RN/7
9.13
Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion Dank für Ihre Worte aussprechen. Ich glaube, wir alle haben gespürt, welche Trauer auch bei Ihnen ganz persönlich als Vater eines Sohnes zu spüren ist. Ich kann mich diesen Worten als Mutter dreier Töchter nur anschließen. (Allgemeiner Beifall.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Drei Jahre: Es sind drei Jahre vergangen, seit Russland seinen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Eigentlich ist heute aber auch der Tag des Widerstands gegen die russische Besetzung in der Ukraine. Der 26. Februar ist der Tag des Widerstands gegen die russische Besetzung der Krim, weil 2014 an diesem Tag zum letzten Mal – bedauerlicherweise zum letzten Mal – eine große proukrainische Demonstration auf der Krim, getragen von 10 000 Krimtataren, Ukrainerinnen und Ukrainern und Aktivisten, stattgefunden hat. Wir wissen, was danach passiert ist, dass danach die Besetzung der Krim begonnen hat. Drei Jahre tobt nun aber der Krieg in vielen ukrainischen Städten, in vielen ukrainischen Vororten, betrifft ukrainische Schulen, Spitäler, zivile Wohnhäuser und die Energieinfrastruktur.
Es sind drei Jahre, die ein Kampf um ein Territorium zu sein scheinen, doch, meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist kein Kampf bloß um ein Territorium, dies ist ein Kampf um die Souveränität der Ukraine. Es geht um die Eigenstaatlichkeit der Ukraine und es geht um das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung. (Beifall bei NEOS und Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)
Putin hat in mehreren Reden klargemacht, was er will, und zwar: die Ukraine von der Landkarte löschen.
Letzte Woche durfte ich hier im Haus nicht nur die stellvertretende Vorsitzende des ukrainischen Parlaments, sondern auch die Abgeordnete Inna Sowsun aus dem ukrainischen Parlament begrüßen. Sie waren anlässlich einer Veranstaltung, die wir hier im Haus hatten, sehr klar in dem, was sie uns gesagt haben: It’s not Ukraine Putin is after. It’s your way of life he wants to undermine.
Sehen Sie, diese Brücke möchte ich auch noch schlagen: Es geht auch um die Art, wie wir hier in Europa leben. Es geht um unsere europäische Selbstbestimmung. Es geht um das Recht auf Freiheit und Frieden, auf Eigenstaatlichkeit und Selbstbestimmung in der Ukraine und in ganz Europa.
Im Juni 2022 habe ich mir bei einer Reise – ich hoffe, es wird nicht meine letzte gewesen sein – selber ein Bild machen dürfen. Ich habe die Vororte von Kiew besucht – Butscha, Irpin, Borodjanka – und diese schrecklichen Verwüstungen gesehen: die Einschusslöcher in der Kirche, die Massengräber, die ausgehoben worden sind, weil es nicht anders möglich war, die vielen, vielen Toten zu bestatten. Ich habe die Trauer in den Augen der Menschen gesehen, den Dolmetscher gehört, dem das Wort gebrochen ist, als er uns übersetzt hat, was der Bürgermeister von Butscha über diese schrecklichen Gräueltaten in der Besatzungszeit erzählt hat. Alles das haben wir gesehen, und wir haben gesehen, dass hinter all diesen Worten – Territorium, Selbstbestimmtheit, Souveränität, Eigenstaatlichkeit –, ja, selbst hinter den Worten Frieden und Freiheit Menschen und ihre Schicksale stehen – Menschen, die so viele, zu viele Angehörige verloren haben; Menschen, die alle miteinander zum Teil auch alles verloren haben; und viele, viele Kinder, die aus ihren Familien gerissen worden sind, nach Russland verschleppt worden sind und dort nun fernab ihrer Lieben zu leben haben.
Ich glaube, eine schmerzhafte Erkenntnis haben wir in den letzten drei Jahren gewonnen, und die letzten Tage haben sie, denke ich, noch ein wenig verstärkt: Die Frage des Friedens und der Freiheit in Europa können wir nicht outsourcen. Es kann niemand anderer die Verantwortung für unsere Freiheit, für unseren Frieden, für unser Zusammenleben übernehmen. Wir haben eine Verpflichtung in unserer Gesellschaft, eine Verpflichtung in der Politik, eine Verpflichtung aller Regierenden, unsere Bürgerinnen und Bürger und unsere Freiheiten zu schützen. Dieser Verpflichtung sind wir meines Erachtens nur ungenügend nachgekommen.
