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Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung! Werte Abgeordnete! Liebe Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Und ja, auch: Liebe Angehörige – vor allem – der Opfer dieses schrecklichen Amoklaufs am Dienstag letzter Woche in Graz. Der Juni ist eine sehr geschäftige Zeit an den Schulen für Schülerinnen und Schüler, für Eltern, für Lehrerinnen und Lehrer: Es stehen die letzten Prüfungen an, es fallen die letzten Entscheidungen zwischen Noten und es ist eine Vorfreude da, eine Vorfreude auf den Sommer, auf eine verdiente Pause von einem intensiven Schuljahr. Nur noch wenige Wochen an Unterricht stehen an, Projekte werden finalisiert, Schulfeste stehen an und wirklich viele träumen schon davon, einfach nur in der Sonne zu liegen und die Seele baumeln zu lassen.
Dieser Stimmung wurde am Vormittag des 10. Juni 2025 jäh ein Ende gesetzt. Ein 21-Jähriger verschaffte sich Zutritt zum Borg Dreierschützengasse in Graz. Er ermordete neun Schülerinnen und Schüler und eine Lehrerin, verletzte viele weitere schwer und richtete sich danach selbst. Zurück bleiben Eltern, Geschwister, Großväter, Großmütter, Lehrerinnen und Lehrer, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde – und keine Mutter, kein Vater kann und will es sich vorstellen, was es bedeutet, dass das eigene Kind nicht mehr von der Schule nach Hause kommt. Zurück bleiben wir alle fassungslos in einer Situation, in der wir versuchen, um Fassung zu ringen, und es nicht fassen können, was da passiert ist, mit dem Versuch, Worte für eine Tat zu finden, für die sich keine Worte finden lassen. Es ist ein tiefes Mitgefühl, das uns alle die letzten Tage bewegt hat, und eine tiefe Trauer, die unser ganzes Land erfüllt hat. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Eine Frage schwebt im Raum, für die es wahrscheinlich nie eine Antwort geben wird, nämlich die Frage nach dem Warum.
Wir stehen hier heute geeint als Bundesregierung mit allen Vertreterinnen und Vertretern des Hohen Hauses, um klar zum Ausdruck zu bringen: Wir werden diesen 10. Juni nicht vergessen! Wir werden die Opfer dieses 10. Juni nicht vergessen! – Und es ist unsere Aufgabe als Bundesregierung, diese Tat, ihre Hintergründe vollständig aufzuklären, aber vor allem auch Konsequenzen daraus zu ziehen.
Ich möchte an allererster Stelle den Einsatzkräften vor Ort, den Polizistinnen und Polizisten, den engagierten Ersthelferinnen und Ersthelfern, dem psychosozialen Dienst, dem Pflegepersonal, den Ärztinnen und Ärzten in den Spitälern und all jenen, die am 10. Juni sofort zur Hilfe eilten, meinen aufrichtigen Dank ausdrücken. Ich danke auch den Ermittlungsbehörden, die in den vergangenen Tagen sehr intensive Ermittlungsarbeit geleistet haben und auch weiterhin leisten. Mein Dank gilt auch dem Bildungsministerium, der Bildungsdirektion, der Direktorin vor Ort, den Lehrerinnen und Lehrern, die in einer angespannten Situation hoch professionell, wohlüberlegt und sehr zügig gehandelt haben. Ich danke vor allem auch allen Lehrerinnen und Lehrern. Ich weiß, dass diese in den Tagen danach versucht haben, in den Klassen, für die sie zuständig sind, mit den Schülerinnen und Schülern das Unbegreifliche begreifbar zu machen, das Unerträgliche ein bisschen mehr erträglich zu machen.
Schule muss immer ein sicherer Ort sein. Das war vor dem 10. Juni klar und das wird es auch weiterhin bleiben. So verfolgt das Bildungsministerium eine umfassende Gewalt- und Mobbingpräventionsstrategie unter dem Leitmotiv: Null Toleranz gegen Gewalt! Im Regierungsprogramm haben wir uns schon dazu verpflichtet, eine massive Aufstockung der psychosozialen Unterstützung umzusetzen, die auch Teil dieses Doppelbudgets 2025/2026, das ja auch noch heute, morgen und am Mittwoch hier im Hohen Haus diskutiert werden wird, ist. Für den Vollausbau stehen da mehr als 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Anteilnahme an der Tragödie von Graz drückt sich nicht zuletzt in der Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit aus, mit der wir auch als Bundesregierung nach dieser grausamen Tat handeln. Als Koalition haben wir uns rasch darauf verständigt – sehr entschlossen darauf verständigt –, schon diesen Mittwoch ein Paket an konkreten Konsequenzen und Maßnahmen im Ministerrat zu beschließen. Dabei sollen sowohl die Erkenntnisse aus diesem furchtbaren Fall in Graz berücksichtigt als natürlich auch dem Gedanken Rechnung getragen werden, solche Taten zukünftig möglichst zu verhindern.
