RN/18
10.29
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES: Danke, Herr Präsident! (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Ihr wollt Österreich abschaffen!) Sehr geehrte Mitglieder des Hohen Hauses! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich bin sehr dankbar für diese Aktuelle Europastunde, weil das Thema tatsächlich hochaktuell ist und vor allem, glaube ich, sehr stark auch den Nerv der Bevölkerung trifft, nämlich dieses Gefühl der Verunsicherung.
Wir leben tatsächlich in geopolitisch sehr herausfordernden Zeiten, und jeder und jede von uns – wenn wir den Fernseher aufdrehen, die Zeitung aufmachen oder auch die sozialen Netzwerke öffnen – merkt und spürt diese Verunsicherung aufgrund dieser massiven Umbrüche, die wie die Wucht einer Lawine über uns hereinbrechen und uns natürlich das Gefühl geben: Wohin gehen wir da eigentlich, gerade als Österreich, aber gerade auch als Europa?
Ich glaube, es gibt dabei einen Aspekt, der die Menschen in Österreich ganz besonders verunsichert, und das ist das Gefühl, dass wir vielleicht in eine Welt zurückkehren, in der wieder die Währung der harten Macht zählt; also dass nicht die Stärke des Rechts, die Stärke von Völkerrecht, von Verträgen, von internationalem Recht zählt (Abg. Taschner [ÖVP]: Angekommen in der Realität!), sondern das Recht des Stärkeren, womit einzelne Staaten – große Staaten – in der Lage sind, ihre politischen Interessen entweder mit wirtschaftlichem Druck, mit Erpressung, mit protektionistischen Maßnahmen, auch mit Zöllen, oder aber auch mit militärischem Druck, mit Gewalt durchzusetzen.
Gerade den Österreicherinnen und Österreichern ist sehr klar: In so einer Welt wollen wir nicht leben (Abg. Stefan [FPÖ]: Wirklich? Echt jetzt?), und so eine Welt ist auch nicht gut für Österreich. (Abg. Stefan [FPÖ]: Das ist neu!) Wir wollen auch nicht in einer Welt leben, in der Autokratien mit starken Männern an der Spitze wieder auf dem Vormarsch sind. Unsere Demokratien sind kostbar, sie sind aber natürlich auch verletzlich. Wir sehen das auch anhand der Diskussion um die Frage der sozialen Medien und wie Falschinformationen, auch bewusst gesteuerte Falschinformationen, von außen in unsere Demokratien hineingebracht wurden.
Was mich dabei so bewegt, ist eigentlich, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen den Generationen gibt. Wenn ich auf meine Jugend zurückblicke – und ich habe den Fall des Eisernen Vorhangs, den Fall der Berliner Mauer, das Zusammenwachsen Europas, auch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union erlebt –, so gab es ein Gefühl: Alles wird besser, alles wird freier, alles wird wohlhabender. Wenn wir heute – und ich war gestern in einer Schulklasse in Wien – mit jungen Menschen sprechen, dann bemerkt man ein ganz fundamental anderes Gefühl. Man hat das Gefühl: Autoritäre Vorstellungen sind am Vormarsch, Diktaturen setzen sich durch, es wird nicht freier, es wird nicht wohlhabender, alles scheint brüchig geworden zu sein und der Krieg bedroht unsere Freiheit und Sicherheit und unseren Frieden ganz massiv, auch direkt in Europa.
Ich glaube, es ist Zeit, ein bisschen mit Illusionen aufzuräumen – Illusionen, die wir vielleicht gehabt haben. Eine Illusion ist, dass wir gedacht haben, der Krieg kann nicht auf europäischen Boden zurückkehren. – Er ist zurückgekehrt. Spätestens seit 2022, seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ist klar, dass der Krieg auf europäischem Boden wieder Realität ist. (Abg. Taschner [ÖVP]: Das war schon in Jugoslawien der Fall!) De facto hätten wir es davor schon sehen können – 2014: illegale Annexion der Krim, es ist angesprochen worden.
