RN/50
13.01
Staatssekretär im Bundesministerium für Inneres Mag. Jörg Leichtfried: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn man sich manchmal Zeit nimmt, über das Leben zu reflektieren (Abg. Gewessler [Grüne]: Fällt dir deine Klage ein! – Abg. Lukas Hammer [Grüne]: Erzähl uns von deiner Verfassungsklage jetzt!), gibt es viele Erkenntnisse, die man treffen kann, und gibt es wahrscheinlich auch viele unterschiedliche Meinungen zu diesen Erkenntnissen. (Abg. Zorba [Grüne]: ... du auch, gell! – Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen.)
Ich glaube aber, eine Erkenntnis teilen wir gemeinsam, zumindest die, die im Rahmen meiner Generation in Mitteleuropa aufgewachsen sind, nämlich dass die Menschen in diesem Mitteleuropa lange Jahrzehnte unglaublich privilegiert waren – privilegiert, weil das System, in dem wir aufgewachsen sind, ein stabiles war, der Sozialstaat funktioniert hat, die Demokratie funktioniert hat, die innere und die äußere Sicherheit funktioniert haben.
Das ist wirklich ein Privileg, insbesondere wenn man jetzt darüber nachdenkt, wie sich die Dinge in unserem Leben verändern, wie Dinge, von denen wir geglaubt haben, dass sie selbstverständlich sind, verschwinden. Und sie verschwinden nicht still und heimlich, sondern schnell. Hybride Bedrohungen, Spionage, Desinformation, Extremismus, Terrorismus und Kriege prägen jetzt unser Leben und kommen uns immer näher. (Abg. Zorba [Grüne]: 2017 war ...!)
Die neue Generation, die jetzt aufwächst, wächst in einer Zeit der Unsicherheit auf. Die weltpolitische Lage ist massiv angespannt, und wir sehen ein Phänomen, das scheinbar schon vorbei war, aber jetzt wieder da ist: Es gilt international nicht mehr die Stärke des Rechts, sondern wieder das Recht des Stärkeren, und das ist ein Zustand, der wirklich auch bei uns zu großen Problemen führt. Ich kenne eine Umfrage aus der Europäischen Union, bei der 64 Prozent der Menschen meinten, sie fühlen sich unsicher. (Abg. Steiner [FPÖ]: ... seit 2015 ...!) Wir müssen den Mut haben, wieder offen über Sicherheitspolitik zu sprechen, denn unsere Demokratie, unser Zusammenleben ist bedroht, und dagegen müssen wir uns wenden, geschätzte Damen und Herren. Das ist Aufgabe von Politik. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)
Ich möchte kurz ausholen: Mut galt schon in der Antike als sogenannte Kardinaltugend. Aristoteles hat unter Mut nicht nur Furchtlosigkeit verstanden, das alleine wäre zu wenig, sondern sinngemäß, nicht wörtlich übersetzt, kluge Selbstüberwindung im Dienste des Guten. Und diese kluge Selbstüberwindung im Dienste des Guten brauchen wir jetzt.
Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus – Radikalisierung ist kein Randphänomen in unserem Land, sie ist mitten in unserer Gesellschaft angekommen. (Abg. Zorba [Grüne]: War das 2018 anders, ...? ) Sie trifft nicht nur einzelne Gruppen, sie trifft uns alle. Radikalisierung bedroht unsere Sicherheit, unser Vertrauen, unser Zusammenleben. Diese Radikalisierung geschieht oft im Verborgenen, im Netz, in Hinterhöfen, in Einsamkeit. Extremistische Akteur:innen nutzen gezielt soziale Medien und digitale Plattformen, um Erwachsene, Jugendliche und sogar Kinder zu manipulieren, und dafür kann man doch nicht sein, geschätzte Damen und Herren! Man kann doch nicht dafür sein, dass Kinder und Jugendliche manipuliert werden! Diese Anbahnung erfolgt oft schleichend, mit sektenähnlichen Methoden (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Zorba [Grüne]), und sie funktioniert. Radikalisierung im Internet hat sich seit 2022 verdoppelt, und Radikalisierung im digitalen Raum stellt eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit dar.
Extremismus dringt gezielt in die Onlinewelt ein, versucht so, radikales Gedankengut zu verbreiten, und aus diesem radikalen Gedankengut können Anschläge entstehen, geschätzte Damen und Herren. Wir brauchen deshalb eine klare, strategische Herangehensweise gegen Extremismus, Radikalisierung, Terrorismus und gegen Menschen, die planen, andere Menschen zu ermorden.
Geschätzte Damen und Herren, das muss erkannt und isoliert werden und dem muss entgegengewirkt werden. Auch das ist Aufgabe der Politik. Und ich verspreche Ihnen: Gegen die, die das vorhaben, werden wir handeln, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)
Gegen die, die das vorhaben, werden wir handeln, und zwar mit stärkeren Gesetzen, mit neuen Werkzeugen, mit Entschlossenheit und Mut, gleichzeitig aber auch mit Bedacht, Maß und einem klaren Ziel. Jene Menschen, die unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, das Leben unserer Mitmenschen, unsere offene, demokratische Gesellschaft angreifen, die sollen sich in Zukunft unsicherer fühlen; und die Menschen, für die wir arbeiten, die sollen sich sicherer fühlen, geschätzte Damen und Herren! Das ist die Aufgabe, die vor uns steht und die wir umzusetzen haben. (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)
Ich habe bei Ihren Reden sehr genau zugehört und mir einige Anmerkungen aufgeschrieben, insbesondere dass wir angeblich glauben, mit dieser Gefährderüberwachung wäre alles gelöst. Selbstverständlich ist dadurch nicht alles gelöst! Aber mit dieser Gefährderüberwachung wird dem Verfassungsschutz ein wichtiges Werkzeug in die Hand gegeben, um effizient, zeitgemäß gegen Bedrohungen für unsere Gesellschaft vorzugehen. Es geht hier um gezielte, rechtlich abgesicherte, zeitlich begrenzte und durchgehend durch unabhängige Gremien kontrollierte digitale Eingriffe, die Gewalt verhindern sollen, bevor sie passiert.
