RN/6
9.10
Abgeordneter Andreas Babler, MSc (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Neuerdings wird sehr viel über Ehrlichkeit gesprochen. Besonders die FPÖ bedient den Begriff neue Ehrlichkeit.
Gleich vorneweg: Wer ehrlich handelt, muss das eigentlich nicht betonen, sondern Politik machen, die auch tatsächlich glaubhaft ehrlich ist. Die neue Ehrlichkeit von FPÖ und ÖVP beginnt aber mit dem Verschweigen der Wahrheit, der Wahrheit darüber, wie unser Budget über die nächsten Jahre saniert werden soll, und vor allem darüber, wer für dieses Budgetdesaster zahlen wird. Ich erinnere aber auch daran, dass es die ÖVP war, die uns gegenüber nicht ehrlich war, die der Bevölkerung gegenüber nicht ehrlich war, die auch uns als Sozialdemokratie gegenüber nicht ehrlich war. Erst während der Koalitionsverhandlungen wurde uns Stück für Stück das Ausmaß dieses Budgetdesasters bekannt.
Für uns von der SPÖ war immer klar: Alle müssen einen Beitrag leisten, alle. Das Ausmaß des Budgetdesasters ist so groß, dass es gar nicht anders gehen kann. Und ja, in den gescheiterten Verhandlungen mit ÖVP und NEOS haben wir auch einnahmenseitige Maßnahmen gefordert, die austariert sein müssen, um dieses große Budgetloch auch fair sanieren zu können. Alle heißt aus unserer Sicht eben auch wirklich alle, auch diejenigen, die in den letzten Jahren Rekordnettogewinne erzielt haben, wie beispielsweise der Bankensektor mit über 30 Milliarden Euro.
Ich sage Ihnen, was passiert ist – und ich halte das wirklich für bedenklich –: Eine kleine Clique von Großindustriellen, die in den letzten Jahren eh nichts beigetragen hat, sondern Steuergeschenke, Förderungen in Milliardenhöhe bekommen hat, und der Bankensektor haben sich durchgesetzt. In der ÖVP hat diese radikale Gruppe die Mehrheit übernommen und hat dafür gesorgt, dass jetzt Kanzler Kickl möglich wird und dass beispielsweise keine Bankenabgabe gezahlt werden soll –nach 30 Milliarden Euro Nettogewinn in den letzten Jahren –, dass es keinen Konsolidierungsbeitrag zusätzlich geben soll in dieser Budgetdesastersituation, die unter anderem auch dadurch ausgelöst worden ist, dass die Großindustriellen, die sich jetzt durchgesetzt haben, die Banken, die sich jetzt durchgesetzt haben, viele Milliarden Euro an Förderungen, an Steuergeld eingestrichen haben; und jetzt wollen sie keinen Beitrag leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen der ÖVP. (Beifall bei der SPÖ.)
Die ÖVP war nicht dazu bereit, zu sagen: Alle müssen einen Beitrag leisten. Wir können das niemandem erklären, wir können es den Leistungsträgern in der Republik, denjenigen, die in der Früh aufstehen und in der Fabrik arbeiten, denjenigen im weißen Kittel, den Pflegebediensteten in den grünen Kitteln, den Pädagog:innen, den Polizist:innen, allen, die ihr Leben lang arbeiten gehen und sich darauf verlassen können sollen, dass sie eine Pension bekommen, von der sie im Alter gut leben können, nicht erklären. Sie können kein Verständnis dafür haben, dass sie jetzt über die Maßen zur Budgetkonsolidierung beitragen sollen und die Großen, die Milliardengewinne eingestreift haben und sich haben fördern lassen, keinen Beitrag leisten. Das kann niemand in der Politik jemandem erklären, der ein Recht darauf hat, auch in der Pension gut auszukommen. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich sage es ganz ehrlich: Bei diesen Kürzungsfantasien, bei dieser Ungleichbehandlung, bei dieser Respektlosigkeit, bei dieser Politik können wir als Sozialdemokratie nicht mitmachen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Doch genau das hat die ÖVP von uns gefordert, die neue ÖVP, die von einer Gruppe gesteuert wird, die sich früher immer im Hintergrund bewegt hat, wie die IV, die sozusagen im Hintergrund agiert hat, sich aber jetzt offensiv brüstet, dass sie das Kommando in der ÖVP übernommen hat. Das sind diejenigen, die es sich immer gerichtet haben, die nie etwas gezahlt haben, die auch jetzt bei diesem Budgetdesaster keinen Beitrag zur Konsolidierung leisten wollen.
