Eingebracht am 24.09.2025
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

VERLANGEN

auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
gemäß § 33 Abs 1 2. Satz GOG-NR

des Abgeordneten Christian Hafenecker, MA

und weiterer Abgeordneter

betreffend Klärung politischer Einflussnahme auf Ermittlungen in der Causa Pilnacek (Pilnacek-Untersuchungsausschuss)

„Ich kann es nicht. Ich mach es nicht. Ich will es nicht.“[1] Mit diesen Worten soll der verstorbene Sektionschef Christian Pilnacek auf die Aufforderung des damaligen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP), wegen der geplanten Haus­durchsuchung in der ÖVP-Bundesgeschäftsstelle zu intervenieren, reagiert haben. Wenige Monate nach seiner Weigerung verstarb Pilnacek. Die Umstände seines Ablebens warfen Fragen auf und auch die Ermittlungen gerieten bald selbst in den Verdacht, politisch beeinflusst worden zu sein.

Ein Untersuchungsausschuss soll diesen Verdachtsmomenten nachgehen, um die politischen und administrativen Mechanismen offenzulegen, die Machtmissbrauch, Korruption und Beeinflussung von Ermittlungen ermöglichen. Der Nationalrat ist hier zur demokratischen Kontrolle und zur Wiederherstellung rechtsstaatlicher Integrität verpflichtet.

Die unterzeichneten Abgeordneten verlangen daher gern Art 53 Abs 1 2. Satz B-VG sowie § 33 Abs 1 2. Satz GOG-NR die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mit folgendem

Untersuchungsgegenstand

Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) Niederösterreich und der Staatsanwaltschaft Krems zur Todesursache von Christian Pilnacek sowie damit zusammenhängende Verfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaats­anwaltschaft (WKStA), der Staatsanwaltschaft St. Pölten und der Oberstaats­anwaltschaft Wien (OStA Wien) im Zeitraum vom 19.10.2023 bis 04.09.2025.

Es besteht der Verdacht auf unrechtmäßige Handlungen von Ermittlern des LKA Niederösterreich sowie unbekannten Beteiligten in der Landespolizeidirektion (LPD) Niederösterreich und im Bundesministerium für Inneres, insbesondere im Zusammenhang mit politischer Einflussnahme durch Ressortverantwortliche, Mitarbeiter ihrer politischen Büros und (leitende) Bedienstete des Bundeskanzleramts, des Bundesministerium für Inneres, des Bundesministerium für Justiz und durch oberste Verwaltungsorgane.

Dabei sind insbesondere folgende Aspekte hinsichtlich politischer Einfluss­nahme zu untersuchen:

1.    Anordnung der Ermittlungsmaßnahmen durch die Staatsanwaltschaft Krems zu sämtlichen Verfahren in Zusammenhang mit dem Ableben von Christian Pilnacek, beispielsweise das Verfahren 5 UT 138/23y wegen des Verdachts nach §§ 80, 81 StGB. Erhellt werden soll dadurch insbesondere die allfällige politische Einflussnahme auf Anordnungen in Zusammenhang mit der Sicherung von Tatort und Spuren und deren Auswertung, der Feststellung des Todeszeitpunkts, der Obduktion, der Rufdatenrückerfassung sowie der Sicher­stellung und Auswertung von Datenträgern.

2.    Unbefugte Entfernung von Beweismitteln aus dem Ermittlungsverfahren durch Beamte des LKA Niederösterreich.

3.    Unbefugte Ermittlungen ohne Auftrag der fallführenden Staatsanwaltschaft und ohne Berichte an sie.

4.    Nichtübermittlung wesentlicher Beweismittel durch das LKA Niederösterreich an die StA Krems und Zurückhaltung dieser in einem „Handakt“.

5.    Verfälschung von Ermittlungsergebnissen und Beweismitteln durch Beamte des LKA Niederösterreich, insbesondere hinsichtlich der Auswertung der Smart­watch von Christian Pilnacek.

6.    Prüfung der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens wegen eines Tötungsdelikts, aufgrund des Vorliegens neuer Beweise und Gutachten, die Suizid als Todesursache ausschließen.

