RN/69

17.15

Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne): Danke, Herr Präsident. – Wenn ein 14-Jähriger mitten am helllichten Tag Opfer eines jugendlichen Attentäters wird, dann macht uns das alle fassungslos, und selbstverständlich sind unsere Gedanken hauptsächlich bei den Angehörigen. Es ist brutal, es ist unfassbar, und es ist genau das, was Terrororganisationen wie der IS erreichen wollen: Sie wollen erreichen, dass wir Angst haben. Sie wollen erreichen, dass unsere Demokratie ins Wanken gerät. Sie wollen erreichen, dass unsere Gesellschaft gespaltet wird, und uns gegeneinander ausspielen.

Gerade angesichts dieses unfassbar traurigen Ereignisses dürfen wir diesen Fall wirklich nicht politisch instrumentalisieren. Dafür sind die Baustellen zu groß, das Thema zu ernst und der Fall zu brutal. (Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Frau Kollegin, wie viele Kinder haben Sie eigentlich?) – Ich glaube nicht, Frau Belakowitsch, dass es jetzt angemessen ist, dazwischenzuschreien. (Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Ich glaube schon! Sie haben überhaupt keine Ahnung!)

Unser Job, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist nicht, weiter die Gesellschaft zu spalten. Unser Job als Politiker und Politikerinnen ist, alles dafür zu tun, zu bekämpfen, was solche Taten erst ermöglicht: Das ist gewalttätiger Extremismus. Darum müssen wir ganz nüchtern, auf Grundlagen der Fakten, darüber sprechen.

Wir sehen eines: Alarmierenderweise werden die Attentäter immer jünger. Wir sehen – es wurde schon angesprochen –, es gibt einen gemeinsamen Nenner, und dieser gemeinsame Nenner ist Social Media und da vor allem die Plattform Tiktok. Genau deshalb müssen wir über diesen Hosentaschenextremismus sprechen (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Der Herr Shetty ist auch immer auf Tiktok! – Abg. Zorba [Grüne]: Der ist kein Extremist!), denn Tiktok ist ein Brandbeschleuniger für Radikalisierungsprozesse (Abg. Belakowitsch [FPÖ]: Deshalb ist er ja so radikalisiert!), auch wenn manche hier versuchen, es zu relativieren. (Beifall bei den Grünen.)

Es geht darum, dass jede Sekunde Hunderte, Tausende, Millionen von Videos mit extremen Inhalten reingespült werden, ungefiltert, direkt an junge Menschen. Warum funktioniert das Ganze so gut? – Weil junge Menschen da Bestätigung bekommen, weil sie Anerkennung bekommen, etwas, was sie vielleicht in der realen Welt nicht bekommen, und insbesondere verunsicherte, heranwachsende Männer bekommen von Extremisten Sinn, Identität und vor allem Gemeinschaft. Sie bekommen etwas zutiefst Menschliches, und zwar finden sie Freunde, sie finden Anschluss. Sie bekommen zudem schnelle, einfache Antworten auf komplexe Fragen, und genau das nutzen Extremisten aus. – Du hast Probleme in deinem Leben? Die anderen sind schuld! Du hast deinen Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden? Die westlichen Werte sind schuld! Du hast Probleme beim Daten? Der Feminismus ist schuld!

Radikalisierung passiert auch nicht im Sinne von: Ich schaue mir ein paar Videos an! – der Kollege hat es erklärt –, sondern es passiert nach und nach. Es ist eine gefährliche Abwärtsspirale bis hin zum Rabbit-Hole-Effekt, bei dem die Jugendlichen in eine immer extremere Welt hineingezogen werden. Radikale Ansichten werden belohnt: Je absurder, je radikaler, umso mehr Anerkennung bekommt es in der digitalen Welt. Islamistische Influencer und Hassprediger vermischen gesellschaftliche Themen bewusst mit patriarchalen, frauenfeindlichen, antidemokratischen, antiwestlichen Werten. Das passiert oft subtil, aber sie wissen ganz genau, was sie machen.

Jetzt ist die Frage: Was können wir tun? Was müssen wir tun? – Eines vorweg: Es darf jetzt nicht darum gehen, dass wir aus der Angst der Menschen Kleingeld schlagen. Es bringt uns auch absolut nichts – looking at you, FPÖ –, laut zu schreien, aber keine richtigen Lösungen zu bringen, denn mit populistischen Inszenierungen ohne reale Wirkung spielen wir nur den Extremisten in die Hände, und wir schützen keinen einzigen Bürger und keine einzige Bürgerin. Und das kann es nicht sein. (Beifall bei den Grünen.)

Eines muss auch ganz klar gesagt werden: Es ist völlig egal, von welcher Seite Gewalt oder Extremismus kommt, ob es islamistisch ist, ob es rechtsextrem ist – ich erinnere an die Waffenfunde im Nazikeller, wo x-fache Munition und Sprengkörper gefunden wurden, wo sich Rechtsextreme auf den Tag X vorbereiten. Wir dürfen auf keinem Auge – auf keinem Auge! – blind sein. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Leichtfried [SPÖ].)

Was wir brauchen, ist Medienkompetenz, nicht als Nice-to-have, sondern als zentraler Bestandteil (Abg. Hafenecker [FPÖ]: Aber bei Ihnen tragen die Kollegen von der RAF ...!); und Plattformen wie Tiktok dürfen wir Extremisten nicht länger als rechtsfreien Raum überlassen. Wir müssen Extremismus auf jeder Ebene bekämpfen! Nur so schützen wir unsere Bürger und Bürgerinnen.

Genau deshalb bringen wir einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag 

der Abgeordneten Süleyman Zorba, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Desinformation bekämpfen und Meinungsvielfalt sichern auf Social Media“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung und die zuständigen Bundesminister:innen werden aufgefordert,


Ich hoffe, dass auch diese Seite (in Richtung ÖVP und FPÖ weisend) dem Antrag zustimmen wird, wenn es wirklich darum geht, unsere Bürger und Bürgerinnen zu schützen. – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Kassegger [FPÖ]: Ach du meine Güte!)

17.21

Der Gesamtwortlaut des Antrages ist unter folgendem Link abrufbar:

RN/69.1

Desinformation bekämpfen und Meinungsvielfalt sichern auf Social Media (9/UEA)

Präsident Dr. Walter Rosenkranz: Der gegenständliche Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und ordnungsgemäß eingebracht, er steht damit auch mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Abgeordneter Darmann. Eingestellte Redezeit: 6 Minuten.