RN/8
Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Sehr geehrter Herr Minister! Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Mutter in der Steiermark, die eine Tochter hat, ein junges, aufgewecktes, kluges Mädchen, das sich nichts sehnlicher wünscht, als mit seinen Freundinnen und Freunden in die Schule zu gehen. Dieses Mädchen hat eine Behinderung, und es kommt an einem Tag die erschütternde Meldung, dass die Schulbehörde sagt: schulunfähig. – Für diese Familie, für dieses Kind bricht eine Welt zusammen.
Vor dem Hintergrund, dass in Oberösterreich neue Sonderschulen gebaut werden und wir einen bedenklichen Anstieg an schulunfähigen Kindern haben – vermutlich nicht aus medizinischen Gründen, sondern aus Platzmangel und Ressourcenmangel –, frage ich Sie am Tag der Kinderrechte, die auch für Kinder mit Behinderungen gelten müssen:
„Wie bewerten Sie die mit dem Ausbau der Sonderschulen sowie der steigenden Anzahl von Kindern, die als ,schulunfähig' eingestuft werden, einhergehende Rückwärtsbewegung bei der inklusiven Bildung?“
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Minister.
Bundesminister für Bildung Christoph Wiederkehr, MA: Ich bin der Auffassung, dass alle Kinder gute Bildung genießen sollen und die besten Bildungschancen bekommen sollen, unabhängig nicht nur, wie vorhin erwähnt, von der Herkunft oder vom Einkommen der Eltern, sondern auch davon, ob Behinderungen oder auch chronische Erkrankungen vorliegen. Dementsprechend ist dieses gemeinsame Commitment und Verständnis auch im Koalitionsübereinkommen verankert, nämlich inklusive Bildung zu forcieren. Dementsprechend sehe ich den Bau von neuen Sonderschulen als kritisch und problematisch und auch als einen Bruch mit den Werten von UN-Konventionen, denen wir auch verpflichtet sind, nämlich dahin gehend, inklusive Bildung in Österreich zu ermöglichen und überall dort, wo es geht, inklusive Settings auszubauen.
Wir haben allerdings aufgrund der Kompetenzverteilung im Bildungssystem als Bundesgesetzgeber keine Möglichkeiten, die Ausgestaltung der Schulorganisationsstruktur auf Länderebene zu beeinflussen. Ich sehe es kritisch. Die Verantwortung dafür, wie die Schulstruktur organisiert ist, und auch dafür, ob zusätzliche Sonderschulen gebaut werden oder nicht, liegt aber auf Landesebene. Ich werde mich auch in Zukunft dafür einsetzen, inklusive Schulformen zu stärken und auch dafür zu werben, dass diese für die Kinder und auch für die betroffenen Eltern zur Verfügung stehen.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zusatzfrage?
RN/8.1
Abgeordnete Sigrid Maurer, BA (Grüne): Ich freue mich, dass Sie sich dazu bekennen, dass die UN-Konvention umgesetzt wird und Sonderschulen eigentlich nicht neu gebaut werden sollten. Ich frage Sie aber: Wie stellen Sie sicher, dass jedes Kind eine inklusive Bildung genießen kann und wir diese von uns ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich umsetzen?
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Bundesminister.
Bundesminister für Bildung Christoph Wiederkehr, MA: Es gibt abseits der Ratifizierung der Konvention ja auch einen Nationalen Aktionsplan, in dem auch gemeinsam mit den Ländern vereinbart worden ist, wie die Schritte hin zu einer inklusiveren Gesellschaft auszusehen haben. Diesem Nationalen Aktionsplan fühle ich mich verpflichtet, für diesen werde ich werben, und dessen Umsetzung werde ich auch in der Weiterentwicklung des österreichischen Schulsystems einfordern.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen zur Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Manfred Hofinger. – Bitte, Herr Abgeordneter.
RN/8.2
Abgeordneter Ing. Manfred Hofinger (ÖVP): Danke, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, die Sonderschulen leisten eine großartige Arbeit. Auch in Oberösterreich wird viel inklusive Bildung angeboten, auch in diesen Sonderschulen, wie zum Beispiel auch in unserer Sonderschule, der Adalbert-Stifter-Schule in Ried im Innkreis.
