RN/161
20.21
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Danke, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Werte (auf die leeren Plätze auf der Galerie schauend) – na ja – Zuschauerinnen, Zuschauer auf der Galerie! Erlauben Sie mir (Abg. Kogler [Grüne]: Und im Livestream!) – und im Livestream, natürlich –, dass ich vielleicht ein bisschen weiter aushole, weil sich eine Reihe von Anträgen mit dieser geopolitischen Situation auseinandersetzt, die ja eine Welt bedeutet, die aus den Fugen geraten ist. Das ist etwas, das uns alle bedrückt, das viele Menschen in Österreich mit großer Sorge, auch jeden Tag, bewegt: Was ist mit dieser Welt los? Was ist mit Ordnung? Was ist mit Sicherheit? Was ist mit Stabilität und was ist auch mit Frieden?
Spätestens aber seit diesem illegalen, völkerrechtswidrigen, brutalen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist für uns alle klar – so schmerzhaft das ist –, dass sich das Sicherheitsumfeld, in dem wir leben, massiv geändert hat. Konflikte nehmen zu. Es scheint wieder en vogue zu sein, seine Interessen einerseits mit militärischer Gewalt am Schlachtfeld durchzusetzen, andererseits aber auch seine wirtschaftliche Macht einzusetzen, um mit der Macht des Stärkeren politische Interessen voranzutreiben, während man das früher noch – und das ist eigentlich in unserem Interesse – am Verhandlungstisch gelöst hat, in multilateralen Foren oder auch in internationalen Organisationen.
Die systemischen Rivalitäten nehmen zu. Es ist oft die Rede von einer multipolaren Weltordnung. Auch die USA – das ist für uns alle sehr spürbar – richtet sich neu aus, und wir müssen darauf Antworten geben. Internationale Regeln werden infrage gestellt – ich könnte das jetzt auch zuspitzen: Sie werden in der Ukraine zerbombt, tagtäglich.
Was wir erleben, ist ja, dass das in einer unmittelbaren Nähe Österreichs passiert. Ich sage das immer wieder, gerade hier im Parlament, in einem Parlament, das ja auch ein Vielvölkerparlament war. Ich habe letztens auch im Bundesrat sprechen dürfen, und in diesem wunderschönen Saal des Bundesrates sind ja die Wappen der Kronländer abgebildet, die auch das Wappen der Bukowina und von Galizien beinhalten, also Gebieten der heutigen Ukraine. Das ist näher an Wien als Vorarlberg. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, wir haben damit auch eine gemeinsame Verantwortung und wir haben, was ich schon auch sehr stark hoffe, auch eine gemeinsame Zukunft. (Beifall bei NEOS, ÖVP und SPÖ.)
Was für uns so schmerzhaft zu lernen ist – und ich verstehe das, dass man sich auch lieber davon abwendet –, ist ja, dass unsere eigene Sicherheit am Spiel steht. Natürlich ist es ein unermesslicher Terror, der in der Ukraine geschieht, aber zuallererst ist es natürlich auch unsere Aufgabe als Bundesregierung, für den Schutz der Österreicherinnen und Österreicher, für die Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher und für Stabilität bei uns in Europa zu sorgen, und da ist das, was an der Peripherie passiert, unmittelbar relevant für uns.
Ich möchte sogar einen Schritt weitergehen: Diese Angriffe in der heutigen Zeit erfolgen leider nicht nur – und das ist ohnehin schon brutal genug – am Schlachtfeld, mit Raketen, mit Panzern, mit Drohnen, sondern sie finden in massiver Art und Weise hybrid statt, mit Cyberattacken, mit Desinformationskampagnen, auch mit dem systematischen Versuch der Destabilisierung unserer Demokratien hier in Europa. Warum sage ich das? – Weil es ja nicht nur um territoriale Ansprüche aufgrund eines imperialen Denkens von Wladimir Putin geht, sondern um die liberale Demokratie samt offener Gesellschaft des Westens an sich, die im Ziel, im Fokus von diesem Kurs Russlands steht. Das muss jedem von uns bewusst sein, und wir in der Bundesregierung sind auch in der Verantwortung.
Und ja, ich bin davon überzeugt – ich möchte das vielleicht ganz kurz sagen –: Jeder von uns will Frieden in der Ukraine, zuallererst die Ukrainerinnen und Ukrainer. Ich danke wirklich allen, die da jetzt auch wieder gefahren sind, weil man das so abtun kann, dass dieser Besuch stattgefunden hat. Auch bei meinen Besuchen habe ich aber schon etwas gesehen: Die Menschen, insbesondere die Zivilbevölkerung – die betroffenen Mütter, die betroffenen Kinder, die betroffenen Großeltern, auch die Väter –, wollen vor allem auch eines, nämlich dass man sie wahrnimmt, dass sie das Gefühl haben: Wir sind nicht alleine!
