Expertenforum
„Österreich wird älter – Auswirkungen der Demographie auf das Gesundheits- und Pflegesystem“
Transkript
verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle
Mittwoch, 30. Oktober 2024
9 Uhr – 11.58 Uhr
Bundesratssaal
Programm
Eröffnungsworte
Franz Ebner – Präsident des Bundesrates
Die Bevölkerungsentwicklung Österreichs
Regina Fuchs – Leiterin der Direktion Bevölkerung und des Center Wissenschaft,
Bundesanstalt Statistik Austria
Auswirkungen auf das Pflegesystem
Monika Riedel – Health Economics and Health Policy Senior Researcher, Sprecherin für Pflege, Institut für Höhere Studien
Das Trilemma der Demografie im Gesundheitssystem
Florian Bachner – Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie und -systemanalyse, Gesundheit Österreich
Die Zukunft des Alter(n)s im demografischen Wandel
Franz Kolland – Leitung des Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften
Die Sicht der jungen Generation auf den demografischen Wandel
Claudia Plakolm – Staatssekretärin für Digitalisierung, Jugend und Zivildienst
Podiumsdiskussion
Regina Fuchs – Leiterin der Direktion Bevölkerung und des Center Wissenschaft, Bundesanstalt Statistik Austria
Monika Riedel – Health Economics and Health Policy Senior Researcher, Sprecherin für Pflege, Institut für Höhere Studien
Florian Bachner – Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie und -systemanalyse, Gesundheit Österreich
Franz Kolland – Leitung des Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften
Abschlussworte
Franz Ebner – Präsident des Bundesrates
Beginn der Veranstaltung: 9 Uhr
Birgit Brunsteiner (Moderation): Schönen guten Morgen, sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich willkommen im Bundesratssaal des Hohen Hauses hier in Wien! Österreich wird immer älter. Die demografische Entwicklung stellt unser Land insbesondere im Gesundheitssystem und in der Altenbetreuung vor wirklich große Herausforderungen. Wie sehen die sozioökonomischen Auswirkungen der Alterung in den Bereichen Gesundheit und Pflege aus? – Diesen Fragen widmen wir uns heute in einem Expertenforum des Bundesrates, zu dem ich Sie alle hier im Saal, aber auch Sie, die Sie via ORF III oder via Mediathek des Parlaments zugeschaltet sind, sehr herzlich begrüßen darf.
Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft werden im Rahmen dieses Forums einen Blick darauf werfen, worum es in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege künftig gehen wird, welche Rolle der Prävention zukommt und warum das Miteinander der Generationen weiterhin der Grundstein für ein Altern in Würde sein wird.
Dazu darf ich unseren Gastgeber am heutigen Morgen, den Präsidenten des Bundesrates Franz Ebner, sehr herzlich begrüßen. (Beifall.)
Ebenso herzlich begrüße ich die Vizepräsidentin des Bundesrates Andrea Eder-Gitschthaler herzlich in unserer Mitte. (Beifall.)
An der heutigen Veranstaltung wird außerdem Staatssekretärin Claudia Plakolm teilnehmen, die aufgrund terminlicher Verpflichtungen – es ist derzeit in Österreich ein bisschen etwas los – mit einer kleinen Verspätung zu uns stoßen wird. Stellvertretend für die anwesenden Mitglieder des Seniorenrates darf ich Sie, die Sie alle heute hier sind, begrüßen. Sehr herzlich begrüßen darf ich auch die Vortragenden des heutigen Forums: Florian Bachner, den Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie und Systemanalyse, Gesundheit Österreich, Regina Fuchs, die Leiterin der Direktion Bevölkerung und des Center Wissenschaft, Statistik Austria, Franz Kolland, den Leiter des Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, und Monika Riedel, Senior Researcher für Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik sowie Sprecherin für Pflege am Institut für Höhere Studien. – Schönen guten Morgen! Schön, dass Sie da sind! (Beifall.)
Ebenfalls sehr herzlich willkommen heißen darf ich alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat, die Mitglieder des Bundesrates sowie die Abgeordneten der Landtage.
Bundesratspräsident Franz Ebner hat seine Präsidentschaft unter das Motto „Demokratie braucht Zukunft. Zukunft braucht Herkunft“ gestellt. Ein besonderes Anliegen ist ihm dabei das Miteinander der Generationen in unserer Gesellschaft. Franz Ebner ist ein Kenner der Anliegen vor allem der älteren Generation. Er setzte und setzt sich im Landesvorstand des Oberösterreichischen Seniorenbundes und im Bundesvorstand des Österreichischen Seniorenbundes intensiv damit auseinander.
Herr Präsident, ich darf Sie um Ihre Eröffnungsworte bitten. (Beifall.)
Eröffnungsworte
Franz Ebner (Präsident des Bundesrates): Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich darf Sie, sehr geehrte Expertinnen und Experten, und Sie, sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, herzlich zu unserem heutigen Expertenforum willkommen heißen. Ebenso begrüße ich sehr herzlich die Zuseherinnen und Zuseher, die via ORF III und Livestream dabei sind.
Im Rahmen dieses Expertenforums behandeln wir – wir haben es schon gehört – die weitreichenden Auswirkungen der demografischen Veränderung, insbesondere in den Bereichen Pflege und Gesundheit. Warum ist das gerade auch dem Bundesrat so wichtig? – Der Bundesrat ist nicht nur die Länderkammer, er ist auch die Zukunftskammer des Parlaments und gerade in Zeiten von Wahlen und Regierungsverhandlungen auch ein stabilisierender Faktor für unsere Demokratie.
Die Auswirkungen der Demografie, insbesondere auf die Zukunft von Pflege und Gesundheit, sind für uns alle von größter Bedeutung. Der demografische Wandel wird unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern. Viele Expertinnen und Experten sprechen von einem Megatrend, manche gar von einer Schicksalsfrage für unsere Gesellschaft, denn unsere Bevölkerungsstruktur wird sich nachhaltig verändern. Im Jahr 2050 wird rund ein Drittel der Menschen in unserem Land 65 Jahre oder älter sein. Diese Entwicklung wird nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche beeinflussen.
Aus dem Blickwinkel des demografischen Wandels erachte ich die Bereiche Pflege und Gesundheit schon jetzt, aber besonders in Zukunft als zentrale Herausforderungen für unsere Gesellschaft, weil es vor allem um ein Altern in Würde geht.
Darüber hinaus werfen wir auch einen Blick auf die Rolle der älteren Menschen in unserer Gesellschaft und stellen die Frage, wie sich die Balance zwischen den Generationen, zwischen Jung und Alt, gestalten lässt. Das Miteinander der Generationen liegt mir auch persönlich besonders am Herzen. Ich habe für meine Präsidentschaft das Motto „Demokratie braucht Zukunft. Zukunft braucht Herkunft“ festgelegt und möchte mit diesem Schwerpunkt das Verständnis der Generationen untereinander fördern.
Österreich wird älter. Das ist eine Entwicklung, die tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt. Der demografische Wandel geschieht aber nicht über Nacht. Er geschieht sukzessive und somit ist er auch planbar, daher muss er aber auch aktiv gestaltet werden. Dazu möchten wir mit diesem heutigen Expertenforum einen Beitrag leisten. Ich freue mich auf interessante Vorträge und eine angeregte Diskussion im Nachgang. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Unser erster Expertenvortrag widmet sich der Bevölkerungsentwicklung Österreichs. Dr. Regina Fuchs leitet die Direktion Bevölkerung der Statistik Austria. Außerdem ist sie für das Center Wissenschaft mit dem Austrian Micro Data Center verantwortlich. Die Direktion Bevölkerung erstellt Statistiken zu den Themen Demografie, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Bildung, Soziales, Lebensbedingungen, Forschung und Digitalisierung.
Frau Dr. Fuchs, ich darf Sie um Ihre Ausführungen bitten.
Die Bevölkerungsentwicklung Österreichs
Regina Fuchs (Bundesanstalt Statistik Austria): Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Die systematische Zählung und Beobachtung der Bevölkerung und ihrer Eigenschaften hat lange Tradition, denken Sie etwa an die Weihnachtsgeschichte. In Österreich fanden die ersten modernen Volkszählungen, wie wir sie heute nennen, in den Jahren 1857 und 1869 statt. Mit der Großzählung 2001 ging die Ära der traditionellen Zählungen, der Großzählungen, also der Zählung der Personen, der Gebäude, der Wohnungen und der Arbeitsstätten zu Ende.
Denken Sie an die Volkszählung 2001, die noch mit Papier und Stift bewerkstelligt wurde. Bereits zu Beginn der 2000er fand der Aufbau von Verwaltungsregistern statt, und 2011 fand die erste Registerzählung – die erste Zählung, Beobachtung und Beschreibung der Bevölkerung aufgrund von Verwaltungsregistern, von administrativen Daten – statt. Zum Stichtag der Registerzählung 2021, also der zweiten Registerzählung, lebten 8,97 Millionen Menschen in Österreich. Diese Zahl ist in der Zwischenzeit auf über 9 Millionen Personen angestiegen. – So weit ein kurzer historischer Überblick.
Warum sind solche Volkszählungen überhaupt wichtig, insbesondere für die Politikgestaltung, sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates, sehr geehrte Damen und Herren? – Je genauer wir wissen, wer in unserem Land lebt, desto besser lassen sich Politikmaßnahmen und Zukunftsfragen gestalten. Wir müssen also genau hinsehen und nachfragen.
Nicht nur die Zahl der Einwohner:innen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert, auch die Struktur der Bevölkerung hat sich total verändert. Die sogenannte Bevölkerungspyramide – denken Sie an eine Pyramide, an deren Spitze sich nur ganz wenige ältere Menschen und an deren Basis sich ganz viele junge Menschen befinden – existiert schon lange nicht mehr. Heutzutage sprechen wir von einer Urne oder einer Vasenform: Ganz unten befinden sich wenige junge Menschen und je weiter wir nach oben in Richtung ältere Altersgruppen schauen, desto mehr Menschen gibt es; noch weiter nach oben hin wird sie dann wieder schmäler.
Aber wie ist es dazu gekommen? – Das Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahre und der damit verbundene Wohlstandsgewinn brachten die Babyboomergeneration hervor. In den Jahren zwischen der Mitte der 1950er-Jahre und dem Ende der 1960er-Jahre wurden besonders viele Kinder geboren. Zwischen 1961 und 1964 – vielleicht sind da einige von Ihnen dabei – gab es über 130 000 Lebendgeborene pro Jahr. Seit 1970 ist die Zahl der Geburten dauerhaft zurückgegangen. Seit einem kleinen Zwischenhoch in den 1990er-Jahren – da haben die Babyboomer selbst Kinder bekommen – bewegen sich die Geburtenzahlen um rund 80 000 pro Jahr. Diese anhaltende Entwicklung hat massive Auswirkungen auf unsere Bevölkerungsstruktur.
In der demografischen Fachliteratur werden immer wieder Gründe diskutiert, die niedrigere oder höhere Fertilitätsraten bewirken. Nach der Zeit des demografischen Übergangs – dem Übergang von hohen zu niedrigen Geburtenraten – gibt es in unserer heutigen Gesellschaft auch noch immer Gründe, wieso Paare das Kinderkriegen nach hinten schieben oder ganz sein lassen, sodass Schwankungen bei den Geburtenzahlen beobachtet werden.
Wenn wir nur in die letzten 15 bis 20 Jahre zurückschauen, sehen wir, es gab einige Krisen – demografische Ereignisse sind immer wieder von Krisen geprägt. Beginnen wir mit der Finanzkrise 2008: Wirtschaftlich unsichere Zeiten bewirken tendenziell einen Rückgang der Fertilität. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern war davon in Österreich aber nichts zu spüren.
Dann kam 2015 – denken Sie an die starke Asylmigration aus Syrien und Afghanistan zurück. In diesem Jahr gab es einen leichten Anstieg der Fertilitätsraten sowohl bei Frauen mit österreichischer als auch bei Frauen mit nicht österreichischer Staatsangehörigkeit.
Ja, dann kam schon Corona, und es hat länger gedauert, als wir uns das alle gewünscht hätten. Was ist passiert? – 2020 gab es einen leichten Rückgang; man wusste nicht so genau, was passieren wird. Dann kam ein Minianstieg 2021; man hatte im Lockdown viel Zeit. Allerdings begann schon ab Mitte 2021 die Phase des Inflationsanstiegs und es brachen wirtschaftlich unsichere Zeiten an. 2022 ging es dann mit den Geburtenzahlen bergab und 2023 wurden in Österreich nur 77 600 Babys geboren. Damit wurde die niedrigste Gesamtfertilitätsrate seit Messbeginn verzeichnet: Pro Frau wurden nur 1,3 Kinder geboren. Wohl gemerkt: Gäbe es keine Zuwanderung, müsste diese Maßzahl bei über zwei liegen. Das heißt, die Bevölkerung würde sofort schrumpfen, wenn es keine Zuwanderung gäbe.
Die Coronapandemie hat auch Spuren in den Sterblichkeitszahlen hinterlassen, dem zweiten wichtigen Faktor der Bevölkerungsentwicklung. Nach Jahrzehnten von fast durchgehenden Anstiegen der Lebenserwartung kam es im Jahr 2020 zu einem Rückgang von mehr als einem halben Jahr. Das bedeutete einen Rückschritt auf das Niveau von 2014. Bei der Erstellung der Bevölkerungsprognose war es damals sehr, sehr schwierig und sehr schwer abschätzbar, bis wann dieser Einbruch wieder aufgeholt werden würde. Jetzt wissen wir, 2023 sind wir schon wieder fast auf dem Niveau von 2019 gelandet, und wir gehen davon aus, dass die Anstiege auch wieder weitergehen.
Insgesamt ist die Entwicklung der Lebenserwartung ein beeindruckendes Zeugnis zivilisatorischer Errungenschaften und auch der modernen Medizin. Seit 1961 ist die Lebenserwartung bei Frauen um elf Jahre und bei Männern sogar um 13 Jahre angestiegen – beeindruckende Zahlen. Fast parallel dazu hat sich auch die Lebenserwartung hinsichtlich sehr guter und guter Gesundheit nach oben entwickelt, wir leben also immer länger und immer besser.
Neben der Fertilität und der Mortalität ist die Zuwanderung der dritte Faktor für die Bevölkerungsentwicklung. Historisch gesehen ist Österreich ein Zuwanderungsland. Sieht man von den großen Abwanderungsbewegungen aufgrund der Wirtschaftskrise von vor 100 Jahren ab, gab es in den letzten Jahrzehnten fast in jedem Jahr mehr Zu- als Abwanderungen.
Die Migrationsströme sind meist durch politische oder wirtschaftliche Begebenheiten oder Krisen geprägt.
Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit bedingte eine hohe Nachfrage an Arbeitskräften, nicht nur mehr Geburten. Zu Beginn dieser Phase begann jene des Anwerbens von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern. Diese Zuwanderungsströme wurden zu Beginn der 1990er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und wegen des Jugoslawienkriegs weit übertroffen.
Nach dem Abflauen der Zuwanderungszahlen Mitte der 1990er-Jahre gab es im neuen Jahrtausend kaum ein Jahr, in dem die Bevölkerung Österreichs nicht um mindestens 20 000 Personen aus dem Ausland gewachsen ist, zu Beginn der 2000er durch vermehrte Asylmigration aus Tschetschenien und Afghanistan, dann – Öffnung des Arbeitsmarkts – aus Osteuropa; auch da kam es zu vermehrter Migration.
Ein neues Hoch der Migrationswelle wurde in den Jahren rund um 2015 erreicht. In diesem Jahr sind netto 113 000 Personen nach Österreich zugewandert, viele von ihnen aus Syrien oder Afghanistan. Dieser Wert wurde schlussendlich im Jahr 2022 mit 137 000 Zugewanderten übertroffen; etwa die Hälfte von ihnen war aus der Ukraine geflüchtet.
Diese Entwicklungen der drei demografischen Komponenten – der Fertilität, der Mortalität und der Migration – in den letzten Jahrzehnten haben große Veränderungen in unserer Bevölkerungsstruktur herbeigeführt. Wir werden älter, es gibt weniger Kinder und daher werden auch die Haushalte kleiner. Die Bevölkerung ist im Durchschnitt besser gebildet. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist stark gestiegen. Es leben viele Menschen in Österreich, die nicht hier geboren worden sind. Diese Veränderungen – ganz wichtig – werden oft durch Krisen ausgelöst beziehungsweise noch verstärkt.
Aber wie geht es weiter?, werden Sie mich fragen. Bevölkerungsprognosen für Österreich werden seit den 1960er-Jahren erstellt. Seit 1984 produziert Statistik Austria – damals das Österreichische Statistische Zentralamt – Bevölkerungsprognosen. Ein Blick in die „Statistischen Nachrichten“ – ich bin in das Archiv gegangen – aus dem Jahr 1993 verrät uns, wie wir damals in die Zukunft geblickt haben.
Damals, Anfang der Neunzigerjahre, lebten 7,9 Millionen Menschen in Österreich. In Bezug auf die Sterblichkeit waren wir spannenderweise ein kleinwenig pessimistischer, als es dann wirklich eingetreten ist. Bei der Fertilität waren wir ein bisschen optimistischer; tatsächlich wurden weniger Kinder geboren, als wir damals geglaubt hätten.
Bei der Migration gab es die größten Abweichungen. 1993 ging man nur von Zuwanderungssalden zwischen 10 000 an der untersten Variante bis 24 000 als Maximum für die Zukunft aus. Unter diesen Rahmenbedingungen hätte das bereits in den 2020er-Jahren – also da, wo wir heute sind – zu einem Rückgang der Bevölkerung geführt. Das ist aber nicht eingetreten, wie wir wissen.
Wieso erzähle ich Ihnen das? – Eine Bevölkerungsprognose basiert auf Beobachtungen aus dem Hier und Jetzt, also dem, was wir heute wissen, und wir haben Erfahrungen aus der Vergangenheit, und aus dem, was wir haben, müssen wir Annahmen für die Zukunft treffen.
Ich beginne mit den Fakten: Wir wissen, wie viele Menschen heute in Österreich leben, wie alt sie werden, wie viele Kinder geboren werden und wie viele Personen heuer zugewandert sind. – So weit, so gut. Der Blick in die Vergangenheit zeigt uns, wie sich diese Zahlen historisch entwickelt haben und wie sich diese zwischen den Bevölkerungsgruppen unterscheiden.
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Frauen leben länger als Männer – gut für mich. In Ostösterreich lebt man kürzer als im Westen. Höher gebildete Frauen bekommen weniger Kinder und bleiben öfter kinderlos, leben aber länger. Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bekommen mehr Kinder als Österreicherinnen.
Aus diesen Erfahrungen der Vergangenheit treffen wir Annahmen über die Entwicklung der Fertilität, der Mortalität und der Zu- und Abwanderungen. So, wie wir aber Anfang der 1990er – insbesondere bei den Wanderungsströmen – viel zu niedrig gelegen sind, werden wir – da muss ich Sie enttäuschen – mit unseren heutigen Annahmen mit relativ hoher Sicherheit auch die Bevölkerung der Zukunft nicht punktgenau treffen können – leider.
Gerade die Migration, die vielfach von Krisen ausgelöst wird, hat sehr hohen Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung. Politische und wirtschaftliche Krisen sind sehr schwer voraussehbar. Um Ihnen aber möglichst verlässliche Bevölkerungsprognosen liefern zu können, entwickeln wir unsere Modelle nach anerkannten wissenschaftlichen und international vergleichbaren Methoden. Um eine mögliche Bandbreite der künftigen Entwicklung abschätzen zu können, werden zudem in der heutigen Bevölkerungsprognose mehrere Varianten erstellt. Das heißt, wir kombinieren Annahmen zur Fertilität, zur Mortalität und zur Migration mit niedrigen, mittleren und hohen Annahmen untereinander und erstellen so unterschiedliche Varianten und Szenarien.
Ich darf ein Beispiel bringen: Es gibt ein Alterungsszenario, das aufzeigt, was wäre, wenn die Fertilität niedrig bleibt, sehr niedrige Ergebnisse hat, die Lebenserwartung höher ausfällt, als wir das heute glauben, und die Zuwanderung sehr niedrig ist. Das ist ein Was-wäre-wenn-Szenario. Wenn wir aber von den Ergebnissen der Bevölkerungsprognose sprechen, reden wir doch zumeist von der mittleren Variante. Das heißt, dass wir heute davon ausgehen, dass die Bandbreite weder sehr gering noch sehr hoch ist; wir reden von mittleren Annahmen.
Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass Österreich zwar weiter wachsen wird, allerdings nur durch Zuwanderung. Innerhalb der Bevölkerung verschiebt sich die Gewichtung sehr stark in Richtung der Älteren. Bereits im Jahr 2023 lebten in Österreich mehr Personen ab 65 Jahren als Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren; zwar knapp aber doch haben Personen ab 65 die Kinder und Jugendlichen überholt. 2080 wird sich unseren Prognosen zufolge dieses Verhältnis noch viel weiter ins Extrem verschieben. Wir glauben zufolge unserer Hauptvariante – unserer mittleren Annahme der Bevölkerungsprognose –, es werden dann drei von zehn Österreicherinnen und Österreichern 65 Jahre oder älter sein, aber weniger als zwei von zehn Personen unter 20 Jahre alt sein.
Mit diesem Anstieg der Personen im Alter von 65 und mehr Jahren reduziert sich aber fast gegengleich der Anteil der Personengruppen zwischen 20 und 64 Jahren, also der Personen im Haupterwerbsalter. Dieser Anteil von heute sechs von zehn Personen wird sich in unserer Bevölkerungsstruktur voraussichtlich auf fünf von zehn reduzieren. Diese Änderungen haben zur Folge, dass ab 2042, also Anfang der 2040er-Jahre, auf zwei Personen im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren eine Pensionistin oder ein Pensionist kommt; das Verhältnis ist also zwei zu eins. Heute ist das Verhältnis noch ein wenig besser, denn heute haben wir ein Verhältnis von drei zu eins.
Nur, um Ihnen ein Gefühl zu geben: Wie hat die Bevölkerungspyramide in der Vergangenheit ausgesehen? – 1910 lag diese Quote bei neun zu eins. Damals gab es also neun Personen im Alter von 20 bis 64 und nur eine im Alter ab 65 Jahren. Im Jahr 1950 lag diese Quote immerhin noch bei sechs zu eins.
Ein besonders beeindruckendes Ergebnis der Prognose ist für mich immer wieder die Zahl der Hochaltrigen. Unter heutigen Annahmen wird sich der Anteil von Personen im Alter von 80 und mehr Jahren an der Bevölkerung von heute 6 Prozent auf 13 Prozent im Jahr 2080 steigern und damit mehr als verdoppeln, also fast die Hälfte, sagen wir 40 Prozent der Gruppe 65 Jahre und älter, besteht aus Hochaltrigen, aus Menschen im Alter von 80 oder mehr Jahren.
