieweit sehen Sie in diesen geänderten geopolitischen Verhältnissen nicht nur Herausforderungen, sondern auch eine große Chance für Europa und damit auch für Österreich?
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Bundeskanzler.
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Tatsächlich sehe ich in dieser Situation auch Chancen. Jede Herausforderung bedeutet, dass man sich einer neuen Wirklichkeit stellen muss, und wenn ich mich einer neuen Wirklichkeit stelle, brauche ich neue Lösungen, und das sind auch neue Chancen. Wir werden die transatlantischen Beziehungen weiter brauchen und wir werden sie auch weiter unterstützen, und die USA werden auch weiter ein Partner bleiben. Es hat sich aber der Fokus der USA ein Stück weit verschoben, und es haben sich die Bedingungen ein Stück weit verändert.
Man denke an die Handelsbarrieren, die gerade heute wieder diskutiert werden: Das wird für uns eine Herausforderung. Die Chance, die ich sehe, ist, dass wir vielleicht zusätzliche Handelspartner gewinnen können, dass wir unsere Verteidigung – wenn wir jetzt vor der Herausforderung stehen, dass wir mehr Mittel aufwenden müssen – auch so gestalten können, dass wir wirtschaftlich davon profitieren, dass Wertschöpfung in Europa stattfindet, denn auch Rüstungsindustrie ist Industrie.
Das heißt, es auch in diesem Bereich als Chance zu sehen und die Möglichkeiten zu nützen, die sich hier ergeben, das ist mein Zugang. Das ist immer auch der Zugang der Volkspartei gewesen und das wird auch der Zugang im europäischen Kontext sein. (Beifall bei der ÖVP.)
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen nunmehr zur 7. Anfrage, 2/M, das ist jene des Abgeordneten Mag. Ernst Gödl. – Bitte, Herr Abgeordneter.