RN/6

Anfrage 37/M

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Danke, Herr Präsident! Guten Morgen, Frau Außenministerin! Der türkische Präsident Erdoğan lässt alle seine potenziellen politischen Herausforderer verhaften: im März den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, es folgten weitere CHP-Bezirksbürgermeister in Istanbul und Adana, es gab Razzien gegen CHP-Gefolgsleute im Juni, 157 CHP-Mitglieder wurden erst im Juli in Izmir verhaftet, letzte Woche drei weitere Bürgermeister von sehr großen Städten, und mittlerweile ist auch die Hälfte der CHP-Abgeordneten im türkischen Parlament mit der Aufhebung ihrer Immunität bedroht. 

Als Sozialdemokratische Partei ist uns die Frage der Rechtsstaatlichkeit, die Frage der Einhaltung von Völkerrecht ein sehr großes Anliegen, daher meine Frage: 

„Werden Sie die jüngste Welle von Verhaftungen türkischer Oppositionspolitiker“ und -politikerinnen, „darunter weitere Bürgermeister, zum Anlass nehmen, um gegenüber der Türkei auf die Einhaltung der Menschenrechte zu drängen und sich für die Freilassung der inhaftierten Politiker und Politikerinnen, etwa dem“ schon erwähnten „verhafteten Istanbuler Bürgermeister Imamoglu, einzusetzen?“

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Bundesminister. 

Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Sie haben da völlig recht. Die Richtung in der Türkei stimmt absolut nicht, es gibt massive Rückschritte in der Meinungsfreiheit, in der Pressefreiheit, in der Versammlungsfreiheit, in der Rechtsstaatlichkeit, auch den Austritt aus der Istanbulkonvention. Und wir beobachten natürlich seit einigen Monaten mit wirklich zunehmender Sorge diese verstärkte Repressionswelle gegen Oppositionelle. Es sind Journalisten verhaftet worden, es sind Gewerkschafter verhaftet worden, es sind Menschenrechtsverteidiger quasi ins Visier geraten. Sie haben es auch angesprochen, die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu und 105 weiterer Oppositionspolitiker, Geschäftsleute und Journalisten – das hat eine neue Dimension erreicht. Bis jetzt – ich sage das einfach in aller Offenheit – hat es uns auch enttäuscht, dass in einem Dialog der EU mit der Türkei – die EU legt ja auch ihr Gewicht in die Waagschale, weil ja die Türkei selbst ein Interesse an einer verstärkten Beziehung mit Europa hat – da auch entsprechende Verbesserungen in Aussicht gestellt werden. 

Wir haben eine sehr klare Position, und zwar: die Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte. Das sind zentrale Parameter auch für eine positive EU-Türkei-Agenda. Ohne diese Parameter kann es da keine Fortschritte geben. Man muss im sich Gegenteil sogar überlegen und sich eine Strategie überlegen – ich werde das auch nächste Woche beim Rat ansprechen –, was jetzt die weiteren Schritte gegen die Türkei sind; selbstverständlich spreche ich das auch an.

Ich habe am 6.6. ein Telefonat mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan gehabt und habe ihm sehr klar unsere Besorgnis bezüglich der Menschenrechtslage in der Türkei zum Ausdruck gebracht. Und ja, ich glaube, die Frage der Strategie des Umgangs damit muss eine sein, die die EU, alle EU-Mitgliedstaaten, in den nahen Wochen auch intensiv beschäftigt. 

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage? – Bitte. 

RN/6.1

Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS (SPÖ): Ich würde gerne eine weitere Strategiefrage, wenn Sie so wollen, anschließen. Zu all dem, was Sie aufgezählt haben, kommt unter anderem noch dazu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch zweimal geurteilt hat, dass Osman Kavala, der im Zuge der Gezi-Park-Proteste politisch motiviert verhaftet worden ist, freigelassen werden soll, und die Türkei dem bislang nicht nachgekommen ist. Auch das Ministerkomitee des Europarates hat mittlerweile mehrfach dazu aufgefordert, und nach wie vor sitzt Osman Kavala in Haft, ist sogar 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. 

Wie, finden Sie, soll der Europarat damit umgehen? Weil: Im Europarat ist die Türkei ja schon Mitglied. Wie sehen Sie den weiteren Weg der Türkei im Europarat? 