Es war eine Illusion, zu glauben, dass wir alles auslagern können – vor allem betrifft das eine einseitige Abhängigkeit von russischem Gas –: also quasi alle Energielieferungen mit fossilen Brennstoffen nach Russland, alle Lieferketten nach Peking und unsere gesamte Sicherheit nach Washington. (Abg. Kickl [FPÖ]: Ja, am besten ist, man legt sich mit allen an! Das ist die beste Strategie, die man einschlagen kann! Ganz gescheit! Es ist ja nicht so, dass man das nicht gewusst hätte, als man diese Dame ins Außenministerium gesetzt hat!)
Es war eine Illusion, zu glauben, dass wir durch die transatlantische Partnerschaft geschützt sind und selber unsere Hausaufgaben in Bezug auf Verteidigungsfähigkeit nicht machen müssen.
All diese Illusionen sind mittlerweile völlig klar als Illusionen enttarnt. Spätestens bei der ersten Präsidentschaft von Donald Trump war die Botschaft ganz klar: America first wird genauso gemacht, wie es gemeint ist. Spätestens bei der ersten Präsidentschaft von Donald Trump hätte Europa aufwachen und sagen müssen: Jetzt müssen wir uns souveräner, autonomer, eigenständiger aufstellen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte hier schon an dieser Stelle betonen, dass es Stimmen gegeben hat, wie die Stimmen der NEOS, die auch schon damals gesagt haben, dass es natürlich notwendig ist, in Richtung einer europäischen Verteidigungsunion zu arbeiten. Jetzt sind wir in einer Situation, in der alles gleichzeitig passieren muss. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir an einem Wendepunkt der Geschichte stehen und uns entscheiden können, nämlich entscheiden können, ob wir als Österreich oder Europa in dieser neuen geopolitischen Situation ein Spielball globaler Akteure – nicht fähig, souverän eigene Entscheidungen zu treffen und handlungsfähig zu sein – oder eben ein echter, selbstbewusster Akteur sind. Wir können uns entscheiden, ob wir den Weg der Demokratie, des friedlichen Miteinanders, auch des Multilateralismus, also des Bekenntnisses, dass wir als Staaten zusammenarbeiten und am Verhandlungstisch mittels Verträge unsere politischen Positionen durchsetzen, miteinander weitergehen oder wieder in eine Situation verfallen, in der man das eben mit wirtschaftlichem Druck oder mit militärischer Stärke macht.
Ich bin auch davon überzeugt: Wir können uns als Europa jetzt entscheiden, ob wir all denen, die uns von außen erklären, wie schwach, wie verletzlich, wie angeblich undemokratisch et cetera wir sind, wirklich recht geben wollen oder ob es Zeit ist, aufzuwachen und selbstbewusst zu sagen: Nein, wir sind stark als Europa. Wir sind wirtschaftlich stark. Wir sind in der Lage, unsere Interessen zu vertreten und wir haben auch die Fähigkeit, unsere Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen von außen zu schützen. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Taschner [ÖVP]: Das ist eine Illusion!)
Das erfordert natürlich Mut, das erfordert vor allem auch Leadership, und das erfordert meines Erachtens auch Weitsichtigkeit: Weitsichtigkeit, weit über den Tellerrand hinauszublicken und zu sehen, dass wir auch als kleines Land wie Österreich wesentlich stärker sind, wenn wir gemeinsam unsere Interessen in Europa vertreten wissen.
