RN/21
10.31
Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, betraut mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung und der Fortführung der Verwaltung im Bundeskanzleramt Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Bildschirmen! Ja, Sie können mir eines glauben: Ich hätte niemals erwartet noch hatte ich angestrebt, ein weiteres Mal hier vor Ihnen als Regierungschef zu stehen (Heiterkeit bei der SPÖ – Ruf bei der SPÖ: Das glauben wir!), aber die Menschen in Österreich haben ein Recht auf eine handlungsfähige Regierung mit einem Bundeskanzler an der Spitze, so wie es unsere Bundesverfassung auch vorsieht.
Ich versichere Ihnen, dass ich dieses Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben werde. Es ist meine Aufgabe als Regierungschef, die Amtsgeschäfte mit ruhiger Hand fortzuführen und einen geordneten Übergang sicherzustellen, sobald eine neue Bundesregierung angelobt wird, denn genau das entspricht meinem Verständnis von Dienst an der Republik, Dienst an der Gemeinschaft, Dienst an den Menschen hier in unserem Land. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Kucher [SPÖ] und Meinl-Reisinger [NEOS].)
Das bringt mich eigentlich geradewegs zu meinem Vorgänger: Karl Nehammer als Bundeskanzler nachzufolgen, ist etwas ganz Besonderes. In einer sowohl national als auch geopolitisch enorm herausfordernden Zeit hat er dieses Amt des Bundeskanzlers mit unglaublich viel Herzblut, mit Geradlinigkeit und Rechtschaffenheit ausgefüllt. Er hat dabei immer gezeigt, dass seine Arbeit für unser Land auf einem ganz klaren Wertefundament fußt, und er ist diesem Wertefundament und sich selbst immer treu geblieben. (Abg. Schwarz [Grüne]: Das war auch das Problem!) Er hat unser Land mit ruhiger Hand durch schwierige Zeiten geführt und sich dabei nicht verbogen, er hat Rückgrat bewiesen, Haltung und Größe gezeigt. Dafür gebührt Karl Nehammer unser aller Dank und unser aller Respekt. (Beifall bei ÖVP, NEOS und Grünen.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Der eine oder andere hier im Hohen Haus, hier in diesem Raum und auch vor den Bildschirmen wird sich vielleicht fragen: Warum gibt der mit der Fortführung der Geschäfte betraute Bundeskanzler der einstweiligen Bundesregierung überhaupt eine Regierungserklärung ab? – Mir wurde erklärt, das gehört zu den Usancen in dieser Republik. Ich glaube, wir sind als Gesellschaft und als Politik an einem Punkt angelangt, an dem es gut und recht ist, dass wir Usancen einhalten – jene ungeschriebenen tradierten Regeln in unserer Republik, die unser Zusammenleben, unser Zusammenarbeiten oft überhaupt erst möglich machen –, denn ja, wir befinden uns in einer innen- wie außenpolitisch enorm herausfordernden Zeit.
In dieser Phase ist es wichtig, dass unser Land zügig eine stabile und handlungsfähige Bundesregierung erhält, doch die nächste Bundesregierung wird genauso wie alle anderen davor nicht im luftleeren Raum agieren können. Sie wird eingebettet sein in einem starken und tragfähigen Netz an Regeln und Verpflichtungen sowohl nationaler als auch internationaler Natur; völkerrechtliche Verträge, die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen gehören genauso dazu wie die Bundesverfassung. Daher sind die Grundvoraussetzungen für eine handlungsfähige nächste Bundesregierung völlig klar, und sowohl Bundespräsident Alexander Van der Bellen als auch der geschäftsführende Bundesparteiobmann der ÖVP Christian Stocker haben das klar dargelegt: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien und das klare Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind nicht verhandelbar, ebenso wenig wie das Respektieren des Völkerrechts und der Prinzipien der UN-Charta. In einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist – und ich war ja in den turbulenten Zeiten der letzten fünf Jahre oft hier im Hohen Haus und habe das dargelegt –, in der unser Lebensmodell, das auf Demokratie und Pluralismus beruht, unter Druck gerät, kann und darf es keinen Zweifel geben, wo dieses Land steht. (Beifall bei ÖVP, NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir alle in diesem Raum wissen, dass wir schwierigen Zeiten entgegengehen. Wir stehen nicht nur vor globalen wirtschaftlichen Herausforderungen, die unseren Standort unmittelbar betreffen, wir befinden uns auch – ob wir es wollen oder nicht – in einer systemischen Auseinandersetzung: Autoritäre Systeme fordern unser Lebensmodell und die internationale Ordnung, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, heraus, und wir wissen auch, dass es Kräfte im Inneren gibt, die am Werk sind – über Social Media, mit Trollen und Bots –, die versuchen, unsere Gesellschaft zu unterminieren, unsere Demokratie zu destabilisieren, die jede Erzählung, jede Falschinformation verstärken, die uns spaltet und die uns schwach aussehen lässt. Dagegen müssen wir uns wehren, denn das ist für ein Land wie Österreich – ein mittelgroßer exportorientierter Staat im Herzen Europas – lebensgefährlich. Wir sind darauf angewiesen, dass es eine regelbasierte internationale Ordnung gibt, dass das Völkerrecht eingehalten wird, dass Verträge respektiert werden nach dem Grundsatz: Pacta sunt servanda. Es ist die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren, was unsere Maxime sein muss. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen.)