Es kann nicht sein, dass allein die Pensionistinnen und Pensionisten und die Konsumentinnen und Konsumenten für das Versagen der ÖVP-Finanzminister zahlen müssen, weil sich die Herrschaften vom Wirtschaftsbund und von der Industriellenvereinigung weigern, diese Krise mit uns allen gemeinsam zu stemmen.
Was erwartet die Österreicherinnen und Österreicher unter Blau-Schwarz? – Sicher keine guten fünf Jahre. Das Regierungsprogramm ist noch nicht einmal ausverhandelt, das 6-Milliarden-Euro-Kürzungspaket hat Finanzminister Mayr aber schon nach Brüssel geschickt. Informiert wurden wir im Hohen Haus darüber nicht, Herr Finanzminister.
Sie spielen auf Zeit, Sie setzen darauf, dass die Menschen sich nicht mehr daran erinnern, wer ihnen dieses Desaster eingebrockt hat, zum Beispiel die Steuergeschenke, die ich vorhin angesprochen habe, beispielsweise an die Pleiteunternehmer Pierer und Co, die sich jetzt damit brüsten, dass sie sich in der ÖVP mit ihrem radikalen Kurs durchgesetzt haben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Budgetkonsolidierung ist ja noch nicht einmal abgeschlossen, es fehlen 12 Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren zusätzlich konsolidiert werden müssen. Wir stehen erst am Anfang, und Sie beginnen Ihre Periode gleich mit einer Vernebelungsaktion.
Herr Finanzminister, die Österreicherinnen und Österreicher haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer in Zukunft für dieses Budgetdefizit, für dieses Budgetdesaster zahlen soll, in diesem Jahr und in den kommenden Jahren. Haben Sie doch endlich mehr Mut zur Ehrlichkeit, sagen Sie den Österreicherinnen und Österreichern, wie Sie diese Budgetkonsolidierung stemmen wollen! (Beifall bei der SPÖ.)
Jetzt soll es zügig gehen, wie wir hören. Wie gesagt, es kann leicht zügig gehen, wenn man sich nicht darauf einstellt, der österreichischen Bevölkerung ehrlich zu kommunizieren, wie und von wem in Zukunft das große Budgetloch, das es noch gibt, fair gefüllt werden soll.
Ich muss mich in der Frage auch ein bisschen über die Freiheitlichen wundern (Abg. Wöginger [ÖVP]: Du musst dich über dich selbst wundern!) – das gibt es noch, dass man sich zusätzlich über die Freiheitlichen wundert –: Sie wissen ja so gut wie wir, dass bei den Verhandlungen mit den Türkisen Vorsicht ein Gebot der Stunde ist. Warum dieser Vertrauensvorschuss? Ist die Lust auf die Macht jetzt schon so groß bei Ihnen? Vor einem Jahr haben Sie, Herr Kickl, wörtlich über den „Swingerklub der Machtlüsternen“ gewettert. Heute swingen Sie in dieser Frage schon schön mit, mit den Großindustriellen, mit den Herren vom ÖVP-Wirtschaftsbund. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger [NEOS]. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: 100 Tage Fastvizekanzler!)
Es macht misstrauisch, wenn FPÖ und ÖVP eine neue Ehrlichkeit beschwören. Währenddessen wird ein Wahlversprechen nach dem anderen gebrochen, ganz nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Es mag Sie vielleicht nicht interessieren, aber die Wählerinnen und Wähler interessiert es schon. Die Menschen verstehen nicht, warum sich die ÖVP dafür hergibt, Steigbügelhalter für Herbert Kickl zu sein. Für den selbst ernannten Volkskanzler sind Sie jetzt der Steigbügelhalter, sehr geehrte ÖVP.
Ich sage Ihnen etwas: Was ist dieser selbst ernannte Volkskanzler? – Im Duden 1941 ist unter dem Begriff „Volkskanzler“ Folgendes nachzulesen: „Bezeichnung für Hitler zum Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer“. Wer kommt auf die Idee, sich heute selbst so nennen zu wollen? (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Bruno Kreisky! Gusenbauer! – Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Gusenbauer! – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Leopold Figl!)