Es ist zuallererst immer die Ukraine, die über ihre eigene Verteidigungsfähigkeit entscheidet. Ich glaube, es ist das gute, souveräne Recht eines jeden Volkes, sich zu wehren, wenn man so brutal angegriffen wird. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)
Was man auch gesehen hat – und ich begrüße übrigens die Bemühungen der Vereinigten Staaten, für Frieden zu sorgen –, spätestens seit dem Gipfel von Dschidda – ich glaube, es war am 16. März –, bei dem die Ukraine zu einem umfassenden Waffenstillstand bereit war: wer nun an Frieden interessiert ist und wer nicht, nämlich Russland mit Wladimir Putin an der Spitze. Wie viele Tote hat es seit dieser Bereitschaft der Ukraine gegeben?
Ich kann Ihnen schon auch etwas sagen: Es ist auch zuerst an der Ukraine, zu entscheiden, wann man Frieden möchte und welche territorialen Zugeständnisse man macht. Es ist nicht an uns, aber auch wir als Europa haben eigene Interessen. Warum? – Weil wir ein Interesse daran haben, dass es nicht Mode macht, sich nicht durchsetzt, dass jeder territoriale Hunger, den ein Land hat, am Schlachtfeld ausgemacht wird, mit Panzern, Granaten, Drohnen und Artillerie ausgetragen wird. Es geht hier um unsere eigenen Interessen, auch als Europa, wo wir – blutigst – nach 1945 gelernt haben, dass es besser ist, sich die Dinge am Verhandlungstisch gemeinsam, in einem möglichst vereinten Europa auszumachen, als wieder mit militärischen Mitteln. Insofern sehe ich schon auch eigene Interessen in der Frage: Was ist ein gerechter Frieden? – Das ist nicht nur eine Entscheidung, aber selbstverständlich auch eine Entscheidung der Ukraine.
Und ja, es ist eine kalte Dusche gewesen. Es ist auch eine kalte Dusche, zu erfahren, dass man auch diplomatische Macht letztlich nur dann einsetzen kann, wenn man im Hinterhof ein gewisses Mittel zur Durchsetzung, Druckmittel hat. Das, und genau das, ist der Weg, den Europa gewählt hat, nämlich mit klugen Sanktionen Russland massiv zu treffen und unter Druck zu setzen. Da geht es sehr wohl auch um sehr effektive Maßnahmen wie zum Beispiel die Möglichkeit, zu unterbinden, dass Russland nachrüstet. Ich glaube, das ist in unser aller Interesse, dass wir nicht mehr auch noch Exporteur von Waffen und Technologien sind, die Russland braucht, um weiter aufzurüsten. Was wir aber auch ziehen müssen, sind die Lehren aus dieser kalten Dusche, nämlich dass wir für unsere eigene Verteidigungsfähigkeit in Europa selber sorgen müssen. Wir können das nicht mehr auslagern, die Verlässlichkeit der Partnerschaft mit den USA scheint nicht mehr so gegeben zu sein, und letztlich geht es um unsere Interessen. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Ich verstehe, dass das eine schmerzhafte Erkenntnis ist, die man auch in der Ukraine gesehen hat: Neutralität alleine schützt dich nicht, wenn ein Aggressor das nicht akzeptiert. – Das heißt, es schützt uns das gemeinsame Verständnis von einem Verteidigungsbündnis in Europa, und Österreich ist Teil der Europäischen Union, nimmt vollumfänglich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union teil. Wir sind da ein verlässlicher Partner, und mir ist es auch aus einem Souveränitätsgedanken lieber, wir spielen hier eine aktive Rolle, anstatt dass über unsere Köpfe hinweg entschieden wird: either you sit on the table or you are on the menu; entweder sitzt man mit am Tisch oder man steht auf der Speisekarte. Das wird auch oft gesagt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch das Engagement Österreichs für die Stabilität und Sicherheit in Europa hervorstreichen, nicht zuletzt auch mit den zahlreichen Friedensmissionen und ganz konkret jetzt auch am Westbalkan mit der Eufor/Althea-Mission in Bosnien und mit der KFOR-Mission im Kosovo. Das ist ein aktiver Beitrag Österreichs mit hervorragenden Soldatinnen und Soldaten zur Stabilität und zur Sicherheit von Europa. Es ist in unserem Interesse und wir können stolz darauf sein, was Österreich da leistet. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei allen Themen, die uns weltweit beschäftigen, gilt: Diplomatie – da gebe ich Ihnen völlig recht – und auch Multilateralismus müssen die Grundlage für unser Tun bilden. Diplomatie ist immer die erste Verteidigungslinie, das ist völlig klar, sie verhindert Konflikte, bevor sie ausbrechen, und sie bewahrt den Dialog, damit Konflikte nicht ausbrechen. Insofern ist es kein Luxusgut, in Friedenszeiten, in denen es eh niemanden interessiert, Foren wie die Vereinten Nationen zu haben, in denen wir uns austauschen und in denen wir als Österreich auch sehr aktiv mitarbeiten, etwa auch zum Schutz der Zivilbevölkerung sehr aktiv unseren Beitrag leisten. Das ist kein Luxusgut, sondern eine Notwendigkeit – eine Notwendigkeit für den Schutz unserer eigenen Bevölkerung in der Zukunft – und gerade auch im Interesse eines kleinen Landes wie Österreich, das eben, wie gesagt, kein Interesse daran haben kann, dass jetzt wieder zählt, wer die größte militärische Kapazität hat oder wer die größte wirtschaftliche Kapazität hat.