Wie gesagt, bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist es aber immer wieder wichtig, zu bedenken, dass hinter diesen Zahlen Annahmen zur Entwicklung der Lebenserwartung stehen. Wir glauben heute, dass es so eintreten wird. 1993 waren wir uns auch relativ sicher und sind gut, aber doch nicht ganz richtig gelegen. Übersteigt die Lebenserwartung das, was wir heute annehmen – diese Erfahrungen aus unseren Modellen und Prognosen; das, was wir heute glauben, weil es beispielsweise medizinische Fortschritte gibt, die wir heute noch nicht absehen können –, so wird sich das Verhältnis zwischen den Personen im Erwerbsalter zu jenen im Pensionsalter noch unvorteilhafter entwickeln, was unser umlagefinanziertes Pensionssystem vor noch größere Herausforderungen stellen wird.
Auch wenn Prognosen immer mit Unsicherheit behaftet sind, geben sie doch ein sehr gutes Bild darüber ab, in welchem Rahmen sich die zukünftigen Entwicklungen bewegen werden. Wir wissen zwar nicht mit Sicherheit, wie sich die Lebenserwartung genau entwickeln wird, welche unvorhergesehenen Ereignisse eintreten werden und wie wir uns darauf vorbereiten müssen – ich gebe Ihnen ein paar Stichworte: Pandemie, Kriege, Krisen, also das, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben –, aber wir wissen sehr genau, wer in Österreich lebt, wer heute hier ist, wer 1960 geboren ist. Wir kennen die Sterblichkeitsrate gut und wir wissen recht genau, wie viele dieser Menschen die nächsten Jahre auch erleben werden.
Das heißt, demografische Prognosen sind sehr sichere Prognosen. Denken Sie nur an den Aktienkurs, der innerhalb von wenigen Minuten abstürzen kann – also da haben wir Demograf:innen und Prognostiker:innen Startvorteile.
Das Zählen, aber auch das Prognostizieren der Bevölkerung und das Wissen über die Bevölkerung und ihre Eigenschaften ist für politische Entscheidungen von sehr großer Bedeutung. Wo leben die Menschen, wie gut sind sie an den öffentlichen Verkehr angebunden, wie werden die Wege zur Schule, zur Arbeit oder zur Uni zurückgelegt? Wie alt sind die Menschen? Ab wann benötigen sie Pflege oder andere Betreuungsdienste, und wie wird sich das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln? Wie gut ist die Ausbildung der Bevölkerung? Was arbeiten die Menschen, was sind ihre Berufe? Gibt es in der Zukunft genügend Pflegekräfte?
Viele dieser Fragen können mit vorhandenen Daten gut beantwortet werden beziehungsweise ist es möglich, Annahmen über die zukünftige Entwicklung zu treffen. Statistik Austria stehen gute Daten zur Bevölkerung und ihren Eigenschaften, zu ihrem Einkommen, ihrer Bildung und ihrer Erwerbstätigkeit zur Verfügung. Hinsichtlich anderer Fragestellungen ist die Datenlage nicht so gut, wie wir uns das wünschen würden. So können wir über manche Themen keine punktgenauen Aussagen treffen.
Das betrifft beispielsweise die Berufe und die Fragestellungen rund um einen Fachkräftemangel. Leider gibt es da nicht diese eine Datenquelle, aus der wir detailliert die Berufe der erwerbstätigen Bevölkerung auflisten können. Prognosen in Bezug auf Fachkräfte sind daher immer unsicher, da die zugrunde liegende Datenqualität äußerst unzufriedenstellend ist. Auch im Bereich der Gesundheitsdaten gibt es noch immer nicht die Möglichkeiten, die vorhandenen Daten so zu verbinden und so zu nutzen, dass klare und schnelle Aussagen getroffen werden können. Statistik Austria kann eben nur so gut beschreiben und so gute Ergebnisse liefern, wie das die zugrunde liegenden Daten auch zulassen.
Es ist unumstritten, dass die Alterung der Bevölkerung sehr weitreichende Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft haben wird. Wie aber kann man damit umgehen und was kann man tun, um die Effekte abzumildern? – Die Literatur sagt: von allem ein bisschen. Der Umgang mit der demografischen Alterung und deren Auswirkungen kann am besten gelingen, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Eine höhere Fertilität, aber auch eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen können durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden. Investitionen in Bildung und Technologien zur Steigerung der Produktivität, kombiniert mit moderater Migration, und nicht zuletzt die Ergreifung von Maßnahmen für bessere Gesundheit und Bildung, die auch das Arbeiten in höherem Alter ermöglichen, sind mögliche Ansätze.
Zum Schluss darf ich Ihnen meinen persönlichen Wunsch als Demografin und Statistikerin mitgeben: Die Alterung der Bevölkerung ist kein isoliertes Phänomen, kein singuläres Ereignis, sondern sollte in alle politischen Entscheidungsprozesse miteinfließen. Es ist besser, zu wissen, wohin die Reise geht, als eines Tages aufzuwachen und vor vollendeten Tatsachen zu stehen. Mit guten Daten, die auch der Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgerinnen und ‑trägern zur Verfügung stehen, kann das am besten gelingen.
Statistik Austria spielt bei der Beschreibung der österreichischen Gesellschaft eine Schlüsselrolle und auch die Politik ist gefordert, die notwendigen Daten, die der Analyse zum Wohl der Gesellschaft dienen, zu öffnen und bereitzustellen. – Vielen Dank. (Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Frau Dr. Fuchs.
Was bedeuten diese demografischen Entwicklungen für das Pflegesystem in unserem Land? Dieser Frage widmet sich nun Frau Dr. Monika Riedel. Sie ist Gesundheitsökonomin, Senior Researcher Health Economics and Health Policy und Sprecherin für Pflege am Institut für Höhere Studien. – Ich darf Sie um Ihren Vortrag bitten, Frau Doktor.
Auswirkungen auf das Pflegesystem
Monika Riedel (Institut für Höhere Studien): Auch von meiner Seite schönen guten Morgen, sehr verehrte Damen und Herren! Danke, dass ich hier sprechen darf. Ich habe es mit einem Foliensatz versucht und hoffe, dass ich nicht an der Technik scheitere. (Die Rednerin unterstützt in der Folge ihre Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Ich darf gleich an die Prognosen der Kollegin anschließen und dann – meiner Herkunft als Ökonomin geschuldet – die weiteren Ausführungen ein bisschen so gliedern, wie ich es halt von meiner Disziplin her gewohnt bin, indem ich eher auf die nachfrageseitigen Faktoren und dann auf die angebotsseitigen Faktoren eingehe. Ich möchte klarstellen, dass ich, wenn ich jetzt von Pflege rede, die Langzeitpflege meine – also Langzeitpflege und Langzeitbetreuung im Gegensatz zu der Akutpflege im Krankenhaus. Mit dem Gesundheitswesen im engeren Sinn wird sich dann Kollege Florian Bachner vom GÖG beschäftigen.
Was sagen die Prognosen über die zukünftige Entwicklung? Wenn es um den Pflegebedarf, um die Pflegebedürftigkeit geht, dann ist in Österreich die Kennzahl, die wir dazu zur Verfügung haben, eigentlich der Bezug von Pflegegeld beziehungsweise der Anspruch auf Pflegegeld.
Die Prognosen, die basierend auf den Daten für das Jahr 2021 und bis 2050 gerechnet wurden – wie gesagt, mit all den Unsicherheiten, mit denen solche Prognosen eben behaftet sind –, besagen, dass es sich um einen Anstieg um 57 Prozent handeln könnte bei der Anzahl der Personen, die einen Pflegegeldbezug haben. – Pflegegeldbezug impliziert natürlich damit auch gleichzeitig eine Kostensteigerung, die nicht eins zu eins sein muss, aber doch eine Kostensteigerung.
Geld ist das eine, das Erbringen von Pflegeleistungen ist meines Erachtens – trotz des Umstandes, dass ich Ökonomin bin – das weitaus Wesentlichere. Der Zusatzbedarf an Pflegekräften ist deshalb die ganz wesentliche Größe. Und dazu gibt es mehrere Prognosen, die hier im Umlauf sind und die übereinstimmend sagen, dass wir, wenn wir jetzt einmal bis 2030 denken – also gefühlt übermorgen –, um die 17 000, 18 000 zusätzliche Pflegekräfte brauchen werden – das sind in Vollzeitäquivalenten gemessen etwas weniger, da ja der Pflegeberuf ein sehr stark von Teilzeit dominierter Beruf ist.
Wir haben inzwischen gute Daten über den Pflegeberuf, seit wir das Gesundheitsberuferegister haben. So wissen wir auch, wo diese Pflegekräfte arbeiten, und sehen, dass die Prognosen, die das auch mitberücksichtigen, einen viel stärkeren Bedarfsanstieg im Bereich der Langzeitpflege ausweisen als im Akutbereich, Krankenhäuser und Ähnliches. Das heißt, man kann auch damit rechnen, dass da ein gewisses Konkurrenzverhältnis entstehen wird.
Hier ist einmal nur grafisch veranschaulicht, wie dieser steigende Bedarf – plus 17 000, 18 000 Personen bis 2030, aber plus 77 000 Pflegepersonen bis 2050 – sich entwickeln dürfte; hier im roten Bereich dargestellt. Es ist das also doch ein sehr erheblicher Zuwachs, wobei noch nicht eingerechnet ist, dass sich ja viele Menschen von uns wünschen würden, dass die Qualität der Pflege im Sinne von mehr Personal für die Pflege pro pflegebedürftige Person gesteigert werden könnte – das ist basierend in etwa auf dem Status quo der Versorgungsszenarien.
Schauen wir uns jetzt die Frage an: Warum werden wir einen so hohen Pflegebedarf haben? – Es gibt da natürlich ganz verschiedene Einflussfaktoren, der wichtigste und offensichtlichste ist das Alter, aber natürlich auch der Gesundheitszustand. Wir haben gehört, wir werden voraussichtlich länger leben, insofern spielt das Alter auch von dieser Seite her eine Rolle. Es gibt im Pflegebedarf – im Gegensatz zum Gesundheitsbedarf – ja die Situation, dass die Pflege beziehungsweise die Leistungen, die der Pflegebedarf notwendig macht, entweder von Laien, typischerweise von den Angehörigen, erbracht werden können oder natürlich von Personen mit professioneller Ausbildung, formellen Pflegekräften. Es gibt keine trennscharfe Linie, wer was kann. Tendenziell sind vielleicht die Dinge, die hauptsächlich am Alter liegen, stärker im Rahmen der informellen Pflege verhaftet, und tendenziell die, die auf einem schlechten Gesundheitszustand, insbesondere Multimorbidität beruhen, stärker im Bereich der formellen Pflege verhaftet.
Das sind aber bei Weitem nicht die einzigen Einflussfaktoren, daneben gibt es noch etliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die eine Rolle spielen, die, wenn ich richtig aufgepasst habe, eigentlich alle jetzt schon im demografischen Vortrag genannt worden sind: Das Bildungsniveau spielt eine Rolle, das Einkommen, möglicherweise auch der Erwerbsstatus, die Haushaltsstruktur, die steigende Diversität, die wir haben, nicht nur in ethnischer Hinsicht, nicht nur in LGBTIQ-Hinsicht, sondern insbesondere auch in Lebenseinstellungen, in Lebensmodellen. Das alles wird natürlich auch durch die sozialpolitischen Rahmenbedingungen sehr stark mitgestaltet.
Ich darf jetzt auf den Gesundheitszustand, der eine große Rolle für den Pflegebedarf spielt, zurückkommen. Wir sehen einerseits, dass wir zwar länger leben, also in diesem Sinne offenbar einen längeren guten Gesundheitszustand haben, wäre die Vermutung, gleichzeitig sehen wir aber mit großer Relevanz für den Pflegebedarf, dass wir es mit steigender Multimorbidität zu tun haben, aber nicht etwa, weil die Medizin schlecht wäre, sondern – etwas flapsig gesagt – deshalb, weil die Medizin so gut ist. Sie ist gut im Verhindern der Sterblichkeit, sie ist nicht so gut im Wiederherstellen der ursprünglichen Gesundheit. Das heißt – genauso salopp oder noch salopper gesagt –: Der Gewinn, dass ich meinen Herzinfarkt aufgrund guter medizinischer Betreuung überleben kann, eröffnet mir die Chance, zum danach immer noch angegriffenen Herzen auch noch Demenz oder Diabetes zu entwickeln, und damit bin ich multimorbid.
Das ist also eine Sache, die den Pflegebedarf massiv – trotz steigender Lebenserwartung oder vielleicht auch weil steigender Lebenserwartung – mit beeinflusst und damit einen Bedarf an Pflegepersonal – informell, aber auch formell – sehr stark mitgestaltet, insbesondere dann, wenn es sich nicht nur um somatische Krankheiten handelt, sondern auch kognitive Einschränkungen dazukommen, die Demenz, die Alzheimerkrankheit – das sind doch Stichworte, die wir alle mit einer gewissen Vorsicht berühren.
Derzeit leben in Österreich – ganz exakte Zahlen gibt es nicht, aber Schätzungen, unter anderen auch von unserem Haus, gehen davon aus – 130 000 bis 150 000 Personen mit Demenz, natürlich mit unterschiedlichem Schweregrad. Das ist ganz relevant für die Prognosen, da einer, wenn nicht der Hauptfaktor, mit dem Demenz einhergeht, das Alter ist. – Zur Veranschaulichung habe ich Ihnen hier eine Grafik mitgebracht, die zeigt, wie bei Männern und Frauen mit steigendem Alter die Prävalenz von Demenz steigt.
Weitere Einflussfaktoren auf den Pflegebedarf: Höhere Bildung wurde schon genannt, höheres Einkommen wurde schon genannt, beides führt dazu, dass wir es typischerweise auf individueller Ebene mit besserem Gesundheitszustand zu tun haben, mit höherer Lebenserwartung zu tun haben. In Bezug auf Pflege heißt das dann auch ein möglicherweise geringerer, möglicherweise nur späterer Pflegebedarf, den wir haben, aber definitiv heißt das auch, dass wir andere Vorstellungen darüber haben, wie unser Pflegebedarf gedeckt werden soll. Wer soll uns pflegen? Wie viele Mindestrentner:innen beispielsweise kennen Sie, die eine 24-Stunden-Betreuung haben? Wenn Sie welche kennen, dann wahrscheinlich solche mit netter Familie, die ihnen das finanziert, denn mit der Mindestrente geht es sich nicht aus, nicht einmal mit einer Medianpension, wenn wir ehrlich sind, trotz aller Förderungen, die es gibt und die erhöht worden sind. Auf der anderen Seite, im Pflegeheim – eigentlich der teuersten Versorgungsform –, sind diese Leute eher überproportional vertreten. Warum? – Weil das individuelle Mitzahlen ab einer gewissen Menge an mobiler Pflege sich finanziell nicht mehr ausgeht – in unterschiedlichem Ausmaß in den einzelnen Bundesländern, aber trotz sozial gestaffelter Tarife kommt dann irgendwo der Punkt, wo die Pflege im Heim durch die Sozialhilfebeteiligung das einzig finanziell Machbare aus der individuellen Perspektive ist.
Steigende Erwerbsbeteiligung spielt eine Rolle. Ich kann jetzt nicht sagen, ob auch beim Pflegebedarf, ob dieses Wer-rastet-der-rostet-Narrativ da eine Rolle spielt, was ich aber sicher sagen kann, ist, dass die steigende Erwerbsbeteiligung der Angehörigen auf den ich sage einmal gefühlten Pflegebedarf eine Rolle spielt. Warum? – Je länger und je mehr gearbeitet wird im Sinne von Erwerbsarbeit, je länger das nicht nur Frauen-, aber auch Frauenpensionsantrittsalter steigt, desto weniger ist innerfamiliäre Bedarfsdeckung möglich, auch wenn wir wissen, dass sich viele auch schon neben der Berufstätigkeit um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern.
Aber das Ganze wird ja noch unterstützt durch weitere, bereits genannte Faktoren, wie die Haushaltsstruktur. Es gibt viel mehr Einpersonenhaushalte – die Scheidungen, die stattgefunden haben, mögen da eine Rolle spielen, aber auch viele andere Dinge wie schlicht und einfach anders gewählte Lebensformen. Dort, wo es eine Familienstruktur gibt, ist sie typischerweise anders. Wir haben die vielen Patchworkfamilien, möglicherweise nur noch Bezug zu einem Elternteil.
Die niedrigere Kinderzahl wurde schon genannt. Das spätere Kinderbekommen wurde schon genannt – meine Mutter wurde um die 20 das erste Mal Mutter und kann sich darauf verlassen, wenn ihre Töchter in Pension gehen, dann können sie stärker für sie in der Pflege aktiv werden. Ich wurde mit 40 Mutter, wenn ich auf die Pension meiner Tochter warte, muss ich einmal über 100 Jahre alt werden – das wird sich nicht ausgehen; vielleicht doch?, wir werden sehen.
Und die größere Entfernung zwischen den Familienmitgliedern spielt natürlich auch eine große Rolle. Auch wenn meine Mama jetzt in Kärnten sitzt und weiß, dass sie Töchter hat, die sie pflegen können: Was nützt ihr Wohnsitz in Kärnten, wenn ich in Wien arbeite? Also das ist doch eine ziemliche Einschränkung. Und ich bringe unsere Beispiele nicht deshalb, weil wir eine so tolle Familie sind, sondern weil es einfach sehr plakativ zeigt, was in ganz Österreich Sache ist.
Ethnische Diversität kann eine Rolle spielen. Inwieweit bei den ersten Migrantengenerationen die unterschiedliche Familienstruktur, die unterschiedliche Sprache, die ja gerade bei den älteren Frauen noch ein größeres Thema sein kann, eine Rolle spielt, wird sich jetzt erst so richtig zeigen, es wird sich zeigen, inwieweit sich das im Pflegebedarf niederschlägt.
Diversität in Bezug auf Lebensmodelle und die schon genannten Ansprüche ist aber jetzt, glaube ich, schon spürbar. Es sind solche Formen wie Senioren-WGs diskutiert, aber für wie viele Personen das jetzt schon eine lebbare und positiv vorstellbare Option ist, ist offen.
Es ist sicherlich nur ein Teil der Personen für so etwas zugänglich. Möglicherweise ist es, wenn dann stärker Personen, die aus der Jugend an WGs gewöhnt sind, ins Pflegealter kommen, mehr eine Option – man wird sehen. Wie gesagt, solche Prognosen sind extrem schwierig zu machen.
All das beeinflusst natürlich auch ganz stark die Kapazitäten an informeller Pflege – tendenziell reduziert es die vorhandenen Kapazitäten an informeller Pflege –, sodass ich mich jetzt im Folgenden sehr stark auf die Kapazitäten in formeller Pflege beziehen werde.
Seit dem Gesundheitsberuferegister haben wir auch Informationen über die Altersstruktur der Pflegekräfte, wobei da, wenn ich das Pflegereporting des Bundes richtig interpretiert habe, die gesamten Pflegepersonen abgebildet sind, und wir sehen, dass rund die Hälfte der Pflegepersonen in allen drei Berufen – Diplomierte, Pflegefachassistenz und Pflegeassistenz – schon 45 Jahre oder älter ist.
Na ja, das schaut jetzt auf den ersten Blick nicht so dramatisch aus, die Durchschnittsbevölkerung ist auch bald 43 Jahre alt, aber was da natürlich auch eine ganz große Rolle spielt, ist: Was glauben diese Pflegepersonen, wie lange sie in diesem doch emotional und oft auch körperlich sehr anstrengenden Beruf weitermachen können? Wie schätzen sie das ein? – Wenn man das mit der Gesamtheit aller Berufe vergleicht, dann sieht man: Es sind schon fast zwei Drittel der Pflegepersonen, die sagen, sie glauben nicht, dass sie bis zur Pension durchhalten werden. In anderen Berufen, in der allgemeinen Bevölkerung, sind es dann eher 34, 35 Prozent. Da haben wir also auch von dieser Seite her durchaus ein Thema, um das wir uns kümmern müssen.
In den letzten Monaten ist sehr häufig davon die Rede gewesen: Na ja, dann müssen wir Pflegekräfte aus dem Ausland holen, wenn wir sie innerhalb des Landes nicht haben! – Ich muss ehrlich sagen, da bin ich einigermaßen skeptisch. Wenn wir jetzt in die aktuellen Daten schauen, sehen wir: Im Moment haben so um die 11 Prozent des Pflegepersonals einen Bildungsabschluss aus dem Ausland. Ich glaube, das ist die aussagekräftigere Zahl, als wenn wir schauen, was die Staatsbürgerschaft ist oder was der Geburtsort ist. Einen Bildungsabschluss aus dem Ausland haben also im Moment so um die 11 Prozent – Entschuldigung, nicht aus dem Ausland, sondern aus Drittstaaten; das habe ich mir aufgeschrieben, aber ich glaube, aus Drittstaaten sind doch deutlich weniger: 4 Prozent aus Drittstaaten und 11 Prozent aus dem Ausland inklusive EU, Entschuldigung.
Was aber auf jeden Fall ein wichtiges Thema ist: dass wir uns überlegen müssen, wie wir das machen. Wie machen wir diesen – unter Anführungszeichen – „Import“ – sage ich einmal – von Pflegepersonen? Es gibt dazu auch einige Studien aus Deutschland – aus Österreich kenne ich noch nicht so viele, aber die Problematiken dürften sehr ähnlich sein –: Die Sprachbarriere ist ein Thema, das gar nicht so klein ist. Es ist eine Frage der Kosten – die ganze Rekrutierung muss einmal passen.
Es ist eine Frage der unterschiedlichen Berufsauffassung: Wenn sie im Ausland nach dortigen Standards und Vorstellungen ausgebildet worden sind, heißt das nicht immer, dass sie schlechter ausgebildet sind, sondern sie sind manchmal einfach ein selbstständigeres Arbeiten gewohnt. Da müssen wir uns auch ein bisschen bei der Nase nehmen: Lassen wir unsere Pflegekräfte alles tun, was sie können, oder muss an manchen Stellen, an denen man es nicht ganz versteht, auch noch ein Arzt, eine Ärztin seinen oder ihren Sanctus dazu geben, bevor die Bepanthen-Creme geschmiert werden darf oder Ähnliches? – Das ist ein konkretes Beispiel, das ich gerade gehört habe. Ich habe mich sehr gewundert.
Es gibt von der WHO Richtlinien und Guidelines, die auch Österreich unterschrieben hat, wie ethische Anwerbung auszusehen hat: Wir dürfen die Pflegekräfte eigentlich nicht aus Ländern holen, die selber noch weniger Pflegekräfte haben. Das limitiert dann auch schon, von wo wir Pflegekräfte anwerben könnten.
Wir müssen den Pflegekräften auch einen guten Grund geben: Warum sollen sie denn ausgerechnet nach Österreich kommen? Ich meine, es ist ja nicht so, dass wir berühmt für die migrantenfreundlichste Politik sind – wenn ich das jetzt einmal so boshaft sagen darf.
