RN/68

16.08

Abgeordneter Mag. Werner Kogler (Grüne): Danke schön, Herr Präsident. – Falls Sie es nicht gehört haben, verwende ich gerne eine Minute der Redezeit darauf: Es ist unfassbar, was in dem Haus schon passiert und möglich ist. Abgeordneter Shetty hat vor wenigen Minuten an dieser Stelle ausgeführt – Bezug nehmend auf Ihre (in Richtung FPÖ) Fraktion; Sie hätten in die Ukraine mitfahren sollen –, wie er an den Massengräbern von Butscha gestanden ist. Und von da (in Richtung FPÖ weisend) kam der Zwischenruf einer Kollegin – das ist so unglaublich, dass ich gleich den Namen weglasse –, er hätte dabei Spaß gehabt. – So weit sind Sie (in Richtung FPÖ) hier gekommen, so weit ist es gekommen (Abg. Kickl [FPÖ]: So war es ja gar nicht! – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch [FPÖ]), und, Herr Präsident, das können wir – ich sage es noch einmal – nicht durchgehen lassen! (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. – Abg. Kickl [FPÖ]: So war es ja gar nicht! So war das gar nicht! So war es gar nicht!) Das hat mit einer normalen parlamentarischen Debatte nichts zu tun, das ist die Desavouierung von allem und jedem! 

Das ist das Prinzip, das Sie (in Richtung FPÖ) hier anwenden, die ganze Show da. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Schauen Sie bitte die Fotos in den sozialen Medien der NEOS an, wie sie dort dreinschauen!) Ich bin zwar ein bisschen anderer Meinung als Abgeordneter Shetty, dass man an einem Tag, an dem Selenskyj kommt, das schon thematisieren kann – ich werde schon darauf eingehen, ich werde es auch machen (Abg. Schnedlitz [FPÖ]: Der Innenminister lacht Sie aus, ...! Wenn ihr solche Fotos produziert, braucht ihr euch nicht zu wundern!), ein bisschen anders –, aber das ist so unterirdisch, das ist unter jeder nicht nur Würde des Hauses, das ist unter allem, was den letzten Grundkonsens noch zusammenhält.

Genau darum geht es Ihnen ja die ganze Zeit schon: das zu zerstören – deshalb werden sich die anderen Fraktionen überlegen müssen, wie hier ein Umgang zu finden ist –, nur erstens werden wir es uns nicht gefallen lassen, und zweitens werden wir es erzählen. Es sollen genug hören. Wir haben es gehört, was Abgeordnetem Shetty hier vorgehalten wird. Da ist man ja schon wieder sprachlos. (Abg. Michael Hammer [ÖVP]: Rücktritt eigentlich!) Das ist ja unfassbar, was Sie hier aufführen! (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

So! Ja, es wäre ja viel zu diskutieren, wenn Sie nicht dauernd alles umdrehen würden wie Ihre Vorbilder Putin und Trump. Man ist sich hier herinnen eh fast vorgekommen wie beim Putin-Sender, aber am Rednerpult darf man ja viel (Zwischenruf des Abg. Schnedlitz [FPÖ]), das geht sich ja noch aus. (Abg. Kickl [FPÖ]: Sie erinnern manchmal an den Herrn Jelzin!)

„Zeit für Frieden“ (in Richtung FPÖ weisend); nehmen wir das: „Zeit für Frieden“. 

Also erstens einmal bin ich unheimlich dankbar, muss ich fast sagen, der Bundesregierungsspitze – ich nenne Sie ganz bewusst zuerst (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Was sagen Sie zum Buch des Bundespräsidenten, Herr Klubobmann?) und dann den Bundespräsidenten, der uns ja nähersteht –, dass Sie Präsident Selenskyj empfangen; damit das einmal klar ist, denn das haben Sie auch alles hineingerührt in Ihren krausen Verschwörungstopfen, den Sie da aufführen. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.) Als ob Selenskyj genau deshalb jetzt nach Wien kommen würde, damit Sie nicht irgendwo eine Zeitungsmeldung mehr haben mit Ihren Tagesauftritten – das ist so absurd (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Was dominiert die Medien jetzt? – Abg. Shetty [NEOS]: Er schaut nicht den ganzen Tag FPÖ-TV!), das können Sie ja nicht einmal mehr auf Ihrem komischen AUF-Sender verkaufen, selbst dort biegen sich die Antennen. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Der Plenartag wird auf ORF III verräumt, für den Herrn Selenskyj gibt es eine Sondersendung! So schaut’s aus! – Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Wo ist denn die Bundesregierung? – Präsident Haubner gibt das Glockenzeichen.)

