RN/98

15.01

Abgeordnete Leonore Gewessler, BA (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ein herzliches Willkommen auch an alle, die diese Debatte hier oder zu Hause verfolgen! „Langwaffe in Wohnung“; „Schüsse auf Bim“; „Spendensammler mit Gewehr bedroht“; „Schießerei in Wien: Mann bedrohte Ex-Frau und Polizisten mit Gewehr.“ – Ich habe momentan das Gefühl, dass wir kaum die Zeitung aufschlagen oder auf unser Handy schauen können, ohne dass uns Überschriften wie diese ins Auge springen. 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich ertappe mich dann manchmal dabei, dass ich weiterblättere, dass ich weiterscrolle. Es kommt irgendwie schon ständig vor (Zwischenruf des Abg. Darmann [FPÖ]) – vielleicht stumpft man schon ein bisschen ab, vielleicht kann man es auch einfach nicht mehr sehen, nicht mehr hören, will es nicht mehr wissen. In einigen dieser Artikel ist es zum Glück so, dass am Ende dann steht, dass es glimpflich ausgegangen ist – jedes Mal bin ich heilfroh darüber –, gerade auch, weil unsere Polizei hervorragende Arbeit leistet, weil unsere Sicherheitskräfte mit großem Engagement und großem Einsatz dafür kämpfen und dafür arbeiten, dass nichts Schlimmeres passiert, dass Schlimmeres verhindert werden kann. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der SPÖ sowie des Abg. Gödl [ÖVP].) Dafür gebührt ihnen auch ein Danke! 

Aber das kann nicht immer gelingen. Ganz egal, wie groß der Einsatz ist, manchmal geht es eben nicht gut aus. Es ist schmerzlich und traurig, dass wir oftmals erst dann darüber diskutieren und nachdenken, was Waffengewalt, was Schusswaffengewalt in diesem Land bedeutet, wenn es eben nicht glimpflich ausgegangen ist. So wie zuletzt in Graz: Zehn Menschen haben ihr Leben verloren – unnötig, sinnlos –, ermordet von dem rücksichtslosen Täter, mit Waffen, die dieser völlig legal besessen hat. 

Nur, um es klar zu sagen: So klar und so schmerzlich das auch ist: Nichts, was wir heute hier sagen, nichts, was wir gar beschließen, kann das Leid, das diese Tat verursacht hat, ungeschehen machen. Nichts kann diese schreckliche Tat ungeschehen machen. Keine Maßnahme kann immer und garantiert dafür sorgen, dass so etwas nie wieder vorkommt. Trotzdem dürfen wir – gerade in diesem Haus – nicht die Augen davor verschließen, wenn es Lücken in unserem Waffengesetz Menschen wie diesen leicht machen, zu leicht machen. Wir müssen doch alles dafür tun, dass wir das, was wir verhindern können, auch tatsächlich verhindern mit dem, was wir hier beschließen. (Beifall bei Grünen und SPÖ sowie der Abg. von Künsberg Sarre [NEOS].)

Ich habe es deswegen auch völlig richtig gefunden, dass die Bundesregierung vom Herrn Bundeskanzler abwärts gesagt hat: Wir wollen etwas verändern! Unser Waffenrecht ist zu lasch, wir wollen nachschärfen! – So tragisch der Anlass war, so richtig war die Reaktion, weil es ja auch stimmt: Österreich hat ein viel zu lasches Waffenrecht. Sie und ich, wir können ziemlich ungehindert eine Schusswaffe kaufen. Ob wir psychisch stabil sind und mit einer Waffe wirklich umgehen können, das wird nicht extrem streng geprüft und in manchen Fällen überhaupt nicht geprüft. Es ist nicht einmal zwingend erforderlich, dass man uns fragt, wozu wir überhaupt eine Waffe brauchen und was wir damit vorhaben. (Abg. Darmann [FPÖ]: Sicher! Sicher wird das gefragt!) Ich halte das, ehrlich gesagt, für ziemlich befremdlich. 

Versuchen wir, uns das einmal bildlich vorzustellen: Sie und ich, wir gehen einkaufen: Obst, Gemüse, Gewehr. Das klingt jetzt vielleicht nach einem extrem befremdlichen Bild, aber ganz ehrlich gesagt, mit den Regeln, die wir derzeit haben, sind wir nicht extrem weit davon entfernt. Der einzige Unterschied ist: Auf das Gewehr muss ich lächerliche drei Tage warten, das Obst und Gemüse kann ich mit nach Hause nehmen. 

Genau deshalb war ich froh darüber, dass diese Regierung angekündigt hat, nachzubessern und nachzuschärfen. Aber ganz ehrlich gesagt, weniger froh war ich, als ich gesehen habe, was denn dieses Nachbessern und Nachschärfen heißt: Hier und dort ein paar kosmetische Korrekturen, dafür gleich wieder neue Ausnahmen; viel Klein-Klein, aber unter dem Strich keine echte Verbesserung. 

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: höheres Alterslimit – gut; kein höheres Alterslimit bei Waffen der Kategorie C – das ist die Hälfte des Waffenbestandes in diesem Land – weniger gut. Das halte ich für falsch. 

