RN/50
13.12
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wertes Hohes Haus! Geschätzte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte mich auch ganz bewusst an die Aktivistinnen und Aktivisten richten: Ich kann diesen Protest schon nachvollziehen, ich kann ihn wirklich nachvollziehen. Ich kann Ihnen aber auch etwas aus tiefer Seele sagen – aus der intensiven Beschäftigung mit diesem Thema und mit vielen anderen Themen heraus –: Wenn die Dinge so einfach wären!
Manchmal denke ich mir, es ist doch wirklich bemerkenswert, wie man glaubt, die Dinge einfach einordnen zu können. So ist es aber nicht. Ich würde mit dem Vorwurf des Genozids schon sehr, sehr vorsichtig umgehen. Es ist letztlich ein Vorwurf, der vom Internationalen Gerichtshof geprüft werden wird. Die Unabhängigkeit dieses Internationalen Gerichtshofes beachten wir und respektieren wir ungemein.
Es ist aber völlig klar – wir waren da als Bundesregierung und ich war da als Außenministerin in den vergangenen Wochen und Monaten auch völlig klar –, dass wir auf Seite des Völkerrechts, insbesondere des humanitären Völkerrechts, stehen und dass Israel auch in seinem Kampf gegenüber der Hamas Völkerrecht, humanitäres Völkerrecht einzuhalten hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal. Und ja, diplomatischer Druck hilft bisweilen. Insofern habe ich auch vor einigen Wochen im Rat der Außenminister befunden, dass mit der Überprüfung, ob Israel die Verpflichtungen gemäß Artikel 2 des Assoziierungsabkommens einhält, ein nötiger Druck aufgebaut wird – genauso ein Druck, den auch Österreich mit einer Resolution in der Generalversammlung der Vereinten Nationen erzeugt hat, dass unmittelbar sofort wieder Hilfsleistungen nach Gaza geliefert werden müssen; ein Druck, den Österreich gemeinsam mit, glaube ich, 23 anderen Mitgliedstaaten als Geberstaat auch im Rahmen der Europäischen Union aufgebaut hat, dass wir uns klar für unverzüglichen Zugang zu humanitären Hilfsmitteln in Gaza ausgesprochen haben.
Jetzt kommt ein großes Aber. Ich stelle mir schon die Frage, werte Frau Abgeordnete Disoski: Was hilft den Palästinenserinnen und Palästinensern jetzt im Moment am meisten? – Ich sage Ihnen ganz offen: Die Aussetzung des Assoziierungsabkommens ist es definitiv nicht. (Zwischenrufe der Abgeordneten Disoski [Grüne] und Kogler [Grüne].) Das hat für mich ein bisschen die Kategorie von Schreibtischtätertum.
Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, gerade die guten Beziehungen zu Israel und auch zu den arabischen Staaten zu nutzen und alles, aber auch wirklich alles auf meiner Reise in den Nahen Osten zu versuchen, um in Gesprächen auf politische Art und Weise, auf diplomatische Art und Weise Verbesserungen und vor allem eine Perspektive für die Menschen in Gaza, für alle Palästinenserinnen und Palästinenser auf der einen Seite und für die legitimen Sicherheitsinteressen Israels auf der anderen Seite zu schaffen.
Wissen Sie was: Es ist ja ein bisschen erfolgreich. Sind wir da, wo wir sein wollen? – Nein, das sind wir nicht. Aber was hätte die Aussetzung des Assoziierungsabkommens gebracht? Welchen Lkw mehr hätte das in den Gazastreifen gebracht? – Keinen einzigen. Welchen besseren Verteilmechanismus in Gaza würde das schaffen? – Keinen einzigen. Welche Lösung in der politischen Auseinandersetzung mit der Hamas würde das schaffen? – Nichts (Abg. Disoski [Grüne]: Es ging ja um den politischen Druck auf die israelische Regierung!), nichts und nichts.