Die „Bilanz von Herbert Kickl“: „Eine Spur der Verwüstung, Verschwendung, der Fehlentscheidungen. So jemand sollte […] nicht Bundeskanzler werden.“ (Beifall bei der SPÖ.) Herbert Kickl ist als Bundeskanzler „definitiv untragbar. Ohne jede Diskussion.“ Ich sage Ihnen jetzt etwas: Das sind die Zitate der ÖVP über Sie. Das sind nicht meine Zitate. (Der Redner hält eine Broschüre mit dem Titel „Kickl kann’s nicht“ in die Höhe.) Ich habe heute die ÖVP an ihre glorreiche Broschüre erinnert. Das waren Argumentationen, die nicht von Andi Babler, nicht von der Sozialdemokratie stammen. All das, was ich Ihnen jetzt vorgelesen habe, ist von Ihrem neuen Kuschelkoalitionspartner, von der ÖVP, die all das vergessen hat und Sie jetzt in Regierungsverantwortung heben will. (Beifall bei der SPÖ.)
Es war schon auch die ÖVP, die sich von einem Bundeskanzler „Sensibilität im Umgang mit Worten, unserer Geschichte und unserer Demokratie“ erwartet, die Ihnen ausgerichtet hat, dass in Österreich das „Bundeskanzleramt kein Bierzelt und schon gar kein Führerbunker“ sein darf. (Rufe bei der ÖVP: Hallo! – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Geh bitte!) Das sind Ihre Worte, lieber Herr Stocker, das ist Ihre Verbiegung, das ist Ihre Rückgratlosigkeit, das ist Ihre 180-Grad-Drehung, das ist Ihr Steigbügelhaltertum für diese FPÖ in dieser Republik (Beifall bei der SPÖ), und Sie können sich noch gar nicht vorstellen, was uns da erwartet.
Ich möchte noch etwas zum Budget sagen, darüber, dass wir jetzt 270 Millionen Euro öffentlich in der Debatte haben, die Pensionistinnen und Pensionisten leisten sollen, durch Erhöhung von Beiträgen. Als hätten es die Pensionistinnen und Pensionisten nicht schon schwer genug! Sie leiden unter der Misere im Gesundheitsbereich, im Pflegebereich, die Sie in Ihrer Regierungsperiode mitzuverantworten gehabt haben, sie leiden unter der Teuerung, die Sie haben durchrauschen lassen. Etwa 15 Prozent der über 65-Jährigen in Österreich sind jetzt schon armutsgefährdet. Das sind weit über 200 000 Menschen in diesem Land, und die Mehrheit davon sind Frauen, sie sind von Altersarmut oder Altersarmutsgefährdung betroffen (Beifall bei der SPÖ), und die wollen Sie jetzt noch zusätzlich schröpfen, zugunsten der Großindustriellen, die wieder keinen Beitrag leisten wollen.
Herr Stocker, Herr Kickl, wissen Sie, wie hoch eigentlich die durchschnittliche Pension einer Österreicherin ist, einer Frau in Pension? – 1 400 Euro. Altersarmut ist eben auch ein großes Frauenthema in dieser Republik. Frauen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, die sich dann in der Kindererziehung wiedergefunden haben, sich hart zurückgekämpft haben, damit sie wieder ein paar Stunden zu arbeiten anfangen können, ein Leben lang hart gearbeitet haben, in verschiedenen Bereichen, im privaten Bereich, im Carebereich, in der Arbeitswelt. Die werden Sie mit einer Budgetkonsolidierung auch auf dem Rücken dieser Frauen nochmals nachhaltig bestrafen. Dagegen wird die Sozialdemokratie Widerstand leisten.
Wir stehen für Respekt vor allem auch vor Frauen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. (Beifall bei der SPÖ.)
Viele Menschen haben keinen finanziellen Spielraum mehr. Da lässt sich der Gürtel nicht noch enger schnallen, ohne dass die Luft komplett wegbleibt. Wir wollen miteinander – und das ist die Aufgabe, so wie wir sie verstehen – diese Krise bewältigen. Die Sanierung unseres Budgets ist essenziell. Umso wichtiger ist es jetzt, der FPÖ und der ÖVP genau auf die Finger zu schauen. Wir fordern diesbezüglich auch Antworten von Ihnen, Herr Finanzminister. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
9.20
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Für eine einleitende Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich der Herr Bundesminister für Finanzen Gunter Mayr. Ich erteile es ihm. Auch seine Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten.