18. September 2025
Nationalratssaal
Programm
Eröffnungsworte
Peter Haubner – Zweiter Präsident des Nationalrates und Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Überreichung des Simon-Wiesenthal-Preises 2024
in den Kategorien:
Im Gespräch
Dirk Peter Adler – Zeitzeuge
Racheli Kreisberg – Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative
Katharina von Schnurbein – EU-Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens
Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
Hannah Lessing – Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Abschlussworte
Judith Pfeffer – Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
Empfang
Moderation
Lisa Gadenstätter – Journalistin, ORF
Musik
Stefan Eitzenberger – Tenorsaxophon
Katarina Kochetova – Klavier
Die Veranstaltung beginnt mit der musikalischen Darbietung des Stückes „My Shining Hour“ von Harold Arlen, dargebracht von Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova, und der anschließenden Einspielung eines Videos zu Simon Wiesenthal.
Sprecherin: Simon Wiesenthal war ein unermüdlicher Kämpfer gegen das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus. Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen 1945 machte er es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher und -Verbrecherinnen aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Dabei stand für ihn die Maxime „Recht, nicht Rache“ im Zentrum und wurde zum Buchtitel seiner Erinnerungen. Als Dokumentator und kritische Stimme fand er im Österreich der Nachkriegsjahre kaum Anerkennung, vielmehr war er zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. Erst spät wurde sein Lebenswerk in Österreich wie auch international geehrt. Demokratie muss mit allen Mitteln gegen Unrecht und gegen das Verdrängen der eigenen Geschichte kämpfen, so der Grundsatz von Simon Wiesenthal.
Lisa Gadenstätter (Moderation): Meine Damen und Herren, ich darf Sie ganz herzlich hier im Parlament begrüßen zur Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises 2024. Es ist wie immer eine ganz besondere Verleihung, die wir heute hier durchführen. Lassen Sie mich nur erwähnen, dass Simon Wiesenthal am 20. September 2005 gestorben ist, in zwei Tagen ist also der 20. Todestag.
Bevor wir mit dem Programm loslegen, darf ich einige anwesende Ehrengäste begrüßen:
Ich beginne mit dem Gastgeber, dem Zweiten Präsidenten des Nationalrates und Vorsitzenden des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Peter Haubner. (Beifall.)
Ganz herzlich begrüßen möchte ich den Staatssekretär im Bundeskanzleramt Alexander Pröll (Beifall), den Präsidenten des Nationalrates a. D. Wolfgang Sobotka (Beifall), den Präsidenten des Bundesrates a. D. Herwig Hösele (Beifall) sowie die zahlreich anwesenden Vertreterinnen und Vertreter des Diplomatischen Corps – Ihnen allen ein herzliches Willkommen. (Beifall.)
Dann ist es natürlich eine ganz besondere Freude, die anwesenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die heute im Rahmen dieser Veranstaltung geehrt werden, in unserer Mitte zu begrüßen, und ich darf auch stellvertretend alle anderen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sich im Publikum befinden, begrüßen. Meine Damen und Herren, ich darf dann um einen großen gesammelten Applaus bitten für: Heinrich Ehlers, Erich Finsches, Don Jaffé, Felix Lee, Ludwig Popper, Kitty Schrott, Adolf Silberstein und Stanislaw Zalewski. (Beifall.)
Einer kann leider nicht hier sein, das ist Josef Salomonovic. Er kann aus gesundheitlichen Gründen nicht hier sein. Wir wünschen ihm auf diesem Weg nur das Beste. An seiner Stelle wird Shoshana Duizend-Jensen die Ehrung in Empfang nehmen, die ich hier mit herzlich begrüße. (Beifall.)
Und wir haben noch einen ganz besonderen Gast unter uns, er ist ebenfalls Zeitzeuge und wird uns dann später noch im Gespräch seine Geschichte erzählen. Ich bitte um einen kräftigen Applaus für Dirk Peter Adler. (Beifall.)
Es freut uns natürlich sehr, dass auch heuer wieder ein Mitglied der Wiesenthal-Familie bei uns ist: Sie ist die Enkelin von Simon Wiesenthal und gleichzeitig Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative – herzlich willkommen, Racheli Kreisberg. (Beifall.)
Den Simon-Wiesenthal-Preis, meine Damen und Herren, gäbe es nicht, wenn sich diese beiden Damen nicht so tatkräftig dafür eingesetzt hätten und das auch weiterhin tun: Bitte begrüßen Sie die beiden Vorständinnen des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus Hannah Lessing und Judith Pfeffer. (Beifall.)
Und wenn wir schon von Menschen sprechen, die von großer Bedeutung für den Simon-Wiesenthal-Preis sind, dann gehören natürlich auch die Mitglieder der Jury dazu. Ich bitte um Applaus für die Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission Katharina von Schnurbein (Beifall), die Professorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien Brigitte Bailer (Beifall), den Vizepräsidenten des European Jewish Congress Ariel Muzicant (Beifall) sowie den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Oskar Deutsch. (Beifall.)
Zwei Mitglieder der Jury können leider nicht bei uns sein, das sind Monika Schwarz-Friesel und Barbara Stelzl-Marx. Sie sind nicht persönlich anwesend, aber via Livestream – ich darf Sie an dieser Stelle herzlich begrüßen. (Beifall.)
Dann freut es mich natürlich sehr, dass so viele Nominierte der Einladung hierher ins Parlament gefolgt sind – ein herzliches Willkommen an Sie alle. (Beifall.)
Herzlich begrüßen darf ich außerdem alle anwesenden aktiven und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates, die Mitglieder des Direktoriums der Parlamentsdirektion, die Mitglieder des Kuratoriums und des Komitees des Nationalfonds, die Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, von Gedenkinitiativen, Opferverbänden, Lagergemeinschaften und Erinnerungsinitiativen sowie alle Vertreterinnen und Vertreter der autochthonen Volksgruppen sowie aus den Bereichen Bildung, Kunst und Kultur. – Auch Ihnen allen ein herzliches Willkommen. (Beifall.)
Jetzt darf ich mich natürlich auch noch bei dieser wunderbaren musikalischen Untermalung bedanken. Vielen Dank an Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova. – Danke, dass ihr uns heute durch diese Veranstaltung begleitet. (Beifall.)
Jetzt habe ich einmal genug gesprochen. Ich würde sagen, für die Eröffnungsworte darf ich jetzt gleich den Gastgeber, den Zweiten Präsidenten des Nationalrates Peter Haubner, ans Rednerpult bitten. (Beifall.)
Eröffnungsworte
Peter Haubner (Zweiter Präsident des Nationalrates und Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Manchmal genügt ein einziger Mensch, um Erinnerung lebendig zu halten – ein einziger Mensch, der sich weigert, zu schweigen. Simon Wiesenthal war so ein Mensch: ein Überlebender, ein unbeirrbarer Wahrheitssucher und jemand, der sich sein ganzes Leben lang geweigert hat, das Unrecht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Herren Präsidenten! Sehr geehrte Damen und Herren! Geschätzte Festgäste! Es ist mir eine große Ehre und Freude, Sie heute zur Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises hier im österreichischen Parlament begrüßen zu dürfen. Vor 20 Jahren, am 20. September 2005 ist Simon Wiesenthal gestorben. Er hat der Welt zeit seines Lebens immer vor Augen geführt, dass Gerechtigkeit kein Akt der Rache, sondern ein Akt der Menschlichkeit ist. Wir gedenken heute aber nicht nur Simon Wiesenthal, sondern wir ehren all jene, die sein Vermächtnis in die Gegenwart tragen: die Nominierten, die mit ihren Initiativen ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus und für das Gedenken an die Opfer des Holocaust setzen, und die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die für ihr Lebenswerk und damit ihr jahrzehntelanges Engagement gegen das Vergessen ausgezeichnet werden.
Der Simon-Wiesenthal-Preis ist also mehr als eine Auszeichnung, er ist ein Bekenntnis. Er ist ein Bekenntnis dazu, dass Österreich vor dem Hintergrund der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte eine historische Verantwortung hat. Und er ist ein Bekenntnis dazu, dass wir stets wachsam bleiben. In einer Welt, in der antisemitische Stereotype wieder salonfähig werden, in der Verschwörungserzählungen neue Blüten treiben und in der das Unsagbare manchmal wieder gesagt wird, braucht es Menschen, die aufstehen, anstatt wegzusehen, Menschen, die ihre Stimme erheben, wo andere schweigen, Menschen, die die Vergangenheit nicht verdrängen, sondern Antisemitismus mit Mut und Überzeugung bekämpfen – Menschen wie Sie hier, die wir heute auszeichnen. Sie alle halten die Erinnerung an die Schoah lebendig, sei es durch Bildungsarbeit, durch das Vermitteln der Stimmen von Überlebenden oder durch neue Wege, Gedenkkultur für die nächsten Generationen zu gestalten. Sie sind Vorbilder dafür, dass Zivilcourage kein großes Wort bleiben muss, sondern im konkreten Tun sichtbar wird.
Für dieses unverzichtbare Engagement danke ich allen 230 Einreicherinnen und Einreichern und natürlich auch der Jury, der mein ganz besonderer Dank gilt. Die Entscheidungen waren auch in diesem Jahr nicht leicht und sind Ihnen nicht leicht gefallen, aber danke für Ihre Arbeit und für Ihr Engagement, denn Ihre sorgfältige Arbeit verleiht dem Preis Autorität und Glaubwürdigkeit. Mein Dank gilt aber auch Lisa Gadenstätter, die uns heute durch diesen Abend führt, und auch den beiden Vorständinnen des Nationalfonds Hannah Lessing und Judith Pfeffer für ihre umsichtige Arbeit und für die Vorbereitungen.
Meine Damen und Herren, Antisemitismus hat keinen Platz – nicht heute, nicht morgen, nicht in Österreich, nicht in Europa, nirgendwo. Simon Wiesenthal warnte uns – und ich zitiere ihn wörtlich –: „Obwohl ich immer hoffe, dass wir aus der Geschichte lernen, habe ich zugleich die Angst, dass wir nichts dazulernen könnten und dieselben Fehler unter neuen Bedingungen wiederholen.“ – Zitatende.
Diese Warnung ist aktueller denn je. Die Antisemitismusstudie des österreichischen Parlaments und der Bericht der Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde zeigen: Antisemitismus ist bittere Realität in unserer Gegenwart, in unserem Land. Antisemitismus ist nicht überwunden, er tritt in alten und in neuen Formen auf, offen und subtil, im digitalen Raum, auf unseren Straßen, in der Mitte der Gesellschaft ebenso wie an den Rändern. Ich werde daher auch nicht müde werden, zu betonen: Antisemitismus ist nicht nur ein Angriff auf Jüdinnen und Juden, sondern ein Angriff auf unsere gesamte Gesellschaft, ein Angriff auf unsere Demokratie. (Beifall.)
Gerade in Zeiten wie jetzt, wo politische und gesellschaftliche Spannungen sich weltweit verschärfen, ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen. Und genau das tun Sie – das tun Sie, die Preisträgerinnen und Preisträger, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Sie alle, die heute hier zusammengekommen sind. Sie alle stehen für gelebte Verantwortung, für Wahrheit, für Gerechtigkeit und für Erinnerung, für all die Werte, die unser demokratisches Zusammenleben ausmachen – und das ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich. Deshalb sage ich Ihnen von hier aus allen ein aufrichtiges Dankeschön für Ihr Engagement, Ihre Courage und Ihre Haltung. – Danke. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Herr Präsident, für die Worte.
Überreichung des Simon-Wiesenthal-Preises 2024
Wir wollen jetzt mit der Preisverleihung beginnen, meine Damen und Herren. Es wurden für diesen Simon-Wiesenthal-Preis – der Herr Präsident hat es schon gesagt – 230 Projekte aus 32 Ländern eingereicht. Die hochkarätige Jury hatte wirklich eine große Aufgabe, aus diesen zahlreichen tollen Projekten Nominierte zu wählen.
In der ersten Kategorie werden Menschen geehrt, die sich der Aufklärung über den Holocaust widmen. Schauen wir uns die Nominierten und ihre Projekte gemeinsam an.
Es folgt die Einspielung des Videos „Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für die Aufklärung über den Holocaust“.
Sprecherin: Das Ghetto Fighters' House zeichnet sich durch seine herausragende Rolle in der Holocaustbildung und der Förderung humanistischer Werte aus. Mit einem einzigartigen Archiv und innovativen Bildungsprogrammen schafft es eine Plattform für interkulturellen Dialog und gesellschaftliches Engagement. Durch die Kombination von historischen Erzählungen, Kunst und Erinnerungsarbeit sensibilisiert das Museum für die Gefahren von Antisemitismus und Rassismus und trägt so zur Schaffung einer gerechten Gesellschaft bei und setzt sich besonders für die Zusammenarbeit von Jüdinnen und Juden und Araberinnen und Arabern in Israel ein.
Der Verein Refugius ist seit vielen Jahren ein unverzichtbarer Akteur im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus in Österreich. Durch seine engagierte Aufklärungsarbeit und nachhaltigen Erinnerungsprojekte leistet der Verein einen bedeutenden Beitrag zur gesellschaftlichen Sensibilisierung für die Verbrechen der NS-Zeit. Das Mahnmal Kreuzstadl dient nicht nur als Gedenkstätte, sondern auch als lebendiger Ort des Dialogs, an dem die Verbrechen des Nationalsozialismus aktiv reflektiert werden. Die Initiativen des Vereins fördern eine Kultur des Nachdenkens und des Austauschs, die über regionale Grenzen hinweg und in die breite Bevölkerung hinein Wirkung zeigt.
Das Zentrum für Erinnerungskultur Duisburg – kurz ZFE Duisburg – spielt eine wesentliche Rolle in der Aufklärung über die Verfolgung von Jüdinnen und Juden während der Zeit des Nationalsozialismus und der Prävention von Antisemitismus. Mit innovativen Programmen und vielfältigen Bildungsansätzen erreicht es eine breite Zielgruppe. Durch die Verbindung von Erinnerungsarbeit, kreativen Ausdrucksformen und sozialem Engagement fördert das ZFE Duisburg einen wichtigen Dialog auch außerhalb des Schulbetriebes und stärkt das Wissen für die Gefahren von Antisemitismus und Rassismus für kommende Generationen.
Lisa Gadenstätter: Drei tolle Projekte.
Für die Verleihung darf ich jetzt zu uns bitten: Präsident Haubner und Brigitte Bailer, Dozentin für Zeitgeschichte an der Universität Wien. – Bitte schön, Frau Bailer.
Brigitte Bailer (Dozentin für Zeitgeschichte an der Universität Wien und Mitglied der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Ehrengäste! Sehr geehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen! Namens der Jury ist es mir eine Freude und Ehre, für den Preis für zivilgesellschaftliches Engagement für die Aufklärung über den Holocaust den Verein Refugius Ihnen heute vorstellen zu dürfen.
Der Verein Refugius ist seit vielen Jahren, eigentlich seit seiner Gründung 1992, ein ganz wichtiger auch regionaler Akteur im österreichischen Burgenland, der dort ganz wesentliche Aufklärungs- und Forschungsarbeit leistet, und zwar auch gegen politischen Widerstand, gegenüber gesellschaftlichem Widerstand, gegenüber einer Gesellschaft, die die Verbrechen, die am Kreuzstadl in Rechnitz passiert sind, noch immer nicht thematisieren will. Das ist auch der Grund, warum der Verein bis heute die Toten des Massakers vom Kreuzstadl sucht, weil offensichtlich niemand bereit ist, zu sagen, wo sie begraben sind; ich denke, das ist eigentlich unvorstellbar: 80 Jahre.
Umso wichtiger und umso verdienstvoller ist die Arbeit dieses Vereins, der ganz wichtige Erinnerungsprojekte leitet, der den Kreuzstadl zu einem – wir haben es im Beitrag gesehen – ganz wesentlichen Mahnmal und einer Gedenkstätte macht; der über Publikationen Aufklärungsarbeit leistet; der ganz wichtige Symposien organisiert und damit alles dazu tut, um die Verbrechen des Holocaust, die hier genau vor Ort in Rechnitz passiert sind, aus dem Vergessen hervorzuholen, die Lebensgeschichten der Opfer hervorzuholen, ihnen damit das würdige Andenken und Gedenken zu geben, das ihnen bislang verweigert wurde. Daher und gerade auch, weil der Verein oft wirklich angefeindet wurde, denke ich, ist das ein ganz würdiger Träger des Simon-Wiesenthal-Preises, auch im Gedenken an den großen Simon Wiesenthal. Ich möchte Ihnen auch an dieser Stelle persönlich sehr herzlich gratulieren und meine Anerkennung aussprechen. – Danke schön. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herzliche Gratulation an den Verein Refugius! Ich darf Paul Gulda zu uns bitten, um sich seinen Preis abzuholen. Bitte kommen Sie nach vor! Herr Präsident, darf ich Sie nach vorne bitten, dass wir auch ein schönes Foto machen können? – Herzliche Gratulation. (Beifall.)
Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
Meine Damen und Herren, unser erster Preisträger! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)
Herr Gulda, ich darf Sie um eine kurze Dankesrede bitten. Ich gratuliere Ihnen. – Bitte schön.
Paul Gulda (Refugius): Das ist ein sehr bewegender Moment. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken – selbstverständlich nicht nur in meinem eigenen Namen, sondern im Namen aller Vereinsmitglieder, einige von uns sind hier. Das ist ein ganz großer Moment für uns alle.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident Haubner! Mitglieder des Hohen Hauses! Geschätzte Mitglieder der Jury! Und ganz besonders: Sehr geehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen! Wir, die Mitglieder des Vereins Refugius sind uns der Bedeutung des Simon-Wiesenthal-Preises sehr wohl bewusst. Er bedeutet eine hohe Ehre sowie Anerkennung für eine und für unsere Art des Denkens und Handelns. Verliehen wird er von einem beeindruckenden Gremium von Expert:innen, überreicht wird er hier im Hohen Haus, dem zentralen Ort der demokratischen Republik Österreich. Damit kommt auch klar zum Ausdruck, dass dieser Preis Verpflichtung und Verantwortung mit sich bringt: für die Geehrten und zugleich implizit für unsere Republik.
Bitte erlauben Sie uns einige Worte des Dankes und der Reflexion: Den Verein Refugius gibt es seit über 30 Jahren und wir glauben, durch unsere beständige Tätigkeit im Bundesland Burgenland einen Wandel mit initiiert und begleitet zu haben – einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein zur nationalsozialistischen Zeit, ihrer Vorgeschichte und zu ihren Folgen und somit auch einen Wandel in der Gedenkkultur. Das Massaker beim Kreuzstadl in Rechnitz am 24. März 1945 ist durch Film, Bücher und Theaterstücke einer weiten Öffentlichkeit bewusst geworden. Weniger bekannt ist die 300-jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde von Rechnitz, an sie erinnert heute noch der Friedhof und der von Refugius verantwortete Gedenkweg. Der Gedenkort Kreuzstadl ist in seiner Art einzig, er bietet unter freiem Himmel ganzjährig und frei zugänglich Aufklärung über den Südostwallbau 1944/1945 und dessen Opfer – vornehmlich Juden und Jüdinnen aus Ungarn.
Unsere jährlichen Gedenkfeiern werden von vielen Menschen besucht. Jedes Jahr finden sich Intellektuelle, Künstler und politische Amtsträger zur Mitwirkung bereit und setzen wichtige Zeichen und Denkanstöße. Unter den Besuchern sind immer Gruppen aus dem benachbarten Ungarn, es ist gleichsam eine Brücke der Erinnerung entstanden.
Es ist uns sehr bewusst, dass eines unserer Ziele noch immer nicht erreicht ist, nämlich die Auffindung des Massengrabes der 180 im März 1945 Ermordeten. Wir verstehen die Auszeichnung als Ansporn, unsere Anstrengungen fortzusetzen.
An dieser Stelle ist es geboten, für die Unterstützung zu danken, die wir für unsere Vorhaben vonseiten der Europäischen Union, von der Republik Österreich, vom Bundesland Burgenland, von der Gemeinde Rechnitz und auch vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und noch von anderen Stellen und Privatpersonen erhalten haben – ohne all diese hätten wir diese Aufgaben nie und nimmer erfüllen können.
Wir haben diese unsere Initiative um die Jahre 1989/90 herum begründet, als junge Menschen noch, um die 30, im Gefühl des damals einsetzenden gesellschaftlichen Wandels und der Wahrnehmung einer Leerstelle. Von den Gräueln der NS-Jahre wurde nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen und alte Kameraden um Ex-Gauleiter Tobias Portschy huldigten ungestört weiter ihrer NS-Gesinnung. Es war eine Frage des Rechtes und der Gerechtigkeit den vertriebenen und ermordeten jüdischen Menschen gegenüber, die uns angetrieben hat. Das lässt eine Verbindung zu Simon Wiesenthal und seiner Lebensarbeit erkennen. Eben das Verschweigen war das Unrecht und mit unserem Benennen verhalfen wir dem Recht zur Geltung – und sei es nur dem Menschenrecht auf ein ehrendes Gedenken und hoffentlich auch noch auf eine würdige Grabstätte und dem Recht auf historische Wahrheit.
In den ersten vier Jahren nach Kriegsende wurden die unsagbaren Verbrechen gegen jüdische Menschen durch Behörden und Gerichte verfolgt, so auch die Taten vom März 1945 in Rechnitz. Danach aber dominierte lange eine Haltung, die unangemessene Milde walten ließ: Viele Verbrechen blieben ungesühnt, Massenmörder und Schreibtischtäter kamen straflos davon oder wurden nach Bruchteilen der Haftstrafe entlassen – das traf zum Beispiel auf Tobias Portschy zu. Gegen dieses Unrecht kämpfte Simon Wiesenthal mit aller Kraft und dafür gebühren ihm Dank und Ehre. Fragen der Restitution damals geraubten Eigentums werden sogar bis heute gestellt und immer wieder einer Lösung zugeführt, der Nationalfonds steht hier als wesentlicher Akteur mit im Zentrum.
All diese Fakten beeinflussen das Verhältnis zwischen Österreich und dem Staat Israel bis zum heutigen Tag. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen haben sich Kontakte und Bindungen auf allen Gebieten vervielfacht und verfestigt. Von den großartigen Pionierleistungen Israels auf vielen Gebieten – genannt seien hier nur Medizin und Wissenschaft – profitiert Österreich, von diesem Zusammenwirken profitieren beide Länder. Und die noch lebenden Zeugen dieser Zeit, von denen wir heute einige freudig bei uns begrüßen, haben diese Entwicklung wesentlich mitgetragen.
Das ist ein Grund für Hoffnung gerade in diesen Zeiten von neuem Krieg und neuer Gefahr. Das bedeutet nämlich, dass auch nach den schlimmsten Katastrophen und Gräueln spätere Generationen den Hass besiegen, neue Verhältnisse und eine neue, bessere Welt schaffen können. Es ist dieser Glaube, der alle hier Versammelten eint und ermutigen soll, so wie auch Simon Wiesenthal diesen Glauben lebte. Seine Nachkommen setzen sein Werk fort.