7.    Übertragung der Zuständigkeit von der Staatsanwaltschaft Krems an die Staatsanwaltschaft Eisenstadt durch Entscheidung der Oberstaatsanwaltschaft Wien.

8.    Gezielte strafrechtliche Verfolgung von Personen, die als Journalisten an der Aufarbeitung dieser Vorgänge beteiligt waren.

9.    (Versuchte) Einflussnahme auf die mediale Berichterstattung.

10. Versuch der Verschleierung von Vorfällen im Rahmen der Ermittlungen durch Beamte des LKA Niederösterreich, des BMI, der StA Krems und der OStA Wien.

11. Behinderung der Ermittlungen der WKStA gegen Amtsträger, etwa im Zusammenhang mit dem Verfahren 17 St 6/24h und in Bezug auf die Sicherungskopie der Smartwatch.

12. Nichtbeachtung möglicher Zusammenhänge von Pilnaceks Ableben vor dem Hintergrund seiner Beratungstätigkeiten zugunsten von aktiven oder ehemaligen ÖVP-Amtsträgern sowie allfälliger Versuche, zugunsten von Personen im Umfeld der ÖVP Einfluss zu nehmen.

Unter einem wird gemäß § 33 Abs. 4 GOG-NR die Durchführung einer Debatte verlangt.


 

Begründung

Nach Art 53 Abs 1 2. Satz B-VG ist auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates ein Untersuchungsausschuss einzusetzen. Nach § 1 Abs 5 VO-UA ist ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses dem Präsidenten des Nationalrats „unter Abgabe des Gegenstands der Untersuchung“ gern Art 53 Abs 2 B‑VG zu überreichen. Tauglicher Gegenstand der Untersuchung ist nach Art 53 Abs 2 B VG ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes. Diese Voraussetzungen sind gegeben:

1.    Vollziehung des Bundes

Untersuchungsgegenstand sind strafrechtliche Ermittlungen zu den Todesumständen von Mag. Christian Pilnacek sowie damit zusammenhängende Verfahren der WKStA, der StA St. Pölten und der OStA Wien. Strafrechtliche Ermittlungen durch Organe der Polizei erfolgen im Dienste der Strafjustiz, diese zählt zum Kompetenztatbestand des Strafrechtswesens gern Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG und ist damit eine Angelegenheit der Bundesvollziehung (näher Kutsche, Art 10 Abs 1 Z 6 Tb 2-4 B-VG, in Kahl/Khakzadeh/ Schmid [Hrsg], Bundesverfassungsrecht [2021] Rz 10). Dieser Kompetenztatbestand umfasst auch strafrechtliche Ermittlungen durch Organe der Staatsanwaltschaft. In beiden Fällen handelt es sich funktionell um Gerichtsbarkeit (vgl für die Sicherheits­behörden im Dienste der Strafjustiz AB 439 BlgNR XXV. GP, 4; für die Staats­anwaltschaft explizit Art 90a B-VG); Gerichtsbarkeit ist eine Teilfunktion der Bundesvollziehung (zur Zulässigkeit staatsanwaltschaftlichen Handelns als Untersuchungsgegenstand auch Parlamentsdirektion, Untersuchungsausschüsse, Rz 28 mwN; Konrath/Posnik, Art 53 B-VG, in Kahl/Khakzadeh/Schmid [Hrsg], Bundes­verfassungsrecht [2021] Rz 10).

2.    Bestimmtheit des Vorganges

Tauglicher Gegenstand eines Untersuchungsausschusses ist gern Art 53 Abs 2 B-VG ein „bestimmter“ Vorgang. Laut Materialien ist ein „bestimmter“ Vorgang „ein bestimmbarer und abgrenzbarer Vorgang in der Vollziehung des Bundes“ (AB 439 BlgNR XXV. GP, 4). Kriterium des Art 53 Abs 2 B-VG ist demnach die hinreichende Bestimmtheit eines Untersuchungsgegenstandes. Die Anforderungen sind aber nicht zu überspannen, weil sich eine Untersuchung naturgemäß auf unbekannte, zumindest aber nicht gewisse Sachverhalte richtet (so auch Konrath/Posnik, aaO, Rz 11 mwN). Dass der Vorgang eben nur hinreichend, aber nicht exakt bestimmt sein muss, hat der Verfassungsgerichtshof mit VfSIg 20.370/2020 bestätigt (in diesem Sinne schon zuvor zu Prüfbefugnissen des Rechnungshofes VfGH 11.12.2018, KR1/2018 ua).