Was sind die Hausaufgaben, die wir machen müssen? Ich gebe zu, da sind ja einige Kritikpunkte durchaus gerechtfertigt, auch vonseiten der Vereinigten Staaten. Nun, zum einen, glaube ich, ist es sehr notwendig, verteidigungsfähig zu sein. Lassen Sie mich hier bitte eindeutig klarstellen: Ich habe vor Kurzem die Rede des amerikanischen – ja, jetzt nennt er sich nicht mehr Verteidigungsminister, sondern Kriegsminister – Kriegsministers Hegseth vor seinen Generälen gesehen, als er gesagt hat: Das Ziel der amerikanischen Streitkräfte ist, Krieg zu führen! – Das ist nicht das Ziel Europas. (Ruf bei der FPÖ: Was ist Ihr Ziel? – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Das Ziel der Europäer ist scheinbar auch, Krieg zu führen! – Abg. Kickl [FPÖ]: Sie reden ja wie der Putin!) Unser Ziel muss sein, so stark zu werden, so verteidigungsfähig zu sein, dass niemand es wagt, uns und unsere Bürgerinnen und Bürger anzugreifen. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Gödl [ÖVP].)
Der zweite Punkt ist: Unsere Interessen in der Welt können wir nur durchsetzen, indem wir wettbewerbsfähig (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Die gehen aber über den Song Contest hinaus, die Interessen, die wir haben!) und auch wirtschaftlich stark sind. Dem Besinnen auf die eigene wirtschaftliche Stärke und auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist in der Vergangenheit, in den vergangenen Jahren nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt worden. Dieser Meinung bin ich auch. Wir haben es aber jetzt in der Hand, vor allem mit dem größten Schatz, den wir haben, nämlich mit der Vollendung unseres Binnenmarktes (Beifall des Abg. Hörl [ÖVP]): Wenn wir die Handelshemmnisse und Barrieren innerhalb Europas endlich abschaffen und es endlich schaffen würden, wirklich in Richtung einer Kapitalunion, einer Energieunion et cetera zu gehen, dann hätten wir wirklich die Fähigkeit, diese wirtschaftliche Stärke auch in der Welt neu zum Ausdruck zu bringen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Zadić [Grüne].)
Last, but not least – und das mag manchen, vielleicht auch sogar manchen populistischen Parteien in Europa, schwach vorkommen – bin ich davon überzeugt, dass der Weg des Festhaltens an Kooperation, an Partnerschaften auf Augenhöhe, an Multilateralismus, an internationalen Organisationen wie der OSZE bei uns hier in Wien oder auch den Vereinten Nationen, der Weg Europas sein muss; das Festhalten an offenen Gesellschaften, an liberaler Gesellschaftsordnung, an Freiheiten und, ja, auch an Demokratien, in einem Austausch, aber auf Augenhöhe mit der Welt; das heißt, selbstverständlich auch mit Partnerschaften, auch Handelspartnerschaften mit Regionen in der Welt, die auch nicht in einer Welt leben wollen, in der ein, zwei, drei große Staaten ihre Interessen durchsetzen. Damit meine ich natürlich Lateinamerika, damit meine ich natürlich asiatische Länder, wie auch Indien, wie Indonesien, wie die Philippinen, wie Malaysia, und ich meine selbstverständlich auch den afrikanischen Kontinent. All diese Länder der Welt suchen nach verlässlichen Partnerschaften auf Augenhöhe, und Europa kann das bieten. (Beifall bei den NEOS.)
Was wir dazu brauchen, ist meines Erachtens ein Selbstbewusstsein, und das würde ich mir gerade auch von den selbst ernannten Patrioten wünschen. Ich möchte nicht, dass man das Geschäft von außen macht und irgendwelchen Techmilliardären das Wort redet oder aber Kreml-Propaganda bei uns verbreitet, nämlich die Propaganda: Wir sind zu schwach, wir sind verletzlich, wir sind wirtschaftlich nicht stark. – Das ist wie das Spiel der anderen betreiben.