Der heutige Staat Israel ist aus schrecklichen Erfahrungen erstanden, er ist mutig hindurchgegangen, ist stark geworden und hat nicht vergessen, kann und darf nicht vergessen. Die fanatische islamistische Hamas hat am 7. Oktober 2023 unsägliche Gewalt gegen Juden, gegen Israelis, aber auch gegen Nichtjuden und Angehörige anderer Staaten und Religionen ausgeübt. Wir müssen der Tatsache ins Auge blicken, dass mörderischer Hass auf Juden in zu vielen, wenn auch nicht allen Kreisen und Strömungen der islamischen Welt weiter existiert. Die Reaktionen Israels seither sind auch das Resultat der oben beschriebenen Geschichte von Grausamkeit und Unrecht. Tausende menschliche Tragödien haben sich in den vergangenen zwei Jahren auf beiden Seiten fortgesetzt ereignet.
Tragisch im antiken Sinn mutet das Geschehen an, wo dunkle und zum Teil auch im Verborgenen agierende Akteure und archaische Gefühle zusammen die Spirale tödlicher Gewalt immer weiter befördern. Der Krieg in und um Gaza geht nun bald in sein drittes Jahr und seine Dynamik und die internationalen Verflechtungen haben Auswirkungen auf die ganze Welt und in besonderer Weise auf Europa – Deutschland und Österreich noch einmal speziell – und selbstverständlich auf jüdische Menschen weltweit, fern vom Schauplatz. Auch unsere österreichischen Medien berichten und kommentieren nahezu täglich, aktive Politiker und Altpolitiker beziehen Stellung und die Debatte reicht tief in die Zivilgesellschaft und in die sozialen Medien.
Der Verein Refugius ist in den Anfängen aus dem Antifaschistischen Personenkomitee Burgenland hervorgegangen. Antifaschismus war und ist eine traditionell vornehmlich von der Linken bezogene Position, auch wenn es dabei zu historischen Irrtümern kommen konnte. Eine genauere Untersuchung dieser Begriffe würde hier und jetzt den Rahmen sprengen. Die Warnung vor und der Kampf gegen Faschismus waren eine Fahne, unter der sich linke Politik definierte und weiter definiert, die aber auch manche Verstrickung in latent oder sogar explizit antisemitische Positionen verdeckte. Auch in der aktuellen Lage kommt es zu unzulässigen Vermischungen von antikolonialen, antikapitalistischen Impulsen mit Antijudaismus. Von diesen Tendenzen grenzt sich Refugius in aller Entschiedenheit ab. Hier muss sich eine Linke, die internationale oder supranationale Solidarität ernst nimmt, unzweideutig abwenden.
Solidarität mit Israel wird jetzt – anders als früher, ich erinnere mich an die Jahre meiner Jugend – in einem gänzlich geänderten weltpolitischen Klima – mit einem erratischen US-Präsidenten Trump und mit der aktuellen Regierungskoalition unter Benjamin Netanjahu – als eine Domäne der Rechten und der rechten Mitte verstanden. Die Kritik an eben dieser Regierung und an der Kriegsführung wird von manchen im besten Fall als idealistische Träumerei und im schlimmeren Fall als linker Antisemitismus gebrandmarkt. Es ist dringend zu erwähnen, dass sich linke Theorie seit den Anfängen vielfach auch auf jüdische Denker und Philosophen stützt und dass mittlerweile ungezählte israelische Intellektuelle und Künstler – und nicht nur linksstehende –, aber auch Massen der Bevölkerung den Krieg beendet sehen wollen und eindringlich zu Mäßigung und Frieden aufrufen.
Wir, die wir uns seit drei Jahrzehnten für Gedenken und Verständigung einsetzen, möchten unsere Worte, unsere Gedankensplitter mit einem Appell im Wissen um die Begrenztheit der Möglichkeiten schließen:
Wir ersuchen die Mitglieder des Hohen Hauses und der Bundesregierung, über jegliche ideologische und parteipolitische Grenzen hinweg alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Recht und Gerechtigkeit im Nahen Osten zu fördern. Das dringende Nahziel sind die Befreiung der nun seit fast zwei Jahren verschleppten Geiseln und das Ende von Tod und Zerstörung. Das müsste primär die längst fällige Kapitulation der Hamas und die sofortige Freilassung der Geiseln sein oder aber ein Waffenstillstand, gekoppelt mit zügigen Verhandlungen. Das möge auf den geeigneten diplomatischen Wegen über Außenamt und Botschafter geschehen; das möge die Stärkung der gemäßigten Kräfte in Israel, in der arabischen Welt und in den palästinensischen Gebieten sein, wie etwa die Initiative Standing Together; das möge eine entschiedene Haltung gegen Fanatismus und politische Hetze auf österreichischem Boden sein; das mögen gute Dienste als Vermittler und kulturelle Boten sein, wie es den neutralen Staat Österreich auszeichnet. So verstehen wir den Auftrag Simon Wiesenthals, der Recht und Gerechtigkeit wollte, auf dass künftige Generationen im Nahen Osten sowie auch hier bei uns in Frieden und ohne Rache leben können. Es ist möglich.
Wir danken für die Auszeichnung und verstehen sie als Ansporn, nicht zu ermüden. – Danke. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herr Gulda, herzlichen Dank.
In der zweiten Kategorie, meine Damen und Herren, werden Menschen ausgezeichnet, die sich dem Engagement gegen Antisemitismus verschrieben haben – auch in dieser Kategorie hat es zahlreiche Einreichungen gegeben. Die Nominierten und ihre Projekte wollen wir uns jetzt wieder gemeinsam in einem kurzen Video anschauen.
Es folgt die Einspielung des Videos „Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus“.
Sprecherin: Seit vielen Jahren engagiert sich der Community Security Trust, kurz CST, unermüdlich im Kampf gegen Antisemitismus, insbesondere angesichts der besorgniserregenden Zunahme antisemitischer Vorfälle, die im ersten Halbjahr 2024 fast 2 000 erreichten und durch den Konflikt im Nahen Osten verstärkt wurden. CST bietet für die jüdische Gemeinschaft in Großbritannien Sicherheitsdienste, Bildungsinitiativen und Forschungsarbeiten, die entscheidend zur Sensibilisierung und zum Schutz vor Antisemitismus beitragen.
Dr. Omar Mohammed engagiert sich aktiv im Kampf gegen Antisemitismus, indem er zeitgenössische antisemitische Tendenzen erforscht und die vergessene jüdische Geschichte des Irak wieder in den öffentlichen Fokus rückt. Sein unermüdlicher Einsatz für Bildung, seine umfassende Forschungsarbeit zur Holocaustaufklärung sowie seine Beteiligung an internationalen Initiativen machen ihn zu einer herausragenden Persönlichkeit im weltweiten Kampf gegen Antisemitismus.
Prof. Dina Porat ist eine herausragende Expertin im Kampf gegen Antisemitismus und trägt seit vielen Jahren entscheidend zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit in diesem Bereich bei. Sie verbindet ihre akademischen Verpflichtungen mit einem unermüdlichen persönlichen Engagement. Ihr aktives Eintreten für die Zivilgesellschaft, die kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus sowie für die Aufklärung über den Holocaust und dessen Folgen sind beispielhaft. Mit ihrer umfassenden Forschung und praktischen Initiativen fördert sie zivilgesellschaftliches Engagement und die Aufklärung über die Schoah.
Lisa Gadenstätter: Für die Verleihung darf ich jetzt Präsidenten Haubner und Ariel Muzicant, den Vizepräsidenten des European Jewish Congress, zu mir bitten. – Bitte schön.