Es ist auch von dieser Seite her ein Grund – warum soll mehr Pflegepersonal aus dem Ausland nach Österreich kommen? –: Wenn wir uns nämlich die Lohnschere anschauen, dann sehen wir, dass gerade die Länder, mit denen wir traditionell einen sehr langfristigen Austausch mit Pflegekräften oder in der Migration ganz generell haben – die EU-Mitgliedsländer, die stärker im Osten sind, die neuen Mitgliedsländer –, eine viel dynamischere Lohnentwicklung gehabt haben als Österreich – zumindest vom Krankenanstaltenbereich wissen wir das. So gesehen wird es in Zukunft auch nicht leichter, zumindest einmal innereuropäische Pflegemigration zugunsten von Österreich durchzuführen.
Mehr Pflegepersonal aus der heimischen Ausbildung wäre demnach wohl eine ganz wichtige Sache. Hier ist im Vergleich, bezogen auf 100 000 Einwohner und Einwohnerinnen, dargestellt, wie viele Pflegepersonen laut OECD ausgebildet werden, wie viele da ihren Abschluss machen. Das Rote ist nicht Österreich, sondern der OECD-Durchschnitt. Ich habe Österreich auch hervorgehoben, und da sieht man: So weltmeisterlich unterwegs sind wir da nicht. Da gibt es Länder, die deutlich mehr Personen in der Pflege ausbilden, gerade auch die Skandinavier, die wir in Sachen Pflege ja immer gerne als Vorbild nehmen.
Das heißt, was in meinen Augen auch ein ganz wichtiges Thema ist, um formelle Pflegekapazität zu erhalten und zu bewahren – wir erinnern uns, es haben ja ganz viele Leute in der Pflege das Gefühl, dass sie diesen Job nicht bis zu ihrem Pensionsantrittsalter durchhalten –: Wir müssen Pflege- und Betreuungsberufe attraktiv machen, nicht nur um Jungen zu motivieren hineinzugehen, sondern auch damit die, die schon drinnen sind, drinnen bleiben. Wir müssen familienfreundliche Arbeitszeitmodelle haben; wir müssen uns überlegen, ob die Betreuungsschlüssel an das, was tatsächlich an Arbeit, Ausbildungsnotwendigkeit, Urlaubsvertretungen und, und, und vorhanden ist, angepasst sind.
Es ist vielleicht auch eine Frage, ob es notwendig ist, dass das bundeslandweise unterschiedlich geregelt ist: Ist ein Salzburger anders pflegebedürftig als ein Wiener oder Ähnliches?
Wir müssen meiner Meinung nach und nach der Meinung von vielen Expert:innen in der Szene den Leuten im Pflegeberuf viel mehr die Möglichkeit geben, dass sie das, was ihre Berufung ist, auch leben können: dass sie Pflege machen können und nicht Dokumentation und Papierkrieg; dass sie nicht irgendwelchen Erlaubnissen, was sie tun dürfen, hinterherlaufen müssen.
Da hat sich schon ein bisschen etwas getan: In der Pflegegeldeinstufung ist die Rolle der Pflege gesteigert worden, in der Weiter- und Erstverordnung unterschiedlicher Dinge – zum Beispiel all der Inkontinenzprodukte – ist einiges passiert, aber ich glaube, da geht noch mehr – Beispiel Bepanthen.
Wir müssen technische und digitale Möglichkeiten nutzen, und zwar so, wie es die Pflege braucht. Es soll nicht eine Zusatzbelastung sein, sondern es soll eine Arbeitserleichterung sein. Ich verstehe nicht ganz, warum eine Pflegekraft in der mobilen Pflege nicht in die Elga schauen und nachsehen kann, was jetzt wirklich der Krankheitszustand ist und welche Befunde für die Person, die zu Hause gepflegt wird, vorliegen. Da bräuchte es technische und digitale Unterstützung im Sinne einer Unterstützung und Arbeitserleichterung – das heißt auch, dass man die Leute stark in die Entwicklung der Tools miteinbezieht.
Alles das sind Bestandteile der gelebten Wertschätzung. Da gehört natürlich auch die Bezahlung dazu, sie ist aber bei Weitem nicht das Einzige.
Was beim Thema Pflege, formelle Pflegekräfte sicherlich auch ein großes Thema ist: Ich glaube, das Konkurrenzdenken sollten wir da möglichst klein halten. Es ist relativ unsinnig, zum Beispiel für die Langzeitpflege Kräfte ins Land zu holen, die dann in die Spitalspflege abwandern, weil dort die Verdienstmöglichkeiten größer sind. Es ist unsinnig – in meiner, vielleicht naiven Sichtweise –, dass sich die Bundesländer einzeln überlegen, wie sie einen Draht zum Ausland, von wo sie Pflegekräfte bekommen wollen, schaffen können. Ich denke, auch da sind bundesländerübergreifende Zusammenarbeit und nationale Bemühung etwas, das auch effizienter wird, aber natürlich gemacht werden muss.
Auch wenn Prognosen sehr unsicher und mit vielen Unsicherheiten behaftet sind, bin ich überzeugt – ganz sicher sind wir da –: Die Kosten der Pflege werden steigen. Steigende Konkurrenz um die Arbeitskräfte wird eine Rolle spielen – Fachkräftemangel haben wir nicht nur in der Pflege, sondern auch in den anderen Berufen. Das heißt, da werden wir lohnmäßig mithalten müssen, damit wir die formelle Pflege machen.
Es wird von unterschiedlichen Seiten auf Pflegekräfte sozusagen nachfrageseitig zugegriffen, nicht nur von der Langzeitpflege. Es kommen auch neue Arbeitsfelder im Bereich der Communitynurses, die ja an und für sich ein sehr guter Ansatz sind, und im Bereich der PVEs, die ich auch sehr stark unterstützen würde. Auch da hat ja die Pflege eine Rolle, was wieder Leute sozusagen vom eigentlichen Pflegebett wegholt. Wenn diese Konzepte aber funktionieren und das erfüllen, was man sich von ihnen verspricht, haben sie natürlich einen präventiven Charakter und können den Bedarf auf anderem Wege senken. Eine geänderte Lebens- und Arbeitseinstellung kann den Bedarf an Pflegepersonal weiter erhöhen. Beim potenziellen Pflegepersonal: Wie viele schaffen einen Vollzeitjob, wie viele schaffen einen Teilzeitjob? Bei den pflegenden Angehörigen wird sich einiges tun, sodass auch deshalb der formelle Pflegebedarf steigen wird. Die Ansprüche der Pflegebedürftigen, davon bin ich überzeugt, werden in einem gewissen Ausmaß weiter steigen.
Ganz wichtig wird es sein, und das wurde bis jetzt nur ganz rudimentär angesprochen, die Selbstständigkeit so weit wie möglich zu erhalten. Das ist auch bei den allermeisten Personen in deren Interesse. Ein großes Potenzial kann in der Prävention von Pflegebedürftigkeit liegen, nur in der Prävention sind wir ja auch nicht wirklich Weltmeister in Österreich. Das ist wieder ein Thema, bei dem wahrscheinlich das, was man für Pflege sagt, genauso auch für den Gesundheitsbereich gilt. Ich hoffe, ich nehme da nichts vorweg, wenn ich sage – denken wir nur daran –: Rauchen, Alkoholkonsum sind beides Bereiche, in denen wir im europäischen Vergleich in einem sehr unrühmlichen Spitzenfeld sind. Das ist weder fürs Gesundheitswesen noch fürs Pflegewesen besonders gut. Gesundheitskompetenz und Lebensstilfaktoren habe ich gerade angesprochen.
Ich denke, den Bundesratsmitgliedern erzähle ich nichts Neues, wenn ich sage, die finanziellen Spielräume der öffentlichen Hand werden enger, deshalb ist es auch besonders wichtig, Effizienzpotenziale, wie sie durch steigende Selbstfürsorge, steigende Prävention entstehen, weiter zu nutzen. Man sollte aber die Pflege nicht teurer aussehen lassen, als sie ist. Wir wissen – last, not least – aus der Studie des Wifo auch, dass ja ganz viel von dem Geld, das in die Pflege hineinfließt, wieder an die öffentliche Hand zurückfließt. Die Formel ist ungefähr: 1 Euro in die Pflege, 70 Cent fließen zurück in den Sozialversicherungstopf oder Steuertopf.
Ja, und formelle Pflege, insbesondere formelle mobile Pflege bringt geografisch verstreute Arbeitsplätze; und die Belebung des ländlichen Raumes ist ja auch ein großes Thema. Wenn wir die mobile Pflege weiter aufwerten – ein Punkt, den ich vielleicht viel mehr hätte betonen sollen, als ich es hier getan habe –, dann haben wir sozusagen einen doppelten Gewinn, wir haben einen mehrfachen Gewinn: Wir haben Frauenjobs auf dem Land mit großen Rückflüssen in die öffentlichen Systeme. Damit, denke ich, haben wir eine Win-win-Situation, wenn wir die mobile Pflege verstärken.
Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt und bin neugierig auf das Weitere. (Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Frau Dr. Riedel.
Unser nächster Vortragender leitet die Abteilung Gesundheitsökonomie und ‑systemanalyse bei Gesundheit Österreich. Mag. Dr. Florian Bachner forscht und lehrt im Bereich Gesundheitsfinanzierung beziehungsweise Gesundheitsausgaben. Er wird uns jetzt seine Sicht des Trilemmas der Demografie im Gesundheitssystem darlegen. – Bitte sehr.
Das Trilemma der Demografie im Gesundheitssystem
Florian Bachner (Gesundheit Österreich): Auch von meiner Seite einen schönen guten Morgen! Herzlichen Dank für die Einladung, hier heute zu diesem sehr wichtigen Thema zu sprechen. Ich nenne meinen Vortrag: „Das Trilemma der Demografie im Gesundheitswesen“. Warum Trilemma? – Weil ich der Meinung bin, dass gerade das Gesundheitswesen besonders vom demografischen Wandel betroffen ist, und das gleich von drei Seiten, die das Gesundheitssystem besonders ungünstig beeinflussen. (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Die Ausgangslage ist klar – meine Vorrednerinnen haben hier schon gute Arbeit geleistet, vieles wurde bereits gesagt –: Die österreichische Bevölkerung altert zusehends, das ist klar. Die Lebenserwartung steigt, zumindest war das bis Covid-19 regelmäßig der Fall, seit vielen Jahrzehnten. Die Geburtenzahl liegt ungefähr ein Drittel unter dem, was wir bräuchten, um den Bestand der Bevölkerung aus eigener Kraft zu erhalten. Die Bevölkerung wächst nur durch Zuwanderung; das ist das Einzige, was uns sozusagen im Augenblick wachsen lässt.
Die Folge ist: Der sogenannte Altenquotient, also das Verhältnis der über 65-Jährigen zur arbeitsfähigen Bevölkerung – 20 bis 65 Jahre – verschiebt sich immer mehr zulasten der Älteren; auch das wurde bereits gesagt. Zu allem Überfluss kommen jetzt auch noch die Babyboomer, die seit wenigen Jahren bereits in Pension gehen und das auch noch circa zehn Jahre tun werden; das verschärft dieses Problem noch zusätzlich. All das stellt unsere gesamte Gesellschaft, alle Sektoren, insbesondere die umlagefinanzierten Systeme – Pensionen, Gesundheitssystem et cetera – vor sehr, sehr große Herausforderungen. Das Thema ist sozusagen ein Topthema in allen Gesellschaftsbereichen.
Warum Trilemma? Was sind diese drei Faktoren, die das Gesundheitssystem im engeren Sinn angreifen? – Die Demografie führt zur Alterung und die Alterung führt zu steigender Nachfrage nach Leistungen. Wir wissen, die Heavy User im System sind die älteren Personen über 65. Sie fragen Gesundheitsleistungen besonders stark nach, das ist belegt, das sehen wir in allen Zahlen. Das hat mit der Nähe zum Tod zu tun, das hat natürlich mit dem Einsetzen von Multimorbidität, chronischen Erkrankungen et cetera, et cetera zu tun.
Darüber hinaus gibt es aber noch zwei weitere ganz gravierende Probleme. Auf der einen Seite – das wurde jetzt auch schon sehr deutlich gesagt –: Der Arbeitsmarkt wird kleiner, der Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter wird kleiner. Alle Sektoren konkurrieren um Arbeitskräfte, somit auch der Gesundheitssektor, und das führt zu Knappheit an Gesundheitspersonal. Diese Knappheit an Erwerbstätigen führt gleichsam auch dazu, dass die Finanzierungsgrundlagen im Gesundheitssystem kleiner werden. Wir haben ein umlagefinanziertes System, die Beiträge zur Sozialversicherung werden weniger, das Steueraufkommen wird sozusagen auch ein Stück weit kleiner, deshalb sinkt die Finanzierungsgrundlage. Das ist das, was ich hier das Trilemma genannt habe. Diese drei Faktorenverstärken sich noch dazu gegenseitig und führen letztlich auch zu einem deutlichen Anstieg der Gesundheitsausgaben.
Ja, so habe ich meinen Vortrag nun auch gegliedert. Wir kommen sozusagen jetzt zum ersten Problem: steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Hier nur ein paar Zahlen, um das ein bisschen zu verdeutlichen: Circa 50 Prozent aller Spitalsaufenthalte entfallen auf Personen über 65, die aber gleichsam nur 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch ungefähr die Hälfte aller Gesundheitsausgaben entfällt auf diese Gruppe.
Besonders deutlich wird es auch bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. In der Gruppe der Null- bis 60-Jährigen gibt es im Durchschnitt ungefähr zwölf Kontakte zum Gesundheitssystem pro Jahr. Das ist international ein sehr hoher Wert, also die Österreicher nehmen ihr Gesundheitssystem sehr stark in Anspruch, auch im internationalen Vergleich; zwölf Kontakte im Durchschnitt, entweder Spitalsaufenthalte, Spitalsambulanzen, niedergelassene Allgemeinmediziner, Fachärzte, Therapeuten et cetera, all das fällt darunter.
Was passiert in der Gruppe der über 60-Jährigen? – Da kommt es zu mehr als einer Verdopplung, 27 Aufenthalte sind es dort; und man kann sich jetzt vorstellen, was passiert, wenn sich die Demografie in diese Richtung entwickelt: Die Inanspruchnahme wird deutlich steigen. Ich habe es hier mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum verglichen; das heißt, die Inanspruchnahme wird durch die Demografie doppelt so schnell wachsen wie die Gesamtbevölkerung. Das ist sozusagen aus gesundheits- und planerischer Perspektive jedenfalls ein Problem.
Ja, wir können relativ wenig dagegen machen. Zuwanderung ist natürlich ein Stichwort, aber die entscheidende Frage – und da sind wir auch beim Thema Gesundheitsförderung und Prävention – ist, wie wir altern. Das wurde auch schon gesagt: Altern wir gesünder oder kränker? Das ist eine ganz, ganz wichtige Frage, wenn es um Leistungsplanung geht, wenn es um künftige Finanzierung geht, wenn es um Ausgabensteigerungen geht et cetera. Verbringen wir den Zugewinn an Lebenserwartung, der ja evident ist, in guter oder in schlechter beziehungsweise mittlerer Gesundheit? Das sind die entscheidenden Fragen, die wir beantworten müssen.
In der Literatur ist da von Kompression oder Expansion der Morbidität die Rede. Da geht es darum, ob sozusagen dieser Anteil der Lebenserwartung, die am Lebensende in guter oder schlechter Gesundheit verbracht wird, komprimiert wird oder eben expandiert. Wir leben länger, aber wir leben länger kränker. Darüber wurde heute auch schon gesprochen: Die Lebenserwartung in Gesundheit, die gesunden Lebensjahre, ist ein wichtiger Indikator, wird seit vielen Jahren erhoben, steigt auch seit den Siebzigerjahren regelmäßig an. Frauen haben gemäß letzter Erhebung der Statistik Austria mit circa 64, 65 gesunden Lebensjahren zu rechnen; bei den Männern sind es ein bisschen weniger, da sind es 63. Der Abstand zur eigentlichen Lebenserwartung wird dann nur noch in mittlerer beziehungsweise schlechter Gesundheit verbracht.
Genau um diesen Lebensabschnitt geht es, wenn es um Fragen der Pflege geht, aber auch, wenn es um Fragen der Leistungsinanspruchnahme et cetera geht. Da müssen sozusagen Steigerungen stattfinden, dieser Lebensabschnitt am Lebensende, der in schlechter Gesundheit verbracht wird, sollte möglichst kurz ausfallen. Österreich ist da auch im internationalen Vergleich nicht sonderlich gut unterwegs. Wir sind betreffend gesunde Lebensjahre knapp unter dem Durchschnitt.
Es gibt Länder, die durchaus höhere sozusagen Lebenserwartungen aufweisen. Das sind wiederum einmal mehr die skandinavischen Länder: Norwegen, Schweden haben mehr als fünf gesunde Lebensjahre mehr als die Österreicherinnen und Österreicher. Und rund ein Viertel dieser sozusagen Restlebenserwartung in Österreich wird in sehr schlechter oder schlechter Gesundheit verbracht – nach Eigenauskunft der Personen wohlgemerkt.
Interessant ist, dass es einen gewaltigen Bildungsgradienten gibt, was diese gesunden Lebensjahre betrifft. Auch das Einkommen spielt eine Rolle, bei der Bildung wird es aber besonders deutlich, denn hohe Bildung bringt den Österreicherinnen und Österreichern gleich acht gesunde Lebensjahre mehr bei den Männern und immerhin sechs gesunde Lebensjahre mehr bei den Frauen. Das heißt gleichsam auch, dass wir damit einen sehr starken Hebel hätten, was die gesunden Lebensjahre betrifft. Meiner Meinung nach ist eine Ausgabe in die Bildung die beste Gesundheitsausgabe, die wir überhaupt vornehmen können. Man kann das gar nicht oft genug sagen: Bildung, Bildung, Bildung! – Das bringt tatsächlich einen erheblichen Vorteil bei diesen Fragen.
Hier sehen Sie die Gesundheitsausgaben, die über den Lebenszyklus anfallen. Es wurde auch bereits mehrfach betont: Wir haben die höchsten Anstiege in den späteren Jahrgängen. Zu Beginn, rund um die Geburt, haben wir knapp unter 2 000 Euro durchschnittliche Kosten pro Jahr für Österreicherinnen und Österreicher. Diese sinken dann in der Kindheit deutlich. In der Pubertät geht es dann wieder etwas nach oben. Frauen haben im gebärfähigen Alter etwas höhere Gesundheitsausgaben als Männer in diesem Alter. Rund um den Zeitpunkt 50, 55 Jahre geht es dann richtig los, die Ausgaben explodieren, und die höchsten Ausgaben fallen dann sozusagen im hochbetagten Alter – rund um 80 et cetera herum – an. Dort ist man dann schon bei fast 10 000 Euro durchschnittlichen Kosten pro Kopf pro Jahr. Gesundheitspolitisch wäre es natürlich besonders wichtig, dass wir eben durch Kompression der Morbidität diese Kurve so weit wie möglich nach rechts hinüberschieben. Es gibt auch –oder es gab zumindest bis Corona – zumindest Indizien, dass das der Fall ist, dass sich diese Kurve nach rechts verschiebt und dass sich eben diese irreversiblen chronischen Erkrankungen, die Multimorbidität am Lebensende ein Stück weit nach hinten verschieben.
Ich komme zum Problem Nummer zwei, der zweiten Angriffsflanke: Knappheit an Gesundheitspersonal – hier sieht man wieder einen schönen internationalen Vergleich. Österreich ist hier, dargestellt mit Ärztedichte und Pflegedichte, sozusagen im oberen rechten Quadranten zu finden. Das heißt: Ärztedichte hoch, Pflegekräftedichte hoch. Wir sind also im internationalen Vergleich noch relativ gut aufgestellt. Vor allem was die Ärztedichte betrifft, sind wir in Österreich nahezu weltmeisterlich unterwegs. Wir haben besonders viele Ärzte, was uns möglicherweise auch einen gewissen Startvorteil verschafft. Das ist auch bei Fragen des Wachstums und der Ausbildung immer wieder zumindest zu nennen, weil es ja auch um ein Ausgangsniveau geht, das man berücksichtigen muss.
Zur Pflege wurde bereits alles gesagt. 70 000 Pflegekräfte mehr brauchen wir bis 2050. Das wird eine enorme Herausforderung. Das bedeutet 5 000, 6 000 zusätzliche Pflegekräfte pro Jahr. Woher sollen die kommen?
Aber auch aufseiten der Ärzteschaft haben wir deutliche Probleme. Sie sehen hier wieder einen internationalen Vergleich, die Ärzte, alle Ärzte zusammen, die 55 Jahre oder älter sind im internationalen Vergleich: Österreich liegt hier unterdurchschnittlich, wir haben also noch eine jüngere Ärzteschaft verglichen mit Italien, Bulgarien et cetera, aber immerhin 33 Prozent aller österreichischen Ärzte sind 55 oder älter und werden in den nächsten zehn Jahren sukzessive in Pension gehen. Das ist auch eine erkleckliche Anzahl, die es zu ersetzen gilt.
Wenn wir uns anschauen, wie sich die Ärzteschaft in Österreich entwickelt, dann würden wir zunächst eigentlich kein großes Problem feststellen, denn die Ärzteschaft entwickelt sich eigentlich hinsichtlich ihres Wachstums relativ gut im Gleichklang mit dem Bevölkerungswachstum – sogar stärker als das Bevölkerungswachstum, etwas niedriger als das Wachstum der über 65-Jährigen, aber es kommen durchaus erkleckliche Zahlen an Ärzten im System hinzu. Davon haben wir aber relativ wenig, denn diese Ärzte sind in Österreich entlang von mehreren Dimensionen unglücklicherweise sehr ungünstig verteilt.
Man kann sich die Art der Berufstätigkeit anschauen: Da stechen einem gleich einmal die niedergelassenen Vertragsärzte ins Auge, bei denen die Demografie besonders stark ins Gewicht fällt: Augenblicklich sind es oder 2023 waren es 50 Prozent, die über 55 Jahre alt sind. Das heißt also, die Hälfte der Vertragsärzte wird in den nächsten zehn Jahren in etwa in Pension gehen. Manche arbeiten auch ein bisschen darüber hinaus, aber grosso modo ist sozusagen mit dieser Zahl zu rechnen. Die angestellten Ärzt:innen, vornehmlich in Spitälern, sind deutlich jünger. Hier sind es nur 22 Prozent und ihre Zahl wächst auch deutlich stärker als jene der Vertragsärzte.
Wir sehen deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land: Die Ärzte zieht es vornehmlich in die Spitäler in sozusagen städtischen Gebieten. Das Dasein als Hausarzt am Land ist relativ unattraktiv geworden in Österreich. Hier gibt es deutliche Disparitäten und auch Unterschiede nach Fachrichtung, die besonders zutage treten. Generell sehen wir heute schon, vor allem wenn es um die Nachbesetzung von Kassenstellen geht, eindeutige Mangelfächer, aber auch im Spital gibt es diese. Da kommt es natürlich zu Nachbesetzungsproblemen. Auch die Überalterung ist in manchen Fachrichtungen deutlich stärker ausgeprägt als in anderen, zum Beispiel haben wir in den Bereichen HNO, Frauenheilkunde oder Radiologie, um nur einige herauszugreifen, bereits zwei Drittel der Ärzteschaft im Alter 55 plus. Dort sehen wir also dieses Ungleichgewicht durchaus noch stärker.
