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Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Meine Damen und Herren! Österreich trauert. (Die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzplätzen.) Vor nicht ganz einer Woche, nach dem freien Pfingstmontag, der 10.6.2025: Ein normaler Schultag beginnt. Die Ferien nahen. Die Matura wird bald abgelegt sein. Neun junge, lebensfrohe Menschen, 14, 15, 16, 17 Jahre alt, Schülerinnen und Schüler des Borg Dreierschützengasse in Graz, verabschieden sich von Eltern, telefonieren vielleicht mit Oma und Opa, begleiten Geschwister am Schulweg. – Sie kommen nicht mehr zurück. Ihre Kinderzimmer bleiben leer. Eine Lehrerin, kurz vor ihrer Pension, steht engagiert für die ihr anvertrauten Kinder in der Klasse. – Sie kehrt nicht mehr zu ihrer Familie zurück. Elf weitere Opfer werden schwer verletzt und befinden sich Gott sei Dank und aufgrund bester medizinischer Versorgung außer Lebensgefahr. Die seelischen Wunden heilen vielleicht irgendwann.
Genauso hat der Täter den Hinterbliebenen – Eltern, Geschwistern, Verwandten –, den Mitschülerinnen und Mitschülern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Freundinnen und Freunden schwere seelische Wunden zugefügt, die hoffentlich irgendwie heilen können. Es ist eine unsagbare Katastrophe. Ich werde daher gar nicht versuchen, diesen Albtraum in Worte zu fassen. Auch die Frage nach dem Warum kann angesichts der Vorgangsweise des Täters nicht beantwortet werden. Was veranlasst einen jungen Menschen, neun andere junge Menschen, die er gar nicht kennt, und eine Lehrerin wahllos zu ermorden?
Zu den verletzten Opfern: Der Täter hätte auch deren Tod gewollt und in Kauf genommen – letztlich entzieht er sich dann selbst der irdischen Gerichtsbarkeit –: minutiös geplant, als ob er einfach in den Bildschirm seines Computers hinein diffundiert und dort in einem Fantasy-Killerspiel auf animierte Trickfiguren das Feuer eröffnet – 7 Minuten, 40 Schüsse, unfassbar!
Ganz Österreich trauert mit den Opfern und deren Angehörigen. Und trotz des Schmerzes, den jeder Mensch mit einem Funken Empathie spürt, ist es ein gutes Gefühl, wie durch aufrichtige Anteilnahme, im stillen Gedenken oder in der Öffentlichkeit, in einem Gotteshaus oder auf einem Platz, versucht wird, auch Trost zu spenden, Halt zu geben und einen Schimmer Hoffnung zu erzeugen. Ich darf hier auch anmerken, dass dem Parlament zahlreiche Kondolenzschreiben aus vielen Staaten, vor allem aus unseren Nachbarländern, zugegangen sind – als Zeichen, dass dieses Verbrechen auch außerhalb unserer Landesgrenze mit Fassungslosigkeit, Entsetzen und Trauer wahrgenommen wurde.
An dieser Stelle auch der aufrichtige Dank aus diesem Haus an alle, die während des verabscheuungswürdigen Mordanschlags in der Schule Schlimmeres verhindert haben – an die Sicherheitskräfte, deren rasches Einschreiten vor Ort den Täter in die Defensive und zu seiner höchstpersönlichen letzten Konsequenz gedrängt hat; an die Rettungskräfte und die Notfallmediziner, die Leben retten und schwereres Leid lindern konnten; und Dank an die vielen, vielen großartigen Mitmenschen, die im Rahmen der Trauerarbeit mit Hinterbliebenen Trost und Beistand spenden. Es ist die Tätigkeit großer Herzen. (Der Redner ringt um Fassung.) Auch die Mitschülerinnen und Mitschüler sind mit ihren Lehrerinnen und Lehrern gefordert, ihre Schule vom Tatort eines bestialischen Massakers wieder in einen Ort der Sicherheit, der Unbeschwertheit und der Zukunft zu verwandeln – eine große Aufgabe, die bereits jetzt mit hoher Einfühlsamkeit begonnen wurde.
Nun zu uns selbst hier im Hohen Haus: Wir, Politiker und Politikerinnen in diesem Land, haben nach dieser Tragödie eine Aufgabe, wenn man so sagen will, ein Vermächtnis von den Opfern dieser Wahnsinnstat. Wir hören aus dem Land die Stimmen der Familien, der Jugend, der Elternvertreter, vieler, vieler Menschen, die zu Recht ganz klare Forderungen an die Politik stellen und Erwartungen haben. Es geht um Maßnahmen, wie Österreich in Zukunft vor derartigem Unglück verschont werden kann. Dieser Verantwortung müssen und werden wir gerecht werden.
Ich darf Sie jetzt ersuchen, in einer Minute des stillen Gedenkens neben Ihrem Mitgefühl und Ihrer Anteilnahme für die Opfer und deren Hinterbliebenen für sich persönlich das Versprechen zu geben, diese Verantwortung zu übernehmen. (Die Anwesenden verharren einige Zeit in stiller Trauer.) – Ich danke für die Kundgebung. (Die Anwesenden nehmen ihre Sitzplätze wieder ein.)