Ja, Hohes Haus, die letzten Jahre haben uns ja allen mehr als deutlich gezeigt: Nein, weder Österreich noch Europa sind Inseln der Seligen. Wir sind nicht unantastbar, wir sind nicht vor Krisen, Konflikten und Kriegen gefeit – im Gegenteil: Sie betreffen uns hier in Österreich und auf dem europäischen Kontinent manchmal ganz unmittelbar, aber die Herausforderungen, die daraus erwachsen, können wir nur gemeinsam lösen – in Österreich, in Europa und auf der internationalen Ebene. Ich habe deshalb ganz bewusst meine Amtszeit mit einer Reise nach Brüssel begonnen – mit einer ganz klaren Botschaft: Österreich ist und bleibt selbstverständlich ein verlässlicher und stabiler Partner in Europa und in der Welt, und zwar nicht aus Altruismus, nicht aus Selbstlosigkeit, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Eine proeuropäische multilaterale Orientierung Österreichs ist gerade in einer so volatilen, anspruchsvollen Zeit geopolitischer Umbrüche überlebensnotwendig, denn eine Schotten-dicht-Zugbrücke-hoch-Mentalität würde nicht nur unseren Wohlstand und unsere Exportwirtschaft massiv gefährden, sondern auch unsere Sicherheit unterminieren. (Beifall bei ÖVP, NEOS und Grünen sowie des Abg. Lindner [SPÖ].)
Der zweite Teil meiner Botschaft, die ich in Brüssel abgegeben habe und bei jedem internationalen Gespräch abgebe, war aber genauso deutlich und ist mir genauso wichtig, nämlich dass Österreich eine lebendige, funktionierende, gefestigte Demokratie mit einer starken Verfassung und starken Institutionen ist, ein Land mit höchsten Standards in Bezug auf Grund- und Freiheitsrechte. Nur wenige Orte auf der Welt bieten ihren Bürgern diese Art von Stabilität, von Frieden und Freiheit – die Grundlage für die hohe Lebensqualität in unserem Land. Vor diesem Hintergrund erwarten wir uns als Österreicherinnen und Österreicher zu Recht Respekt und Achtung für die demokratischen Prozesse in unserem Land. Das habe ich auch in Brüssel klar eingefordert. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, so wie wir zu Recht von außen Achtung und Respekt für die Prozesse demokratischer Natur in unserem Land erwarten, so sehr müssen wir auch nach innen Achtung und Respekt für diese Prozesse zeigen. (Beifall bei der ÖVP.)
Denn eines ist doch klar: Österreich ist keine Konfliktdemokratie, wir sind eine Kompromissdemokratie. Nach den blutigen Lehrjahren der Ersten Republik und der Nazizeit haben wir es in diesem Land geschafft, dass Gemeinsame nicht nur zu suchen, sondern es auch zu finden, mit Mut zum zivilisierten Diskurs über alle politischen und gesellschaftlichen Differenzen hinweg, mit Mut zur Bürgerlichkeit – das beinhaltet Rechte und Pflichten für jeden Einzelnen von uns – und mit Mut zur Kompromissfähigkeit.