Daher setzen wir neben Schritten unbürokratischer Unterstützung für die akut Betroffenen, dringend verschärfter Gesetze und eines besseren Datenaustausches auch und vor allem solche für ein verstärktes Präventionsnetz. Unsere Sicherheit beginnt mit guter psychischer Gesundheit. Neben einer Reihe von Maßnahmen, auf die auch Bundeskanzler Stocker und Herr Vizekanzler Babler schon eingegangen sind, möchte ich insbesondere auf die Maßnahmen im Bildungs- und Schulbereich eingehen.
Im Nationalrat wird noch diese Woche ein Gesetz auf den Weg gebracht, um allen Maturantinnen und Maturanten am Borg Dreierschützengasse größtmögliche Flexibilität für ihre mündliche Matura zu ermöglichen. Die Schulpsychologie und das schulpsychologische Personal werden massiv aufgestockt, verpflichtende Gespräche mit Schulabbrechern werden eingeführt. In einer engen Abstimmung mit den Bildungsdirektionen soll bis zum Ende des Schuljahres die Polizeipräsenz – wir haben es gehört – rund um die Schulen verstärkt werden, und bereits vorhandene Sicherheits- und Präventionskonzepte in den Schulen werden allesamt evaluiert und gestärkt.
Daneben gibt es eine Reihe von anderen Maßnahmen – ich will sie sozusagen jetzt auch nur rasch wiederholen, weil sie schon genannt wurden –: Wir schaffen einen Entschädigungsfonds für die betroffenen Personen, mit dem unter anderem Begräbniskosten, psychologische Betreuung und so weiter finanziert werden. Darüber hinaus sollen ganz konkrete Maßnahmen in der betroffenen Schule finanziert werden – es ist schon ausgeführt worden; diese Schule darf in der Zukunft nicht nur ein Sinnbild dieser unermesslich schrecklichen Tat sein, sondern muss wieder ein Ort des Unterrichts, der Freude und der Bildung werden –: eine deutliche Verschärfung des Waffengesetzes – ich glaube, viele Menschen in Österreich haben über die vergangenen Tage richtigerweise Unverständnis betreffend die Situation des Waffengesetzes geäußert –; durch strengere Eignungsvoraussetzungen zum Waffenbesitz und Einschränkungen zum Zugang zu Waffen bei bestimmten Personengruppen; einen besseren Datenaustausch zwischen den Behörden und Waffeneinschränkungen bei individueller Gefährdungslage; ein stärkeres Monitoring und verpflichtende Maßnahmen bei gefährdeten Jugendlichen und einen Einsatz für strengere Vorschriften beim Umgang mit Social Media für Kinder und Jugendliche.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts macht das wieder gut, aber wir sind in der Verpflichtung, rasch und entschlossen die Lehren daraus zu ziehen und Konsequenzen zu ziehen. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass alle Menschen in Österreich sicher sind, und das gilt natürlich ganz besonders für unsere Kinder. Je früher wir ähnliche Bedrohungen und Geschehnisse wie am Borg Dreierschützengasse erkennen und verhindern können, umso besser.
Erlauben Sie mir auch noch kurz darauf einzugehen, dass uns eine Reihe von Beileidsbekundungen, Kondolenzschreiben und zum Teil wirklich persönliche Sympathie-, Empathie- und Mitleidsbekundungen aus dem Ausland erreicht haben. Die Zeit reicht nicht aus, um sie alle aufzulisten, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, wenn etwas in diesen schrecklichen Tagen ein wenig guttut, dann ist es das Gefühl, dass wir nicht allein sind, dass hier die internationale Anteilnahme enorm groß ist, und zwar aus der ganzen Welt. Sie ist von überallher gekommen und sie war von einem tiefen, tiefen, Mitgefühl getragen.
Keine Konsequenz kann das wiedergutmachen, die Herzen werden nicht leichter. Keine dieser Maßnahmen wird die verstorbenen Opfer wieder zurückholen können oder den Schmerz bei den Hinterbliebenen lindern, das ist uns klar, aber zusammen wollen wir Sorge dafür tragen, dass sich solch eine schreckliche Tat nicht wiederholt. Diese Verantwortung nehmen wir als Bundesregierung entschlossen wahr. – Vielen Dank. (Beifall bei NEOS, ÖVP, SPÖ und Grünen.)
9.44
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke auch der Frau Bundesministerin für ihre Ausführungen.
Wir gehen in die Debatte über die Erklärungen ein.
Für die Debatte wurden zwei Rednerrunden nach Klubstärke festgelegt.
Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Klubobmann Kickl. Ich erteile es ihm. Eingemeldete Redezeit: 10 Minuten.