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Bundesminister. 

Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Zum Fall Kavala: Der Menschenrechtsaktivist Osman Kavala wurde am 25.4.2022 wegen versuchtem Regierungsumsturz zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. Das wurde auch noch von einem Kassationsgericht bestätigt. Wir fordern seitdem gemäß dem EGMR-Urteil von 2019 die Freilassung, und zwar die unverzügliche Freilassung. Es ist im Februar 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung dieses EGMR-Urteils eingeleitet worden, Österreich hat zugestimmt, und das Urteil der großen Kammer des EGMR vom 11.7.2022 stellt auch das Vertragsverletzungsverfahren fest. Es gibt meines Wissens – aber ich glaube, es ist eine Sache des Europarats und seiner Mitglieder – einen laufenden Dialog, aber derzeit keinen Durchbruch und kaum Fortschritte. Selbstverständlich würde ich da auch eine verstärkte Aktivität des Europarats in diese Richtung unterstützen.

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Eine Zusatzfrage: Herr Abgeordneter Süleyman Zorba. – Bitte.

RN/6.2

Abgeordneter Süleyman Zorba (Grüne): Meine Frage schließt an die Frage von Kollegin Bayr an. Sie hat gefragt, was Sie in nächster Zeit diesbezüglich vorhaben. Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters ist ja quasi ein Prozess gestartet worden. Es gab immer schon Druck gegen die Opposition, aber das Ganze hat ja mittlerweile eine ganz neue Qualität erreicht: TV-Sender, denen die Lizenz kurzfristig entzogen wird, Journalistinnen und Journalisten, die jetzt vor Gericht stehen, und auch in den letzten Tagen hat es da wieder einige Entwicklungen gegeben.

Kollegin Bayr hat Sie gefragt, was Sie da in Zukunft vorhaben. Meine Frage geht in die Richtung, was Sie bis jetzt getan haben, um diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, und ob es da auch etwas gab, das Sie gestartet haben?

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Frau Bundesminister.

Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Danke für die Frage. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, welches Datum das war. Es gab auf jeden Fall im Rahmen des informellen Außenministertreffens, des Gymnich-Treffens in Warschau, auch ein Treffen mit den Beitrittskandidaten. Das ist auch die Türkei. Sie kennen auch die Haltung der österreichischen Bundesregierung, dass wir nicht sehen, dass dieser Beitrittskandidatenstatus weiter aufrechterhalten werden sollte, wiewohl ich aber schon denke, dass wir eine strategische Form der Kooperation mit der Türkei suchen sollten. Das war dort natürlich ein ganz großes Thema, die Frage dieser – und ich gebe Ihnen da völlig recht – neuen Dimension der Repressionswelle.

Ich habe mich am Rande des Gymnich-Treffens mit Hakan Fidan getroffen – das war das erste Treffen mit ihm –, dann aber am 6. Juni ein ausführliches Telefonat mit ihm geführt, in dem ich ihm sehr unmissverständlich die Haltung Österreichs klargemacht habe, dass das für uns deutliche Rückschritte sind und das so auch nicht hinnehmbar ist.

Ich glaube, so wie ich es vorhin gesagt habe, der weitere Weg muss jetzt sein, das mit den europäischen Partnern zu besprechen, wie wir hier weiter vorgehen, weil ich glaube, dass es eine europäische Geschlossenheit in der Frage geben sollte und geben muss. Und ich gebe Ihnen recht: Auch diese Frage ist überfällig.

Es fällt ja immer auf, dass manche Themen wieder sehr schnell verschwinden, so wie die brutalen Angriffe jede Nacht in der Ukraine, weil derzeit der ganze Fokus auf den Nahen Osten gerichtet ist. Der Fokus lag natürlich auch in all unseren Diskussionen im Rat sehr stark auf dem Nahen Osten. Es steht aber auch noch ein Treffen mit den südlichen Nachbarn aus. Wir brauchen meines Erachtens in Europa, innerhalb der EU-27, bis dahin eine Strategie, wie wir der Türkei stärker unmissverständlich klarmachen können, was unsere Haltung dazu ist und dass das zunehmend einfach eine Belastung für unsere Beziehungen ist.

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen zur Anfrage 39/M des Abgeordneten Oberhofer. – Bitte, Herr Abgeordneter.