RN/9
9.44
Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Danke schön, Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Hohes Haus, vor allem aber liebe Österreicherinnen und Österreicher! Ich spreche heute zu Ihnen als Politiker – ja, das ist selbstverständlich hier im Parlament –, aber ich spreche zu Ihnen vor allem auch in meiner Rolle als Familienvater, und das hat damit zu tun, weil das, was in Graz geschehen ist, wohl zum Schlimmsten gehört, was einem Menschen als Papa oder Mama, als Opa oder Oma, als Onkel oder Tante, als Bruder oder Schwester, als Freund oder Freundin passieren kann: einen geliebten Menschen, sein eigenes Kind, seine Tochter, seinen Sohn in der Früh zu verabschieden, in der vertrauten Gewissheit, dass alles so läuft, wie es immer gelaufen ist, und nicht ahnen könnend, dass dieser Abschied ein Abschied für immer ist.
Wie grausam ist das?! – Keine Möglichkeit mehr zu haben, miteinander zu sprechen, sich zu umarmen, sich auszutauschen, etwas gemeinsam zu unternehmen, Pläne zu schmieden, sich miteinander zu freuen, auch sich übereinander zu ärgern, zu lachen, füreinander da zu sein – und statt all dem, mit einem Schlag nur Schmerz und Leere und Verzweiflung. Wie grausam ist das und wie weh muss das tun?
Und ja, meine Damen und Herren, wir alle, wir waren und sind in diesen letzten Tagen und Stunden mit unseren Gedanken, mit unseren Wünschen, mit unseren Gebeten bei den Opfern, bei den Hinterbliebenen und bei den Verletzten. Fahnen sind auf halbmast gesetzt worden, es hat Trauerminuten gegeben und Menschen haben Kerzen und Lichter entzündet und viele Veranstaltungen sind als Zeichen der Pietät und der Anteilnahme abgesagt oder verschoben worden – auch das ist übrigens ein Zeichen dafür, dass das Leben weitergeht, aber unter geänderten Umständen, in einer anderen Intensität. Und trotz dieses aufrichtig empfundenen Beileids und dieses Mitgefühls muss uns eines klar sein: Es bleibt immer ein Mit-gefühl, ein Mit-fühlen, ein Bei-leid. Es geht gar nicht anders, weil niemand – niemand! –, der nicht unmittelbar betroffen ist, den grausamen Schmerz und die Not der Hinterbliebenen in der ganzen Dimension empfinden kann, und wer das von sich behauptet, der spricht die Unwahrheit.
Wir können also nur da sein, begleiten, an der Hand nehmen, Zuspruch geben, trösten, beten und in gewisser Weise begleitend von außen unterstützen, aber wir können das Leid nicht abnehmen. Wir können es nicht ungeschehen machen, leider, aber wir können es vielleicht ein wenig lindern, ein wenig – und genau das ist unendlich wichtig, unendlich kostbar und unendlich wertvoll. Das war und das ist unsere Aufgabe in den letzten Tagen und Stunden, und das wird es auch weiterhin sein.
Und ich bedanke mich an dieser Stelle daher bei allen – bei allen! –, die mit ihren Herzen, mit ihren Worten, mit ihren Gefühlen, Wünschen, Gedanken und Gebeten diese Kette der Anteilnahme gebildet haben (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten von NEOS und Grünen), die dieses emotionale Auffangnetz geknüpft haben, denn auch das ist Graz.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte auch die Gelegenheit dieser Debatte dafür nutzen, in Gegenwart der österreichischen Bevölkerung, die ja via Medien oder heute hier als Gäste auf der Galerie persönlich dabei ist, offiziell den Dank der freiheitlichen Fraktion auszusprechen an alle Einsatzkräfte, an alle Retter, an die Helfer von Graz, an alle, die bei dieser schrecklichen Bluttat zur Abwehr, zur Beendigung, zum Schutz oder eben im Umgang mit den Folgen dieses tragischen Ereignisses im Einsatz waren und immer noch sind. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Polizeikräften, den Rettungskräften, dem medizinischen Personal, den Ärzten, Sanitätern, Pflegern, den psychologischen Betreuern, den Seelsorgern, der Feuerwehr, dem Lehr- und dem Schulpersonal und selbstverständlich bei den Schülern, denn sie alle haben ihren Beitrag geleistet, so rasch wie möglich einzugreifen, die Gefahr auszuschalten, andere zu schützen, Hilfe zu leisten und Heilung da zu beginnen und zu bewirken, wo sie möglich ist.
Das, was in diesem Gymnasium geschehen ist, ist etwas, womit niemand im täglichen Leben rechnet, wovon man immer glaubt und wovon man immer hofft und betreffend das man immer davon ausgeht, dass es nie passiert – und schon gar nicht in der eigenen Familie, im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, in der eigenen Schule, in der eigenen Stadt, im eigenen Land. Das ist die Hoffnung, das ist die Einstellung von uns allen, und das ist gut so und das ist ganz normal und das ist richtig, und das ist im Übrigen auch zutiefst menschlich!
Trotzdem haben wir aber alle – und als politisch Verantwortliche und als Entscheidungsträger vielleicht noch etwas mehr – im Hinterkopf zu haben: Es gibt natürlich ein Risiko, wir blenden es nur aus. Wir schieben es weg, aber es ist nicht weg. Die Gefahr lauert in gewisser Weise, sie ist allgegenwärtig – weil wir alle ja wissen, dass man überall anders auf der Welt, wo auch solche Tragödien passiert sind, auch geglaubt hat: nicht in meinem Umfeld, nicht in meiner Familie, nicht in meiner Schule, nicht in meiner Stadt und nicht in meinem Land – und trotzdem ist es passiert.