Wenn wir uns Pensionierungen versus Neuzugänge ansehen – das ist eine Prognose aus dem Jahr 2001 –, dann sind hier vor allem die grüne und die graue Linie von Bedeutung. Wir sehen, dass hier im Jahr 2023 die graue Linie an pensionierten Ärzten die grüne durchkreuzt. Das bedeutet, dass ab dem Jahr 2023 – zumindest war es laut damaligen Zahlen so – die Zahl der Pensionierungen die Zahl der Neuzugänge im Sinne von Absolventen an den Universitäten übersteigen wird. Das Ganze dauert dann ungefähr zehn Jahre. Das ist jetzt genau die Phase, in der die Babyboomer in Pension gehen.
Warum zeige ich das? – Einfach, um darauf hinzuweisen, dass es hier kurzfristige Lösungen braucht. Wenn wir heute die Zahl der Medizinstudienplätze erhöhen, sehen wir die Effekte erst in zehn Jahren. Was wir aber im Augenblick brauchen, ist sozusagen eine Brückenlösung, die uns hilft, diese zehn Jahre zu überbrücken, im wahrsten Sinne des Wortes, und diese Zeit sozusagen durchzutauchen, bis wieder mehr Ärzte ins System kommen als pensioniert werden.
Auch interessant zu sehen ist, wie sich einzelne Gruppen innerhalb der Ärzteschaft entwickeln. Hier ganz unten die blaue Linie steht für die Vertragsärztinnen und -ärzte, die seit dem Jahr 2000 eine gerade Linie darstellen – überhaupt keine Entwicklungen. Das waren damals ein bisschen mehr als 10 000 und sind heute ein bisschen mehr als 10 000. Es gibt also so gut wie keine Veränderung, was die Vertragsarztdichte betrifft. Alle anderen Gruppen im Gesundheitssystem wachsen aber durchaus dynamisch, und die allerdynamischste Gruppe ist hier oben durch die gelbe Linie dargestellt, das sind die reinen Wahlärzte, also jene Ärzte, die als Wahlärzte tätig sind und parallel nicht in Spitälern angestellt sind, die also davon leben. Das sind bereits über 6 000 versus etwas mehr als 10 000 Vertragsärzte. Es kommt also nahezu zu einer Explosion der Zahl der Wahlärzte. Seit dem Jahr 2000 hat sich diese Zahl nahezu verdreifacht.
Ich komme zum dritten Problem: die Bevölkerungsalterung und ihre Auswirkung auf die Finanzierungsgrundlage. Dazu wurde auch bereits einiges vorweggenommen. Wir wissen also: Das Verhältnis zwischen Personen im pensionsfähigen Alter versus erwerbsfähigen Alter verschiebt sich zu unseren Ungunsten. Im Jahr 1960 kamen noch fünf Erwerbstätige auf einen Pensionisten, heute sind es drei, 2050 werden es nur noch zwei sein, und so weiter und so fort. Da gibt es also durchaus große Themen, die es zu bewältigen gilt, und diese umlagefinanzierten Systeme – Sozialversicherung et cetera – geraten zunehmend unter Druck. Wir sehen das heute schon in der Gebarung – das hat vielleicht auch andere Gründe, aber die Gebarung in der Sozialversicherung ist seit einigen Jahren deutlich negativ. Das wird sich auch gemäß Vorschau so fortsetzen. Ferner ist die Sozialversicherung immer stärker auf staatliche Zuschüsse angewiesen, die eingebracht werden müssen – das gilt auch für die Pensionen –, um überhaupt überlebensfähig zu sein. Der letzte Punkt ist auch noch wichtig, das kommt sozusagen noch dazu: Das durchschnittliche reale Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Erwerbsbevölkerung sinkt ebenfalls seit einiger Zeit. Das heißt, dass diese Finanzierungsgrundlage Jahr für Jahr zusätzlich auch noch kleiner wird.
Die Gesundheitsausgaben werden wachsen. Das ist ein Faktum, das tun sie jedes Jahr. Die Frage ist, wie stark sie wachsen. Solange dieses Wachstum im Gleichklang mit der Gesamtwirtschaft passiert, haben wir Gesundheitsökonomen eigentlich kein Problem. Das ist das, was wir uns gesellschaftspolitisch ausgemacht haben. Je nach Betrachtungsweise werden dafür 7, 8 Prozent des BIPs an öffentlichen Ausgaben eingebracht.
Wir sehen aber, dass sich dieses Verhältnis in den letzten Jahren entkoppelt hat. Die Gesundheitsausgaben wachsen stärker als die gesamte Wirtschaftsleistung, was bedeutet, dass ein immer größerer Anteil unserer Wirtschaftsleistung in den Gesundheitssektor fließen wird. Der Ageing Report sagt bis ins Jahr 2070 eine Steigerung von 1,3 Prozentpunkten voraus. Das sind doch erhebliche Anstiege, mit denen unter anderem auch wegen der Demografie zu rechnen ist.
Wir haben uns in der Gesundheit Österreich auch die Komponenten des Ausgabenwachstums angesehen. Zumindest bis zum Ausbruch der Pandemie konnten wir ungefähr ein Drittel dieses Ausgabenwachstums nur der demografischen Komponente zuschreiben. Das ist doch durchaus beachtlich. Natürlich ist es nach wie vor die Inflation, die die Gesundheitsausgaben sehr stark treibt und auch in den letzten Jahren getrieben hat, aber bis vor Corona war es zumindest ein Drittel der Ausgabensteigerungen, das nur dem demografischen Grundrauschen, wenn man so möchte, zuzuschreiben ist. Wenn man das in die Zukunft sozusagen im No-policy-change-Szenario fortschreibt, dann ergeben sich deutliche Ausgabensteigerungen, die rein aus demografischen Effekten auf uns zukommen werden.
Ich komme zum Ende. Conclusio, Ausblick und Lösungen: Zunächst muss festgehalten werden: Wir können kurzfristig relativ wenig tun, um die demografische Struktur zu beeinflussen. Das hat mit Fertilität zu tun. Die Zuwanderung lässt sich ein Stück weit steuern, kann diese Effekte natürlich abmildern, kann sie aber nicht lösen; das muss auch dazugesagt werden.
Was ist daher notwendig? – Jedenfalls Änderungen im altersspezifischen ökonomischen Verhalten der Bevölkerung, die Erwerbsquote ist dabei ein Stichwort, längeres Arbeiten, höherer Anteil an Frauen, die erwerbstätig werden, um dagegenzuhalten, und natürlich im Gesundheitssystem Strukturreformen – echte Strukturreformen –, Effizienzpotenziale ausschöpfen, die es an allen Ecken und Enden zweifelsohne gibt, und die Finanzierungsbasis muss natürlich auch nachhaltig abgesichert werden.
Noch ein paar Stichworte zum Abschluss, wie das vielleicht gelingen kann: In der Pflege, bei den Gesundheitsberufen, aber auch in der Ärzteschaft braucht es Strategien zur deutlichen Attraktivierung dieser Berufe. Vieles wurde schon gesagt – Ausbildung ist da ein Stichwort. Da müssen wir also wirklich noch deutlich zusätzlich investieren, um dorthin zu kommen, wohin wir müssen.
Die Rekrutierung von Wiedereinsteiger:innen kann eine Lösung sein, Rekrutierung von Personen im Ausland, Maßnahmen zur Personalbildung. Wir müssen also wirklich gut auf unser Gesundheitspersonal schauen, damit uns die auch nicht ausbrennen und, wie wir gesehen haben, vorzeitig das System verlassen. Weiters: verbesserte Koordination von Abläufen, Reduktion von Schnittstellen und Personal- und Skillmix, möglicherweise auch mehr Kompetenzen für die Pflege, um sie zumindest das tun zu lassen, was sie auch gelernt haben.
Wir brauchen auch ein viel besseres Image dieser Pflegeberufe. Man hört auch medial immer nur die Schattenseiten dieses Berufsbildes. 120 000 Österreicherinnen und Österreicher haben sich aber dafür entschieden, und viele davon genießen diesen Beruf beziehungsweise finden ihn schön und auch erfüllend.
Ärztemangel: Da brauchen wir – wie schon gesagt – Brückenlösungen. Wir müssen versuchen, die vielen Ärzte, die es in Österreich gibt, vor allem dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden. Das ist also vornehmlich das öffentliche System, der Kassenbereich. Da gibt es gemäß aktueller 15a-Vereinbarung auch Bestrebungen zur Umleitung von Wahlärzt:innen zurück in das öffentliche Versorgungssystem. Wir sind gespannt, wie gut das gelingen wird.
Ein Vorhaben, von dem man sich auch sehr viel erwartet, sind größere Organisationsformen im Gesundheitswesen; Stichwort: Primärversorgungszentren, Ambulatorien, Gruppenpraxen, größere Einheiten, Zusammenarbeiten, sozusagen ein Arbeiten wie im Spital in diesen niedergelassenen Einheiten, um bessere Arbeitsbedingungen bieten zu können, Teilzeitmöglichkeiten zu bieten, das finanzielle Risiko für die Ärzte zu minimieren. In diesen Organisationsformen ruhen große Hoffnungen.
Letztlich muss man dann noch die Datengrundlagen verbessern. Wir brauchen bessere Daten, wir müssen wissen: Was machen die Ärzte? Was motiviert sie? Wohin werden sie gehen, wie sind ihre Wanderungsbewegungen? Wer will ins Ausland gehen, wer will bleiben? Wer will ins öffentliche System, wer will Wahlarzt werden? – Darüber wissen wir relativ wenig.
Die Technologie wird uns helfen müssen, sage ich jetzt einmal. Es gibt auch da zahlreiche Potenziale – begonnen von Ambient Assisted Living für Ältere. Digitalisierung als Zauberwort – das Motto der Gesundheitsreform ist ja digital vor ambulant vor stationär. Es gibt große Hoffnungen in die Digitalisierung. Der erste Einstiegspunkt ins Gesundheitswesen soll künftig eine digitale Anwendung sein. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik, aber eine Vision in die Richtung, in welche die Reise geht. Künstliche Intelligenz, Robotik sind auch ganz wichtig. Da wird also die Zukunft beheimatet sein.
Last, but not least – das kann man auch nicht oft genug betonen –: Prävention, Gesundheitsförderung von Geburt an ist besonders wichtig.
Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen und bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. – Danke für die Einladung. (Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Herr Bachner.
Nach diesem sehr intensiven Blick auf das Gesundheits- und Pflegesystem wenden wir uns jetzt dem Thema des Alterns zu. Wir alle altern, das ist leider so, das gilt ausnahmslos für jeden. Wie altern wir aber in Zukunft? Dieser Frage geht unser nächster Experte nach. Univ.-Prof. Dr. Franz Kolland leitet das Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften.
Prof. Kolland ist Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft. In seiner Forschungs- und Vortragstätigkeit beschäftigt er sich mit den sozialen und gesundheitlichen Veränderungen im Lebenslauf. Darum wird es jetzt auch im nächsten Vortrag gehen, der sich da nennt: „Die Zukunft des Alter(n)s im demografischen Wandel“. – Ich bitte Sie, Herr Prof. Kolland.
Die Zukunft des Alter(n)s im demografischen Wandel
Franz Kolland (Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften): Danke vielmals für die Einladung. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mein Blick wird wieder ein bisschen woanders hingehen. Nachdem wir uns den Bevölkerungskörper angeschaut haben und vor allem Strukturen des Gesundheits- und Pflegesystems gesehen haben, werde ich mich stärker dem alten Menschen zuwenden. Das ist auch meine Tätigkeit als Alternsforscher, ein bisschen ein Blick: Wer sind alte Menschen? Was geschieht da? Wie schaut die Zukunft aus? (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.)
Ich möchte vielleicht mit einer Anekdote beginnen, die in diese Richtung geht. Die muss ich mir doch erlauben, ich habe ja immer eine bei der Hand. Dann können Sie auch gleich einschätzen, wer hier steht.
Ich gehe ja immer in den Hörsaal und dort frage ich die Studierenden, zuletzt am 1. Oktober: Sagen Sie einmal, was haben wir denn heute für einen Tag? Die Studierenden: keine Ahnung. Daraufhin sage ich: Es ist der Tag der älteren Generation. Dann war unisono die Antwort: Gratulation! – Jetzt wissen Sie, wie alt ich bin.
Das ist die Einschätzung, die dann auf diese Art und Weise geschieht. Ich möchte Ihnen damit auch gleichzeitig ein Grundproblem zeigen, das wir in unseren Gesellschaften haben, nämlich eine problematische Sicht des Alterns und auch eine problematische Sicht auf unser eigenes Altern. Das erzeugt in der Folge doch erhebliche Probleme, die in den vorherigen Ausführungen angeführt worden sind.
Ich möchte zunächst einmal sagen, dass die Lebensphase Alter sicher mit der Demografie zusammenhängt. Sie hängt aber nicht nur mit der Demografie zusammen, sie hängt auch damit zusammen, was wir an Generationenzusammenspiel haben, wie der Generationenzusammenhang in der Gesellschaft aussieht, wie Generationen das Alter sehen, wie sie ihre Zukunft sehen, weil ja im Prinzip jeder alt wird. Jeder kann ja den Blick in die Zukunft wagen.
Was wir auch sehen, ist, dass sich das Alter in biopsychosozialer Hinsicht stark verändert: Sowohl die Biowissenschaften als auch die Psychologie haben ganz neue Erkenntnisse – die werde ich jetzt ansatzweise bringen –, aber auch in den Sozialwissenschaften sehen wir ganz neue Perspektiven.
Ich möchte zunächst aber schon noch eine Frage stellen, die hier noch nicht gestellt worden ist. Wenn man sich mit dem Alter beschäftigt, ist ja zunächst die eigentlich große Frage: Was ist denn das überhaupt, das Alter und das Altern? Wer ist denn überhaupt alt? Von wem reden wir denn da überhaupt? – Wir unterscheiden zwischen dem Alter und dem Altern; also wir sehen das Alter als einen Status, der mit einer bestimmten Verantwortung, bestimmten Position zu tun hat, und das Altern als einen Prozess.
Was wir als sehr ungünstig einschätzen, ist das Kalenderalter. Das kalendarische Alter ist ein sehr problematischer Zugang. Die Demografie arbeitet nur mit dem kalendarischen Alter – also nicht nur, aber weitgehend –, und das ist eine an sich sehr problematische Zugangsweise, denn das kalendarische Alter gibt ja nur an, wie viele Jahre jemand gelebt hat, sagt aber nichts über den biologischen Zustand aus. Es kann ein heute 60-Jähriger biologisch wie ein 80-Jähriger sein, und umgekehrt kann ein 90-Jähriger biologisch wie ein 60-Jähriger sein. Das heißt, das Kalenderalter ist zunächst einmal eine sehr schwache Aussage, wenn wir uns mit dem Alter als solches beschäftigen.
Es führt auch zu einer sozialen Stigmatisierung. Wir versehen bestimmte Gruppen ab einem gewissen Alter mit Zuschreibungen, also zum Beispiel: Mit diesem Alter sind bestimmte Fähigkeiten nicht mehr vorhanden, man ist unproduktiv, man ist eine Belastung, es gibt eine Überalterung, einen Alterslastquotienten. – Während der Coronapandemie hat man Menschen ab einem bestimmten Alter etwas vorgeschrieben oder ihnen etwas zugeschrieben. Das ist keine günstige Situation, wie wir heute wissen.
Was wären sozusagen andere Ansätze? – Wir können einmal sagen, dass das Alter etwas mit Pensionierung zu tun hat. Der Übergang aus dem Berufsleben in die nachberufliche Lebensphase hat definitiv etwas mit Alter zu tun. Da haben wir immer noch ein Problem vor uns, mit dem wir nicht wirklich zurechtkommen: dass wir immer noch vom Ruhestand sprechen. Auch wenn alle sagen: Nein, das stimmt nicht!, real ist es dann doch so. Wenn wir fragen: Na, was ist das?, dann kommt doch noch immer sehr oft dieses Bild zum Vorschein, dass es der Ruhestand ist. Daran hat sich noch nichts Entscheidendes geändert.
Wir haben weitere Altersmarker: Leistungsfähigkeit in der Berufswelt. Wir haben ja schon über die Erwerbstätigkeit gesprochen. In der Erwerbstätigkeit sind Sie schon früh alt; mit 40 werden Sie dort als alt gesehen, haben Sie Schwierigkeiten, einen Job zu bekommen, wenn Sie arbeitslos werden. Es gibt neuere Studien, die zeigen, dass Arbeitgeber und auch die Human-Resources-Manager nach wie vor einen Altersbias haben. Die sagen dann: Ja, die können und die nicht.
Die einzige positive Rolle, die wir in Verbindung mit dem Alter in unserer Gesellschaft haben, ist die Großelternrolle. Es gibt an sich nur wenige andere Rollen, die positiv besetzt sind. Großvater, Großmutter zu sein ist eine sehr positiv eingeschätzte Rolle.
Wir haben auch die Senioren BahnCard. Ich bin kein Freund der Senioren BahnCard, weil das eine bestimmte Festlegung nach dem Alter ist. Wie gesagt, ja, wenn Sie sozial bedürftig sind, sollen Sie sie bekommen; sie aber nach dem Alter einzuteilen, da bin ich etwas zurückhaltender. Ich weiß, das löst nicht bei allen Freude aus.
Ein letzter Punkt – der Punkt, auf den wir das Alter wirklich beziehen – ist Gebrechlichkeit. Wenn man junge Menschen fragt, was für sie Alter ist, dann ist das primär Pflegebedürftigkeit, Abhängigkeit, Gebrechlichkeit. Das ist auch heute sehr stark gekommen: Wir reden über Pflege, Gesundheitsprobleme, wir reden zu wenig über das normale Altern. Die Mehrheit der älteren Menschen ist nicht krank, oder wenn sie krank ist, ist sie nicht funktionell krank, sie hat zwar Krankheiten, es gibt die Multimorbidität, aber sie ist nicht krank, sie liegt nicht im Bett. Das übersehen wir, wenn wir über das Alter nachdenken.
Da wir das Alter sehr stark in Verbindung mit Pflegebedürftigkeit sehen, hat es ungünstige Auswirkungen auf das Alter selber. Wir müssen also aufpassen, was wir da tun. Probleme zu beschreiben führt zu einer Problematisierung des Problems. Man muss schon vorsichtig sein, was wir tun; ich sage es nur. Seien Sie vorsichtig mit den Zuschreibungen: Die sind ein Problem!, Das sind so viele!, Wir brauchen mehr Pflege! Was tun Sie damit? – Sie hebeln die Selbstheilungskräfte der Menschen aus, Sie hebeln die Selbstgestaltungskräfte der Menschen aus. Da braucht es eine andere Erzählung, die Erzählung muss eine andere sein.
Ich rufe die Erzählung in Erinnerung, die wir sozusagen über drei Jahrhunderte gehabt haben, nämlich die Lebenstreppe. In jedem Haushalt gab es diese Lebenstreppe. Warum? – Weil es keine Pensionierung gegeben hat und man eigentlich nicht gewusst hat: Wann ist jemand alt und wann soll er ausscheiden? Wann findet der Generationenwechsel bei den Selbstständigen und auch bei den Bauern statt? So hat der Bauer, der Jungbauer, gewusst: Aha, du bist jetzt über 50, es ist Zeit, dass du langsam gehst. – Also der Bauer oder der Meister oder der Geselle hat dann darauf hingewiesen: Schau, du bist am absteigenden Ast, wenn du nicht bald einmal gehst, wirst du Schwierigkeiten haben! – Diese Bilder waren nicht nur Bilder, sondern sie haben eine soziale Ordnung hervorgebracht. Heute haben wir das nicht. Heute haben wir die Pensionierung, also das Pensionssystem als Ordnungssystem.
Dieses Modell, diese Lebenstreppe, hat sehr lange eine große Bedeutung gehabt, und was wichtig ist: Es ist ein biologisches Modell, es ist kein soziales Modell, es setzt am Bios des Menschen an. Das tun wir heute zunehmend weniger. Wir sagen, es sind soziale Aspekte, die eine Rolle spielen, und von daher sehen wir heute ein anderes Modell, ein Modell, das in der Altersforschung als das Grundmodell gilt, nämlich jenes des successful ageing. Diesem successful ageing liegen drei Elemente zugrunde: Für ein erfolgreiches Altern ist – no na – Gesundheit bedeutsam. Es gibt aber zwei andere Aspekte, die aus meiner Sicht bis jetzt noch zu wenig zur Sprache gekommen sind, dabei geht es nämlich um die kognitiven Funktionen und um die sozialen Aspekte. Das soziale Engagement und die kognitiven Aspekte sind wesentlich für ein erfolgreiches Altern – man muss ja jetzt nicht erfolgreich sagen, man kann auch gutes Altern oder optimales Altern sagen.
Ich habe auch noch die Bildung angeführt, die heute schon zweimal erwähnt wurde, weil die Bildung nämlich ein sehr starker Prädiktor für ein erfolgreiches Leben ist. Höhere Bildung ist auf jeden Fall günstiger. Sie alle haben gute Chancen, dass Sie dement werden, aber später. Also das ist so die Ansage, die man hier einmal machen kann: Sie werden schon dement werden, aber es wird sozusagen länger dauern, weil Sie eine höhere Bildung haben. Bildung hat überhaupt eine starke Auswirkung auf die Demenz. Da gibt es ja die Hoffnung, dass der Anstieg des Bildungsniveaus den weiteren Anstieg in der Demenzprävalenz doch abbremst, also zumindest teilweise. Es war auch sehr wichtig von Ihrer Seite, die Bildung überhaupt als ein wesentliches Element für die gesamte Gesundheitsentwicklung zu sehen, weil sie mit vielen Dingen zusammenhängt.
Es sind also diese drei Aspekte, und was sehr wichtig ist, was wir aus der Alternsforschung sagen: Der Alternsprozess ist plastisch, der ist nicht festgelegt, Sie können immer etwas tun. Sie brauchen nicht zu glauben, dass Sie nichts tun können, wenn Sie 90 sind, wenn sie 97 sind. Sie können immer etwas tun, der Mensch ist anpassungsfähig.
Wir wissen das heute, weil wir auch wissen, dass etwa 45 Prozent der Demenzprävalenz durch Umweltfaktoren ausgelöst werden und nicht biologisch-genetisch bestimmt sind. Sie können also ganz entscheidend darauf einwirken – über soziale Aktivitäten, kognitive Stimulation und so weiter –, aber wenn wir die Menschen sozusagen stärker dazu aufrufen, sich zu beteiligen, zu gestalten, brauchen wir natürlich auch Umweltbedingungen, die günstig sind.