Im Geiste der Dachauer Lagerstraße sind im Grunde genommen die Grundlagen unserer Zweiten Republik gewachsen. Nur der Glaube an Österreich ermöglichte damals unser Überleben. Das dürfen wir nie vergessen, auch nicht in diesem Hohen Haus.
Erst dieser Zugang, dieses Aufeinanderzugehen, das Überwinden von Gräben hat Österreich über die Jahrzehnte zu dem werden lassen, was es heute ist: eine lebendige, stabile, widerstandsfähige Demokratie, eines der reichsten und sichersten Länder dieser Erde, mit einer engagierten Zivilgesellschaft, einer tragfähigen Sozialpartnerschaft und einer vielfältigen Kunst-, Kultur- und Medienlandschaft.
Respektieren wir also auch selber hier in diesem schönen Land unsere demokratischen Prozesse und haben wir Vertrauen in unsere gewachsenen demokratischen Institutionen, sowohl in Österreich als auch auf europäischer Ebene! (Beifall bei der ÖVP, bei Abgeordneten von NEOS und Grünen sowie des Abg. Lindner [SPÖ].)
Meine Damen und Herren, wir dürfen nie vergessen: Im Grunde genommen sind die wichtigste Ressource, die wir in diesem Land haben, die hochgebildeten, kreativen und tatkräftigen Menschen, die hier leben, die hier arbeiten und das Land erst zu dem machen, was es ist.
Wenn ich über Kreativität rede: Lassen Sie mich an dieser Stelle auch eine klare Lanze für Kunst und Kultur brechen! Das wird vielleicht manche erstaunen, aber es sollte im Grunde genommen eigentlich niemanden erstaunen. Wenn wir gerade schmerzhaft erleben, dass individuelle Freiheit, Demokratie und Pluralismus weltweit zunehmend unter Druck geraten, ja dass unser Lebensmodell von manchen als Bedrohung, sogar als Akt der Aggressivität angesehen wird, dann sehen wir, dass Kunst und Kultur kein Luxus sind – ganz im Gegenteil. In Zeiten von zunehmender Polarisierung und Spaltungen ist die Kultur eine Konstante, die uns verbinden kann, die uns Identität, geistige Wehrhaftigkeit und Resilienz geben kann.
Gerade wenn es darum geht, wehrhaft zu sein und unser Lebensmodell zu verteidigen, gehört für mich eines untrennbar dazu: das klare Bekenntnis zu Kunst und Kultur und ihrer Freiheit als wesentliche Form des gesellschaftlichen Dialogs hier in unserem Land. (Beifall bei ÖVP und NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)
Ja, Österreich ist eine Kulturnation. Als Außenminister habe ich in den vergangenen Jahren immer gesagt: Das ist unsere stärkste Softpower. Wir sind zu Recht stolz darauf, also lasst uns auch alle gemeinsam sorgsam mit diesem hohen Gut umgehen!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Ich will die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht kleinreden. Die nächste Bundesregierung wird wahrlich alle Hände voll zu tun haben. Ich bin jedoch zuversichtlich, ich bin optimistisch, denn ich bin davon überzeugt, dass wir zur Bewältigung dieser Probleme in Wirklichkeit gut gerüstet sind, wenn wir nur wollen, wenn wir nur zusammenstehen.
Haben wir also Vertrauen in unsere eigenen Stärken, in unser Potenzial! Haben wir ein bisschen mehr Glauben an das, wofür wir stehen, was wir sind und was wir können!
Österreich ist nicht nur ein enorm schönes und lebenswertes Land, es ist auch ein starkes Land, es ist ein weltoffenes Land, und es liegt an uns allen und an Ihnen allen hier in diesem Raum, dass es auch so bleibt. Ich für meinen Teil werde auch in Zukunft versuchen, das Meinige dazu beizutragen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ, NEOS und Grünen.)
10.44
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen.
Wir gehen in die Debatte über die Erklärung ein.
Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Kucher. Ich erteile es ihm. Die eingemeldete Redezeit beträgt 5 Minuten.