Dieses Verdrängte ist jetzt mit einem Schlag nicht mehr im Hintergrund, sondern es ist im Vordergrund, es schreit uns an und es fordert uns heraus, wieder in einer anderen, in einer schrecklichen Dimension. Es fordert uns dazu heraus, auf Basis von gesicherten Informationen und Analysen und auf Basis eines umfassenden, eines klaren und nüchternen Blicks auf die Problemlage die Frage zu beantworten: Was können, was müssen wir tun, um solche Ereignisse nach menschlichem Ermessen zu verhindern?
Je öfter man diese Frage stellt, je öfter man sich fragt, desto mehr wunde Punkte werden wir finden. Je öfter wir uns diese Frage stellen, desto mehr Zusammenhänge werden sich zeigen. Je öfter man diese Frage stellt, desto ganzheitlicher wird unser Bild und desto ganzheitlicher wird unsere Herausforderung werden.
Ja, Sie haben alle recht. Es geht natürlich um die Sicherheit in unseren Schulen, selbstverständlich. Darüber hinaus geht es aber um die Sicherheit unserer Kinder im Allgemeinen, um ihre Ängste, um ihre Nöte, um ihre Sorgen und auf der anderen Seite um ihre Hoffnungen, Wünsche, Pläne und ihre Träume in einer Welt, von der wir jeden Tag erleben, dass sie im Kleinen wie im Großen eigentlich immer mehr aus den Fugen gerät.
In Wahrheit geht es damit auch um den Zustand, um die Wertigkeit und um den inneren Kompass und damit auch um die Bedrohung und die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft im Allgemeinen. Die Probleme führen uns ganz, ganz tief in das Herz unserer Gesellschaft hinein.
Wir stehen unter anderem einmal mehr vor der Frage, wie wir das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Schutz, das jeder Mensch in diesem Land hat, mit dem Recht auf Freiheit, das auch jeder Mensch in diesem Land hat, miteinander in Einklang bringen und wie wir dabei das rechte Maß finden. Das ist gar keine leichte Aufgabe, ganz und gar nicht.
In einem sehr bekannten Bibelvers heißt es, dass alles im Leben seine Zeit und seine Stunde hat: „Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“. Ich denke, dass jetzt hier noch nicht die Zeit ist, mit dieser oder jener Maßnahme die Lösung eines Problems zu versprechen oder anzukündigen. Ich sage Ihnen auch, warum: weil es schon viele solcher Ankündigungen und Problemlösungen gegeben hat. Denken wir die Dinge sorgfältig durch! Denken wir sie zu Ende! Machen wir alle Hinsichten und Rücksichten, die es zu machen gibt, und wenn wir das getan haben, dann handeln wir entschlossen und ganzheitlich! (Beifall bei der FPÖ.)
Ich meine, jetzt ist die Zeit, ein Bekenntnis abzugeben – und wir tun das als stärkste Fraktion in diesem Haus –, dass wir uns der riesigen Verantwortung für unsere Familien und für unsere Kinder in Österreich bewusst sind, dass Kinder in unserer Heimat das unverbrüchliche Recht haben, in Sicherheit, in Geborgenheit, in ihren Familien unter dem Schutz des Staates in Freiheit aufwachsen und sich entwickeln zu können und dass jede politische Handlung dieser Vorgabe auch zu folgen hat. Das ist unser Anspruch und ich denke und ich hoffe, dass Sie alle diese Sicht der Dinge teilen.
Nicht allein das Kind soll sich der Umgebung anpassen – das wird natürlich in gewisser Weise immer notwendig sein, das nennt sich Erziehung und ohne eine Erziehung geht es eben nicht. Aber vergessen wir dabei nicht, dass sich auch die Umgebung an die Kinder anpassen muss. Die Umgebung, die wir uns für unsere Kinder wünschen, die bedeutet Frieden, Sicherheit, Geborgenheit, Freiheit und auch Ehrlichkeit im Umgang dessen oder mit dem, was möglich ist und was nicht möglich ist.
Das ist unser Auftrag, das ist unsere Verpflichtung den Opfern von Graz gegenüber, im Übrigen genauso wie gegenüber den Opfern von Villach und viel zu vielen anderen Kindern und Jugendlichen, die in unserem Land zu Opfern von Kriminalität, Gewalt und Terror geworden sind.
Noch ein offenes Wort am Ende: Dass es diese Opfer gibt, dass es Verletzte gibt, dass es trauernde Hinterbliebene gibt, führt uns vor Augen und beweist, dass der Staat es bisher nicht geschafft hat, diese Verpflichtung einzulösen. So ehrlich müssen wir an dieser Stelle auch sein, trotz anders lautender Versprechen, trotz anders lautender Ankündigungen.
Wir werden daher viele und wir werden daher intensive Debatten brauchen und sie auch führen. Es wird die Zeit kommen, wo wir schonungslos bewerten müssen, warum es bisher nicht gelungen ist, wo überall die Gefährdungen liegen, ob wir nicht an falschen Stellen sparen und an falschen Stellen investieren – alles das getragen von der Grundüberzeugung, das umfassende Schutzversprechen einzulösen, alles das getragen von einem Bemühen um eine bestmögliche gemeinsame Lösung.
Alles im Leben hat seine Zeit. Ich hoffe und bete dafür, dass auch für die Familien und Hinterbliebenen der Opfer und für die Verletzten an Körper und Seele nach einer Zeit der Trauer und des Schmerzes eine Zeit des Trosts, eine Zeit der Zuversicht, eine Zeit der Heilung und auch wieder eine Zeit der Freude kommen kann und kommen wird. (Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)
9.57
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bogner-Strauß. Eingemeldete Redezeit: 5 Minuten.