Ich möchte zwei Initiativen nennen und Sie bitten, das sozusagen stärker zu forcieren: Das sind die sogenannten Age-friendly Communities beziehungsweise Age-friendly Cities. Das ist eine WHO-Initiative, die dazu aufruft, dass wir in allen Gemeinden und auch in allen Städten darauf schauen, ob es dort eine Altersfreundlichkeit gibt. Das heißt auch, dass wir alte Menschen an den Prozessen, die da stattfinden, beteiligen, denn unsere modernen Gesellschaften sind sehr stark altersblind. In dem Augenblick, in dem Menschen aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden, haben sie in der Gesellschaft nicht mehr dieselbe Bedeutung. Sie werden in Prozesse oft viel weniger einbezogen. In diesen Age-friendly Cities und letztlich auch in einer Caring Community steckt sehr viel Zukunft.
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Wir haben hier ja eher von objektiven Faktoren gesprochen, und ich schlage vor, dass wir uns auch das subjektive Alter anschauen. Da ist doch der interessante Aspekt – Sie kennen ja die Redensart –: Man ist so alt, wie man sich fühlt. Meine Frage an Sie: Wie alt fühlen Sie sich? Oben ist das Kalenderalter und darunter das subjektive Alter; wir haben dazu eine Befragung in Niederösterreich durchgeführt. Ich möchte Sie nur einmal kurz fragen: Wer von Ihnen fühlt sich jünger, als er nach dem Kalenderdatum ist? Bitte aufzeigen! – Na gut, da haben wir es schon. Also so werden wir das Alter nicht in den Griff kriegen.
Warum fühlen Sie sich denn jünger? – Weil Sie definitiv nicht so alt sein wollen, wie Sie nach dem Kalender sind. Das heißt, wir haben ein Problem mit dem Alter. Erst dann, wenn ich wieder hierherkomme und alle sagen: Ich fühle mich so alt, wie ich nach dem Kalender bin!, haben wir das Altersproblem im Griff. Bis dorthin haben wir es nicht im Griff. Sie würden ja gerne älter werden, aber nur nicht alt sein. Also das geht so irgendwie gar nicht.
Also es ist so: Es gibt das subjektive Alter – man fühlt sich immer jünger, als man tatsächlich ist –, aber – und das ist vielleicht die angenehme Seite – alle, die jetzt gesagt haben, sie fühlen sich subjektiv jünger, werden älter werden und später sterben als die, die das nicht gesagt haben. Also Sie haben damit jetzt gleichzeitig auch einen Vorteil auf den Tisch gebracht, weil das Sich-jünger-Fühlen auch mit einem anderen Gesundheitsverhalten, einer anderen Präventionshaltung, einer anderen Zukunftsperspektive einhergeht. Also das subjektive Alter ist ein guter Proxy, um sozusagen Ihre Zukunft zu sehen.
Es gibt noch eine zweite Richtung, die vor allem aus der Ökonomie kommt und die uns Folgendes zeigt: Ich habe Ihnen vorhin die Lebenstreppe gezeigt: 50 als Höhepunkt, und dann geht es bergab. In der Zwischenzeit können wir sagen: Das Leben beginnt mit 50. Also da sind Sie ja alle, wie Sie hier sitzen, noch dabei. Also Sie haben eine gute Zukunft vor sich. Nutzen Sie diese Zukunft!
Wir nennen diese hohe Lebenszufriedenheit oder diesen Anstieg der Lebenszufriedenheit Wohlbefindensparadox oder Disabilityparadox, nämlich die interessante Situation: Sie haben ja mit ansteigendem Alter mehr Erkrankungen – die haben Sie im Durchschnitt ganz sicher, sogar Mehrfacherkrankungen – und trotzdem fühlen Sie sich gesünder. Das ist völlig verrückt, das ist ein Paradox: kränker zu sein und sich gesünder zu fühlen.
Warum ist es dennoch so? – Weil wir uns sehr gut regulieren können. Der Mensch ist in seinem Lebenslauf, in seinem Älterwerden immer in der Lage, sich anzupassen, sich mit sich auseinanderzusetzen und nicht zu sagen: Jetzt bin ich depressiv!, auch wenn wir sagen können: Natürlich gibt es im Alter eine erhöhte Anzahl von Menschen, die depressiv und auch einsam sind. Das ist als solches schon richtig.
Ich sehe schon, meine Redezeit ist an sich schon abgelaufen. Ich möchte einen letzten Punkt und dann vielleicht noch eine Anekdote anführen. Mein Spruch, mit dem ich momentan durch das Land ziehe, ist nämlich: Sie sollten sich überlegen, wenn Sie nach Hause kommen, was Ihr Sofa bedeutet. Sie sollten nicht auf dem Sofa sitzen. Wenn Sie länger als 8 Stunden auf dem Sofa sitzen, bekommen Sie auch Demenz. Das Demenzrisiko erhöht sich mit zunehmender Zahl von Stunden auf dem Sofa. Sie sollten Ihr Sofa kritisch sehen, je älter Sie werden, immer kritischer. Vor allem sollten Sie sich auch überlegen, mit wem Sie auf dem Sofa sitzen. Der Partner ist kein guter Sofasitzer, mit dem redet man nicht. (Heiterkeit.) Suchen Sie jemanden Fremden für das Sofa! Sitzen Sie mit jemandem anderen auf dem Sofa! Das ist hilfreich, das ist kognitiv stimulierend, hat für Ihre Zukunft eine große Bedeutung.
Enden möchte ich mit einer Anekdote einer 94-jährigen Apothekerin in meinem Umfeld: Auf die Frage: Wie sind Sie denn so alt geworden, was haben Sie denn gemacht?, sagt sie – ihre Antwort ist nicht zur Nachahmung geeignet –: Ich bin 94, ich hatte eine Apotheke, und ich habe die Dinge nicht genommen, die die Leute gekauft haben. – Danke vielmals. (Heiterkeit und Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Herr Prof. Kolland.
Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass sich heute jeder so seine Gedanken machen wird, wenn er am Ende des Arbeitstages auf sein Sofa trifft.
Wir, sehr geehrte Damen und Herren, machen jetzt im wahrsten Sinne des Wortes einen Generationensprung. Ich darf an dieser Stelle auch Staatssekretärin für Digitalisierung, Jugend und Zivildienst Claudia Plakolm in unserer Mitte begrüßen – Sie dürfen das mit einem Applaus selbstverständlich auch tun (Beifall) – und sie auch gleich um ihren Vortrag zum Thema Sicht der jungen Generation auf den demografischen Wandel bitten.
Die Sicht der jungen Generation auf den demografischen Wandel
Claudia Plakolm (Staatssekretärin für Digitalisierung, Jugend und Zivildienst): Geschätzte Damen und Herren! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank für diese Initiative, dass man sich generationenübergreifend mit diesem sehr, sehr wichtigen Thema beschäftigt.
Sie haben in den letzten Stunden schon sehr viel Inhaltliches gehört und – wie ich im Programm gelesen habe – mit dem Statistischen begonnen. Ich werde jetzt ein bisschen auf die erste Hälfte der Lebenstreppe fokussieren, also auf den Bereich, wo es noch eher aufsteigend ist, wo man auch noch Handlungsbedarf hat und wo wir vielleicht die Dinge auch besser in die richtige Richtung lenken können, sodass wir den demografischen Wandel generationenübergreifend gut begleiten können.
Sie haben schon gehört, dass die Bevölkerung in Österreich ganz generell wächst und gleichzeitig auch älter wird. Für die jungen Menschen in Österreich bedeutet das, dass der Generationenvertrag immer schwieriger zu erfüllen wird. Der Generationenvertrag wurde zu einem Zeitpunkt beschlossen, als vier Erwerbstätige gemeinsam eine Pension gestemmt haben. Mittlerweile sind es drei Erwerbstätige, und in wenigen Jahren, 2030 schon, werden nur mehr zwei Erwerbstätige einem Pensionisten, einer Pensionistin gegenüberstehen. Die Jungen sehen und spüren diese Veränderung im Generationenvertrag sehr, sehr deutlich.
Dazu kommt auch noch eine sehr große Ungewissheit, eine Zeit, in der die globale Situation von Kriegen, von Unruhen, vom Klimawandel und von vielem, vielem mehr geprägt ist. Das würde eigentlich insgesamt eher dazu einladen, als junger Mensch verbittert in die Zukunft zu blicken.
Trotzdem ist die Generation Z willens, die Dinge anzupacken, positiv in die Zukunft zu blicken. Ich sage immer gerne, bei der Generation Z steht das Z für Zuversicht. Dessen bin ich mir aus zwei Gründen sehr sicher: zum einen, weil ich viele junge Leute treffe, die bei dem, was sie tagtäglich machen, motiviert sind, die Pläne schmieden und die gleichzeitig auch echte Vorbilder innerhalb der jungen Generation sein können, die anderen Burschen und Mädels Mut machen, die sich beispielsweise für eine Lehre entscheiden und da mit vollem Tatendrang dahinter sind, junge Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.
Und ja, das beginnt in jungen Jahren. Jeder Zweite in Österreich ab dem Alter von 14 Jahren engagiert sich in seiner Freizeit ehrenamtlich in Vereinen, Organisationen, vielleicht auch in gewissen temporären Initiativen. Das trägt schon dazu bei, dass wir eine große Zuversicht überhaupt erst verspüren können, dass wir das generationenübergreifende Miteinander in der Gesellschaft deutlicher sehen und spüren können.
Es sind junge Unternehmerinnen und Unternehmer, die eben nicht nur Pläne schmieden, sondern sich auch darin probieren, Hofübernehmer genauso, kurz gesagt: junge Menschen, die den Kopf nicht in den Sand stecken, obwohl vielleicht die externen Zustände eher dazu verleiten würden.
Ein anderer Grund dafür ist, dass wir es auch in unterschiedlichsten Jugendstudien, Jugendberichten schwarz auf weiß haben. Die jüngste Ö3-Jugendstudie beispielsweise spricht eine klare Sprache, denn 83 Prozent der Generation Z haben demnach eine optimistische Perspektive auf ihr eigenes Leben. Diese Sicht ist immer optimistischer, wenn es um die Dinge geht, die man persönlich verändern kann. Wenn die Lage weiter weg ist, die beurteilt wird – die globale Lebenssituation, die Weltpolitik und vieles mehr –, wird sie schon weniger optimistisch gesehen, aber das eigene Leben, bei dem man die Dinge selbst in der Hand hat, wird von 83 Prozent – und das ist ein sehr, sehr guter Wert – positiv gesehen. Das sind junge Menschen, die etwas aus ihrem Leben machen wollen.
Deswegen bin ich davon überzeugt, dass die Generation Z eine riesige Chance für uns alle ist. Die Generation Z ist eine grundvernünftige Generation. Das muss man fast betonen, weil man eigentlich auf den ersten Blick nicht glauben würde, dass so junge Menschen, gerade auch Heranwachsende, so vernünftig an gewisse Dinge herangehen.
Dass sich junge Menschen heutzutage eher auf stabile Werte zurückbesinnen, ist oft auch dem geschuldet, dass die äußeren Umstände eher volatil sind, dass das Umfeld eher dynamisch ist. Sie wollen ein geregeltes und sicheres Leben führen, drei von vier wollen einen sicheren Arbeitsplatz haben, und das Topthema der jungen Menschen ist nicht, wie man das nächste Wochenende verbringt, sondern Gesundheit. Also das zeigt, wie grundvernünftig die heranwachsende Generation heute eigentlich ist: Gesundheit ist das Topthema.
Auch in den sozialen Medien sieht man diesen Trend. Es gibt unterschiedlichste Influencer und Meinungsbildner, die auch das ihrige dazu beitragen. Wie gut oder wie übertrieben das zum Teil auch ist, kann jeder selbst beurteilen.
Fast zwei Drittel sind am Abend gerne zu Hause und wollen gerne früh schlafen gehen. Das ist vielleicht der grundvernünftige Part, aber auch der, bei dem man sich vielleicht zum Teil ein bissl Sorgen um die Heranwachsenden machen muss.
Sicherheit ist für junge Menschen ein ganz zentraler Wert. Ich glaube, das eint uns generationenübergreifend, denn Sicherheit ist auch ein zentraler Wert für ältere Menschen – nur in der Jugend bedeutet Sicherheit etwas anderes: Es geht darum, dass man einen sicheren Job hat, dass man einen stabilen Freundeskreis hat, dass die Familie einen ganz, ganz hohen Wert hat und dass man eine Perspektive hat, sich selbst etwas zu schaffen, das einen stabilen Wert hat, dass man sich als junger Mensch etwas aufbauen kann.
Was ist dieser Generation beim Thema Arbeit am wichtigsten? – Es ist nicht Geld das Motiv, wenn es um die Wahl des Berufes geht. Es sind nicht die Arbeitszeiten. Es geht nicht um eine Viertagewoche. Das Wichtigste für drei Viertel der jungen Menschen ist, dass die Arbeit, der sie nachgehen, auch Sinn macht. Wenn die Beschäftigung für sie Sinn macht und sie auch sicher ist, dann gehen sie gerne hin und sind auch bereit, Vollzeit zu arbeiten. Diese ständig wiederholte Legende von der Generation Z als Generation Work-Life-Balance ist so nicht bestätigbar. Man sucht den Grund, für wen oder was man arbeiten geht, und man will etwas Sinnvolles machen – gerade wenn es der Arbeitsmarkt hergibt, dass man die Wahl treffen kann, für welches Unternehmen man arbeitet und welchen Zielen man sich da verschreibt.
Daran anknüpfend möchte ich eine Beobachtung mit Ihnen teilen, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Staatssekretärin für den Zivildienst immer wieder mache. Der Zivildienst ist oft eine Erfahrung, die jungen Burschen irgendwie die Augen öffnet, dass die Arbeit im Sozialbereich und in der Pflege unglaublich fordernd ist, aber gleichzeitig auch ein sehr abwechslungsreiches, spannendes Berufsfeld sein kann.
Der Zivildienst ist der Headhunter für den Sozialbereich; das betone ich bei jeder Gelegenheit. Der Zivildienst ist für viele junge Männer der erste Berührungspunkt mit Sozialberufen und Pflegeberufen. Mit diesem Wissen haben wir in der Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen, diese Zeit, diese neun Monate auch sinnvoll zu nutzen, indem wir beispielsweise auch eine Grundausbildung in der Pflege anbieten. Wir wissen, wir brauchen jede Pflegekraft, die wir bekommen können.
Ich persönlich bin der felsenfesten Überzeugung, dass ein Berufsfeld nur dann attraktiver werden kann, wenn es auch geschlechtermäßig ausgewogener ist. Je mehr Burschen wir für die Pflege begeistern können und je mehr Burschen Pionierarbeit, die sehr, sehr hart ist, leisten können, desto attraktiver wird der Beruf in Zukunft vielleicht auch generell werden. Ein jeder, der sich nach den Erfahrungen des neunmonatigen Zivildienstes dafür entscheidet, in diesem Bereich eine Ausbildung zu beginnen und einen Beruf zu ergreifen, tut unserem System gut. Das ist ganz unabhängig davon, welche beruflichen und schulischen Erfahrungen die Zivildiener zuvor gemacht haben. Da gibt es einige Geschichten von jungen Männern, die zuvor eine technische Lehre gemacht haben oder eine technische Schule absolviert haben und die dann eigentlich erst im Pflegeheim ihre Berufung gefunden haben.
Diese Grundausbildung in der Pflege kann mittlerweile auch während des Zivildienstes absolviert werden. Wer das im Rahmen der neun Monate macht und sich daraufhin entscheidet, beispielsweise eine Pflegelehre zu machen, der kann sich dann auch sechs Monate auf die Pflegelehre anrechnen lassen und spart sich diese Zeit.
Ich glaube auch, dass das Berufsbild Pflege heute an dem Punkt steht, an dem das Berufsbild von Informatikern vor gut 15 Jahren gestanden ist. Damals hat man dieses Bild gehabt, dass IT-Techniker irgendwo in einem dunklen Kammerl im Keller ganz isoliert von Menschen sitzen und am Computer irgendetwas werken und programmieren. Dieses Bild hat damals schon nicht gestimmt und heute sehen wir das zum Glück sehr, sehr deutlich: Informatiker sind die gefragtesten Mitarbeiter in allen Branchen, in allen Unternehmen. Sie werden direkt von der HTL und von der Universität abgeworben; es findet ein Wettbewerb unter den Bundesländern, unter den Unternehmen und Arbeitgebern statt, dass man in diesem Bereich die Besten der Besten bekommt.
Früher hat man diesen Beruf nur sehr einseitig wahrgenommen, eben als Programmieren im stillen Kämmerchen, aber heute sieht man, dass dieser Bereich auch sehr vielfältig sein kann: von Datenwissenschaftlern zu KI-Forschern bis hin zu Cybersicherheitsexperten oder UX-Designern. Diese Branche ist einfach sehr, sehr breit und hat eine große Zukunft. Es ist, um bestehende Vorurteile auszuräumen, zu erwähnen, dass der Bereich von Teamwork geprägt ist – auch in der Hinsicht, dass es zentrale Player im Bereich der Sicherheit braucht – und damit spannende Arbeitsmodelle verbunden sind wie remote Arbeiten und flexible Arbeitsbedingungen – Innovationen werden in diesem Bereich für alle greifbar.
Warum führe ich das jetzt so deutlich aus, wenn es weniger um Informatiker und um die Fachkräfte, die wir natürlich auch in diesem Bereich brauchen, gehen sollte, sondern mehr um das Thema Pflege und Generationen? – Weil wir da eben auch vor ähnlichen Chancen stehen. Ich bin der Überzeugung, dass sich der Pflegeberuf erst am Anfang dieser Entwicklung befindet. Vor 15 Jahren hat man sich glücklich schätzen können, wenn man einen Informatiker in der eigenen Familie gehabt hat – und ich glaube, das ist nach wie vor so. Es ist, glaube ich, etwas, worüber sich jeder freut, wenn spätestens zu Weihnachten Nichten und Neffen, Kinder und Enkelkinder kommen und gewisse Dinge einrichten können.
Heute sind auch die Familienmitglieder gefragt, die in der Pflege tätig sind. Wenn man solche Menschen in seinem persönlichen Umfeld oder auch in Vereinstätigkeiten weiß, dann kann man sich glücklich schätzen. Das sind umsichtige und empathische Menschen, die – genauso wie Informatiker in den letzten 15 Jahren – in Zukunft Innovationen, die wir heute noch gar nicht alle entwickelt haben – diesbezüglich findet auch ein riesengroßer Umbruch statt –, in alle Haushalte tragen werden.
Wir sehen heute schon, wie gefragt Pflegefachkräfte nicht nur im persönlichen Sinne, sondern auch im beruflichen Sinne sind. Diese Entwicklung geht eben gerade erst so richtig los: das Match der Bundesländer um die besten Pflegefachkräfte; das Bild der Pflege, das sich auch ganz deutlich wandelt, dass es beispielsweise nicht nur um Körperpflege geht, sondern um Zuhören, um Trösten, Beraten, Fürsprechen. Es geht um Begleiten, Motivieren, Hoffnung geben und ganz oft auch um Freundschaften über Generationen hinweg. Es ist eine extrem hohe soziale Verantwortung.
Die Teams in Pflegeinstitutionen, in Pflegeeinrichtungen und in Seniorenhäusern arbeiten oft auch in den unterschiedlichsten Lebenssituationen und generationenübergreifend – und so kann sich jeder passend zu der individuellen Lebenssituation, in der er gerade steckt, gut einbringen. Gerade, was die Innovationen betrifft, kommen noch große Fortschritte, die die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten massiv verbessern werden.
Umgekehrt ärgert es einen dann, wenn man am Beginn dieser Entwicklung steht und in der öffentlichen Berichterstattung immer wieder auch Stimmen hört, die erklären, wie furchtbar dieser Beruf ist und wie katastrophal die Arbeitsbedingungen sind. Ich verstehe es schon – ja natürlich –, es ist definitiv einer der forderndsten Berufe.
Wenn ich jetzt beispielsweise an die Sozialpartnerschaft und an die unterschiedlichsten Interessenvertretungen denke: Es ist natürlich wichtig, dass man diese Gegebenheit in den letzten Jahren genutzt hat, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir mehr denn je über die Bedingungen in der Pflege sprechen müssen, und dass da auch Druck aufgebaut wurde. Es ist aber auch klar, dass man mit diesem Bild in der Öffentlichkeit keine oder nur sehr wenige junge Menschen überhaupt überzeugen kann, eine entsprechende Ausbildung zu starten und in diesem Bereich tätig zu werden.
Was wir brauchen, sind junge Menschen, die für die Pflege brennen – und der Zivildienst kann eben einen sehr, sehr guten und umfassenden Beitrag hierzu leisten. Wir haben vor wenigen Monaten eine Zivildienststudie in Auftrag gegeben, die das auch wieder gezeigt hat: Der Zivildienst öffnet jungen Männern die Augen für den Sozialbereich, für diese empathischen Berufe, die meist ja doch nach wie vor sehr, sehr weiblich sind. Es zeigt sich, wie erfüllend diese Berufe sein können, wenn man tagtäglich mit Menschen zu tun hat. Ein Drittel der Zivildiener bleibt genau aus diesen Gründen zumindest ehrenamtlich im System erhalten und für ein Viertel spielen die Erfahrungen im Zivildienst auch eine Rolle bei der späteren Berufswahl.
Der Zivildienst wirkt also als Headhunter im Sozialbereich und als Türöffner fürs Ehrenamt. Wir feiern im heurigen Jahr 50 Jahre Zivildienst. Wenn wir fünf Jahrzehnte zurückdenken, dann zeigt sich, glaube ich – nicht nur ich glaube das, sondern auch die Zeitzeugenberichte, wenn man sie so nennen will –, eine deutliche Veränderung der Wahrnehmung von Zivildienern. Vor fünf Jahrzehnten hat man noch einer Gewissenskommission Rede und Antwort stehen müssen und ist noch mit Schimpfwörtern bezeichnet worden, wenn man sich für den Zivildienst entschieden hat – und heute sind die jungen Männer und auch die Frauen, die sich für ein freiwilliges soziales Jahr entscheiden, stolz darauf, dass sie so einen Dienst machen dürfen.
Wir brauchen junge Menschen, die bereit sind, in der Pflege mitzuwirken, sodass wir die Pflege absichern können. Und genau diese jungen Menschen sind eben, wie eingangs erwähnt, auch diese Mutmacherinnen und Mutmacher, die auch Vorbilder für eine ganze Generation von Heranwachsenden sein können. – Vielen Dank. (Beifall.)
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Podiumsdiskussion
Birgit Brunsteiner: Sehr geehrte Damen und Herren, das war jetzt sehr viel Input. Den möchten wir gerne mit Ihnen gemeinsam diskutieren und besprechen. Wir möchten Ihnen die Möglichkeit geben, Ihre Fragen zu stellen.
Unsere Vortragenden darf ich bitten, vorne am Podium Platz zu nehmen. – Frau Riedel, Herr Bachner, Frau Fuchs und Herr Kolland, ich darf Sie bitten, sich hier links und rechts vom Rednerpult zu verteilen.