„Zeit für Frieden“: Jetzt sage ich Ihnen einmal, wo Sie da immer schiefliegen. Es ist gut, dass wir einmal über Frieden und Neutralität reden. „Zeit für Frieden“: Wissen Sie, wir hatten eine Zeitenwende, eine große: 1989/90/91 – das hatte große Auswirkungen auf die Sowjetunion. Die Länder dort, sage ich jetzt einmal salopp, haben sich zum Teil verselbstständigt. Die meisten Atomwaffen der UdSSR standen auf ukrainischem Gebiet. Die sich herauskristallisierende Ukraine hat gegen eine Sicherheitsgarantie eingewilligt, dass die dann Russische Föderation den Zugriff auf die Atomwaffen – nicht ganz ausschließlich, aber in allererster Linie – erhält; gegen eine Sicherheitsgarantie! Es war immer noch Zeit für Frieden, alle haben daran geglaubt. 2000/2001/2002: eine legendäre, eine fast berühmte – aber nur fast! – Rede Putins im Deutschen Bundestag: schalmeienhaft, friedensversprechend. Mittlerweile ist es eine berüchtigte Rede, eine der größten Irreführungen der Geschichte, mit Anlauf – mit Anlauf! –, und da wäre auch immer noch Zeit für Frieden gewesen. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: ... Corona ...!) Und die Sache geht weiter. 

Es sind nicht mehr viele Jahre vergangen, und der Angriff auf den Kaukasus und auf die Länder dort ist unter unglaublichen Gräueln erfolgt. 2014 – wir haben es damals schon gesagt – war auch die Beteiligung Russlands an der Tragödie, die sich in Syrien abgespielt hat, nachvollziehbar: Fassbomben, Chemiewaffeneinsatz; wir haben die Berichte im Ausschuss gehabt, ich war damals auch Abgeordneter. Es ist bis heute zum Heulen, was es da für Schilderungen gab. Ich sage nicht, dass all das die russische Truppe selber gemacht hat – sie hat sich an den Bombenangriffen beteiligt –, aber sie hat das geduldet und mit herbeigeführt. Das war im Übrigen, wie sich herausgestellt hat und erkennbar wird, Teil einer kommenden hybriden Kriegsführung, weil die damals schon Flüchtlingsströme nach Europa mit befeuern wollten.

Das war die Spielanlage. Das ist Ihr Freund Putin, das ist der, mit dem Sie einen Freundschaftsvertrag haben. Jemand, der mit einem Massenmörder einen Freundschaftsvertrag abschließt, braucht uns nicht zu erklären (Abg. Kickl [FPÖ]: Unglaublich! Unglaublich!), was der Staatsvertrag in Sachen Neutralität bedeutet. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS. – Abg. Kickl [FPÖ]: Die Frau Edtstadler klatscht, die mit ihm durch Wien defiliert ist, zum selben Zeitpunkt! – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Die Frau Edtstadler hat sogar russische Farben angehabt! Gibt’s auch Fotos!) 

Deshalb ist es ja so wichtig und richtig, dass das Augenmerk auf das gerichtet wird, was eigentlich die Vorgänge rund um die Ukraine sind. Also für mich ist es immer noch so, dass die Bevölkerung, auch die politische Führung im Übrigen – weil Sie die ja dauernd angreifen – größten Respekt verdienen, weil dort – und man kann es gar nicht oft genug sagen – auch die europäischen Werte verteidigt werden. Es ist ein Angriff auf Europa, der dort passiert, und wenn dem nicht Einhalt geboten wird, wird Putin keine Ruhe geben. Das ist der Unterschied. 

