RN/88
15.01
Abgeordneter Mag. Markus Koza (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher!
Ich arbeite in der Filmbranche, die typischerweise fast ausschließlich projektbezogene Stellen anbietet. Das reicht von mehreren Monaten bis hin zu einzelnen Tagen. Dazwischen lässt es sich kaum vermeiden, sich gelegentlich beim AMS anmelden zu müssen. Mit der neuen Regelung können leider kurze Dienstverhältnisse nicht angenommen werden. Man verbleibt somit länger ungewollt in der Arbeitslosigkeit. Es verschärft sich die Lebenssituation von Menschen, die sich ohnehin in prekären Arbeitssituationen befinden, und drängt sie in Armut beziehungsweise in ein Dasein als Dauergast beim AMS – ein wirkliches Armutszeugnis für das Kulturland Österreich, Kulturschaffende so geringzuschätzen. – Zitatende. Das schreibt eine Betroffene aus Wien in ihrer Stellungnahme zum von den Regierungsparteien beschlossenen Zuverdienstverbot bei Arbeitslosigkeit.
Und in einer anderen Stellungnahme heißt es: In künstlerischen Berufen sind Erwerbsverläufe häufig projektbezogen. Phasen bezahlten Engagements wechseln sich mit Zeiten ohne Aufträge ab, in denen man faktisch arbeitslos ist. Ein striktes Zuverdienstverbot ist für viele Kunstschaffende existenzbedrohend und führt dazu, dass man künstlerische Tätigkeit aufgeben oder unterbrechen müsste und damit genau jene beruflichen Perspektiven verliert, die mittelfristig wieder aus der Arbeitslosigkeit herausführen. – Zitatende.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist ein Auszug aus Stellungnahmen, Schreiben und Briefen, die wir alle in den letzten Monaten insbesondere von Kulturarbeiter:innen erhalten haben, verbunden mit dem dringenden Appell, das Zuverdienstverbot noch einmal zu überdenken oder zumindest für entsprechende Ausnahmeregelungen zu sorgen. Und genau darum geht es in der heutigen Kurzdebatte zu unserem Fristsetzungsantrag betreffend den Antrag auf Ausnahmeregelungen für Kulturschaffende.
Es ist längst nicht der einzige Antrag, in dem wir Grüne Ausnahmeregelungen vom Zuverdienstverbot fordern, und das längst nicht nur für Kulturschaffende, sondern auch für andere Personengruppen, die von einem Zuverdienstverbot bei Arbeitslosigkeit besonders stark betroffen sind. (Beifall bei den Grünen.) Es wird auch nicht der letzte Antrag bleiben. Morgen werden wir einmal mehr Ausnahmen vom Zuverdienstverbot beantragen, weil die Zeit schlicht und einfach drängt.
Um wen geht es? – Es geht um die bereits erwähnten Kulturschaffenden. Es geht aber auch um Menschen in Wissenschaft und Lehre, denen die Berufsausübung mit dem Zuverdienstverbot massiv erschwert, teilweise sogar regelrecht verunmöglicht wird, und es geht um Menschen, für die ein Zuverdienst bei Arbeitslosigkeit oft die einzige Möglichkeit ist, finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen, um Menschen, die jetzt schon als besonders armutsgefährdet gelten. Es geht um Alleinerzieher:innen, die aufgrund der Kürzungspolitik der Regierung – Stichworte Abschaffung des Klimabonus, keine Inflationsanpassung von Familienleistungen – ohnehin bereits Hunderte Euro pro Jahr verlieren und denen jetzt die Regierung auch noch die Möglichkeit nimmt, bei Arbeitslosigkeit ihr mageres Haushaltseinkommen geringfügig aufzubessern. Und es geht um Menschen, die vor oder bereits in einem Entschuldungsverfahren stehen, die ihren Job verloren haben und denen mit dem Zuverdienstverbot das einzige Einkommen genommen wird, das zur Bedienung der Forderungen aus dem Privatkonkurs herangezogen werden kann. Da wird Menschen in besonderen Notlagen aktiv der Zugang zur Entschuldung verbaut.
Und die Anfragebeantwortung durch das Sozialministerium (ein Schriftstück in die Höhe haltend), die gestern eingegangen ist, hat unsere Kritikpunkte am Zuverdienstverbot quasi vollumfänglich bestätigt, und sie belegt auch, wie sehr dieses Zuverdienstverbot soziale Härten und berufliche Unsicherheiten in besonders betroffenen Bereichen noch verstärkt.