Für Sie, sehr geehrte Damen und Herren, habe ich noch einen kleinen organisatorischen Hinweis: Selbstverständlich freuen wir uns über Ihre Fragen. Ich möchte Sie bitten, bevor Sie zu sprechen beginnen, darauf zu warten, dass eines der Mikrofone – es sind zwei Mikrofone im Raum – zu Ihnen gebracht wird. Ich darf Sie bitten, dann Ihren Namen und die Funktion, in der Sie hier sind, zu nennen und anschließend Ihre Frage zu stellen. Ich betone das Wort Frage. Es sollen Fragen sein – das wünschen wir uns von Ihnen – und keine Koreferate. Ich darf Sie dann also bitten, Ihre Frage zu stellen und auch dazuzusagen, an wen Sie diese Frage gerne richten möchten.
Um Ihnen ein bisschen Zeit zu geben, sich vielleicht auch noch Ihre Fragen zu überlegen, beginne ich mit einer ersten Fragerunde an unser Podium. Ich möchte mit Frau Fuchs beginnen: Sie haben vorhin anhand der Grafik sehr anschaulich gezeigt, wie schnell unsere österreichische Gesellschaft altert. Wie sieht denn das in anderen Ländern und Gesellschaften aus? Gibt es Länder, in denen das vielleicht sogar schneller voranschreitet und von denen sich bereits Erkenntnisse für die Zukunft ableiten lassen?
Regina Fuchs: Die Frage ist sehr spannend. Österreich ist in keiner guten Situation, wie wir heute gehört haben, aber es gibt Länder, denen es viel schlechter geht. Das ist die gute Nachricht. Gerade vor ein paar Monaten hieß es in einer Meldung in den internationalen Nachrichten, dass die Geburtenrate in Südkorea auf, ich weiß nicht mehr genau, 0,6 oder 0,7 gesunken ist.
Wir sehen also, das, was wir heute in Mitteleuropa erleben, sind zwar dramatische Ereignisse, dramatische Entwicklungen, aber es geht auch viel extremer. Wir sind nicht dort, wo andere Länder schon sind. Ich habe schon einen Hinweis gegeben: In Asien schreitet die Alterung weit schneller voran, weil das auch Gesellschaften sind, in denen Migration keine Tradition hat. Diese Gesellschaften sind verschlossener gegenüber Migrantinnen und Migranten. Isolierte Länder, in denen der Arbeitsmarkt schlecht zugänglich war, sind die Länder, in denen die Situation wesentlich verschärfter ist.
Ich sage noch einen Satz zu unseren Nachbarländern. Deutschland ist ein Land, das wesentlich schneller altert. Die Deutschland-Frankreich-Achse: Frankreich ist ein Land, das traditionell höhere Geburtenraten hat, in dem es traditionell mehr Kinder gegeben hat. Deshalb, aber auch aufgrund der hohen Migration ist dort die Gesellschaft jünger, sie altert weniger schnell.
Birgit Brunsteiner: Wir haben von Frau Riedel gehört, dass andere Länder, zum Beispiel in Skandinavien, mit der Situation des hohen Pflegebedarfs anders umgehen. Nun weiß ich nicht, ob sie mit dieser Situation besser umgehen. Was machen sie denn anders? Oder, tatsächlich gefragt: Was machen sie dann besser?
Monika Riedel: Von Skandinavien wissen wir, dass da doch einige Unterschiede sind. Skandinavische Länder werden sehr häufig als vorbildhaft hingestellt. Es gibt einen ganzen, ich möchte fast sagen, Blumenstrauß an Aspekten, die da eine Rolle spielen.
Dort war die Erwerbsbeteiligung der Frauen schon früher höher, was unter anderem dazu geführt hat, dass auch viele Frauen in, ich sage jetzt einmal, Kinderbetreuungs-, Altenbetreuungsinstitutionen gearbeitet haben und damit die Verantwortung für solche Betreuungsfunktionen breiter gestreut ist, zum Teil auch professioneller gemacht worden ist. Es ist dort damit teilweise auch eine höhere Kinderzahl einhergegangen. Es ist dort die Professionalisierung der Pflege früher gewesen als bei uns. Dass Pflege ein Studium ist, ist ja bei uns noch relativ neu. Das war gerade in diesen oft als Vorzeigeland bezeichneten Ländern doch deutlich früher der Fall.
Es ist bei uns lange Zeit so ein bisschen verpönt gewesen, seine Eltern ins Pflegeheim abzuschieben, anstatt sich selbst um sie zu kümmern, wobei nach wie vor rund 80 Prozent der Pflegeleistung bei uns sehr wohl durch Angehörige erbracht wird. Das ist dort irgendwie sachlicher gesehen worden. Nicht jeder Mensch ist zu Hause besser gepflegt – da gibt es solche und solche Fälle.
Und ein Aspekt, den man dort sicherlich auch nennen muss: Es ist sehr viel die Rede davon gewesen, dass auch die Finanzierung der Pflege ein Thema ist. Die Finanzierung der Pflege ist ein Thema, weil sich das Verhältnis Erwerbsbevölkerung zu in Rente oder in Pension befindlicher Bevölkerung verschiebt, nämlich mit steigendem Pensions- und sinkendem Erwerbstätigenanteil.
Wir müssen auch sehen, dass dort der typische Erwerbsverlauf deutlich länger dauert als bei uns. Wenn ich im Ausland erzähle, dass ich gerade in diese Übergangsphase falle und gerade eben nicht mehr mit 60 Jahren in Pension gehen darf, dann wird da in diesen Ländern oft ziemlich ungläubig geschaut, in denen es schon gang und gäbe ist, dass man, egal ob Mann oder Frau, mit 67 in Pension geht und bis dahin arbeitet.
Es ist also schon ein sehr, sehr vielfältiges Spektrum. Aber wie gesagt, Professionalisierung ist sicherlich einer der Aspekte. Man soll nicht die Idee haben, dass sich dort aufgrund der professionalisierten Pflege die Menschen nicht um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Es ist nur der medizinische Teil vor allem stärker professionalisiert und der informelle Teil ist halt sehr viel mehr zum Teil auf Haushaltsaspekte, zum Teil auf menschliche, informelle, administrative Aspekte bezogen.
Birgit Brunsteiner: Zur Rolle der Angehörigen in der Pflege der Zukunft kommen wir später noch einmal ganz kurz.
Auch Herr Bachner hat Skandinavien genannt. – Sie haben gesagt, die Skandinavier haben mehr gesunde Jahre. Was machen die anders? Warum erleben sie mehr gesunde Jahre?
Florian Bachner: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Einiges wurde jetzt bereits von Kollegin Riedel vorweggenommen. Die Skandinavier machen in ihrem Gesundheitssystem natürlich einiges anders, als wir das hier gewohnt sind. Sie sind wesentlich reformfreudiger, sie trauen sich, auch wirklich schwerwiegende Reformen anzugehen. Ganz Dänemark hat weniger Spitäler als Niederösterreich, haben wir erst kürzlich gehört.
Es ist aber natürlich auch eine gewisse subjektive Frage, denn diese Angaben zu gesunden Lebensjahren stammen aus einem Fragebogen, in dem Leute gefragt werden, wie sich denn fühlen. Das spiegelt also eine gewisse Lebenseinstellung wider. Es spiegelt wider, wie glücklich die Menschen sind, wie das Wohlbefinden in diesen Ländern ist.
Wir wissen, diese Länder haben schon früher sehr gut ausgebaute Wohlfahrtsstaaten gebildet. Die Frauenbewegung war dort deutlich früher erfolgreich, als das in den mittel- oder südeuropäischen Ländern der Fall war. Es ist also wahrscheinlich nicht eine Einzelmaßnahme zu nennen, sondern ein Konglomerat aus vielen kleinen Bestandteilen einer Gesellschaft.
Wir wissen auch, dass die Skandinavier durchaus sportlicher sind, dass die Ernährung in Skandinavien teilweise besser ist und dass in Skandinavien auch das Vertrauen ganz generell in das Leben, in die Politik deutlich höher ist, als das in Österreich der Fall ist. All das wirkt da natürlich ein Stück weit mit.
Birgit Brunsteiner: Sie sind Ökonom. Aus wirtschaftlicher Sicht machen diese großen Einheiten, von denen Sie gesprochen haben, wie zum Beispiel in Dänemark, vielleicht Sinn, aber was ist mit der menschlichen Perspektive? Geht die nicht ein bisschen verloren, vor allem in der Pflege und in der medizinischen Betreuung, die wir ja in Österreich so schätzen – wenn wir schon den Vergleich zu Skandinavien ziehen?
Florian Bachner: Ich finde, das ist kein Widerspruch, wenn man versucht, Dinge sozusagen zu bündeln, Expertise zu bündeln, dort anzubieten, wo man das auch gut kann und wo es auch Sinn macht, und gleichsam eine gute niedergelassene, wohnortnahe, menschennahe Versorgung anbietet.
Das muss überhaupt kein Widerspruch sein. Es muss nur gut erklärt werden, es muss gut kommuniziert werden. Die Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wird, sondern vielmehr jenes, dass sie an Qualität der Versorgung dazugewinnen und dass unterm Strich dann sozusagen mehr Ressourcen für alle da sein können, wenn man das auch richtig macht.
Birgit Brunsteiner: Ich bleibe jetzt noch beim Vergleichen, Herr Prof. Kolland. Haben Sie Beispiele für Kulturen, die vielleicht – ich will nicht sagen: besser – anders, verständnisvoller mit ihren Alten umgehen?
Franz Kolland: Es ist ja hier gefragt worden, wie es international aussieht. Was man schon sieht, ist, dass jene Länder, jene Gesellschaften, in denen das Altern schon früher als solches gesellschaftlich eine größere Bedeutung gehabt hat, auch mehr Programme in diese Richtung aufgesetzt haben. Zum Beispiel Japan: Die Idee der age-friendly Cities and Communities, also dass sozusagen die Nachbarschaften, die Gemeinden selbst das Thema Altern sehen und die alten Menschen beteiligen, kommt ja an sich aus Japan, wie auch das Urban Gardening.
Viele dieser Dinge kommen aus Japan, weil dort der Prozess des Alterns schon in den letzten drei Jahrzehnten viel sichtbarer war, und bei uns ja gerade erst – wie das heute auch gesagt wurde, sprechen wir ja erst dann von einer alternden Gesellschaft, wenn wir mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige haben – eintritt. Das ist in Gesellschaften wie jener Japans schon sehr viel früher der Fall gewesen, deshalb hat man auch sehr viel früher reagiert. Es haben sich dort auch die großen Industrien sehr stark involviert. Darum ist auch die Roboterisierung in Japan viel schneller vorangeschritten. Ich habe mir bei der Toyota Foundation die Roboterisierung angeschaut, habe mir angeschaut, wie sie im Pflegebereich eingesetzt wird. Die sind uns schon um einiges voraus. Es ist auch schon angesprochen worden: Dort gibt es eine gewisse Ausländerfeindlichkeit. Dort gibt es wenige Hilfskräfte, die aus dem Ausland kommen, dort setzt man viel stärker auf Technologie.
Wo wir auch immer hinschauen können und konnten, ist und war nach Holland. Die Niederlande waren auch immer ein Vorzeigeland. Wenn wir uns Pflege- und Wohnprojekte anschauen wollen, dann sind die Niederlande immer ein Land, in das man fahren kann. Ob das das Demenzdorf De Hogeweyk ist, das erstmals bahnbrechend ein ganz neues Konzept aufgesetzt hat, wie Demenzbetreuung ausschauen kann, wie man sie organisieren kann, oder die Frage, wie man Pflege und Betreuung zu Hause lokal, sowohl informell als formell, ansetzt, ist: Da gibt es viele Beispiele, die für uns ein Vorbild sein können.
Ich möchte aber schon auch sagen: Wir sollten die Kirche im Dorf lassen, so schlecht ist Österreich auch nicht. Wir tun das gerne, wir machen immer gerne Österreichbashing bei solchen Zusammenkünften. Das sehe ich nicht so.
Birgit Brunsteiner: Auf beiden Seiten wird genickt.
Sehr geehrte Damen und Herren, gibt es Fragen Ihrerseits? Wir haben links vorne eine Frage. – Das Mikrofon kommt zu Ihnen.
Ich sammle jetzt immer drei Fragen ein, dann beantworten wir die, und dann gehen wir in die nächste Runde. – Bitte sehr.
Ernest Schwindsackl (Mitglied des Bundesrates): Geschätzte Damen und Herren! Mein Name ist Ernest Schwindsackl, ich bin Bundesrat und Landesobmann einer der größten Seniorenorganisationen in der Steiermark. Das sind großartige Expertisen, die wir heute hier gehört haben.
Ich möchte auf unser schönes Land und unser sehr gut funktionierendes, immer wieder ausbaufähiges Pflege- und natürlich auch Betreuungssystem für ältere Menschen zurückkommen. Für immer jung kann man nicht sein. Es gibt das wunderbare Lied von Ambros und André Heller, das wunderbar klingt, auch akustisch, aber so spielt natürlich das Leben nicht. Ich glaube, es ist auch nicht eine Frage der Geburtsurkunde, wie alt man ist, sondern es stellt sich immer auch die Frage, wie alt man sich fühlt. Ich – wie wahrscheinlich viele hier – kenne 30-Jährige, die sich ähnlich oder fast wie 80-, 90-Jährige bewegen, körperlich wie geistig, und dann gibt es viele 80-, 90-Jährige, die sich, genau umgekehrt, wie 30-Jährige oder noch jüngere bewegen, die voll und ganz im Leben stehen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende: wie man sich auch weiterhin bewegt.
Wir haben ja heute hier vieles gehört, und vor allem auch einige ganz gute Expertisen geliefert bekommen. Ich glaube, die Robotergeschichte wird uns auch in der Entwicklung beschäftigen. Sie, Herr Professor, haben das ja eben angeführt: In Japan ist es gang und gäbe, bei uns wird es vielleicht ein bisschen länger dauern, bis man sich an einen zwar schön gekleideten Roboter, mit welchen Ausstattungen auch immer, in körperlicher Form gewöhnt. Es wird aber wahrscheinlich länger dauern, bis man sich an diese Distanz gewöhnt, und sich von einem Roboter die eine oder andere Tablette geben oder sich ins Bett heben lässt.
Es ist natürlich auch eine Frage, wie sich die ganze Entwicklung weiterhin darstellt. Ich glaube, wichtig ist der Pflegeberuf. Es wurde hier auch angeschnitten: Pflege ist mehr als nur ein Job. Das muss vom Kopf über das Herz bis zur Hand gehen. Das ist eine ganz eine entscheidende Frage.
Birgit Brunsteiner: Darf ich Sie bitten, zu einer konkreten Frage zu kommen?
Ernest Schwindsackl: Ja, ganz konkret ist die Frage, wie sich die Dinge hier in Österreich entwickeln. Wir haben ja gehört, wie es in Dänemark, in Japan und so weiter geschieht, in technischer Hinsicht, was aber noch nicht angesprochen wurde, was ich aber alle fragen möchte, ist, wie Sie das mit der immer mehr zunehmenden Altersdiskriminierung in unserem schönen Österreich sehen. – Danke.
Birgit Brunsteiner: Wir hatten eine Frage aus der ganz letzten Reihe. – Bitte.
Ferdinand Tiefnig (Mitglied des Bundesrates): Danke, dass diese Vorträge heute stattfinden können.
Ich habe dieses Thema schon 2009 verfolgt, in Dänemark, Kopenhagen, und auch in Malmö, in Schweden. Man sieht: Die skandinavischen Länder sind Vorreiter. Sie haben es geschafft, dass der Familienverband viel mehr eingebunden ist. Wie können wir das in Österreich weiter vorantreiben? – Das ist ein Punkt.
Das zweite Thema ist das Thema Primärversorgungszentren – von meiner Seite auch in diesem Jahr, 2009, begonnen, damals mit Hauptverbandschef Schelling und der damaligen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. Das wurde in Österreich sehr stark bekämpft, jetzt ist man in eine andere Richtung unterwegs. Wie können wir in Zukunft noch mehr Primärversorgungszentren in die ländlichen Räume bringen, damit auch die Ärzte mit dabei sind, sodass auch Ärzte Ärzte beschäftigen können? Wie sehen Sie zum Beispiel die Lehrpraxis für Landärzte? Da war ich auch von Anfang an mit dabei, das haben wir vorangetrieben, wobei die Landeshauptleute teilweise dagegen waren, weil es zu viel kostet. Ich glaube, wir werden in vielen Bereichen neue Wege gehen müssen. Die künstliche Intelligenz wird uns in Zukunft auch beschäftigen. Wie wird diese uns im Alter, in Zukunft beschäftigen?
Eine dritte Frage habe ich auch noch: Das Thema ist, länger am Arbeitsmarkt zu bleiben. Es gibt Personen, die körperlich anstrengende Berufe ausüben – ich sage einmal, ob das ein Maurer, ein Zimmermann ist –, oder andere, die geistig anstrengende Berufe ausüben. Da kann man nicht unterscheiden, wie lange sie im Arbeitsmarkt aktiv sein können. Wie können wir diesen Bereich gestalten? Zum Beispiel mit Teilzeitjobs: Kann man dementsprechend mit Teilzeitkräften die Lage verbessern?
Das System in Österreich ist hervorragend. Wenn man nach Bayern schaut – ich lebe an der Grenze zu Deutschland –, sieht man: Dort kriegt man als Pensionist die Pension zwölfmal im Jahr ausbezahlt, und das auf einem ganz anderen Niveau. Ich glaube, wir dürfen schon herausstreichen, dass wir im Sozialbereich in Österreich in den letzten Jahrzehnten sehr viel weitergebracht haben.
Birgit Brunsteiner: Vielen herzlichen Dank.
Wir haben noch eine Wortmeldung aus der letzten Reihe. – Bitte.
Günter Danhel (Denkwerkstatt St. Lambrecht – Gesellschaft für Zukunftssicherung und Altersvorsorge): Meine Frage richtet sich an Frau Fuchs – nicht alleine, aber vorrangig. Vor der Realisierung der Geburten steht der Kinderwunsch. Wenn meine Informationen stimmen – und die Familienforschung liefert uns dazu ja ganz aufschlussreiche Daten –, ist der Kinderwunsch mindestens in ebenso großem Maße zurückgegangen wie die Zahl der realisierten Geburten. Wäre es nicht an der Zeit, nachzudenken, ob nicht familienpolitische Initiativen angebracht wären, damit sich die Differenz zwischen Kinderwunsch und realisierter Kinderzahl etwas verringert? Das ist ein Thema in der Familienpolitik seit mehr als 30 Jahren.
Der zweite Gesichtspunkt, den ich ansprechen möchte: Sie haben die Substitutionsmigration angesprochen, die sozusagen die Geburtenausfälle der Stammbelegschaft, wenn man das so salopp sagen darf, kompensieren soll. Ich würde da gerne den Begriff des Humanvermögens ins Spiel bringen, der heute nicht gefallen ist. Ich verstehe unter Humanvermögen die Summe aller Fähigkeiten und Fertigkeiten, die von einer Generation auf die andere übergehen, was letztlich für die Aufrechterhaltung unserer wirtschaftlichen und sonstigen Leistungsfähigkeit als Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist. Ich würde mir wünschen, dass dem Gesichtspunkt des Humanvermögens in Zukunft stärkere Beachtung geschenkt wird. – Danke.
Birgit Brunsteiner: Vielen herzlichen Dank.
Beginnen wir mit der ersten Frage: Herr Prof. Kolland, vielleicht möchten Sie kurz darauf eingehen? Das Thema Altersdiskriminierung kommt auch in ihren Büchern immer wieder vor.
Franz Kolland: Ja, danke, dass Sie das angesprochen haben. Das ist natürlich ein wichtiges Thema, und die Seniorenorganisationen beschäftigen sich ja auch sehr intensiv mit dieser Frage, weil das auch tatsächlich ein Problem ist.
Ich möchte nur einen Punkt herausstreichen: Das wäre schon eine politische Aufgabe. Es geht dabei um die Frage der Menschenrechte, eine Frage, mit der wir uns seit 2010 beschäftigen: Soll es eine UN-Konvention zu den Menschenrechten älterer Menschen geben? Dieser Prozess der Einrichtung einer UN-Konvention, die letztendlich eine solche Altersdiskriminierung gesetzlich verbieten würde und damit auch eine Möglichkeit für den Menschen bieten würde, sich dagegen zu wehren, ist zum Stillstand gekommen.
Die internationale Gemeinschaft hat in diesem Jahr also leider die Entscheidung getroffen, diesen Prozess in Richtung einer UN-Konvention aufzugeben. Das finde ich schade. Ich wäre sehr dafür, dass sich Österreich dafür einsetzt, denn nur wenn wir eine Menschenrechtskonvention zum Thema Alter haben, werden wir auch die Altersdiskriminierung in den Griff bekommen.
Bis jetzt haben wir sie nur in der Erwerbstätigkeit – dort darf keine Altersdiskriminierung passieren –, aber außerhalb der Erwerbstätigkeit nicht. Wir verzeichnen zwar nur sehr wenige Klagen vor der Gleichbehandlungsanwaltschaft – es sind 2021 nur 270 Klagen gewesen –, aber das hat damit zu tun, dass sie nicht erfolgreich sind. Sie haben keine gesetzliche Grundlage, und das ist ein Problem. Deshalb wissen wir gar nicht, wie viel Altersdiskriminierung es tatsächlich gibt.
Birgit Brunsteiner: Sehen Sie Altersdiskriminierung im Gesundheits- und Pflegebereich?
Franz Kolland: Die gibt es sicher überall, also den Ageism sehen wir überall. Ich höre das auch sehr oft aus dem Gesundheitssystem, auch aus dem Spitalswesen, beispielsweise diese Beschämung von alten Menschen, die dann am Gang dazu genötigt werden, sich auszuziehen, weil man keinen Platz hat, nirgendwo hineingehen kann. Alte Menschen tun das dann. Das ist so beschämend! Was ich aus der ärztlichen Perspektive mitbekomme – dass man alte Menschen auf den Gang setzt, man sich nicht um sie kümmert und sie dort stundenlang sitzen lässt –, das finde ich schon beschämend.
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank, Herr Prof. Kolland.
Die Frage nach der Rolle des Familienverbandes: Frau Riedel, möchten Sie auf diese Frage eingehen? Welche Rolle wird der Familienverband denn in Zukunft noch spielen? Ich füge noch die Frage hinzu: Welche Aufgaben werden Angehörige überhaupt noch übernehmen können, wollen oder müssen? Sie haben es ja anhand des Beispiels Ihrer Familie schon ganz gut aufgezeigt, wie schwierig das durchaus auch sein kann.