Zu untersuchender Vorgang ist das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Krems und des Landeskriminalamts (LKA) Niederösterreich zur Todesursache von Christian Pilnacek sowie damit zusammenhängende Verfahren, der Staats­anwaltschaft St. Pölten, der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA Wien) und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Zeitraum vom 19.10.2023 bis 04.09.2025. Der zu untersuchen verlangte Vorgang ist damit hinreichend bestimmt.

Der Vorgang ist thematisch und in Bezug auf den Vollzugsbereich hinreichend bestimmt.

3.    Abgeschlossenheit des Vorganges

Tauglicher Gegenstand eines Untersuchungsausschusses ist gern Art 53 Abs 2 B-VG ein „abgeschlossener“ Vorgang. Nach den Materialien kann ein Vorgang „jedenfalls“ dann als abgeschlossen angesehen werden, wenn sich die Untersuchung auf einen zeitlich klar abgegrenzten Bereich in der Vergangenheit bezieht, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass „damit in Verbindung stehende Handlungen noch offen sind“ (AB 439 BlgNR XXV. GP, 4; vgl auch VfGH 14.9.2018, UA 1/2018). Eine absolute Grenze ist dort zu sehen, wo durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses auf einen Entscheidungs- oder Willensbildungsprozess im Bereich der Bundesvollziehung Einfluss genommen wird (VfSIg 1454/1929). Darunter sind Entscheidungs- und Willensbildungen nur im Rechtssinn, also auf die Erzeugung von Normen gerichtet, zu verstehen.

Zur Abgeschlossenheit des Untersuchungsgegenstands in concreto: Mit Entscheidung der OStA Wien vom 04.09.2025[2] wurde die Zuständigkeit für Ermittlungen im Todesfall Christian Pilnacek von der StA Krems auf die StA Eisenstadt übertragen. Der Untersuchungsgegenstand ist damit ein abgeschlossener Vorgang.

4.    Direkter Zusammenhang

Nach den Materialien ist der Wortlaut des Art 53 Abs 2 B-VG („ein bestimmter, abgeschlossener Vorgang“) nicht als zahlenmäßige Einschränkung auf einen Vorgang, sondern als bloß unbestimmter Artikel zu verstehen (AB 439 BlgNR XXV. GP, 4). Es können damit mehrere Vorgänge Gegenstand eines Untersuchungs­ausschusses sein. Voraussetzung ist, dass die zu untersuchenden Sachverhalte in einem Zusammenhang stehen (ausdrücklich AB 439 BlgNR XXV. GP, 4). Der geforderte Zusammenhang kann inhaltlicher, personeller oder zeitlicher Art sein (ausdrücklich AB 439 BlgNR XXV. GP, 4).

Das vorliegende Verlangen zielt auf die Untersuchung der strafrechtlichen Ermittlungen des LKA Niederösterreich, der StA Krems, der StA St. Pölten, der WKStA und der Interventionen der OStA Wien. Die Ermittlungen des LKA Niederösterreich und der StA Krems sind Abschnitt desselben (Straf-)Verfahrens, dieses ist zugleich Gegenstand der Ermittlungen der WKStA und der Zuständigkeitsübertragung durch die OStA Wien. Ferner sind bzw. waren in Verbindung mit diesem (Straf-)Verfahren auch Verfahren bei der StA St. Pölten anhängig. Ein ausreichender Zusammenhang ist damit gegeben.

Aus all diesen Gründen handelt es sich beim verlangten Untersuchungs­gegenstand um einen bestimmten, abgeschlossenen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes im Sinne des Art 53 Abs 2 B-VG.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beilage 1 zum Verlangen gemäß § 33 Abs. 1 2. Satz GOG-NR

 

 

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1]       https://orf.at/stories/3340533/ (zuletzt abgerufen am 20.09.2025)

[2] https://www.derstandard.at/story/3000000286381/oberstaatsanwaltschaft-wien-entzteht-staatsanwaltschaft-krems-pilnacek-verfahren (zuletzt abgerufen am 20.09.2025)