Ariel Muzicant (Vizepräsident des European Jewish Congress und Mitglied der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Katharina, lieber Wolfgang Sobotka! – Ich sehe dich jetzt nicht, aber ich glaube, du bist hier im Raum. – Ja. Ich möchte eigentlich damit beginnen, dass ich mich bei Ihnen, stellvertretend für den Nationalrat und den Nationalfonds, bei dir, Katharina, stellvertretend für die Jury, und bei dir, Wolfgang, stellvertretend für jene, die diesen Preis erfunden haben, wirklich von ganzem Herzen bedanke. Das war wirklich eine ganz großartige Idee. Ich danke dem Nationalfonds für die großartige Vorbereitung, die es uns als Jury ermöglicht, jedes Jahr relativ schnell und relativ, glaube ich, professionell die Preisträger zu ermitteln. Danke vielmals.
Meine Damen und Herren, Engagement gegen Antisemitismus: Ich hatte das Privileg, fast 30 Jahre mit Simon Wiesenthal zusammenzuarbeiten, mit ihm zu streiten, mit ihm zu diskutieren. Und wir waren sehr oft nicht einer Meinung, aber das, was ich von Simon Wiesenthal gelernt habe, war: Wir wollen keine Opfer mehr sein; wir wollen nicht mehr bemitleidet werden; wir wollen nicht an Gedenkveranstaltungen teilnehmen, wo es um tote Juden geht; wir wollen nicht nur Mahnmale und Gedenkstätten errichten, wie wichtig sie auch sein mögen; wir wollen verhindern, dass es weiter jüdische Opfer gibt.
Diese Grundidee nach 1945 hat dazu geführt, dass die Juden begonnen haben, sich selber zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass die, die uns Übles wollen, damit rechnen müssen, dass wir uns wehren. Und das geschieht bis heute angesichts des furchtbaren Krieges im Staate Israel beziehungsweise in Gaza. Wir wollen keine Opfer mehr sein. Wir wollen nicht mehr zulassen, dass sich das, was am 7. Oktober geschehen ist, wiederholt. Und wir wollen nicht mehr bemitleidet werden.
Warum sage ich das? – CST, der Community Security Trust – den ich hier vorstelle und die Freude und die Ehre habe, ihm später den Preis zu überreichen –, war die erste Organisation in Europa, die begonnen hat, junge Juden dazu zu bringen, Selbstverteidigung zu erlernen, sich gegebenenfalls zu bewaffnen und die jüdischen Institutionen zu schützen. Sie waren für uns, die Nachfolgegeneration, die dann herangewachsen ist, das Role-Model, das Vorbild, wie es umgesetzt werden kann, dass wir selber dafür sorgen, dass jüdische Menschen, jüdische Institutionen, jüdische Bethäuser, jüdische Schulen geschützt werden und nicht mehr Freiwild für Terror, Mord und Totschlag sind.
Ich habe mich vorgedrängt, diesen Preis zu übergeben, weil ich seit 40, 45 Jahren, dem Beispiel von CST folgend, Sicherheitsorganisationen in Österreich und später in ganz Europa aufgebaut habe und dafür gesorgt habe, dass jede jüdische Gemeinde in Europa heute eine funktionierende Sicherheit hat. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei CST bedanken, die so etwas wie der Rolls-Royce der jüdischen Sicherheit geworden sind. Sie sind heute das Modell für jüdischen Selbstschutz, für Engagement in der Gemeinde, für einen Weg, die jüdischen Menschen zu selbstbewussten Juden zu erziehen.
It is a real pleasure, therefore to hand this Simon-Wiesenthal-Prize over to CST. I really congratulate you from all my heart. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Herr Präsident. May I ask Jonny Newton: Please, accept your prize! – All the best. (Beifall.)
Vielleicht können Sie Herrn Newton vorne in die Mitte nehmen, damit wir auch ein schönes Foto bekommen.
Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
Congratulations to Community Security Trust, Jonny Newton. (Beifall.)
Mr. Newton, may I ask you for some short words? Thank you very much.
Jonny Newton (Community Security Trust): Mr. Muzicant, thank you very much – vielen Dank! Meine Damen und Herren, thank you – thank you so much. Entschuldigung now for moving into English, being a typical lazy Englander and expecting everybody else to understand my language. But really: Thank you so much for awarding the organization that I represent, Community Security Trust or CST, here tonight with this prize, and especially, of course, to the Simon Wiesenthal Prize Jury, the Austrian Parliament and the Austrian National Fund for the Victims of National Socialism.
Many, many years ago, I read a biography of the late, great and revered Simon Wiesenthal; the name of that biography was „Nazi Hunter“. In many respects, I feel that this is a tradition that is continued today by organizations like CST and many others around Europe and the world. Just one key element of what we at CST do is understanding how the scourge of antisemitism morphs and adapts. We identify and expose antisemites; we try to ensure that there is a price to be paid for being antisemitic – whatever the ideological driver is behind that specific antisemitism and however great the challenges are in doing so, especially, of course, in the current context of surging antisemitic incidents, extremism, terrorism, and the mainstreaming of antisemitic discourse across the world. So, in some small way, I feel that this is a testament to the legacy of the great Wiesenthal himself.
For CST, to be nominated and awarded this prize is both welcoming and humbling, especially when I read about the incredible work of the fellow nominees in this category.
Omar Mohammed, who I just met a few minutes ago – we had a great conversation, and I’m keen to understand your work further.
And of course Dina Porat, who is – I mean, you saw from the Video: decades and decades of work – a long-standing friend and ally of CST.
Both of them clearly work so tirelessly and contribute so much in this field. So, please, can we also take a minute to recognize them and their nominations, too, please? (Beifall.)
CST’s work and mission are driven by the principles that are encapsulated in our name – very simply –: community, security and trust. As the organization responsible for the security of the UK Jewish community, we work tirelessly for our community. The community provides us with our funding, with our trustees, with our staff, with our incredible and committed volunteers and our legitimacy. Without community, frankly, we are nothing.
Security is key to ensuring that, to the best of our ability, we can continue to thrive as a Jewish community. We don’t simply seek just to protect Jewish life with physical and protective security; we also want to protect the Jewish way of life, ensuring that our community has got a secure backbone so that it can then confidently express their Judaism in any way that they wish to do so.
We’re trusted: We’re trusted with this important mission to protect our community from antisemitism, from its physical, political and mental impacts. And we are recognized as a trusted and trustworthy stakeholder by many, including our many political and security partners.
So, on behalf of all of CST and the UK Jewish community, we are really honoured and humbled to accept this prize and accolade.
Finally, in advance of the Jewish New Year, Rosh Hashanah, next year, I’d also like to take this opportunity to wish everybody here a happy, a healthy and – importantly – a peaceful Happy New Year. – Shana tova! Thank you very much! Vielen Dank. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Jonny Newton, meine Damen und Herren – congratulations, thank you very much.
Damit kommen wir, meine Damen und Herren, jetzt zur Verleihung des Hauptpreises für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust. In dieser Kategorie gibt es vier Nominierungen, die wir uns jetzt wieder gemeinsam anschauen wollen.
Es folgt die Einspielung des Videos „Hauptpreis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust“.
Sprecherin: Um Antisemitismus zu bekämpfen, braucht es engagierte Stimmen aus der Mitte der Bevölkerung. Der Verein Christen an der Seite Israels Österreich engagiert sich unermüdlich im Kampf gegen Antisemitismus und fördert das Verständnis zwischen Christen und Juden. Die Aufklärungsarbeit des Vereins ist heute wichtiger denn je. Mit Bildungsprojekten, Seminaren und öffentlichen Veranstaltungen leistet er einen bedeutenden Beitrag zur gesellschaftlichen Sensibilisierung und Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft.