So, und was heißt jetzt Frieden? Welcher Frieden? – Es braucht einen wahrhaftigen, es braucht einen gerechten Frieden, aber doch kein Diktat und keine Unterwerfung. Das ist es. Es stimmte noch immer, bis dorthin war Frieden – und all die Sinnsprüche, die da gekommen sind, sind wahrer denn je: Stell dir vor, es ist Frieden und einer macht alles hin! (Abg. Wurm [FPÖ]: Was ist aus den Grünen geworden, Werner?) Das sage ich zu Ihrem Friedenstaferl. 

Das ist passiert, und deshalb müssen wir uns hinstellen und sagen, von welchem Frieden wir überhaupt reden. Es wäre gut, wenn heute die Gelegenheiten ausgelotet werden würden. Österreich könnte vielleicht einen kleinen Beitrag für einen vorläufigen Waffenstillstand und dann für einen gerechten Frieden leisten. Das wäre gut und richtig; da verschließen wir uns ja nicht, man muss ja immer mit jedem reden (Abg. Wurm [FPÖ]: Aha! Aha! – Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Ah so, mit jedem!), ja, trotzdem ist meine Analyse von vorhin richtig. Das ist es, worum es geht. Man kann nicht wegschauen und sich – das war Ihr zweites Taferl – auf die Neutralität berufen, wenn es um Massenmord, um Massenvergewaltigung (Abg. Kickl [FPÖ]: Ja, wenn das nur überall gelten würde, Herr Kogler! Überall! – Ruf bei der ÖVP: Das gilt überall!), um Kinderverschleppung und um Folter geht. Das ist die Konsequenz von dem, was Sie hier verbreiten. (Abg. Kickl [FPÖ]: Das ist das Problem!) – Ja, das mag woanders auch gelten, okay (Abg. Kickl [FPÖ]: Ja eh, aber da hör' ich nix von Ihnen! Da gibt’s auch andere Konflikte, jetzt, gegenwärtig: Schweigen im Wald!), aber da sollten wir auch eine eindeutige Haltung haben. Also uns brauchen Sie das nicht vorzuwerfen. Dass es nicht so sei, da würde ich Ihnen recht geben, aber das ist ein überflüssiger Zwischenruf. (Abg. Kickl [FPÖ]: Nein, das ist nicht überflüssig! – Abg. Wurm [FPÖ]: Das ist die Wahrheit, Werner!)

Eigentlich geht es – noch einmal – ums Völkerrecht, wenn wir über die Neutralität reden. Es ist ein völlig völkerrechtswidriger Aggressionsangriff auf die Ukraine – das ist alles eindeutig –, und es muss Schluss sein mit dieser Täter-Opfer-Umkehr, die da laufend betrieben wird. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.) Sie sind ja ärger als Trump. Das Völkerrecht gibt die Selbstverteidigung her, und in diesem Zusammenhang ist die Neutralität zu interpretieren. 

Im Übrigen, was unsere Beteiligung über die Europäische Union betrifft – der Staatssekretär hat es ja ausgeführt; das war der Kompromiss in unserer Regierung, diese Linie zu machen –: Es würde neutralitätskonform noch mehr gehen. Ich sage das in aller Bewusstheit, nur weil da falsche Bilder verbreitet werden. Es würde sogar noch mehr gehen, sowohl nach dem Völkerrecht als auch nach unseren Neutralitätsbestimmungen und erst recht, was unsere gemeinsame Verpflichtung im Rahmen der Union betrifft; damit wir das auch noch einmal gesagt haben.