Sehr geehrte Damen und Herren, ich halte es für falsch, dass wir in diesem Land nur dann diskutieren, wenn es ein Unglück gegeben hat, bevor wir über Verbesserung reden. Es ist um keinen Deut besser, wenn die Regierung Ankündigungen macht, aber ihr dann auf den ersten Metern bei der Umsetzung dieser Ankündigung die Luft ausgeht, ganz ehrlich gesagt. (Beifall bei den Grünen.)

Ich finde, das kann nicht sein, wo es so deutlich ist und so dringend ist, dass wir Handlungsbedarf haben. Da muss man sich die Frage stellen: Warum ist das denn so? Warum ist die Regierung so zaghaft bei der Verschärfung der Waffengesetze, so zögerlich? Warum tun wir nicht das, was auf der Hand liegt? 

Vielleicht lohnt es sich gerade in dieser Debatte, einen Schritt zurück zu machen und darüber zu reden, was unser Sicherheitsverständnis ist. Wann fühlen Sie sich sicher? Fühlen Sie sich sicher, wenn Sie auf Schritt und Tritt beobachtet werden? Fühlen Sie sich sicher, wenn der Nachbar ein Gewehr an der Wand hängen hat? Fühlen Sie sich sicher, wenn unsere Polizei quasi monatlich große Waffenarsenale aushebt – nicht selten bei Menschen mit ein bisschen zweifelhaften Ansichten und oft noch einer Sammelleidenschaft für verbotenen Gegenstände aus der Nazizeit? – Ich sage Ihnen, ich fühle mich nicht sicherer, wenn es in diesem Land nicht deutlich schwerer ist, ein Gewehr zu kaufen als eine Flasche Schnaps. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Moitzi [SPÖ].)

Ich wünsche mir für meine Sicherheit und für die Sicherheit aller Menschen in diesem Land, dass der Besitz einer Schusswaffe nicht der Normalzustand ist, sondern nur die gut begründete Ausnahme. Wenn wir davon sprechen, dass wir Menschen sicher halten, dass die Grünen Menschen sicher halten wollen, dann heißt das: Wir brauchen weniger Waffen und nicht mehr Überwachung. 

Ich habe von unserem Sicherheitsverständnis gesprochen, muss aber zu dem Schluss kommen, dass die Bundesregierung das offenbar völlig anders sieht. Wir haben gestern, Sie haben gestern hier in diesem Haus ein trojanisches Pferd beschlossen, einen Bundestrojaner (Abg. Ofenauer [ÖVP]: Stimmt ja nicht!), mit dem Sie in Zukunft eine Software legitimieren, die Smartphones überwachen kann (Abg. Gödl [ÖVP]: Für die Sicherheit Österreichs!), und zwar ohne echte Schranken – weil das technisch nicht möglich ist, also ohne echte Schranken. (Abg. Gödl [ÖVP]: Für die Sicherheit Österreichs!) Zugriff auf das Handy heißt immer: Zugriff auf das Smartphone im Gesamten, von den Chats über die Fotos zu den Dokumenten aus dem Onlinebanking. Sie sagen, das trägt zu unserer Sicherheit bei, obwohl zahlreiche Fälle aus dem Ausland beweisen und zeigen, dass diese Gesetze nahezu immer zu Missbrauch führen. (Abg. Gödl [ÖVP]: Und das Taylor-Swift-Konzert?) Am Ende werden kritische Journalist:innen, unbescholtene Bürger:innen und engagierte NGOs überwacht. Das haben Sie beschlossen! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

All diese Bedenken haben Sie weggewischt. All diese Bedenken haben Sie ignoriert. Es ist beschlossen – aber bei der Umsetzung von strengeren Waffenregeln (Abg. Lausch [FPÖ]: Ist ja unfassbar!), da fehlt der Mut, das Tempo, die Ambition. 

Sehr geehrte Damen und Herren, weniger Grund- und Freiheitsrechte, aber nicht weniger Waffen: Sorry, dieses Sicherheitsverständnis der Regierungsparteien ist leider komplett verkehrt herum. Wir Grüne sagen: Wir brauchen mehr Freiheit, aber weniger Waffen. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Reifenberger [FPÖ]: Darum verbieten wir es, gell?!)

Ich sage es Ihnen: Wir Grüne werden in dieser Frage nicht lockerlassen. Stellen wir diese verquere Logik doch wieder vom Kopf auf die Beine. Arbeiten wir doch gemeinsam an einer Welt, in der der Besitz einer Schusswaffe die absolute und gut begründete Ausnahme ist – und nicht etwas, das man allen so leicht wie möglich macht, so wie das jetzt der Fall ist und mit Ihren halbherzigen Ankündigungen auch weiter der Fall sein wird. 

Arbeiten wir an einer Welt, in der wir uns alle sicher fühlen, weil wir uns darauf verlassen können, dass das Gegenüber nicht eine Pistole in der Tasche hat oder der Nachbar ein Gewehr an der Wand! Nehmen wir den Mut zusammen! Nehmen wir in diesem Nationalrat den Mut zusammen und machen wir endlich einen ordentlichen Schritt zum Schutz der Menschen vor Waffengewalt in diesem Land und nicht zum Schutz von laschen Waffengesetzen! (Beifall bei den Grünen.)

