RN/28

11.24

Abgeordneter Rudolf Silvan (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren hier auf der Galerie und zu Hause! Herr Bundeskanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Frau Kollegin Klubobfrau Meinl-Reisinger, ich schätze Sie sehr, aber ich muss nur eines festhalten: Wir waren nicht diejenigen, die den Verhandlungstisch verlassen haben. Das wart schon ihr als Erste. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger [NEOS]: Aber ihr habts eine Mehrheit! Ihr habts eine Mehrheit, aber ohne uns – aber offensichtlich keine Einigkeit!)

Kollege Wöginger ist jetzt nicht da, und ich möchte jetzt nicht kleinlich sein und da nachhauen oder sonst irgendetwas, ich schätze ihn auch sehr für seine Emotionen, aber: Die Energieabgabe war nicht auf Grün gestellt, das wollte ich nur klarstellen.

Herr Bundeskanzler, ich habe mir zu Ihren Ausführungen einiges aufgeschrieben. Sie haben von „Kompromissdemokratie“, vom Zusammenhalt, von herausfordernden Zeiten in der Innen- und Außenpolitik und von der Tragfähigkeit der Sozialpartnerschaft gesprochen. Wenn man aber die Pressekonferenzen der zukünftigen Koalition und die Nebensätze und Zwischentöne hört, wenn da vonseiten der FPÖ davon gesprochen wird, die Sozialpartnerschaft sei überholt und Betriebsräte seien sozialistische, alte Einrichtungen, dann möchte ich hier eines klarstellen: Freie Gewerkschaften sind eine tragfähige und eine tragende Säule einer modernen Demokratie. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Wenn uns hier vorgeworfen wird, dass die Sozialdemokratie auf Maßnahmen aus vergangenen Zeiten setzt, um aus der Krise zu kommen – vom Klassenkampf, über die Neiddebatte gegenüber Multimillionären und -milliardären und über eine Bankenabgabe ist heute schon ein paarmal geredet worden –, dann stehen wir dazu, nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern auch deswegen, weil wir Kapital brauchen, um uns aus dieser Krise hinausinvestieren, in die Wirtschaft investieren und Konjunkturpakete schnüren zu können.

An die Adresse des ÖVP-Wirtschaftsbundes und auch der Industriellenvereinigung, die in der ÖVP offensichtlich mehr an Macht gewonnen haben: Klassenkampf kann man nur machen, wenn Klassen entstehen. Seit Sebastian Kurz hat die Industrie massiv an Einfluss in der ÖVP gewonnen, und diese Klassen sind seit 2017 entstanden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Weil heute auch Parteiobmann Stocker davon gesprochen hat, dass wir – irgendwie in diese Richtung – eh alle, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, im selben Boot sitzen – auch die NEOS sprechen immer wieder davon –: Der Neoliberalismus hat schon in den 1930er-Jahren versucht, zu erklären, dass eh alle irgendwie die gleichen Interessen haben und sogar haben müssen. Ich möchte ich hier Folgendes ausführen und all jene, die diese Behauptung aufstellen, fragen: Hat jemand den Eindruck, dass die Beschäftigten der Kika/Leiner-Gruppe im gleichen Boot sitzen wie René Benko, jener René Benko, der nach wie vor in Luxus lebt (Abg. Strasser [ÖVP]: Gusenbauer! – Zwischenruf der Abg. Reiter [ÖVP]), während die 1 350 Beschäftigten ohne Arbeit auf der Straße stehen? (Abg. Kassegger [FPÖ]: Der hat einen schlechten Aufsichtsrat gehabt! Da hat wohl der Aufsichtsrat versagt!) Hat jemand den Eindruck, dass die Beschäftigten von KTM im gleichen Boot wie Stefan Pierer sitzen, der noch im Frühjahr 2024 an die Pierer Mobility AG 17 Millionen Euro Dividende ausgezahlt hat, während die Beschäftigten nach wie vor auf die Dezemberlöhne und das Weihnachtsgeld warten? Hat jemand den Eindruck, dass man da im gleichen Boot sitzt?

Das ist Klassenkampf. Und ich sage Ihnen, was das für ein Klassenkampf ist: Klassenkampf von oben nach unten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir von der Sozialdemokratie wollten immer, dass wir gemeinsam diese Krise meistern, wie es der Bundeskanzler auch ausgeführt hat. Gemeinsam heißt alle, nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Pensionistinnen und Pensionisten, während der Rest zuschaut. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die ÖVP nach wie vor dafür eintritt, dass Österreich ein Paradies für Superreiche bleibt, und wir nehmen auch zur Kenntnis, dass die ÖVP lieber einen Bundeskanzler Kickl akzeptiert als eine Bankenabgabe einführt.