Monika Riedel: Ich denke, dass allein aus der Tatsache, dass formelle Pflege und Betreuung an Grenzen stoßen, die Frage des Familienverbandes weiterhin eine ganz große Rolle spielen wird. Was sein kann, ist, dass sich die Art und Weise, wie dieser Familienverband gelebt wird, ändert, und dass zusätzlich zur, ich sage jetzt einmal, biologischen Familie, auch noch die, ich nenne es, gewählte Familie kommt, also die Menschen, mit denen man sich – ohne Blutsbande – freiwillig umgibt: Freunde, Vereinskollegen, Nachbarn, was auch immer.
Ich würde mir wünschen, dass im medizinisch-pflegerischen Bereich, also im Bereich der Pflege im engeren Sinne, die Professionalisierung eine so große Rolle spielt, dass wenn der Familienverband – eben wegen steigender Distanzen und ähnlichem – manche Dinge nicht mehr übernehmen kann, auf der anderen Seite dank der Digitalisierung andere Rollen sehr wohl wahrgenommen werden können. Man kann digital telefonieren, wobei man sich auch sieht. Man kann für die älteren Angehörigen Einkäufe übernehmen, weil es inzwischen Lieferservices gibt. Ich denke, es wird sich der Verband ändern, aber er wird nach wie vor ganz zentral eine wichtige Rolle spielen. Das geht gar nicht anders.
Birgit Brunsteiner: Sie haben jetzt Digitalisierung angesprochen, das war ja durchaus auch ein Teil der Frage. Wie viel Digitalisierung wird möglich sein? Wie sieht es mit KI aus? Die meisten von uns tragen inzwischen Uhren, die ständig sämtliche Werte messen. Werden solche Apps und vielleicht auch Algorithmen, die daraus wieder etwas ableiten, in Zukunft eine größere Rolle spielen?
Monika Riedel: In KI, muss ich sagen, habe ich mich selbst noch nicht ausreichend eingelesen. Sie wird mit Sicherheit eine Rolle spielen. Wie die genau aussieht? – Da bin ich die falsche Auskunftsperson. Dass die Digitalisierung als solche eine massive Rolle hat, davon bin ich aber sehr überzeugt, auch wenn ich mir von den jetzt unterstützungsbedürftigen Personen ausgehend denke, dass das natürlich in sehr unterschiedlichem Ausmaß sein wird.
Es gibt sehr versierte Internetuser:innen und es gibt solche, die alle mit Vorsicht drangehen und Internet nur dann verwenden, wenn das Enkerl daneben sitzt. Ich denke aber, die zukünftigen Alten sind ja schon mit viel mehr an Digitalisierung aufgewachsen. Wir werden uns da in einer ganz anderen Rolle und in einer ganz anderen Sicherheit als die jetzigen Alten sehen, hinter den dann Jungen aber natürlich genauso hinterherhinken.
Birgit Brunsteiner: Mehr Digitalisierung, schnellere Digitalisierung – das haben auch Sie angesprochen, Herr Bachner. Daran anschließend vielleicht auch noch die Frage zu den Primärversorgungszentren. – Bitte.
Florian Bachner: Die Digitalisierung birgt zweifelsohne enorme Potenziale in allen Feldern, seien es jetzt die Pflege oder Gesundheitssysteme im engeren Sinne. Es stellt sich dabei immer die Frage, welches Maß an Zwischenmenschlichkeit bei diesen Leistungen vorausgesetzt wird. Der Mensch hat bei vielen Dingen einfach Bedarf nach einem anderen Menschen, bei Gesprächen und bei Berührungen und so weiter, die eine Maschine niemals ersetzen kann.
Darüber hinaus gibt es aber sehr, sehr viele Bereiche, bei denen uns die Robotik, die künstliche Intelligenz massiv unterstützen kann. Denken wir an diagnostische Verfahren im Gesundheitsbereich. Die künstliche Intelligenz ist teilweise schon deutlich besser darin, bestimmte Befunde, bestimmte Röntgenbilder et cetera zu analysieren.
Es gibt mittlerweile OP-Roboter, die flächendeckend im Einsatz sind. Diese Roboter lernen bei jeder Operation mit, wie diese OP durchzuführen ist, und sind von den Outcomes her teilweise sehr, sehr gut unterwegs. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis nicht nur autonome Autos herumfahren werden, sondern auch teilweise autonome OPs durchgeführt werden können.
Was ich auch erwähnt habe, ist dieser Einstiegspunkt ins Gesundheitssystem, vor allem für jüngere Menschen. Da kann die Digitalisierung stark unterstützen. Nicht immer ist es notwendig, vor allem bei kleineren Gesundheitsproblemen, eine Praxis aufzusuchen, aber auch bei Dingen, wie wenn es nur darum geht, ein Rezept zu verlängern, eine Krankmeldung, eine Gesundschreibung et cetera zu machen. Auch da können zum Beispiel digitale telemedizinische Versorgungsformen durchaus etwas bringen. Virtuelle Spitäler werden zum Beispiel im Moment diskutiert und angedacht. Es ist also eigentlich ein grenzenloses Portefeuille an Möglichkeiten, das uns die Technisierung, die künstliche Intelligenz anbietet, und wir werden ja nach allem, was wir heute gehört haben, gezwungen sein, dieses Angebot auch anzunehmen.
Birgit Brunsteiner: Wie gut sind wir denn im internationalen Vergleich? Ich meine, es gibt ja jetzt auch schon einiges bei uns für Patientinnen und Patienten: Impfregister, E-ID, E-Rezept – das macht ja alles viel einfacher. Natürlich kann man diese Liste endlos fortsetzen. Wo stehen wir denn da ungefähr im Vergleich?
Florian Bachner: Österreich war ja eines der allerersten Länder überhaupt, das damals eine elektronische Gesundheitsakte eingeführt hat. Das Thema ist dann aber nur sehr langsam ins Feld gekommen. Es ist ein gewisser Stillstand in der Entwicklung eingetreten. Die Menschen haben das nur sehr schleppend angenommen. Ein bisschen Bewegung ist dann meiner Meinung nach mit der Pandemie hineingekommen, als dann plötzlich die Dinge schneller gegangen sind. Jetzt haben wir plötzlich einige Dinge, wobei man sich vielleicht gefragt hat: Warum gab es eben das mit dem E-Rezept oder dem elektronischen Impfpass und dergleichen nicht schon davor? Da ist also wieder etwas Fahrt hineingekommen in diese Systeme.
Wenn man sich andere Länder anschaut, ist das dort bereits seit vielen Jahren gang und gäbe. Auch da sind wiederum die Skandinavier als Vorreiter zu nennen, wo es mittlerweile deutlich bessere digitale Systeme gibt, die auch viel stärker genutzt werden können, weil sie einfach auch benutzerfreundlicher, näher am Arzt und auch näher am Menschen gestaltet sind.
Da gibt es natürlich einen gewissen Aufholbedarf in Österreich. Wir müssen besser damit umgehen lernen und wir müssen vor allem auch eines tun, nämlich nicht Angst davor haben, sondern die Chancen erkennen. Das betrifft vor allem auch das Datenthema. Durch gute Gesundheitsdaten und der Erlaubnis, dass wir mit diesen Daten auch arbeiten dürfen, kann sich ein System gut weiterentwickeln. Nur so gewinnen wir die notwendige Steuerungsintelligenz, um auch wirklich voranzukommen.
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank.
Um jetzt auch noch auf die letzte der drei Fragen zurückzukommen: Wir müssen uns quasi auch eine Art digitales Humanvermögen aneignen, das wir dann weitergeben können. Es war die Rede von der Substitutionsmigration oder von der Zuwanderung insgesamt, und da möchte ich jetzt auch noch eine Frage anschließen. Wir wissen, dass die bestausgebildeten Zuwanderer nicht in Österreich bleiben, dass sie woanders hingehen. Trotzdem die Frage: Wie viel Potenzial für den Pflegebereich, aber auch für den medizinischen Bereich sehen Sie im Bereich der Ausbildung in der Zuwanderung nach Österreich?
Regina Fuchs: In der Migrationsforschung sagt man, es gibt immer ein Hinterland vom Hinterland, das Potenzial ist quasi unbeschränkt, wir leben in einer sehr großen Welt. Ich muss das Thema ein bisschen breiter aufstellen – Sie haben die Migration angesprochen –, denn Humankapital ist heute tatsächlich sehr oft angesprochen worden.
Also in gefühlt jedem zweiten Statement von Professor Kolland, von Herrn Bachner und von Frau Riedel habe ich gehört: Bildung ist das, was auf alle Maßzahlen, die wir heute vorgestellt haben, die größte Auswirkung hat. Das ist etwas, das uns alle mitträgt, das die gesunde Lebenserwartung bestimmt. Bildung ist etwas, das für unser Humankapital – in Bezug auf die gut ausgebildeten Fachkräfte – einfach notwendig ist. Das heißt, ohne Bildung und ohne Humankapital werden wir diese großen Aufgaben nicht stemmen können. Das heißt, Humanvermögen, Humankapital, Investments in Bildung und Technologien und Investments, dass wir länger arbeiten können. Bildung ist ein Garant dafür, dass wir vielleicht länger im Arbeitsmarkt verbleiben können. Es ist einfach notwendig, das Humankapital entsprechend zu pflegen.
Migration: Wie gesagt, es gibt sehr viel Potenzial. Wir haben bei Statistik Austria sehr schöne Studien, durch die wir die Absolvent:innen tracken, also wir schauen darauf, was sie nach Abschluss ihres Studiums tun, wohin sie gehen und wieso – also wieso wissen wir nicht – und ob sie denn nach Abschluss ihres Studiums in Österreich bleiben. Österreich und die österreichische Steuerzahlerin und der österreichische Steuerzahler haben ja sehr viel Geld, sage ich jetzt einmal, in diese Ausbildung, in dieses Humankapital investiert, also müssen wir uns schon sehr genau überlegen: Was tun wir oder was müssten wir tun, damit wir diese Menschen, denen wir hier eine sehr kostspielige Ausbildung finanzieren – ich denke an medizinisch-technische Berufe, das sind Berufe, die in der Ausbildung sehr viel kosten –, auch halten können?
Das heißt, es gibt sehr viel Potenzial, Humankapital aufzufüllen, zu holen, aber gleichzeitig auf der anderen Seite zu schauen: Wie können wir das Humankapital, in das wir bereits sehr viel investiert haben, in unserem schönen Land halten?
Birgit Brunsteiner: Möchten Sie noch etwas dazu sagen, Herr Bachner? Jetzt sind wir bei den Kosten.
Florian Bachner: Ja, punkto Humankapital: Das ist natürlich vor allem bei der ärztlichen Ausbildung ein Riesenthema. Wir versuchen das genau mitzuverfolgen und auch zu modellieren: wohin sozusagen diese Wanderungsbewegungen, diese Wechselbewegungen der jungen Ärzteschaft stattfinden. Das ist natürlich ein sehr schwieriges Unterfangen, weil wir nicht in die Köpfe der Menschen hineinschauen können. Es gibt da sehr viel Wechsel, auch zwischen verschiedenen Fachrichtungen während des Studiums, und wir wissen eigentlich nicht genau, wie viele Absolventen dann im Land bleiben werden oder auch weggehen. Da sind wir sozusagen auf die Vergangenheit angewiesen.
Die gute Nachricht ist aber, dass diese Wanderungsbewegung nicht nur einseitig stattfindet. Wir wissen natürlich, dass vor allem die Bundesrepublik Deutschland sozusagen ein starker Abnehmer von Ärzten, die in Österreich ausgebildet worden sind, ist. Gleichsam ist Österreich aber auch ein Aufnahmeland von vielen anderen Ländern. Dieser Import-Export-Saldo von Ärztinnen und Ärzten ist eigentlich nicht so drastisch, wie es oft dargestellt wird. Es ist also nur ein kleines Minus, das wir da sozusagen als Aderlass im System haben; es kommt einiges wiederum herein. Das gilt es auch immer zu bedenken.
Viel wichtiger ist die Frage – nur um das noch anzuschließen –: Gelingt es uns, diese Ärzte in die Positionen zu bringen, wo die Bedarfe nach Fachrichtung, nach Ort et cetera herrschen, oder nicht?
Birgit Brunsteiner: Ins öffentliche System, sagen Sie.
Gut, die Frau Vizepräsidentin hat sich zu Wort gemeldet.
Danach wird es noch einige Wortmeldungen geben, unter anderem zum Kinderkriegen.
Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (Vizepräsidentin des Bundesrates): Vielen Dank für all Ihre Ausführungen, es war wirklich sehr interessant.
Ich bin Vorsitzende des Seniorenbundes in Salzburg. Wir haben auch festgestellt: Wir reden zu wenig über dieses normale Altern und dass ja ein Großteil – Gott sei Dank – der Seniorinnen und Senioren fit ist und auch gut altern kann.
Dann ist auf Prävention und Gesundheitsförderung hingewiesen worden, und darauf ist mir heute noch zu wenig eingegangen worden. Ich finde das wirklich sehr, sehr zentral. Vielleicht können Sie uns Organisationen und auch uns Politikerinnen und Politikern sagen: Was sollen wir weiter tun, um gerade diesen Bereich zu fördern und zu stärken? Wenn wir nämlich von Anfang an schauen, dass wir gesund und fit bleiben, dann würden wir auch das gesamte Gesundheitssystem entlasten und auch weniger Leid bei den Menschen erzeugen.
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank. Wir haben eine Wortmeldung zu Ihrer Linken.
Stefan Schennach (Mitglied des Bundesrates): Ich möchte allen Referenten und Referentinnen heute danken, das war ein wirklich informativer und spannender Morgen hier, aber Frau Dr. Fuchs, wenn ich Ihnen gut zugehört habe, dann sagen Sie, glaube ich, ganz klar: Ohne die Zuwanderung stehen wir vor einem schlimmen demografischen Winter. Diese Debatte, die wir derzeit in Österreich über Migration führen, ist ja aberwitzig vor diesem Hintergrund, dass wir die Erwerbstätigkeit erhöhen, dass wir die Höhe der Bevölkerungszahl halten, dass das alles ein Erfolg der Zuwanderung ist, gleichzeitig aber lassen wir die Menschen sich nicht integrieren. Ein Drittel von Wien darf nicht einmal wählen gehen – wie sollen denn die Menschen integriert werden?
Zweiter Punkt, was die vorhergehende Diskussion betrifft: Wir haben ja diese Brückengeschichte mit den Ärzten, und dabei fällt mir immer etwas auf. So viele Ärzte wandern zu und hängen in der Doppelmühle der Nostrifikation. Wenn wir mit den Nostrifikationen in Österreich doch nur ein bisschen flexibler wären! Dazu kann ich Ihnen nur sagen, ich höre immer wieder von solchen Fällen, das ist entsetzlich, die warten sechs, sieben, acht Jahre, dann gehen sie in ein anderes Land.
Frau Riedel, ich muss Ihnen in einem Punkt widersprechen: Allgemein zu sagen, wir erhöhen halt das Pensionsalter auf 67! – So geht das nicht, das ist also ein entschiedenes Nein von meiner Seite, das müssen Sie verstehen. Erstens – ich glaube, das hat man vorher schon gesagt – gibt es unterschiedlichste Berufe, ob jemand am Hochofen, im Bau, in der Pflege war, da kann man nicht einfach sagen - -
Birgit Brunsteiner: Darf ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen! Wir haben noch einige Wortmeldungen.
Stefan Schennach: Also Sie haben das gehört. Diesen Einspruch muss ich machen, die 67 gehen derzeit gar nicht.
Birgit Brunsteiner: Die Damen in der Mitte haben schon ganz lange aufgezeigt.
Magdalena Eichinger (Österreichischer Seniorenrat): Ich bedanke mich auch für die hochinteressanten Vorträge.
Ich möchte mich kurz halten. Meine Frage richtet sich im Speziellen an Frau Fuchs. Sie haben uns erzählt, dass im Jahr 2050 das Verhältnis Erwerbstätige und Menschen in Pension 2 : 1 sein wird. Wenn lediglich das Pensionsalter, also die Erwerbstätigkeit der Menschen, hinaufgesetzt wird, wie würde sich das auf diese Verhältniszahl niederschlagen? – Danke schön.
Birgit Brunsteiner: Liebe Frau Fuchs, das war jetzt eine direkte Frage an Sie und dann schließen wir das Thema Kinderkriegen, das von vorhin noch übrig geblieben ist, auch gleich an.
Regina Fuchs: Ja, ich fange einmal so an: Die Erhöhung des Pensionsalters ist natürlich immer ein politisches Thema. Ich bin Statistikerin, also kann ich Ihnen nur Zahlen sagen, aber ich gebe hier keine Empfehlungen ab.
Was ich aber sagen muss: Um längeres Verbleiben im Erwerbsleben zu ermöglichen, braucht es einfach Investitionen in die Menschen, damit sie auch gesund sind und länger leben können.
So, jetzt können wir natürlich das Pensionsalter erhöhen, da kann ich Ihnen dann Zahlen liefern, aber was bedeutet die Erhöhung des Pensionsalters in Österreich sehr oft? – Wir sehen es ja jetzt schon sehr genau: Bei Männern ist das Pensionsalter 65, bei den Frauen sind wir in der Übergangsphase, aber das tatsächliche Pensionsalter liegt weit darunter; die Zahl habe ich nicht genau im Kopf, aber sie liegt einige Jahre unter dem gesetzlichen Pensionsalter. In den Jahren, bevor es sozusagen wirklich in die Pension geht, sind sehr viele Menschen schon in Arbeitslosigkeit und sind sozusagen keine richtigen Erwerbspersonen mehr.
Das heißt, es ist natürlich einfach zu sagen, jetzt erhöhe ich das Pensionsalter – das ist möglich, das kann man auch politisch machen –, tatsächlich muss man aber Maßnahmen setzen, um in diesen Jahren, bevor die Pension angetreten wird, die Menschen im Erwerbsleben zu halten. Das halte ich für viel wichtiger, als das Antrittsalter an sich zu erhöhen; die Maßnahmen müssen da gesetzt werden.
So, darf ich zum Kinderkriegen wechseln?
Birgit Brunsteiner: Sie wollten zum Kinderkriegen auch noch etwas sagen, ja.
Regina Fuchs: Dazu muss ich etwas sagen, das ist sozusagen ein Thema, das mich schon mein ganzes Berufsleben lang beschäftigt. Der Kinderwunsch – zwei, zwei, zwei –, da hat sich in den letzten Jahrzehnten tatsächlich nichts verändert. Sie wissen, man kriegt zwei Kinder, das ist eine Norm, zwischendurch hat es einmal ein drittes Kind gegeben, aber im Großen und Ganzen haben Mann und Frau zwei Kinder, und das ist bei Männern und Frauen nicht so viel anders.
Die Fertilitätsrate ist aber bei 1,3 – da ist ja schon ein sehr großer Unterschied, da ist ein großer Gap. Wie kommt es überhaupt dazu? – In Österreich gibt es eine lange Tradition von Frauen, die kinderlos sind und bleiben. Im Moment liegen wir bei ungefähr 21 Prozent. Ich verrate Ihnen etwas: Vor 100 Jahren war das nicht viel anders – ich glaube, sogar höher, weil es Heiratsverbote für manche Berufsgruppen gab. Das heißt, es gab in Österreich schon immer eine Tradition von Frauen, die kinderlos blieben und bleiben mussten, Lehrerinnen beispielsweise.
Was passiert jetzt? – Es wird studiert, es wird ein Doktorat gemacht. Also der Einstieg ins Berufsleben findet immer später statt. Die biologische Uhr tickt aber auch, wie wir wissen.
In der Zwischenzeit gibt es sehr viele medizinische und technische Möglichkeiten, dass man in späterem Alter doch noch ein Kind bekommt. Man hört immer wieder Sensationsmeldungen aus den USA: Eine Frau hat mit 63 ein Kind bekommen. So etwas gibt es, das ist aber die Ausnahme von der Ausnahme, wahrscheinlich mit technischen Möglichkeiten erreicht, die in Österreich gar nicht erlaubt sind. Das heißt, weit über 40 hinaus geht es nicht. Also egal, welche technischen, medizinischen Möglichkeiten man in die Hand gibt: Im Moment schaffen wir es nicht, dieses Alter sehr weit in die Höhe zu heben.
Jetzt rede ich von gesellschaftlichen Normen. Es gibt ein Wort, das es nur im deutschen Sprachgebrauch gibt, das Rabenmutter heißt. Damit ist ja schon alles gesagt.
Das heißt, unsere Gesellschaft ist ja auch nicht so, dass sie sagt: Na kriegen Sie viele Kinder und dann gehen Sie wieder arbeiten! Jeder, der Kinder hat, kennt das genau: Ui, nach einem Jahr bist du schon wieder in die Arbeit gegangen! Oder: Was, du gehst schon arbeiten?– Zum Kinderkriegen hat jeder eine Meinung. Es ist auch etwas, das wir in unserer Norm, in unserem Verhalten sehr oft mitkriegen.
Die Möglichkeiten an Erwerbstätigkeiten sind nicht die besten. Auch traditionell – das haben wir auch in uns drinnen – bleiben Frauen in Österreich länger zu Hause, als sie das in anderen Ländern tun. Sie arbeiten in Teilzeit weniger, und auch wenn die Kinder schon größer sind, steigen sie nicht wieder in Vollzeit ins Erwerbsleben ein. Das heißt, Frauen verbleiben sehr lang in Teilzeiterwerbstätigkeit, und das ist etwas, das uns schon stark von anderen Ländern unterscheidet.
Einen Punkt habe ich noch. Aus der Zeitverwendungserhebung wissen wir, dass natürlich auch die Sorgearbeit, die Hausarbeit zu großen Teilen bei Frauen hängen bleibt. Das heißt, vielleicht bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als diesen Weg zu wählen.
Also es gibt da sehr viele Ansätze, die man berücksichtigen muss, um wirklich diesen Gap, diesen Unterschied zwischen der tatsächlichen Kinderzahl und der Wunschkinderzahl, zu überwinden.
Birgit Brunsteiner: All das, was Sie jetzt gesagt haben, hat ja auch dort, wo es um Frauen geht, die in Pflegeberufen arbeiten, einen Impact auf das Pflegesystem – um die Kurve da wieder zu kriegen.
Prävention und Gesundheitsförderung stärken: Ja, aber wie? Wer möchte sich dieser Frage annehmen? – Herr Kolland, bitte.
Franz Kolland: Ich bin nicht der Gesundheitsexperte, aber ich übernehme gerne die Frage.
Also ich glaube, der Punkt ist ja tatsächlich wichtig. Wir haben ja auch den Rechnungshofbericht dazu, der zeigt, dass wir die Gesundheitsvorsorge nicht in Anspruch nehmen. Also ich glaube, dass die nächste Bundesregierung gut beraten wäre, sich der Gesundheitsvorsorge, der Gesundenuntersuchung intensiver zuzuwenden, weil eine Zahl von 15 Prozent Menschen, die diese Gesundenuntersuchung in Anspruch nehmen, nicht geht.
Es zeigt sich eben in Skandinavien, dass die Gesundenuntersuchung zur Kultur in den skandinavischen Ländern dazugehört. Das ist dort eine Selbstverständlichkeit: Man schaut auf seine Gesundheit.