Es ist viel besser, Gewalt zu verhindern, bevor sie passiert, geschätzte Damen und Herren, als nachher schauen zu müssen, wie man das am Ende aufklären kann. Das hat Priorität und das ist das Ziel der Gefährderüberwachung! Und das ist etwas, hinter dem man schon geschlossen stehen kann, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Stögmüller [Grüne]. – Abg. Gewessler [Grüne]: Drei Anträge von uns in der Dringlichen morgen!)
Das ist für unsere Rechtsordnung nicht fremd, das muss man auch einmal ganz klar sagen. Die StPO sieht die Handyauswertung vor. Bei der Handyauswertung wird ein ganzes Handy ausgewertet. (Abg. Stögmüller [Grüne]: Ruf: ... Trojaner ...! – Abg. Zadić [Grüne]: Von einem ...!) Die Voraussetzung für die Handyauswertung laut StPO ist aber entweder der Versuch oder das erfolgte Delikt. Die Gefährderüberwachung hingegen setzt an, bevor der Versuch oder das Delikt geschieht. (Abg. Stögmüller [Grüne]: Ein bisschen peinlich, der Vergleich! – Abg. Scherak [NEOS]: Merkt das dann quasi ...?) Deswegen ist sie auch die Ultima Ratio, wenn sonst nichts mehr helfen könnte. Deswegen braucht es auch einen massiven Rechtsschutz, einen massiven Missbrauchsschutz. Ja, es ist ein Grundrechtseingriff, da sind wir uns einig, und deswegen braucht es auch genau diesen Schutz: Rechtsschutz und Missbrauchsschutz.
Geschätzte Damen und Herren, mein Zugang ist ein ganz simpler (Ruf bei den Grünen: Stimmt, ja!): Ich lehne eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung strikt ab, und diese Gefährderüberwachung ist keine verdachtsunabhängige Massenüberwachung (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP), sie ist genau das Gegenteil! Ich lehne es aber auch ab, zu sagen: Wir können gegen Terrorismus nichts mehr tun, wir können nichts mehr tun dagegen, dass Menschen ermordet werden. – Das lehne ich genauso ab. (Abg. Kogler [Grüne]: Es wäre ja schon super, wenn du dir die Facebook-Accounts anschauen tätest von den ganzen Massenmördern! Das passiert nämlich nicht!)
Es geht um die Wahrung unserer Sicherheit, unseres sozialen Friedens und um die gezielte Abwehr von terroristischen Anschlägen in unserem Land. Dafür brauchen wir Befugnisse, dafür brauchen wir Technologien, geschätzte Damen und Herren. Das ist die Voraussetzung, damit das gelingen kann. Diese Voraussetzungen sind bewusst eng gefasst, wie es in einem demokratischen Rechtsstaat sein soll und auch ist: Es geht um Verhinderung von Terrordelikten, von Spionage und um Abwehr von verfassungsgefährdenden Delikten, die mit mindestens zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Es ist schon erwähnt worden: der Rechtsschutzbeauftragte, der Dreirichtersenat, die wenigen Anwendungsfälle und so weiter und so fort. Sie garantieren Rechtsschutz und sichern vor Missbrauch ab.
Geschätzte Damen und Herren, um zum Schluss zu kommen: Die Gesellschaft und ihre demokratischen Grundwerte zu schützen, das ist eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe, vor der wir uns nicht drücken können. Der Verfassungsschutz, das ist die dünne rote Linie, auf die Menschen, Organisationen, Staaten treffen, die bei uns massive Verbrechen begehen wollen. Diese dünne rote Linie braucht stählerne Spitzen. Die Gefährderüberwachung ist eine dieser Spitzen.
Geschätzte Damen und Herren! Ich möchte mich bei all jenen Menschen bedanken, die den österreichischen Verfassungsschutz ausmachen, die unermüdlich daran arbeiten, unsere Demokratie und unseren sozialen Frieden zu schützen. Ihre Expertise und ihr Einsatz sind wesentliche Faktoren, damit die Bürgerinnen und Bürger, die Menschen in Österreich ihren Alltag sicher leben können. Wir dürfen nicht zulassen, dass Gewalt, Hass, Extremismus oder Terror unsere Grundwerte bedrohen. Freiheit braucht Sicherheit. Sicherheit ist kein Luxus, Sicherheit ist kein Privileg, Sicherheit, geschätzte Damen und Herren, ist ein Grundrecht. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und NEOS.)
13.11
Präsidentin Doris Bures: Nun ist Frau Abgeordnete Agnes Sirkka Prammer zu Wort gemeldet. – Bitte.