Die Gamaraal Foundation hat sich seit ihrer Gründung unermüdlich für die Unterstützung von Holocaustüberlebenden eingesetzt und spielt eine entscheidende Rolle in der Holocaust Education. In Zeiten von zunehmendem Antisemitismus hat die Stiftung ihre Anstrengungen verstärkt, um das Wissen über die Verbrechen der Vergangenheit zu schärfen und die Erinnerungen der Überlebenden zu bewahren. Durch ihre Bildungsprojekte und Öffentlichkeitsarbeit fördert sie eine inklusive Gesellschaft und ermutigt die jüngeren Generationen, sich aktiv gegen Vorurteile und Diskriminierung einzusetzen.
Karoline Preisler hat in den letzten Jahren aktiv an öffentlichen Debatten teilgenommen, um das Bewusstsein für die zunehmende Bedrohung durch Antisemitismus zu schärfen. Ihre öffentliche Präsenz bei Demonstrationen und ihre leidenschaftlichen Argumente haben dazu beigetragen, eine breitere Diskussion über die Herausforderungen zu fördern, mit denen die jüdische Gemeinschaft konfrontiert ist. Sie spricht sich dafür aus, dass Politik und Gesellschaft zusammenarbeiten müssen, um antisemitischen Äußerungen und Taten entschieden entgegenzutreten.
Sabe ist eine wegweisende Initiative, die Antisemitismus am Arbeitsplatz umfassend erforscht und anspricht. In Zeiten von steigendem Antisemitismus ist es entscheidend, sensibilisierte Räume in Unternehmen zu schaffen. Sabe kombiniert historische und gegenwärtige Perspektiven, entwickelt evidenzbasierte Lösungen und bildet die nächste Generation von Führungskräften. Mit interdisziplinären Ansätzen und öffentlichem Engagement trägt Sabe aktiv zur Bekämpfung von Antisemitismus in der Gesellschaft bei.
Lisa Gadenstätter: Das waren unsere vier Nominierten. Für die Verleihung darf ich wieder zu mir bitten: Präsident Peter Haubner und Katharina von Schnurbein, EU-Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens. – Vielen Dank. (Beifall.)
Katharina von Schnurbein (EU-Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens und Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hochverehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen! Es ist mir eine große Ehre, als Vorsitzende der Simon-Wiesenthal-Preis-Jury heute hier den Hauptpreis vergeben zu dürfen. Wie schon in der Vergangenheit war sich die Jury sehr einig, was die Nominierung und die Preisträger anbelangt. Der Hauptpreis des Simon-Wiesenthal-Preises 2024 geht an die Gamaraal-Stiftung der Schweiz. (Beifall.)
Meine Damen und Herren! Weltweit leben nur noch einige Zehntausend Überlebende der Schoah. Das Leid, das sie durchlitten haben, ist nicht vorstellbar. Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber die Gegenwart schon, und genau das tut die Gamaraal Foundation, indem sie die letzten Überlebenden auch finanziell unterstützt und ihnen einen würdigen Lebensabend ermöglicht.
Außerdem leistet Gamaraal, wie wir das auch schon im Film gesehen haben, einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Erinnerungskultur. Die wunderbaren Porträts der Überlebenden, die in der Ausstellung The Last Swiss Holocaust Survivors um die Welt gingen, stellen die Überlebenden in den Mittelpunkt. Sie sind ein weltweiter Erfolg geworden und wurden in 50 Städten von Shanghai bis New York ausgestellt. Inzwischen ist die Ausstellung in 26 Sprachen übersetzt. Begleitet wurde die Ausstellung von Überlebenden, die ihre Zeugnisse ablegten, Schulklassen wurden mit speziell entwickelten Leitfäden durch die Ausstellungen geführt. Um zukünftige Generationen zu erreichen, setzt sich die Gamaraal Foundation jetzt auch verstärkt auf sozialen Medien, insbesondere TikTok, ein und erreicht damit Millionen – genau so soll es sein.
Dieser Einsatz eurer Foundation, liebe Anita Winter, ist in jeder Hinsicht ein Kotau vor den Überlebenden. Wir verneigen uns mit euch vor ihnen und setzen uns damit auch für jüdisches Leben heute ein.
Ich darf dich bitten, deinen Preis entgegenzunehmen. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Anita Winter von der Gamaraal Foundation – herzlichen Glückwunsch.
Frau Winter, wollen Sie vielleicht in die Mitte gehen für ein schönes Foto? Hier gibt es auch noch eine Urkunde vom Herrn Präsidenten.
Es erfolgt die Übergabe der Auszeichnung.
Herzliche Gratulation noch einmal an Anita Winter – meine Damen und Herren, der Hauptpreis heute. (Beifall.)
Frau Winter, ich darf Sie um ein paar kurze Dankesworte bitten.
Anita Winter (Gamaraal Foundation): Sehr geehrter Herr Präsident Haubner! Exzellenzen! Geschätzter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Frau Katharina von Schnurbein! Werte Abgeordnete! Hochverehrte Holocaustüberlebende! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin überwältigt und zutiefst berührt und danke Ihnen von Herzen. Es ist eine unbeschreibliche Freude und Ehre, den Simon-Wiesenthal-Preis entgegennehmen zu dürfen, stellvertretend für das Team der Gamaraal Foundation und im Namen der Überlebenden, deren Zeitzeugnisse die Grundlage unseres Schaffens sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen: 8. November 1938 in Berlin, ein jüdischer Junge erlebte die Kristallnacht voller Angst versteckt hinter einem Schrank. Am nächsten Tag ging er alleine durch Berlins Straßen, sah brennende Synagogen, geplünderte Kaufhäuser, zerbrochenes Glas. Seine Mama war vor der Heirat Schweizerin, und so hoffte er, dass er in die Schweiz flüchten könnte, aber in der Botschaft sagte man ihm: No, Juden wollen wir nicht. Trotz aller Widrigkeiten gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Bis zu seinem Lebensende erzählte er mir zutiefst erschüttert von seiner Kindheit: wie er nicht ins Schwimmbad durfte, nicht mehr zur Schule, nicht mehr auf die Parkbank, denn für Juden und Hunde verboten. Dieser Junge war mein geliebter Papa Walter Strauss.
Zur selben Zeit stürmten SS-Truppen eine Wohnung in Nürnberg und nahmen alle Bewohner gefangen. Rosa, ihr kleines Mädchen, und das neugeborene Baby blieben zurück. Darüber, wie Rosa gedemütigt wurde, kann ich nicht sprechen. Das Mädchen überlebte durch Wunder, versteckt, unter falschem Namen, in Klöstern, im Wald, in ständiger Angst. Ihr Name war Margit Fern, und ihre falsche Identität war Marguerite Fontaine. Dieses Mädchen war meine geliebte Mama und Rosa meine Oma.
Die Geschichte meiner Eltern ist die Geschichte von Menschen, deren Menschlichkeit aberkannt wurde, nur weil sie Juden waren – Zeugnisse einer Zeit, in der das Unvorstellbare zur Realität wurde. Mein Papa sagte kurz vor seinem Tod in einem Interview in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Der Weg von der Zivilisation zur Barbarei ist kurz.“ „Ich glaube nicht, dass die Menschen aus der Geschichte lernen.“ –Dieses Zitat verfolgt mich, besonders heute. Ich hoffe von Herzen, dass mein Papa nicht recht behalten soll, denn Antisemitismus kehrt zurück – lauter, hemmungsloser, gefährlicher.
