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9.27

Bundesminister für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport Vizekanzler Andreas Babler, MSc: Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Aber vor allem sehr geehrte Eltern, Angehörige, Freundinnen und Freunde der Opfer! Ich bin mir im Klaren darüber, dass kein Wort, das heute gesprochen wird, keine Umarmung und auch kein Mitgefühl dieser Welt die Lücke füllen können, die in Ihrem Herzen klafft. Man kann sich auch keine Vorstellung davon machen, welch unermesslichen Schmerz Sie seit diesem schrecklichen 10. Juni fühlen müssen. Ich weiß, dass Sie diesen Verlust, die Wut, den Schmerz Ihr Leben lang mit sich tragen müssen, und das tut mir unendlich leid. 

Ich rede nicht deshalb, um Ihnen Ihren Schmerz zu nehmen – das kann niemand –, sondern ich spreche in der Hoffnung, dass es Ihnen hilft, zu wissen, dass Sie mit Ihrer Trauer nicht allein sind. Ich spreche, weil Sie hören sollen, dass das ganze Land, alle Menschen in diesem Land mit Ihnen trauern. Ich spreche, weil Sie wissen sollen, dass sich die Politik verantwortlich fühlt. 

Meine Brust ist eng, mein Hals schnürt sich zusammen und mein Herz ist gebrochen, und ich kann Ihnen versichern, es geht uns allen so. So fühlt sich Entsetzen an, so fühlt sich Trauer an, so fühlt sich aber auch Mitgefühl an. Dieses Mitgefühl beweist, wie stark das Menschliche in uns ist, dass Empathie der natürliche, der menschliche Zustand ist. Wir sollten uns gerade in diesen dunklen Zeiten vergegenwärtigen: Trotz allem, der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist stark. 

Und wie stark dieser Zusammenhalt ist, hat Graz in den Stunden des Anschlags und danach eindrucksvoll bewiesen. Die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte, das Schulpersonal, sie alle haben aufeinander aufgepasst. Die Einsatzkräfte, sie haben ihr Leben riskiert, um Leben zu retten. Das medizinische Personal, es hat Übermenschliches geleistet, um Menschenleben zu erhalten. Die Grazer Bevölkerung, sie kam noch am selben Tag zu einem Lichtermeer zusammen, so wie auch gestern, um der Toten zu gedenken. Die Steirerinnen und Steirer, sie spendeten allein am Tag dieses schrecklichen Attentats 600 Blutkonserven. Bis heute rücken die Menschen zusammen und spenden Trost. 

Normalerweise sollte ich mich nicht nur bedanken, sondern den Dank noch mit dem Zusatz veredeln, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Das werde ich heute nicht tun, denn genau das war es für die Beteiligten: selbstverständlich. Niemand musste sich dazu zwingen, das Richtige zu tun: Die Lehrerinnen und Lehrer haben nicht überlegt, sondern sie haben ihre Schüler:innen geschützt. Die Einsatzkräfte haben nicht gezögert, sondern sie haben ihr Leben riskiert. Sie haben bewiesen, wie viel Gutes in diesem Land steckt. Sie taten, was für sie natürlich war: zu helfen. Das ist die menschliche Reaktion auf dieses Grauen – und das ist es, was uns allen Kraft gibt.

Sie haben bewiesen, dass dieser Zusammenhalt selbstverständlich für sie ist. Darum möchte ich mich jetzt doch bedanken: Danke für diese Selbstverständlichkeit, mit der Sie alle geholfen, gespendet und getrauert haben. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, in so einem Land leben zu dürfen. Ihre Taten machen mich nicht nur stolz, sie geben Hoffnung – Hoffnung nach diesem furchtbaren Mordanschlag.

Der Attentäter von Graz hat neun Kindern die Zukunft genommen. Vor den ermordeten Schülerinnen und Schülern lag ihr ganzes Leben. Sie hatten Träume, hätten die Schule fertig gemacht, sich verliebt, einen Beruf ergriffen, vielleicht auch geheiratet, möglicherweise selbst Kinder bekommen. Auch eine Lehrerin, die ihre Schülerinnen und Schüler ein Stück auf deren Weg begleitet hat, die selbst Träume und Wünsche hatte, wurde ermordet. Vor den Opfern lagen traurige und schöne, lustige und tragische, langweilige und ereignisreiche Tage ihres Lebens. Keinen einzigen davon werden sie je erleben – und das ist unverzeihlich.

Ich spreche heute aber nicht nur als Mitbürger zu Ihnen, sondern auch als Vizekanzler, als Vertreter dieses Staates, dessen Pflicht es ist, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Und in dieser Rolle habe ich eine klare Botschaft: Jedes Kind in Österreich muss in Sicherheit aufwachsen und leben können. Unser Staat hat die Pflicht, unsere Kinder zu schützen. Wir müssen alles dafür tun, dass Schulen Orte des Lernens, der Geborgenheit und der Sicherheit sind und auch bleiben.

Wir müssen uns deshalb als Politik eine sehr unangenehme Frage stellen: Tun wir genug, um unsere Kinder zu schützen? – Und die schmerzhafte Antwort ist: Es war nicht genug, wir müssen mehr tun! Die Bundesregierung wird in den kommenden Tagen eine deutliche Verschärfung des Waffengesetzes in die Wege leiten. Wir werden den Zugang zu Waffen für bestimmte Personengruppen deutlich einschränken und den Erwerb von Waffen erschweren. Es gibt keinen, wirklich keinen Grund, warum man sich mit 18 Jahren ohne strenge Prüfung eine Schrotflinte sollte kaufen können.

Wir werden aber nicht nur das Waffengesetz verschärfen, wir werden auch unser Möglichstes tun, um für die Betroffenen da zu sein. In dem Wissen, dass Geld den Verlust niemals aufwiegen kann, werden wir einen Entschädigungsfonds für die betroffenen Personen einrichten, mit dem unter anderem die Begräbniskosten, psychologische Betreuung und vieles andere, das so dringend notwendig ist, finanziert werden wird. Darüber hinaus sollen konkrete Maßnahmen in der betroffenen Schule gesetzt werden. Außerdem wird es eine massive Aufstockung der Schulpsychologie und des schulpsychologischen Personals geben müssen.

Wir können damit das Geschehene nicht rückgängig machen, wir können den Schmerz nicht lindern, den Sie alle empfinden, wir können Ihnen die Trauer nicht abnehmen, aber wir müssen Verantwortung übernehmen – und das werden wir tun.

Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Angehörige! Meine Brust ist eng, mein Hals schnürt sich zusammen, mein Herz ist gebrochen, aber ich spüre auch die Wärme, die der Zusammenhalt in unserem Land ausstrahlt. Ich hoffe inständig, dass diese Wärme Trost spenden kann. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ, ÖVP, NEOS und Grünen.)

9.34

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausführungen und darf jetzt der Frau Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten das Wort erteilen. – Frau Bundesministerin.