In den letzten Tagen und mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen haben wir auch gesehen, was der Ukraine im schlimmsten Fall drohen könnte. Es ist grundsätzlich ein festes Band der transatlantischen Beziehungen, das Europa mit den USA verbindet. Dieses Band, meine Damen und Herren, hat in den vergangenen Tagen aber Risse bekommen. Wir sehen auch: Wenn es direkte Verhandlungen zwischen den USA und Russland, zwischen Trump und Putin gibt, sitzt die Ukraine nicht am Tisch, sitzt Europa nicht am Tisch. Nichts aber über die Ukraine ohne die Ukraine und nichts über Europa ohne Europa – das muss ein Motto sein, das weiter Geltung hat. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Es macht bisweilen den Eindruck, dass einige einen Frieden um jeden Preis haben wollen. Die Frage, die mich dabei aber umtreibt, ist: Wer zahlt am Ende den Preis? – Zunächst einmal die Ukraine selbst, aber dann auch – und so sollte das offensichtlich auch geschehen – Europa. Im Moment sind Gespräche im Laufen. Denn eines ist auch klar: Die Ukraine braucht Sicherheitsgarantien. Der Fragebogen beziehungsweise die Wunschliste, wie viele Truppen Europa stellen kann, wurde ja auch schon übermittelt.
Was nicht passieren darf, meine Damen und Herren, ist ein Diktatfrieden, der vielleicht nur vordergründig Waffenstillstand bietet, Frieden bietet und damit vorgeblich Freiheit bietet, sondern es muss ein – und davon bin ich überzeugt – gerechter Frieden sein, der hält, der uns in Europa die Sicherheit gibt, dass es sich nicht nur um eine Atempause handelt, sondern um eine Situation des dauerhaften Friedens, die uns in Europa für längere Zeit wieder Freiheit und Frieden bringt.
Ich glaube, in Europa ist in den letzten Jahren viel darüber geredet worden, was die aktuellen Entwicklungen bedeuten. Es ist viel davon gesprochen worden, dass es Weckrufe gegeben hat, Zeitenwenden wurden sozusagen beschworen. Ich glaube allerdings auch, dass die Zeit der bloßen Reden vorbei sein muss und den Reden effektive Taten zu folgen haben; Taten, die vor allem eines bedeuten: Stärke zu zeigen. Und diese Stärke entsteht nur durch Einigkeit – Einigkeit, die uns eines schafft: uns eine Strategiefähigkeit zu bringen, vor allem dahin gehend, unsere eigenen Interessen in Europa und in der Welt zu vertreten.
Die Gipfel der letzten Tage, die Gipfel der letzten Wochen und auch das Gespräch, das kürzlich zwischen Emmanuel Macron und Donald Trump stattgefunden hat, können nur der Auftakt einer Entschlossenheit sein, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass wir uns um unsere Angelegenheiten kümmern und – wie ich auch schon ausgeführt habe – alles daran setzen, diese Einigkeit unserer Bürgerinnen und Bürger in Europa, vor allem auch betreffend unsere Art, zu leben, zu bewahren. Da kann ich eigentlich an das anschließen, Herr Präsident, was Sie gesagt haben: Egal, von welcher Seite die Art, wie wir in Europa leben wollen, bedroht ist: Wir sind wehrhaft und werden wehrhaft sein gegen alle Bedrohungen, vor allem der liberalen Demokratie, aber auch unserer Art, zu leben. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen.)
Das heißt natürlich auch, nicht die Augen davor zu verschließen, dass wir Geld in die Hand nehmen müssen, wenn es darum geht, unsere Verteidigung auf eigene Beine zu stellen, selbstbewusst und souverän und, ja, auch mit der nötigen Einigkeit, denn gemeinsam sind wir sicherer, gemeinsam sind wir stärker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube tatsächlich, dass wir in Europa in den kommenden Jahren sehr entscheidende Fragen zu beantworten haben. Die Fragen gehen weit über die Rolle Österreichs in Europa hinaus und betreffen die Frage der Rolle, die Europa in der Welt zu spielen hat. Und ja, die Frage des Krieges in der Ukraine ist da auch ein ganz entscheidender Faktor: Wollen wir Spielball sein, wollen wir, dass andere über uns entscheiden, andere unsere vermeintlichen Interessen vertreten, oder wollen wir selbstbewusst und mit Stolz gemeinsam für unsere Sicherheit, für unseren Schutz, den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, und für unsere Freiheit sorgen? Sicherheit und Freiheit gibt es nur in Einigkeit. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei den NEOS, bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen sowie des Abg. Babler [SPÖ].)
9.23
Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Zu einer einleitenden Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Bundeskanzler Schallenberg in seiner Funktion als Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten. Ich erteile es ihm.
Auch für ihn gilt: Die Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten.
Die angezeigte Rede ist noch nicht nach § 52 Abs. 2 GOG-NR autorisiert.