Es wird auch noch gegen die Sanktionen aufgetreten: Das halte ich für den nächsten Blödsinn. Tatsächlich wirken sie langsamer und nicht so direkt, weil sie auch sehr oft umgangen werden, aber es ist gerade für Neutrale sinnvoll, richtig und wichtig, dass es auch diese Instrumente gibt, weil das eine Reaktion ist, die nicht militärisch ist, und zwar per definitionem. Würden Sie einfach sagen: Super, machen wir weiter mit dem Massenmörder superlustige Geschäfte!? Es gibt eh immer noch zu viele (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Die Raiffeisen macht ...!), und deshalb sollten wir eigentlich die Umgehungen bekämpfen und nicht die Sanktionen; das muss doch jedem Aufrichtigen klar sein. (Beifall bei Grünen, SPÖ und NEOS sowie bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Ihr Koalitionspartner, der Herr Schüssel, hat sich auch schwergetan, seinen Beratervertrag und sein Aufsichtsratsmandat zurückzulegen!)

Und apropos: Leider, leider – auch da mussten wir Kompromisse machen; und so schließt sich im Übrigen der Kreis zur morgendlichen Budgetdebatte – ist es so, dass eine der Hauptursachen für die Krise Österreichs die 90-prozentige Gasabhängigkeit von Russland war; da rede ich aber nur vom ethischen Problem, das da drinnen steckt. Bis heute – es ist weniger, Gott sei Dank, aber immer noch; vorher war es viel mehr – wurden Milliarden überwiesen, offensichtlich genau für diesen Kriegszweck, auch von Österreich. Das ist, finde ich, nicht in Ordnung. Wir konnten nicht gleich aussteigen, wir mussten über den nächsten Winter kommen – ein Wunder, dass das alles geglückt ist! Erinnern wir uns: Vor drei Jahren sind wir dagestanden und haben nicht gewusst, ob die Voest zugedreht wird, die Spitäler, die Kindergärten oder ob es daheim kalt ist. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Ah, da haben Sie schon alle eingesperrt gehabt vor drei Jahren!) Das war doch die Situation – damit wir einmal wissen, von welchen Krisen wir gesprochen haben. (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Da waren die Kindergärten schon geschlossen! Von Ihnen!) 

Putin setzt das als Waffe ein, und da gehören wir raus. Ich sage Ihnen, Leonore Gewessler hat ein ganzes Paket an Gesetzen, an anderen Bestimmungen, Möglichkeiten und wirtschaftlichen Anreizen geschaffen, damit wir da bis 2027 rauskommen. Selbst auf die Gefahr hin, dass es dort oder da um ein paar Cent teurer wird: Wenn Sie das langfristig rechnen, auch volkswirtschaftlich, ist es deshalb günstiger, weil dieses Bedrohungspotenzial wegfällt (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Sie haben ganz Österreich zugesperrt vor drei Jahren!), wenn Sie diesen Risikofaktor einpreisen. 

Es ist deshalb sowohl unsere wirtschaftliche Pflicht – im Übrigen auch, wenn man so will, unsere ökologische Pflicht, aber das steht jetzt nicht an erster Stelle – und erst recht unsere moralische Pflicht, von dieser Drogennadel, vom russischen Gas möglichst rasch wegzukommen. Das ist wirklich nicht mehr einzusehen. Wir wissen, dass mehrere daran beteiligt waren, dass es so weit gekommen ist – gegen unsere Warnungen, seit, weiß ich nicht, neun Jahren oder elf Jahren; seit 2014. 

Auch das sollten wir uns – abschließend – zu Herzen nehmen; ich muss das leider bei aller sonstigen Einigkeit mit den Regierungsparteien kritisch anmerken. Lassen wir die Vergangenheit in dieser Minute ruhen – Sie kennen meine Zitate –, aber wenigstens für die Zukunft sollten wir es schaffen, zumindest ab 2027/28; für diese Jahre wäre alles hergerichtet. Ich hoffe also darauf, dass Sie das einlösen, gerade vor dem Hintergrund der jetzigen Debatte. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

16.19 

Präsident Peter Haubner: Herr Abgeordneter Kogler, ich habe den von Ihnen angeführten Zwischenruf nicht wahrgenommen, aus diesem Grunde habe ich das Protokoll angefordert; ich werde mir das dann zeitgerecht anschauen.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Axel Kassegger. – Bitte, Herr Abgeordneter.