Ein paar Beispiele: Erstens: Nur wer mindestens 26 Wochen vor Beginn seiner oder ihrer Arbeitslosigkeit neben einem vollversicherten Verhältnis geringfügig dazuverdient, darf diese Geringfügigkeit auch in die Arbeitslosigkeit mitnehmen. So, nur: Viele Projekte und Engagements gerade von Kulturschaffenden gehen gar nicht erst über ein halbes Jahr. Das heißt, entsprechend wird es schlichtweg auch nicht möglich sein, ein daneben eventuell bestehendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mitzunehmen. Viele Kulturschaffende sind also von vornherein aus dieser Ausnahmeregelung ausgeschlossen.
Ein zweites Beispiel: Das Zuverdienstverbot zwingt Kulturschaffende geradezu in die Scheinselbstständigkeit, also in noch unsicherere und noch schlechter abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse, um wenigstens irgendetwas neben der Arbeitslosigkeit dazuverdienen zu dürfen, weil es für das AMS schlichtweg kaum zu überprüfen ist, ob eine selbstständige Tätigkeit vor oder nach der 26-Wochen-Frist angeboten worden ist. Für die Betroffenen werden aber die Arbeits- und Lebensbedingungen dadurch nur noch prekärer. Wenn das das Ziel der Regierung war, dann hat diese Regierung endgültig jeglichen sozialen Kompass verloren (Beifall bei den Grünen), wenn nicht, dann gehört es schnellstens geändert, meine sehr geehrten Damen und Herren, am besten gleich morgen durch Zustimmung zu unserem Antrag.
Und drittens: Wie absurd das Zuverdienstverbot auf Lehrende in der Wissenschaft wirkt, zeigt das Beispiel einer Biologin. Sie ist in einem Forschungsprojekt beschäftigt und hat daneben einen geringfügigen Lehrauftrag an der Uni. So, jetzt läuft das Projekt aus, die junge Forscherin sucht um Arbeitslosengeld an, bekommt Arbeitslosengeld. Gleichzeitig läuft auch ihr Lehrauftrag aus, aber für das nächste Semester darf sie erst gar keinen Lehrauftrag annehmen, weil sie ja sonst das Arbeitslosengeld verlieren würde, weil ja die Lehraufträge nicht als zusammenhängendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gelten. Das heißt: kein Fuß mehr in der Wissenschaft, die Perspektive geraubt und die berufliche Existenz gefährdet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Zuverdienstverbot ist praxisfremd, nimmt keine Rücksicht auf bestimmte spezifische Berufsgruppen und ihre typischen Erwerbsverläufe. Es verursacht nur völlig unnötige soziale Härten. Und dieses unsinnige Zuverdienstverbot wird auch kaum die erhofften Einsparungen bringen, weil einerseits die Arbeitsmarktsituation schlecht ist und andererseits Betroffene, die bisher noch dazuverdienen konnten, vermehrt Sozialhilfe beantragen werden, um ihr Arbeitslosengeld aufzustocken. Und das belastet wieder die Sozialhilfebudgets der Länder.
Dieses Zuverdienstverbot ist schlicht und einfach Pfusch, es ist unsozialer Pfusch. (Beifall bei den Grünen.)
Es muss ja auch schon ein erstes Mal repariert werden: Morgen werden wir hier beschließen, dass Personen in längeren AMS-Schulungen, zum Beispiel Bezieher:innen eines Pflegestipendiums, aus dem Zuverdienstverbot herausgenommen werden, weil auch die davon betroffen gewesen wären, und viele hätten dann mittendrin ihre Ausbildung abbrechen müssen, weil sie sie sich schlichtweg nicht leisten können hätten. Es ist gut, dass das nun geändert wird, aber, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn schon ändern, dann bitte gleich gescheit und umfassend, mit den notwendigen Ausnahmen für Beschäftigte in Kultur, Wissenschaft, Lehre, mit Ausnahmen für Menschen in Schulungsverfahren, für Alleinerzieher:innen!
Morgen haben Sie die Chance. Nehmen Sie unseren Antrag an, oder bringen Sie zumindest einen eigenen ein! Übernehmen Sie Verantwortung und warten Sie nicht darauf, dass Sie von den Folgen Ihrer Ignoranz gegenüber den Lebensrealitäten von Menschen in projektorientierten Berufen, von Menschen mit Schuldenproblemen und von Alleinerzieher:innen irgendwann eingeholt und überrollt werden! Beenden Sie Verunsicherung und Perspektivenraub! Noch haben Sie die Gelegenheit. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)
15.10
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 52 Abs. 2 GOG-NR autorisiert.