Ich möchte hier auch auf das internationale Völkerrecht zu sprechen kommen, weil es auch im Antrag angesprochen wurde, und dafür danke ich. Es gibt hier massive Brüche des internationalen Völkerrechts, nicht nur, aber gerade auch, was diese wirklich furchtbare Deportation von Kindern aus der Ukraine, aus der Mitte der Familien herausgerissen, nach Russland betrifft. Und auch das muss in unserem Interesse sein, dass Verträge und Regeln eingehalten werden und, wenn sie gebrochen werden, dass das nicht sanktionslos zur Kenntnis genommen wird. Was sind denn Regeln wert, wenn sich niemand mehr daran hält? Auch unsere Sicherheit als Österreich hängt davon ab, dass Völkerrecht weiter gilt – ansonsten wird die Welt viel, viel unsicherer.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf unseren Beitrag eingehen und vielleicht auch gleich den nächsten Tagesordnungspunkt erwähnen: Österreichs Einsatz gegen Atomwaffen. Das ist nämlich auch ein hervorragendes Beispiel, wie wir seit vielen, vielen Jahren über den Weg der Diplomatie mit hervorragenden Expertinnen und Experten – und wir können da wirklich stolz sein – großartige Arbeit machen, was nukleare Abrüstung, was Rüstungskontrolle und Nonproliferationsregime angeht. So hat Österreich unter anderen den Atomwaffenverbotsvertrag mitinitiiert. Es ist ganz klar, dass es einen Paradigmenwechsel im Zusammenhang mit Nuklearwaffen braucht, weil wir an einem nuklearen Wettrüsten kein Interesse haben können, bei allem Verständnis, dass das sozusagen in jeder Verteidigungsdoktrin auch als Abschreckung verwendet wird. Ebenso effektiv ist auch die Tabuisierung, und an dieser weltweiten Tabuisierung müssen wir weiterarbeiten und gerade auch als Österreich dazu unseren Beitrag leisten.
Ein ganz konkreter Beitrag dazu ist auch die Kandidatur als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat. Ich habe das schon im Ausschuss angesprochen, ich möchte hier gerne wieder darauf hinweisen, weil das auch kein Luxus ist, sondern ein wirklicher Beitrag, den wir als Österreich leisten können, wenn wir als nichtständiges Mitglied am Tisch mit den mächtigen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates die Themen besprechen können, die uns wichtig sind, die Themen vorantreiben können, an denen wir ein Interesse haben, und auch die Welt mitgestalten können in der Richtung, wie wir sie uns vorstellen. Wir sind eben nicht nur ein kleines Land in diesen Foren, sondern wir haben die Möglichkeit, hier Sitz und Stimme zu haben, und ich würde Sie alle herzlich einladen, diese Kandidatur auch in Ihren bilateralen Gesprächen aktiv zu unterstützen. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist eine geopolitisch neue Situation, an die wir uns anpassen müssen, in der wir vieles auch schmerzhaft lernen müssen, in der aber die österreichische Bundesregierung und auch ich in meiner Arbeit immer von einem Leitgedanken getragen sind: Was ist vor allem im Interesse der Österreicherinnen und Österreicher? Und wie ich das bereits ausgeführt habe, besteht unser Interesse darin, dass das Völkerrecht gilt, dass Verträge eingehalten werden und dass ein Frieden gerecht, aber vor allem auch nachhaltig abgesichert ist. Die österreichische Bundesregierung ist bereit, dazu ihren Beitrag zu leisten, und ich danke dem Haus heute auch für diese Unterstützung. – Danke. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
20.35
Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Carina Reiter.