Auch wir in der Gamaraal Foundation fragten uns: Sind wir gescheitert? Haben wir nichts bewirkt?, doch die richtige Frage muss lauten: Was tun wir jetzt? – Unsere Antwort: Jetzt erst recht! Wir bestimmen die Zukunft. Jetzt ist nicht die Zeit des Rückzugs, meine Damen und Herren, jetzt ist die Zeit der Resilienz. Wenn wir die Stimmen und Geschichten der Überlebenden weitertragen, schaffen wir eine Mauer gegen den Hass. Bildung ist nicht nur Wissensvermittlung, sondern Herzensbildung. Ohne die Überlebenden gäbe es die Gamaraal Foundation nicht. Ihnen gehört dieser Preis, ihnen gehört unser tiefster Respekt.
Simon Wiesenthal sagte: Hoffnung ist wie das Brot, man braucht sie täglich. – In diesem Sinne verstehen wir diesen Preis als Ermutigung und Verpflichtung, unsere Stimme weiterhin gegen das Vergessen, gegen das Schweigen, gegen den Hass, für unsere Eltern, für unsere Kinder, für die Menschlichkeit zu erheben. – Danke von Herzen. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen herzlichen Dank, Frau Winter.
Ja, meine Damen und Herren, großartige Projekte, die hier ausgezeichnet wurden, berührende Geschichten. Vielleicht noch einmal eine große Gratulation an alle Ausgezeichneten, aber auch an alle Nominierten. Jedes Projekt, jede Person hat sich wirklich einen großen Applaus verdient, finde ich. (Beifall.)
Wir dürfen jetzt wieder ein Musikstück hören von Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova: „The Way You Look Tonight“, ein Song aus dem Hollywood-Musical „Swing Time“. 1936 wurde das Lied von Jerome Kern komponiert. – Bitte schön.
Es folgt die musikalische Darbietung des Stückes „The Way You Look Tonight“ von Jerome Kern, dargebracht von Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova.
(Beifall.)
Im Gespräch
Lisa Gadenstätter: Vielen herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, Präsident Haubner hat in seinen Eröffnungsworten sehr treffend formuliert: Wenn die Stimmen der Vergangenheit leiser zu werden drohen und der Hass immer mehr Raum gewinnt, dann ist es umso wichtiger, darüber zu sprechen und gegen das Vergessen anzutreten. – Genau das wollen wir jetzt tun.
Ich darf zu mir nach vorne bitten: Katharina von Schnurbein, die EU-Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus (Beifall) – bitte schön, Frau Schnurbein. Dann Racheli Kreisberg, die Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative – bitte schön, Frau Kreisberg. (Beifall.) Und wir freuen uns sehr, dass er heute hier ist: Zeitzeuge Dirk Peter Adler. (Beifall.) – Herr Adler, schön, dass Sie da sind, bitte nehmen Sie Platz.
Ich würde gerne mit Ihnen beginnen, Herr Adler. Ich darf Sie vielleicht zu Beginn kurz vorstellen: Sie wurden 1940 in Amsterdam geboren als Dirk Peter Moldauer. Ihre Eltern, Ihre Tante und Ihr Onkel wurden bei einem Fluchtversuch verraten und in Auschwitz ermordet. Sie waren damals zwei Jahre alt und wurden – das ist ein bisschen eine längere Geschichte – von Mitgliedern des Widerstands nach Amsterdam zurückgebracht und haben eigentlich nur überlebt, weil Sie von einer christlichen Familie aufgenommen und als das eigene Kind ausgegeben wurden.
Welche Erinnerungen haben Sie denn an dieses Leben bei der Familie in Amsterdam?
Dirk Peter Adler (Zeitzeuge): Das waren Mama und Papa, die Eltern. Das davor kannte ich nicht. Und so hat sich das Leben bei ihnen entwickelt wie eine normale Familie. Also ich kann nicht sagen, dass ich damals etwas gespürt hätte, wenn das die Frage beantwortet.
Lisa Gadenstätter: Aber Sie haben mitbekommen, was – ich sage jetzt einmal – außerhalb Ihrer Wohnung passiert. Es sind ja auch immer wieder Soldaten in die Wohnung gekommen.
Dirk Peter Adler: Das ist richtig. Es sind öfters Soldaten einfach hereingekommen und haben das Ganze untersucht, durchgecheckt und geprüft, ob sie irgendetwas finden können, aber Gott sei Dank war es nicht so. Ich weiß nur, dass ich dort gestanden bin, ich kann mich an den Tisch erinnern, bei dem ich gestanden bin, und ich habe Angst gehabt. Ich wusste nicht, was das bedeutet und was das überhaupt ist, aber Angst habe ich gehabt. Und ich wusste nicht, was es ist.
Lisa Gadenstätter: Es war, glaube ich, noch jemand versteckt in dieser Wohnung, richtig?
Dirk Peter Adler: In der Wohnung gab es einen Keller. Es war ein sehr kleiner Keller, der war abgedeckt mit einer Holzklappe und einem Teppich. Wenn die Soldaten hereingekommen sind, haben sie gesucht und nichts gefunden. Sie sind aber dann auf diesem Teppich gestanden. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich mich gefreut habe, aber damals nicht.
Lisa Gadenstätter: Damals haben Sie das noch nicht einordnen können.
Dirk Peter Adler: Damals war nur Angst.
Lisa Gadenstätter: Was an Ihrer Geschichte so besonders ist, Herr Adler – man könnte damit ganze Bücher schreiben, muss man sagen, die Zeit haben wir heute leider nicht –: Sie sind ein Mensch, der sich erst sehr spät damit auseinandergesetzt hat, nämlich erst vor ungefähr zehn Jahren haben Sie begonnen, das alles aufzuarbeiten. Das finde ich so faszinierend, weil es eben zeigt, dass diese Aufarbeitung auch in der heutigen Zeit immer noch notwendig ist, und auch diese Initiativen, die hier ausgezeichnet wurden.
Frau Kreisberg, Ihr Großvater Simon Wiesenthal ist vor 20 Jahren gestorben. Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie denn an ihn, die Ihnen besonders deutlich zeigen, was ihn angetrieben hat?
Darf ich vorher noch etwas sagen? Entschuldigung. – Meine Damen und Herren, Racheli Kreisberg spricht normalerweise nicht Deutsch, sondern Englisch, aber sie möchte gerne auf Deutsch sprechen, das war ihr sehr wichtig. Deswegen wird sie auch ein bisschen von ihren Unterlagen ablesen.
Racheli Kreisberg (Enkelin von Simon Wiesenthal und Gründerin der Swiggi-Gedenkinitiative): Danke vielmals. Ich kann auch Holländisch sprechen, denn ich komme eigentlich aus Holland und ich lebe in Israel.
Sehr geehrter Herr Präsident Haubner! Exzellenzen! Geschätzter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Frau Katharina von Schnurbein! Werte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit tiefem Bewusstsein für Geschichte und persönliche Verantwortung spreche ich heute vor Ihnen. Wir leben in einer Zeit, in der die Schatten der Vergangenheit wieder spürbar sind. Das Vermächtnis meines Großvaters Simon Wiesenthal ist nicht nur Erinnerung, es ist eine klare Aufgabe für die Gegenwart.
Sie fragen nach meiner Erinnerung an ihn, nach dem, was ihn bewegte. Mein Großvater starb vor 20 Jahren, für die Welt war er der Nazijäger, für mich war er einfach mein Großvater – Opaatje. Das ist, was ich Ihnen schon vor zwei Jahren gesagt habe. Ich sehe ihn in seinem Arbeitszimmer voller Bücher und Papiere. Er sprach nicht von sechs Millionen, er sprach immer von einzelnen Menschen, von Künstlern, von Kaufleuten, von Familien, die ausgelöscht wurden. Nicht Rache trieb ihn an, sondern eine tiefe Liebe und Pflicht. Er wollte, dass diese Menschen nicht zweimal vergessen werden – nicht durch Mord und nicht durch Schweigen. Ich denke an unser Haus in Utrecht°-°- Jetzt wissen Sie, dass ich aus Holland komme, denn nur Holländer können Utrecht sagen.