Das ist ein politisches Statement, in dieser heiklen Zeit, in dieser heiklen Frage. (Abg. Kogler [Grüne]: Wenn du es nicht machst, fährt auch kein Lkw mehr!) Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich danke Ihnen auch für Ihre Anerkennung, aber ich verstehe meinen Job anders, nämlich tatsächlich mit meiner gesamten Energie (Zwischenrufe bei den Grünen) nicht von Wien aus, nicht von Brüssel aus, nicht vom Schreibtisch aus, nicht mit moralischen Statements zu arbeiten, sondern tatsächlich in einer harten Arbeit des Dialogs dafür Sorge zu tragen, dass wir endlich eine Lösung mit Frieden bekommen. (Beifall bei NEOS und ÖVP.)
Ich möchte mir kurz einfach die Zeit nehmen, ein bisschen die ganze Situation zu skizzieren. Am 7. Oktober 2023 ist in einer ungeheuerlichen, brutalen Art und Weise ein Massaker an Jüdinnen und Juden, an israelischen Männern, Frauen und Kindern verübt worden. Sie sind ermordet worden, vergewaltigt worden, auch bei lebendigem Leib verbrannt worden, ausgehend von der Terrororganisation Hamas, die seit vielen, vielen Jahren, Jahrzehnten die Sicherheit Israels und die Sicherheit der israelischen Bevölkerung gefährdet, wie auch andere Terrororganisation rundherum, die Israel grundsätzlich das Recht auf Existenz absprechen.
Übrigens hat das auch der Internationale Gerichtshof festgestellt, dass Israel natürlich das Recht auf Selbstverteidigung hat. (Abg. Kogler [Grüne]: Was denn sonst? – Abg. Disoski [Grüne]: Das stellt ja niemand infrage!) Wir stehen an der Seite Israels in seinem Kampf um Existenzsicherung und um die Sicherheit von Jüdinnen und Juden weltweit. (Ruf bei den Grünen: Aber?) Aber, und jetzt kommt das große Aber – oder nennen wir es nicht Aber; ich habe es auch in einem Interview gesagt; das ist eine Gleichzeitigkeit, die vielleicht in der heutigen Zeit schwer zu ertragen ist, nämlich dass viele Dinge gleichzeitig wahr sind –: Israel hat dabei auch Völkerrecht einzuhalten. Die palästinensische Bevölkerung darf nicht den Preis für die Gräueltaten der Hamas zahlen. Das ist völlig klar. Österreich ist in den vergangenen Monaten und Wochen auch unmissverständlich klar gewesen. (Abg. Kogler [Grüne]: Es passiert aber nichts!)
Was ist jetzt die Situation vor Ort? Wir brauchen alle Anstrengungen für einen politischen Dialog, für eine politische Lösung, die Perspektiven für die Palästinenser in Gaza bedeutet. Weil das auch so gesagt worden ist, die österreichische Bundesregierung möge bitte klar Statement beziehen: Allein gestern bei meiner Pressekonferenz gemeinsam mit dem israelischen Außenminister Gideon Sa’ar habe ich, als er neben mir gestanden ist, unmissverständlich klargemacht, dass die Vertreibungsrhetorik und -pläne – so sie auch bestehen, muss man sagen, weil es dazu auch arabische Länder oder Länder überhaupt braucht, die bereit sind, Palästinenser aufzunehmen, und die gibt es einfach nicht – für uns völlig inakzeptabel sind.
Natürlich halten wir politisch, und da sind wir anderer Ansicht als Israel, an der Zweistaatenlösung fest. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir zunächst einen politischen Prozess dafür brauchen.
Was passiert aktuell: Da muss ich sagen, es ist auch den arabischen Staaten ein großer Dank auszusprechen, die derzeit mit ihren Vermittlungsversuchen eine sehr konstruktive Rolle einnehmen, insbesondere Ägypten und übrigens auch insbesondere Jordanien, gemeinsam mit Katar, und mit der Hamas verhandeln, dass es einen Waffenstillstand gibt, dass die Hamas endlich bereit ist, die verbliebenen Geiseln – das sind 50 Geiseln, davon sind wahrscheinlich nur noch 21 am Leben – freizulassen, aus dieser wirklich auch unmenschlichen Gewalt und Barbarei zu befreien, damit dann dieser politische Prozess für eine Zukunft in Gaza starten kann. Natürlich ist das auch alles andere als leicht.