Ich finde diesen Ansatz jetzt auch ganz gut: Es werden ja 300 000 Menschen eingeladen, an der Gesundenuntersuchung teilzunehmen. Wir werden sehen, wie das angenommen wird, also ob da eine Akzeptanz da ist. Die Gesundenuntersuchung gehört neu aufgestellt.
Ein anderer Bereich – weil Sie die Prävention im Alter ansprechen –: Ich finde auch – also das ist mir ein persönliches Anliegen –, es gibt keine geriatrische Rehabilitation. Also Menschen, die in Pension gegangen sind, haben keinen Anspruch auf Rehabilitation, weil unser System so aufgebaut ist, dass Reha nur auf die Erwerbstätigkeit ausgerichtet ist. Es gibt in Deutschland 154 geriatrische Rehaeinrichtungen, in Österreich nicht eine einzige.
Also ich würde dringend raten: Wenn wir in Richtung Prävention gehen wollen, dann müssen wir diese Systeme ausbauen.
Birgit Brunsteiner: Das nächste Thema war das Thema Nostrifikationen, Nostrifikationserleichterungen, raschere Einbindung im Ausland ausgebildeter Pflegekräfte, verkürzte Ausbildungen, mehr Durchlässigkeit bei gleichzeitig mehr Akademisierung des Pflegeberufs.
Frau Riedel, das steht alles in der Pflegereform drinnen. Geht das einfach alles zu langsam? Reichen diese Maßnahmen?
Monika Riedel: Es sind jedenfalls Maßnahmen, die in die richtige Richtung gehen.
Geht das alles zu langsam? – Ich würde jetzt sagen, sehr vieles davon ist schon sehr lange bekannt. Ich frage mich manches Mal: Warum hat man so spät angefangen?, wenn ich ganz ehrlich bin.
Es braucht eine gewisse Zeit, aber wir müssen massiv dranbleiben, damit es dann auch wirksam sein kann. Viel mehr kann und will ich dazu jetzt gar nicht sagen.
Es braucht auf jeden Fall eine ganz breite Basis. Die Silver Bullet – dass wir sagen: eine Maßnahme, um den Pflegemangel zu beheben – gibt es mit Sicherheit nicht. Es kann nur ein ganzes, breit angelegtes Bündel sein: dass man Leute zurückholt, die schon im Pflegeberuf waren, dass man neue Leute anspricht, nicht nur Frauen, auch junge Männer, sei es über den Zivildienst, sei es über andere Schienen, wie Berufe. Man kann Leute, die schon im privaten Umkreis Pflege gemacht haben, umschulen und Ähnliches. Also es kann nur ein ganz breiter Ansatz sein. Das ist auf jeden Fall eine Philosophie, die ich vertreten würde.
Das wird trotzdem nicht reichen, und wir müssen trotzdem auf Prävention setzen, wie es angesprochen worden ist.
Eine Sache, die ich zum Präventionsthema noch als ganz wichtig ergänzen möchte, ist in meinen Augen: Was wir ganz unbedingt dabei tun müssen, ist: ganz früh ansetzen. Prävention beginnt nicht bei den Älteren, sondern spätestens im Kindergarten: mit Ernährungsmaßnahmen, die logisch machen, dass der gesunde Snack nicht unbedingt aus einem Schokoriegel oder aus einem Quetschie mit Obst, sondern aus richtigem Obst besteht, mit Sportveranstaltungen, mit regelmäßiger Bewegung, mit dem Normalzustand, dass man – entsprechende Entfernungen vorausgesetzt – auch zu Fuß in den Kindergarten oder in die Volksschule gehen kann und nicht vor der Haustür abgesetzt wird, und vieles mehr.
Also da würde ich sagen, das wichtigste ist, früh mit Prävention zu beginnen, damit der gesunde Lebensstil normal wird und nicht dann ein aktives Bemühen werden muss, wenn man merkt, dass es überall schon zu zwicken und zu zwacken beginnt.
Noch ein Punkt zum Pensionsalter mit 67, wenn ich das gleich anschließen darf: Mein Kommentar kam aus dem Kontext heraus, dass es hieß: Was machen skandinavische Länder anders? Da war der spätere Pensionsantritt ein Teil, der aber nicht per se allein, isoliert dasteht, sondern auch darin eingebettet ist, dass ein größeres Selbstverständnis für gesunden Lebenswandel da ist – da hat Florian Bachner ja auch schon einige Themen angesprochen –: mehr Sport und gesündere Ernährung, hohe Steuerbelastung, noch höher als bei uns, auf Tabak und Alkohol. Es ist ja im Common Knowledge über Skandinavien, wie teuer dort der Alkohol und wie dementsprechend gering der Konsum ist, zumindest solange man zu Hause im Land ist.
Also dass das nicht einfach so geht, sondern dass das einen Haufen an Begleitmaßnahmen während des Arbeitens und Ähnliches erfordert, ist klar. Es kann auch eine Begleitmaßnahme sein, dass man eben nicht – so, wie es jetzt eigentlich noch traditionell üblich ist – sein ganzes Leben im gleichen Beruf bleibt.
Birgit Brunsteiner: Darf ich kurz unterbrechen? – Ganz von Ihnen aus gesehen rechts haben wir eine Frage. Dann nehmen wir noch die drei Damen dran, und dann müssen wir die Fragerunde beenden, weil wir zum Schluss des Forums kommen. – Bitte.
Christina Grebe (Hospiz Oberösterreich): Danke für die Möglichkeit. Ich bin Christina Grebe von Hospiz Oberösterreich beziehungsweise Hospiz Österreich.
Stichwort Compassionate Communties, Caring Communities: Das hat mir noch ein bisschen gefehlt.
Ich kann jetzt nur für meinen Bereich sprechen. Wir investieren sehr viel Zeit in den letzten Jahren darin, Laien zu befähigen, Empowerment durchzuführen. Das heißt, wenn wir überlegen: Wie kann man jemanden am Lebensende gut betreuen?, merken wir, dass es bei Angehörigen, die pflegen, oft wirklich nur ganz kleine Details sind, die fehlen: in der Beratung, in dem: Wo kann man nachfragen, wenn man Hilfe braucht? Wo kann man sich hinwenden, wenn man überfordert ist?
In unserem Bereich machen wir das in den Laienschulungen mit beispielsweise Letzte-Hilfe-Kursen. Wir gehen mit Hospiz macht Schule in die Schule. Wir stehen auch noch am Anfang, also da sind wir bei weitem nicht flächendeckend, aber wir sehen, das trägt wirklich Früchte.
Gibt es solche Bestrebungen, Netzwerke zu bilden, Laien zu schulen, zu stärken, auch generell im Pflegebereich? Gibt es so etwas auch für die Zugehörigen? Wir sagen ja nicht nur An-, sondern auch Zugehörige.
Sie haben gesagt: „gewählte Familie“. Das hat mir gut gefallen. Ich frage mich aber: Wie kann man diese Menschen stärken? Gibt es dazu Ideen?
Birgit Brunsteiner: Danke vielmals, Frau Grebe.
Es gibt da noch eine kurze Frage. – Ich darf Sie jetzt wirklich bitten, die Fragen kurz zu halten, wir haben jetzt insgesamt noch 5 Minuten.
Manuela-Anna Sumah-Vospernik (Mitglied des Bundesrates): Es freut mich, einmal festzuhalten, dass alle Expertinnen und Experten übereinstimmend zu dem Schluss kommen, dass Bildung wesentlich zum gesünderen Älterwerden beiträgt und dass auch ein späterer Pensionsantritt nicht ungangbar ist.
Ich hätte jetzt noch eine Frage an Frau Dr. Riedel, und zwar: Wie sehen Sie denn das Problem, dass es in den Bundesländern keine gleichen Abrechnungen der Pflege gibt und dass es auch Einzelfallentscheidungen in den Zusprüchen von Pflegegeldbescheiden gibt? Gibt es irgendeine Idee oder Konzepte, wie man das vereinheitlichen oder besser machen könnte? – Danke.
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank. – Vorletzte Frage.
Edith Kollermann (Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag): Guten Mittag, muss man mittlerweile sagen. Ich will eine Frage an Herrn Prof. Kolland stellen – und zwar, weil Sie den Aspekt des agilen Alters und den positiven Zugang dazu so hervorgehoben haben; das hat mir sehr gut gefallen. Dann kam von einem Kollegen die Frage der Altersdiskriminierung.
Jetzt wäre meine Frage: Ich stelle mir in der demografischen Verteilung vor, dass eine junge Bevölkerung womöglich ein fast bedrohliches Bild von der Alterskohorte der über 65-Jährigen vermittelt bekommt, und gleichzeitig kommt dann wieder nur die Frage, wie man Altersdiskriminierung vermeiden kann. Wir sind uns ja hoffentlich einig, dass niemand diskriminiert werden soll – aber es gibt ja in jeder Altersgruppe Rechte und Pflichten, würde ich einmal sagen.
Welche Rolle können und sollen ältere Personen einnehmen – weil Sie ja auch gesagt haben, das Beteiligen und das Teilhaben wären wichtig für dieses agile Altern –, damit auch dieser demografische Ausgleich gelingen kann?
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank.
Wenn Sie in der weißen Jacke noch eine ganz kurze Frage stellen möchten, geht sich das aus, aber sie muss wirklich kurz sein.
Sabine Maunz (Hilfswerk Österreich): Vielen Dank für die Einladung und für die wunderbaren Vorträge. – Das Hilfswerk Österreich ist der größte Anbieter von mobilen Diensten und Betreuung für zu Hause, und ich möchte gerne den Fokus genau auf diesen Aspekt legen.
Birgit Brunsteiner: Können Sie bitte einfach ganz kurz Ihre Frage formulieren?
Sabine Maunz: Ja. Ich möchte gerne eine ökonomische Berechnung anregen – vielleicht gibt es die aber bereits –, wie sich die mobilen Dienste im gesamten Gesundheitswesen auswirken, auch in Bezug auf die Prävention, wenn man daran denkt, dass die pflegenden Angehörigen damit entlastet werden. Trotzdem fließt aber eigentlich sehr viel Geld in die stationäre Langzeitpflege und weniger in die mobilen Dienste. Ich meine, wenn man von Pflege zu Hause - -
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank für Ihre Anregung. Wir müssen wirklich zum Schluss kommen, es tut mir sehr leid.
Wir haben noch zwei Fragen stehen.
Frau Riedel, Sie wurden direkt angesprochen: Netzwerke für Laienbildung und unterschiedliche Abrechnungssysteme. – Ich bitte noch um eine ganz kurze Antwort.
Monika Riedel: Die ganz kurze Antwort: Ich sehe es auch kritisch, dass in den Bundesländern unterschiedliche Standards gefahren werden. Es ist mir nicht ganz nachvollziehbar, warum das in Österreich anscheinend notwendig ist. Ich wäre auch sehr dafür, dass man das vereinheitlicht – unter anderem auch, weil dann sozusagen mehr Hirnpower hineingesteckt werden kann, da eine vernünftige Definition zu erarbeiten, anstatt neunmal unter Umständen halbgegorene Lösungen. Ich wäre da auch bei einer Vereinheitlichung dabei.
Laienbildung ist sicherlich eine der Varianten, die notwendig sein werden. Die goldene Lösung dafür habe ich jetzt auch leider nicht in petto, muss ich sagen, halt nicht auf die Geschwinde.
Den Aspekt, dass die mobile Pflege mehr Beachtung verdient, möchte ich unterstützen.
Birgit Brunsteiner: Vielen Dank.
Nun kommen wir noch zu Ihnen, Herr Prof. Kolland. – Ganz kurz.
Franz Kolland: Ja, zwei Antworten.
Antwort auf Sie: Entscheidend ist Freiwilligentätigkeit. Ältere Menschen sollten sich nicht aus der Freiwilligentätigkeit zurückziehen. Wir sehen das ja über die Seniorenorganisationen, aber das kann noch deutlich ausgebaut werden.
Das könnte auch im Zusammenhang mit Ihrer Frage ausgebaut werden, nämlich der Caring Community. Da braucht es aber eine gesetzliche Grundlage, es gibt momentan nur Projekte und noch keine Finanzierung. Das wäre auch ein Auftrag für eine nächste Bundesregierung. – Danke.
Birgit Brunsteiner: Herr Kolland, Herr Bachner, Frau Riedel, Frau Fuchs, vielen herzlichen Dank für Ihre Vorträge.
Vielen herzlichen Dank, dass Sie sich so intensiv an der Publikumsdiskussion beteiligt haben. – Danke auch für Ihre ausführlichen Antworten.
Jetzt kommen wir zum Schlusswort unseres Herrn Bundesratspräsidenten Franz Ebner.
Abschlussworte
Franz Ebner: Sehr geehrte Damen und Herren! Die Expertenbeiträge und auch die Diskussion haben verdeutlicht, welch große Herausforderung die demografische Entwicklung insbesondere für das Pflege- und Gesundheitssystem, aber natürlich auch für andere Bereiche darstellt. Man könnte es mit einem Buchtitel von Joachim Fuchsberger zusammenfassen: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“.
Doch zunächst möchte ich festhalten, wie das auch Prof. Kolland gemacht hat: Alt ist nicht gleichbedeutend mit Gebrechlichkeit und Hilfsbedürftigkeit, und die Mehrheit der Seniorinnen und Senioren von heute und morgen ist vital, aktiv und möchte sich vor allem auch ins gesellschaftliche Leben einbringen. Allerdings gibt es natürlich immer mehr Hochbetagte, und mit steigendem Alter wächst eben auch die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit.
Die Diskussion über die Zukunft der Pflege steht – das haben wir heute sehr, sehr deutlich gesehen – im Spannungsfeld zwischen Finanzierung, Qualität und Absicherung.
Wir als Gesellschaft und insbesondere wir in der Politik tragen da sehr, sehr große Verantwortung, nämlich dass alle Menschen im Krankheitsfall, bei Beeinträchtigungen oder im Pflegefall die bestmögliche Behandlung und Betreuung erhalten. Das ist eine Frage der Würde. Jede und jeder Einzelne hat das Recht, in Würde zu altern – und ich betone: bis zum letzten Tag.
Ja, die Herausforderungen sind vielfältig. Wir haben auch gehört: Ein Großteil der Pflege passiert in den Familien. Die Familie ist der größte Pflegeplatz, denn 80 Prozent der zu Pflegenden werden zu Hause entweder von pflegenden Angehörigen allein oder mit Unterstützung mobiler Hilfen betreut, und ohne sie würde das nicht funktionieren. Ich plädiere auch ganz stark dafür, die Angehörigenpflege weiterhin bestmöglich zu unterstützen. Die Einführung des Angehörigenbonus war sicher ein erster wichtiger Schritt, aber ich denke auch, da geht es nicht nur um Geldleistungen, sondern insbesondere um Entlastungen, um den Ausbau der Tagesbetreuung, um stundenweise Betreuung, dass also auch pflegende Angehörige ihre notwendigen Freizeiten bekommen. Eines ist nämlich klar: Die allermeisten Menschen – nämlich 90 Prozent – wünschen sich, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben und bleiben zu können.
Natürlich wird, wie auch angesprochen wurde, die Angehörigenpflege durch den demografischen Wandel und geänderte Familienstrukturen in Zukunft weniger zur Verfügung stehen.
Eine ganz entscheidende Rolle – und auch das wurde heute klar – spielt in der Pflege das Personal. Dazu darf ich den ehemaligen Landeshauptmann von Oberösterreich Josef Pühringer zitieren, der sagt: „Heime kann man bauen, Finanzierung kann man schaffen, medizinische Geräte“ kann man kaufen – „aber ohne genügend […] Menschen, die sich für den Pflegeberuf entscheiden, werden jede Pflegereform und jedes Pflegekonzept scheitern.“
Wir haben auch gehört, dass der Pflegeberuf natürlich noch attraktiver gemacht werden will, dass es darauf ankommt, die Menschen, die gegenwärtig in der Pflege arbeiten, im Pflegeberuf zu halten und neue Kräfte für den Pflegeberuf zu begeistern. Da sind in den letzten Jahren durch drei Reformpakte ganz, ganz wichtige Schritte in die richtige Richtung passiert, das ist aber noch nicht das Ende der Reform, das muss weiter betrieben werden, das zeigt die demografische Entwicklung, die wir heute vor Augen geführt bekommen haben.
Hinweisen darf ich auf mein Heimatbundesland Oberösterreich, wo eine spezielle „Fachkräftestrategie Pflege“ initiiert wurde, die bereits zu wirken beginnt und sehr erfolgreich ist.
Wir sind auch aufgefordert, durch Entbürokratisierung, durch den Einsatz neuer Technologien den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. Und natürlich muss den Menschen im Pflegeberuf die gebührende Wertschätzung zukommen, der Pflegeberuf muss vom Mangelberuf wieder zum Traumberuf werden.
Mit zunehmendem Alter wächst aber nicht nur der Bedarf an Pflege, sondern auch jener an medizinischer Versorgung. Gesundheit ist ein zentraler Faktor, um bis ins hohe Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, und jeder und jede von uns kann selber sehr, sehr viel beitragen, um länger gesund zu bleiben, nämlich durch Vorsorge und gesunden Lebensstil.
Da kommt der Prävention, und die ist mir ein persönliches Herzensanliegen, wirklich große Bedeutung zu. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf ein bekanntes Sprichwort: „Es kommt nicht so sehr darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird.“
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel: weg von der Reparaturmedizin hin zur Vorsorgemedizin. Vorsorge ist einfach besser als Heilen. Und da gibt es – auch das haben wir gehört – viel zu tun, nämlich vom Kindesalter weg. Ich habe mich vorhin kurz mit Herrn Bachner unterhalten. Er hat mir zugeflüstert, auch die Jugend betreffend: Sitzen ist das neue Rauchen. – Auch da stehen wir also vor Herausforderungen, die wir entsprechend bewältigen müssen.
Für einen positiven Lebensstil ist es nie zu spät. – Ich möchte Ihre Idee aufgreifen, Herr Prof. Kolland, die Gesundheitschecks, die Vorsorgeuntersuchungen entsprechend zu fördern. Dieses Screening ist wichtig, um frühzeitig Krankheiten zu erkennen und um regelmäßig von einem Arzt über die medizinischen Werte et cetera Feedback zu bekommen.
Ich denke, dafür kann man im Gesundheitssystem entsprechende Anreize schaffen. So wird das bei der Sozialversicherung der Selbständigen gefördert nach dem Prinzip: Wer mehr für seine eigene Gesundheit tut, soll dafür auch einen Bonus bekommen.
Wir müssen, und das haben wir gehört, wieder mehr Ärzte für die Allgemeinmedizin, insbesondere im niedergelassenen Bereich, gewinnen. Auch die Primärversorgungszentren sind eine sehr, sehr gute Einrichtung, um die Versorgung vor Ort entsprechend auszubauen.
Wichtig ist mir persönlich auch, im Sinne der Patientensteuerung noch effizienter zu werden, aber auch bei der Digitalisierung – wir haben gehört, da gibt es noch großes Potenzial, ebenso wie bei der Verknüpfung der Gesundheitsdaten, um entsprechende Auswertungen treffen zu können.
Zum Abschluss möchte ich auf die Rolle der älteren Menschen und das Zusammenleben der Generationen eingehen. Im öffentlichen Diskurs wird der ältere Mensch, die ältere Generation oft als Kostenfaktor und Gruppe, die auf Hilfe angewiesen ist, dargestellt. Keine Frage, Pflege-, Gesundheits- und Pensionskosten betreffen vorwiegend ältere Menschen, aber ebenso wichtig ist es, auf ihren wertvollen Beitrag zum Gelingen der Gesellschaft hinzuweisen und diesen zu schätzen.
Die älteren Menschen sind also nicht nur ein Kostenfaktor, sondern vor allem auch ein Gesellschaftsfaktor, weil sie durch ihren Beitrag zum Gelingen einer guten Gesellschaft beitragen. Durch ihr Engagement in Vereinen, in Freiwilligenorganisationen, bei der Kinderbetreuung oder eben auch in der Angehörigenpflege tragen sie entscheidend zu diesem sozialen Zusammenhalt bei.
Darüber hinaus ist die ältere Generation – es sind auch Ökonomen anwesend –auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, auch das darf nicht vergessen werden. Die ältere Generation ist für etwa ein Viertel des privaten Konsums verantwortlich.
An diesem Punkt komme ich zum Thema Balance zwischen den Generationen: Ja, natürlich, die Sorgen der jüngeren Generation müssen ernst genommen werden, etwa wenn junge Leute sich fragen, wie es in zehn, 20, 30, 40 Jahren um das Pflege- und Gesundheitssystem bestellt sein wird und ob ihnen die Pension zum Leben reichen wird. Aber die Bedürfnisse der heutigen Seniorinnen und Senioren und die Anliegen und Sorgen der jüngeren Generation dürfen nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen.
Ich bin einfach davon überzeugt, dass ein Miteinander der Generationen der Schlüssel für ein Altern in Würde ist. Nur das Verständnis der Generationen untereinander kann den Weg in eine sichere und gute Zukunft ebnen, wobei es hier darum geht – und das habe ich heute auch verspürt –, die positiven Energien zu bündeln, auch Zuversicht zu geben und auf positive Beispiele als Vorbilder hinzuweisen.
Sehr geehrte Damen und Herren, der demografische Wandel ist zweifelsohne eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Eine vorausschauende Planung – die haben wir heute auch wieder auf den Tisch gelegt bekommen – ist notwendig, um Herausforderungen wie eben den Fachkräftemangel, den steigenden Bedarf an Gesundheits- und Pflegeleistungen zu bewältigen und Antworten auf Fragen bezüglich Generationengerechtigkeit zu finden.
Gleichzeitig gibt es aber auch Chancen, wenn man erkennt, wo die Probleme sind, diese auch zu lösen, nämlich durch neue Entwicklungen, durch neue Technologien, und hier eben die positiven Kräfte, die es auch gibt, zu nützen, zusammenzusetzen und zu bündeln. Das ist mein großer Appell am heutigen Tag, denn nur dann gibt es entsprechende Lösungen.
Ich komme zum Schluss. Ich sage sehr, sehr herzlich Danke an die Expertinnen und Experten am heutigen Tag. Vielen Dank für Ihre wirklich spannende, sachlich fundierte, interessante Expertise, die, denke ich, für eine wirklich angeregte Diskussion und für viele Fragen gesorgt hat. Danke auch für einige neue Ideen, Inputs, die auch wir in der Politik, als politische Entscheidungsträger entsprechend aufgreifen können und bewerten können.
Danke auch an alle Fraktionen des Bundesrates, die heute alle hier vertreten waren.
Danke an die Zuschauer der Liveübertragung auf ORF III.
Ich denke, dass der Bundesrat als Zukunftskammer heute seinem Namen gerecht werden konnte und dass wir alle in Österreich von diesem Expertenforum profitieren können. – Vielen Dank für Ihr Interesse! (Beifall.)
Schluss der Veranstaltung: 11.58 Uhr