Was ist mit dem europäischen Selbstbewusstsein? Nirgendwo ist es so toll zu leben wie in Europa und ich bin so froh, dass meine Kinder nirgendwo aufwachsen als in Europa. Wir haben es ja selber in der Hand, jetzt die entsprechenden Lehren zu ziehen. Was ist zu tun? – Als Erstes müssen wir wieder die Kraft der Geschwindigkeit finden, weil natürlich in Demokratien das Ringen um Kompromisse am Verhandlungstisch, auch mit den unterschiedlichen Institutionen, Zeit braucht. Ich glaube aber, in vielerlei Hinsicht haben wir diese Zeit nicht mehr, vor allem wenn ich auf die Wettbewerbsfähigkeit von Europas Wirtschaft, auf die Vollendung des Binnenmarkts oder aber auch auf die Verteidigungsfähigkeit in Unabhängigkeit von Systemen der USA schaue. Diese Geschwindigkeit braucht vor allem auch Freiraum und nicht Papierkram.
Daher ist auch der Weg, den die österreichische Bundesregierung damit, radikal zu entbürokratisieren, zu vereinfachen, zu verschlanken, geht, genau der richtige. Wir entlasten damit Menschen, wir entlasten damit Betriebe und wir werden einfach schneller.
Zweiter Punkt: Wir müssen die Kraft der Einheit und der Einigkeit wiederentdecken. Europa ist geeint in Vielfalt, diese Vielfalt ist ein unendlicher Schatz. Mehrstimmigkeit ist etwas Schönes, vielleicht in der Musik, vielleicht, wenn es um einen Chor geht, aber in entscheidenden Fragen wie der Sicherheitspolitik und der Außenpolitik sehe ich den Mehrwert nicht. Wir werden nicht stärker dadurch, dass wir 27 verschiedene Positionen haben und die geradezu moderiert werden können, wir werden in einer Welt, die natürlich auch transaktionaler wird, also das heißt, es auch wirklich erfordert, Deals einzugehen, schwächer. Handlungsfähigkeit bedeutet auch, auf Einheit zu setzen und diese Stärke letztlich auch in einer Einheit ausleben zu können.
Last, but not least – ich habe es schon gesagt –: Selbstbewusstsein. Wir müssen die Kraft der Stärke wiederentdecken. Wir sind ein wunderbar vereinter Kontinent mit 450 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hoch innovativ, hoch erfolgreich. Wir haben viele Hausaufgaben zu machen, aber wir sind dran, wenn wir auf Geschwindigkeit setzen und wenn wir auf Einheit setzen. Es kann doch nicht sein, dass unsere Sicherheitspolitik letztlich in der Hand von ein paar Wechselwählern in US-Bundesstaaten liegt, von sogenannten Swing States abhängt. Das kann doch nicht sein.
Wir müssen uns doch selbstbewusst und autonom aufstellen, gerade wenn es um so fundamentale Fragen wie unsere eigene Sicherheits- und auch Verteidigungspolitik geht. Sehr geehrte Damen und Herren, Österreich als Mitglied der Europäischen Union leistet selbstverständlich einen aktiven Beitrag in Richtung einer europäischen Verteidigungsunion, weil wir es als oberste Verpflichtung sehen, unsere Bürgerinnen und Bürger in unserem schönen Land zu schützen.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Welt wird nicht auf Europa warten, wir haben es selber in der Hand. Die Geschichte wird nicht innehalten und darauf warten, dass wir Entscheidungen treffen. Ich bin davon überzeugt, die Zeit, Entscheidungen hin zu einem stärkeren, einheitlicheren, selbstbewussten und wettbewerbsfähigen Europa und, ja, auch hin zu einem verteidigungsfähigen Europa zu treffen, ist jetzt. Nutzen wir gemeinsam diese Zeit, denn unsere Konkurrenten in der Welt werden nicht untätig bleiben! – Vielen Dank. (Beifall bei NEOS, ÖVP und SPÖ.)
10.42
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Danke, Frau Bundesministerin.
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Europastunde 5 Minuten nicht übersteigen darf.
Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fürst. Ich erteile es ihr. – Bitte, Frau Abgeordnete.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 52 Abs. 2 GOG-NR autorisiert.