Eines möchte ich noch sagen: Es wurden die Banken schon einmal gerettet, mit Steuergeld, das sie noch immer nicht zurückgezahlt haben. Es wäre höchst an der Zeit, dass die Banken ihre Schulden bei der Bevölkerung bezahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPÖ.) Das ist mit Blick auf die Gewinne der letzten drei Jahre in der Höhe von 30 Milliarden Euro mehr denn je angesagt. Mit diesem Geld oder einem Teil dieses Geldes könnte man zum Beispiel das von Schwarz-Blau demolierte Gesundheitssystem wieder sanieren.

Wir haben vor Kurzem erfahren, dass die Österreichische Gesundheitskasse – ein Projekt von Schwarz-Blau, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache – in diesem Jahr ein Minus in der Höhe von 800 Millionen Euro schreibt – 800 Millionen! Die neun Gebietskrankenkassen haben damals 1,4 Milliarden Euro an Rücklagen in die Fusion eingebracht; dieses Geld ist weg, und wir sind meilenweit von der sogenannten Patientenmilliarde entfernt, die uns Sebastian Kurz versprochen hat. Und wenn der Vorsitzende des Dachverbandes, Peter Lehner, davon spricht, dass sich die Bevölkerung darauf einstellen soll, dass man in der Gesundheitsversorgung keinen Mercedes mehr bekommt, sondern nur mehr einen VW Golf, und man für alles, was man darüber hinaus haben will, draufzahlen muss, dann weiß man, in welche Richtung das geht. 

Ich sage ganz klar: Es wird, wenn diese Bundesregierung kommt, sehr viel Arbeit auf die Gewerkschaften zukommen.

Vielleicht nur einen kleinen Vorgeschmack aus Niederösterreich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, weil es eigentlich traurig, aber schon fast amüsant ist: Die schwarz-blaue Landesregierung Niederösterreichs diskutiert über Spitalschließungen. (Abg. Strasser [ÖVP]: Das hat die SPÖ mitbeschlossen!) Sie diskutieren nicht darüber, wie man den Personalmangel in den Griff bekommt, sie diskutieren nicht darüber, wie man die Wartezeiten auf notwendige Behandlungen verkürzt und wie man die notwendigen Operationen schnell bekommt. Wissen Sie, was sie in aller Öffentlichkeit – in aller Öffentlichkeit; das ist sogar in den Zeitungen gestanden – diskutieren? – ÖVP und FPÖ Niederösterreich diskutieren darüber, wie die Kruzifixe in den Spitälern gestaltet werden sollen, ob mit Corpus Christi oder ob ohne Corpus Christi. Das sind die Probleme der ÖVP und der FPÖ in Niederösterreich – kein Wort davon, wie man wohnortnahe, zeitnahe eine Operation, eine notwendige Behandlung bekommt! Die Menschen haben ein Recht darauf, weil sie Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und weil sie Lohnsteuer bezahlen. Sie bezahlen einen Mercedes und sie haben ein Recht auf einen Mercedes in der Gesundheitsversorgung. (Beifall bei der SPÖ.)

Kollegin Meinl-Reisinger hat von der höheren Lebenserwartung gesprochen und davon, dass man die Pensionen daran anpassen soll, und dazu muss man eines klar sagen: Diese höhere Lebenserwartung – das sagt sogar Professor Badelt vom Fiskalrat – trifft nicht auf alle Bevölkerungsgruppen zu, nämlich nicht auf jene, die mit 15 Jahren anfangen zu arbeiten (Abg. Meinl-Reisinger [NEOS]: Deshalb muss man ja auch Systeme schaffen, die das flexibel handhaben – wie die Schweden!) und bis zum 60., 65. Lebensjahr arbeiten. Eines ist klar: Man kann mit 67 Jahren bei 33 Grad Hitze kein Dach decken. Das kann man nicht, liebe Kollegin! Man kann mit 67 Jahren bei 33 Grad Hitze keine Straße asphaltieren. Das ist nicht möglich, liebe Kollegin! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Meinl-Reisinger [NEOS]: Ich weiß! Aber viele können, die gehen aber auch mit 60!)

Wir stehen für eine Politik, die von Gerechtigkeit getragen wird, und wenn man meint, dass das ein altes Rezept ist, dann ist das neue Rezept Ungerechtigkeit. 

Ich möchte nur einen Hinweis geben: Am kommenden Sonntag sind Gemeinderatswahlen in Niederösterreich, und wenn Sie die Sozialdemokratie stärken, dann haben wir wenigstens in den Gemeinden einen starken Gegenpol zu der kommenden blau-schwarzen Bundesregierung. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Hafenecker [FPÖ]: Da bauts aber auch schon schwer ab, bei uns gibt’s euch gar nicht mehr!)

11.32

Präsident Peter Haubner: Als Nächster zu Wort gemeldet ist jetzt Herr Klubobmann Werner Kogler. Ich habe die Redezeit auf 6 Minuten eingestellt.