Uns ist aber natürlich auch die inklusive Bildung ganz wichtig. Wir haben uns ja im Regierungsprogramm auf die Einführung eines verpflichtenden Moduls der inklusiven Pädagogik im Rahmen des regulären Lehramtsstudiums und auf die Einführung einer eigenständigen Lehramtsausbildung für Inklusion und Sonderpädagogik verständigt.
Wie steht es um die Umsetzung dieses Vorhabens?
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Bundesminister.
Bundesminister für Bildung Christoph Wiederkehr, MA: Wichtig ist, dass wir ausreichend Expertise im Feld, nämlich in den Schulen, haben, sowohl in Sonderschulen als auch in inklusiv geführten Schulen oder auch in Integrationsklassen, nämlich Pädagoginnen und Pädagogen, die im Umgang mit Kindern mit Behinderung qualifiziert sind. Wir haben deshalb im Regierungsprogramm verankert, dafür wieder eine eigene Ausbildung einzuführen, weil es zu wenige in diesem Berufsfeld qualifizierte Pädagog:innen gibt.
Es gibt erste Überlegungen, wie dieser Punkt aus dem Regierungsprogramm umgesetzt werden kann, und es wird im nächsten Frühling eine erste auch inhaltliche Auseinandersetzung mit Expertinnen und Experten geben, um eine gemeinsame Diskussion darüber zu führen, was wir benötigen, in welcher Form dies eingeführt werden soll. Ich halte da zuerst die Diskussion mit der Fachcommunity, auch mit den Hochschulen, für wichtig, um dann weitere politische Schritte zu setzen. Dieser Punkt des Regierungsprogramms ist schon in Angriff genommen, aber noch im Diskussionsprozess.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Nächste Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Fiona Fiedler. – Bitte, Frau Abgeordnete.
RN/8.3
Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd (NEOS): Danke schön. – Österreich ist laut der UN-Behindertenrechtskonvention zur inklusiven Bildung verpflichtet. Die Eltern haben angeblich eine Wahlfreiheit, dennoch entscheiden sich sehr viele Eltern für Sonderschulplätze für ihre Kinder, weil sie im derzeitigen System nicht ausreichend inklusives Angebot vorfinden. Zusätzlich werden in verschiedenen Bundesländern neue Sonderschulen gebaut.
Welche Schritte sind hinsichtlich eines inklusiven Bildungssystems für alle Schulen unter Berücksichtigung entsprechender Lehrpläne geplant, um Schüler:innen entsprechend ihren Bedürfnissen fördern zu können?
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Herr Minister.
Bundesminister für Bildung Christoph Wiederkehr, MA: Im Regierungsprogramm ist in dieser Hinsicht vieles verankert, beispielsweise die Weiterentwicklung des Fachbereichs Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik; der schrittweise Ausbau von inklusiven Bildungsangeboten auch in der Sekundarstufe 2, wo es aktuell zu wenig gibt; die Anhebung beispielsweise der Deckelung für sonderpädagogische Förderung von 2,7 schrittweise auf 4,5 Prozent; die Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein 11. und 12. Schuljahr, was ich für besonders wichtig erachte, weil jetzt die Eltern Bittsteller sind, und ich finde, wir sollten ihnen einen Rechtsanspruch geben, damit klar ist, dass auch Kinder mit Behinderungen ein 11. und 12. Schuljahr bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass auch Schritte gesetzlicher Natur hier im Nationalrat in dieser Legislaturperiode möglich sind, um diesen Rechtsanspruch auch zu ermöglichen. Darüber hinaus – wie auch bei der Beantwortung der Frage zuvor erwähnt – geht es auch um die Frage des ausreichenden Personals in diesem Bereich, um die Kompetenzen im Feld zu verstärken.
Wie man sieht, ist in diesem Bereich genug zu tun. Es gibt auch den NAP II der bis 2030 gilt und in dem viele dieser Projekte verankert sind, und es ist unser gemeinsamer Auftrag, für eine bessere inklusive Bildung in Österreich zu sorgen.
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Wir gelangen zur 6. Anfrage, 54/M, jene des Abgeordneten Christoph Steiner. – Bitte, Herr Abgeordneter.