Es gibt eine Grundlage dafür, die meines Erachtens eine sinnvolle Basis ist, das ist der sogenannte arabische Plan, der federführend von der Arabischen Liga in Kairo präsentiert wurde, der vor allem in vier Aspekten gute Überlegungen anstrengt, die, wie ich finde, verfolgenswert sind – einerseits, was die Frage der Sicherheit angeht, sowohl in Gaza aber natürlich auch betreffend die legitimen Sicherheitsinteressen Israels, die auch von arabischen Staaten anerkannt werden. Zweitens geht es um die Frage der Governance, also die Frage der Regierung, Verwaltung von Gaza in einer Transition hin zur palästinensischen Autonomiebehörde, die derzeit, und das sehen wir auch so, nicht in der Lage ist (Abg. Tomaselli [Grüne]: Das ist das Parlament und nicht die Regierungspressekonferenz!), das so zu vollziehen, auch, weil sie nicht diese scharfe Trennlinie zur Hamas ziehen. Drittens: Natürlich geht es um die Frage der humanitären Situation in Gaza und die wichtige Frage des Wiederaufbaus. Dieser Plan ist meines Erachtens eine wirklich gute Grundlage.
Ich möchte auch etwas sagen: Ich bin – und es gibt viele Unkenrufe – der Trump-Administration, Donald Trump und auch seinen Sondergesandten sehr dankbar für seine nachdrücklichen Bemühungen um eine politische, diplomatische Friedenslösung in der gesamten Region. (Beifall bei Abgeordneten von NEOS und ÖVP.)
Was ist auch passiert? – Bei dieser Reise und den sehr ernsthaften, aber auf Freundschaft basierenden Gesprächen haben wir gesehen, dass bei Israel sehr wohl angekommen ist, wenn wir uns als Freunde an sie richten und sagen, da sind Grenzen überschritten, die wir nicht mehr ertragen können, und dass die humanitäre Situation in Gaza eine zunehmende, massive Belastung der Beziehungen zur Europäischen Union darstellt und sie das ernst nehmen müssen – auch die Diskussion im Europäischen Rat, wofür ich auch sehr dankbar bin –, dass es wirklich auch gelungen ist, ein offenes Ohr zu finden.
Gleichzeitig, und auch das halte ich für den viel richtigeren Weg, hat die Europäische Union unter Federführung der Außenbeauftragten Kaja Kallas einen Dialogprozess mit Israel gestartet und gestern ein Übereinkommen, ein gemeinsames Verständnis präsentiert, das auch mit einem Kabinettsbeschluss Israels vom Wochenende gedeckt ist – der übrigens nicht einstimmig erfolgte, sondern unter massivem Protest der zwei rechtsextremen Regierungsmitglieder Ben-Gvir und Smotrich. Also es gibt ja auch aufseiten Israels keine Einigkeit, zu sagen, wir müssen jetzt die humanitäre Situation in Gaza verbessern und Fortschritte machen. (Abg. Stögmüller [Grüne]: Das stimmt, ja!)
Und es passiert etwas: Zum ersten Mal seit der Blockade kommen wieder deutlich mehr Lkws ins Land. Zum ersten Mal seit der Blockade werden die Übergänge von Jordanien und auch von Ägypten geöffnet. Sehen Sie, das ist wichtig, denn ich war auch beim Verteilzentrum des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. Die sind dort in der Lage, und das habe ich Israel auch vermittelt, sofort 1 500 Lkws über die Ägyptenroute auf den Weg nach Gaza zu bringen. Zum ersten Mal seit der Blockade wird auch Benzin in den Gazastreifen hineingelassen und zum ersten Mal seit Beginn der Blockade wird auch an der Wiederherstellung der Energieversorgung gearbeitet.
Sind wir da, wo wir sein wollen? – Nein, überhaupt nicht. Dazu brauchen wir einen politischen Prozess und hoffentlich auch eine Einigung mit der Hamas, denn auch die Zukunft von Gaza darf nicht die Hamas beinhalten, in keiner einzigen Art und Weise. Da muss ich auch völlig klar sein. Aber es kommen die Dinge in Bewegung und wir bewegen etwas, nicht durch Aussetzung von Abkommen, nicht mit Sanktionen, sondern mit dem ehrlichen Dialog und dem Arbeiten. (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Gödl [ÖVP].)