Wie kann das gehen? Lassen Sie mich drei Punkte aus unserem Antrag skizzieren: 

Erstens: Wir drehen das Prinzip beim Waffenbesitz um. Statt dem Prinzip: Alle dürfen Waffen haben bis auf ein paar wenige, bei denen die Alarmzeichen kaum mehr zu übersehen sind!, soll in Zukunft gelten: Wer keine Waffe braucht, der kann auch keine Waffe kaufen! Und wer eine Waffe braucht, muss es begründen. (Beifall bei den Grünen.) Das wäre zum Beispiel, wenn jemand Jägerin oder Sportschütze ist oder wenn jemand nachweislich extrem bedroht ist. 

Heute gibt es in unserem Land 370 000 Waffenbesitzer und Waffenbesitzerinnen, aber 130 000 Jäger, 30 000 Sportschützen. Allein mit dieser Maßnahme könnten wir die Hälfte des Waffenbestands in Österreich ins Visier nehmen, und zwar insbesondere jene Waffen, die unbegründet daheim sind.

Zweitens: Wer unter diese Ausnahmen fällt, soll trotzdem streng geprüft werden. Nur weil jemand auf die Jagd gehen will oder Sportschütze sein will, heißt das nicht automatisch, dass er verlässlich ist oder geeignet ist, eine Waffe zu besitzen. Deshalb braucht es in Zukunft in allen Bereichen psychologische Überprüfungen, und zwar nicht nur für die Zukunft, sondern für alle, und zwar nicht nur einmal und nie wieder, sondern regelmäßig. (Beifall bei den Grünen.)

Drittens: Es braucht wirksame Maßnahmen, um illegale Waffen aus dem Verkehr zu ziehen. Wir kennen gute Beispiele aus anderen Ländern, wo Programme, in deren Rahmen man anonym illegale Waffen zurückgeben kann, dazu geführt haben, dass gerade verbotene Waffen, besonders gefährliche Waffen aus dem Verkehr gezogen wurden. Denn eines ist klar: So entschlossen wir beim legalen Waffenbesitz sein müssen, so entschlossen müssen wir auch beim illegalen Waffenbesitz sein. (Beifall bei den Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, Sicherheitspolitik muss genau so funktionieren: Konkrete Maßnahmen und nicht bloß Überschriften, mit konkretem Willen, etwas zum Besseren verändern, und zwar im Großen, nicht nur im Klein-Klein. 

Ich wünsche mir, dass nicht wieder etwas Schreckliches, etwas Unfassbares passieren muss, bevor wir diese Diskussion weiterführen, bevor jemand das Gefühl hat, er muss seine Ankündigungen jetzt trotzdem ernst nehmen und nicht irgendwie im Klein-Klein versumpern. Ich will, dass dieses Versprechen: Wir halten dich sicher!, für alle Menschen gilt und ernst genommen wird. Und eines weiß ich: Für uns Grüne gilt dieses Versprechen! (Beifall bei den Grünen.)

Wir Grüne halten da auch Wort: Wir haben gesagt, es braucht neue Regeln. Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit aller Kraft daran gearbeitet und zum Beispiel erreicht, dass bei Tatbeständen im Zusammenhang mit dem Waffenverbot nachgebessert und nachgeschärft wird, aber wir lassen auch diese Bundesregierung nicht aus der Verantwortung!

Deshalb bringen wir heute einen Dringlichen Antrag ein, lieber Herr Innenminister Karner. Herr Minister, ich war froh, dass diese Regierung angekündigt hat, zu handeln, und ich fordere Sie heute hier auf: Nehmen Sie diese Ankündigung ernst! (Beifall bei den Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Hohen Haus wird oftmals intensiv diskutiert, und Sie verfolgen es vielleicht von daheim oder heute hier von der Besuchergalerie aus. Wir sind – und das darf auch sein, das muss auch sein – nicht immer einer Meinung, wir sind manchmal sehr emotional und sehr engagiert in unseren Debatten; aber ich glaube, es gibt Themen, die es verdienen, dass wir das Gemeinsame über das Trennende stellen. Der Schutz der Menschen in unserem Land vor Schusswaffen gehört dazu, die Sicherheit in unserem Land gehört dazu. 

Niemand soll sich fürchten müssen, dass so etwas schon wieder passiert. Alle sollen sich darauf verlassen können, dass Politik verstanden, gehandelt und vorgesorgt hat. Genau in diesem Sinn ersuche ich Sie um Zustimmung zu unserem Dringlichen Antrag! (Beifall bei den Grünen.)

15.14

 Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zur Abgabe einer Stellungnahme hat sich Herr Bundesminister Karner zu Wort gemeldet, den ich hiermit gemeinsam mit Herrn Staatssekretär Leichtfried auch hier in unserer Mitte begrüße. – Bitte, Herr Bundesminister.

Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 52 Abs. 2 GOG-NR autorisiert.