Jetzt vielleicht auch etwas zur Art der Verteilung der Hilfslieferungen in Gaza, weil ich da auch Vorrednerinnen und Vorrednern recht gebe, dass die Art und Weise, wie das von GHF organisiert wurde, einfach in keiner Weise den Prinzipien entspricht, die wir an die Verteilung von humanitären Hilfsgütern anlegen würden: Unparteilichkeit, Menschlichkeit, Neutralität et cetera. Und es darf natürlich nicht sein, dass solche Verteilzentren – es sind ja nur vier, das ist ja viel zu wenig – zu tödlichen Fallen werden. Gleichzeitig – da bin ich wieder bei der Gleichzeitigkeit – gebe ich aber schon zu bedenken, dass das dort keine Laborkonditionen sind. Es ist nicht so, dass ich unter Laborbedingungen Hilfslieferungen in Gaza verteilen kann. Das heißt, es ist auch die Frage sicherzustellen, dass die Hilfslieferungen nicht in die Hände der Hamas geraten und dort dann letztlich dafür benutzt werden, dass die das dann an die palästinensische Bevölkerung verkaufen und mit dem Leid der palästinensischen Bevölkerung auch noch einen Gewinn machen, denn das kann es auch nicht sein.
Ich habe mich in all meinen Gesprächen bemüht, zu sagen, wir wollen sehen, dass die Verteilung der Hilfsgüter in Gaza nach den Prinzipien passiert, die wir uns vorstellen. Und was habe ich auch getan? – Ich habe auch mit UN-Organisationen wie zum Beispiel dem World Food Programme in der Frage gesprochen, was die denn leisten können, um diese Hilfslieferungen nach Gaza zu skalieren. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch [FPÖ].) Und siehe da, da ist große Bereitschaft. Es gibt auch eine Zusammenarbeit mit Israel, es gibt dort auch eine Zusammenarbeit der Organisationen in Gaza. Ich sehe da wirklich auch, wenn Sie so wollen, den Funken Hoffnung, dass wir auch wieder zu Prinzipien kommen, die in irgendeiner Weise von uns auch vertretbar sind.
So, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe jetzt ein bisschen ausgeführt, weil Sie sehen, dass mir das Thema wirklich nahegeht, und ich glaube wirklich, dass man es bei diesem Thema lassen sollte, die Polarisierung zu suchen, mit Schlagwörtern zu agieren, die Vereinfachung zu suchen, weil die Dinge nicht so einfach sind. (Abg. Gewessler [Grüne]: Es macht keiner eine Polarisierung!) Ich sehe vor allem einen Weg und das ist der Weg des Dialogs, das ist der Weg der Diplomatie und das ist der Weg von politischen Prozessen (Abg. Mölzer [FPÖ]: Lange gesprochen, aber nichts gesagt!), politischen Prozessen, die derzeit möglich sind. Ich sehe tatsächlich so etwas wie ein kleines Fenster oder einen Funken an Hoffnung für ein Window of Opportunity für Frieden in der Region, natürlich ausgehend von Gaza, und damit auch der Möglichkeit zur Stabilisierung der Beziehungen Israels zu anderen Staaten wie zum Beispiel Syrien, Libanon oder Saudi-Arabien.
Ich sage Ihnen ganz offen und vielleicht auch im Widerspruch zu Ihrer Haltung (Abg. Disoski [Grüne]: Was heißt „im Widerspruch zu Ihrer Haltung“?!): Meine politische Arbeit als Außenministerin werde ich in den nächsten Wochen auch genau wieder diesem Thema widmen: alles daranzusetzen, politisch dafür Sorge zu tragen, dass wir Frieden in der Region und Stabilisierung schaffen. – Vielen Dank. (Beifall bei NEOS und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Gewessler [Grüne]: Das ist nicht im Widerspruch zu unserer Haltung!)
13.27
Präsidentin Doris Bures: Ich reiche noch nach, dass der Entschließungsantrag der Abgeordneten Disoski ordnungsgemäß eingebracht wurde und mit in Verhandlung steht.
Frau Abgeordnete Muna Duzdar, Sie haben jetzt das Wort.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 52 Abs. 2 GOG-NR autorisiert.