Lisa Gadenstätter: Und Tiroler. (Heiterkeit.)
Racheli Kreisberg: Ja. Wir reisten oft zu den Großeltern nach Wien und sie kamen zu uns. Auch im Urlaub war seine Ungeduld, zur Arbeit zurückzukehren, immer da. Seine Arbeit ließ ihn nie los. Dieses kindliche Bild änderte sich im Jahr 1982: Damals gab es einen Bombenanschlag auf sein Haus hier in Wien. Plötzlich war seine Arbeit nicht nur ein Gedanke, sondern gefährlich und real. Von abends bis morgens standen Polizisten vor seinem Haus und seinem Büro. Wenn ich mit ihm durch Wien ging, spürte ich die Gefahr. Die Schatten der Vergangenheit waren noch da. Doch er blieb stark. Das zeigte seinen Mut.
Meine schönste Erinnerung ist aus dem Jahr 1996: die Geburt meiner Tochter Ela (phonetisch) an seinem Geburtstag, dem 31. Dezember. Mein Großvater, der sein Leben der Erinnerung und den Verlorenen gewidmet hatte, hielt seine Urenkelin im Arm. Für mich war das ein Bild der Zukunft, ein Moment, den ich immer in meinem Herzen tragen werden. Es war die beste Antwort auf das Nichts, gegen das er kämpfte: ein klares Ja zum Leben. Von diesem Jahr bis zu seinem Tod besuchte ich ihn oft mit meinen Kindern in Wien. Es brachte ihm große Freude, Urenkel zu haben. Natürlich war da auch meine Großmutter.
Nach seinem Tod wurde seine Pflicht mein Erbe. Noch am gleichen Tag begann meine Arbeit des Erinnerns – ich baute unseren Familienstammbaum nach. Mithilfe von Briefen, die mir der Historiker Tom Segev übergab, konnte ich die Namen von etwa 70 unserer 89 im Holocaust ermordeten Angehörigen finden. Aus dieser persönlichen Erinnerung wurde eine öffentliche Aufgabe: die Simon Wiesenthal Genealogy Geolocation Initiative, Swiggi. Sie ist eine digitale Plattform zum Gedenken an 680 000 jüdische Leben. Mit dem österreichischen Parlament durfte ich daraus Bildungsprogramme entwickeln. Sie fragen: Was trieb ihn an? – Meine Erinnerungen geben die Antwort: Es war eine Pflicht geboren aus Liebe, eine Pflicht gegenüber jedem einzelnen Menschen. Diese Pflicht spricht heute zu uns. Sie gibt uns drei wichtige Aufgaben, über die ich später sprechen werde.
Lisa Gadenstätter: Frau Kreisberg, wenn wir auf die Aufarbeitung von Geschichte und eben auf diese wachsende Bedrohung von Antisemitismus in Europa schauen: Welche Bedeutung hat denn das Vermächtnis Ihres Großvaters heute?
Racheli Kreisberg: Danke für die Frage. Sein Vermächtnis ist wichtig für die großen Fragen unserer Zeit. Wenn wir die neue Sicht auf Geschichte und den wachsenden Antisemitismus in Europa sehen, dann ist er keine Figur der Vergangenheit. Er ist eine lebende Stimme für unser Gewissen. Sein Vermächtnis gibt uns drei Aufgaben.
Erstens: die Pflicht zur Wahrheit. Mein Großvater glaubte, ohne Gerechtigkeit gibt es keine Erinnerung und ohne Erinnerung gibt es keine Vorbeugung. In einer Zeit nach dem Krieg, in der viele vergessen wollten, war er die unbequeme Stimme. Er sagte klar, eine Gesellschaft kann nicht auf den unmarkierten Gräbern der Unschuldigen aufgebaut werden. Heute kämpfen wir gegen das laute Leugnen, gegen Lügen im Internet, die junge Menschen verwirren. Sein Vermächtnis verpflichtet uns alle, besonders Sie als Gesetzgeber, Bildung zu stärken, die gegen Manipulation und Lügen schützt.
Zweitens: die Pflicht zur Wachsamkeit. Simon Wiesenthal suchte Täter des Holocausts nicht aus Rache, er tat es für die Zukunft aller Menschen. Er wusste, Antisemitismus ist ein altes Gift in Europa. Wenn man es zulässt, wird auch die Demokratie krank. Er lehrte: Ein Angriff auf Juden ist oft der erste Test für eine Gesellschaft. Wenn man ihn ignoriert, breitet sich der Hass gegen Roma, gegen die LGBTIQ-plus-Gemeinschaft, gegen Migranten oder Andersdenkende aus. Darum ist sein Vermächtnis nicht nur für Juden, es ist ein Aufruf an uns alle. Die Sicherheit eines jüdischen Kindes in Wien muss der Maßstab für die Sicherheit jedes Kindes in Österreich sein. Unsere Empörung über einen Angriff auf eine Synagoge muss genauso stark sein wie über einen Angriff auf eine Moschee oder Kirche. Hier im Parlament, wo Gesetze für alle gelten, ist dies seine wichtigste Botschaft: Die Würde jedes Menschen ist für alle gleich. (Beifall.)
Drittens: die Pflicht zum Handeln. Die wichtigste Lehre meines Großvaters war: Ein Mensch mit Erinnerung und klarer Moral kann die Welt verändern. Er machte aus großem persönlichen Leid eine große Aufgabe. Er gab den Opfern eine Stimme und verlangte von den Mächtigen Antworten. Auch heute braucht es Mut – auf eine andere Weise: Mut, Hass im Internet zu melden, Mut einer Lehrerin, ihrer Klasse vom Holocaust zu erzählen, Mut eines Bürgers, einem schwachen Nachbarn beizustehen.
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank, Frau Kreisberg. (Beifall.)
Frau von Schnurbein, wenn wir uns diesen deutlichen Anstieg der antisemitischen Vorfälle anschauen: Wie beurteilen Sie denn die aktuelle Lage in Europa und welche konkreten Maßnahmen setzt denn die EU, um da auch wirklich wirksam dagegen vorgehen zu können?
Katharina von Schnurbein: Ich glaube, dass wir in den letzten Monaten noch einmal einen signifikanten Anstieg der ohnehin schon höchsten Anzahl von antisemitischen Vorfällen seit der Schoah in Europa gesehen haben. Über den Sommer haben wir gesehen, wie auch der Zugang zu manchen Dienstleistungen verwehrt wurde, zum Beispiel in Bezug auf Vorfälle in Flugzeugen oder bei Ferienhäusern.
Es wurde in manchen Ferienhäusern – das war in Frankreich – „Free Palestine“ auf Autos von jüdischen Feriengästen geschrieben. Also es hat sich noch einmal verschärft, und ich glaube, dass wir heute eine Art Ambient Antisemitism, wie wir das nennen, sehen, einen Antisemitismus, der im Alltag überall gegenwärtig ist, und nicht nur gegenüber Jüdinnen und Juden, sondern in Bezug auf – wie wir das zum Beispiel an den Universitäten sehen – auch die weitere Bevölkerung, und das ist brandgefährlich.
Ich glaube, was wir in der Europäischen Kommission versuchen, ist das: die drei Grundsätze, die Sie jetzt genannt haben, umzusetzen in konkretes Handeln. Zum einen arbeiten wir sehr eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, um sicherzustellen, dass Antisemitismus nicht unbeantwortet bleibt. Es muss zu jedem Vorfall einen Aufschrei geben, ein Aussprechen, auch von offizieller Stelle und nicht nur aus der Zivilgesellschaft, aber auf der anderen Seite ist ohne Zivilgesellschaft nichts möglich, weil wir ja breit in die Gesellschaft hineinwirken wollen, und deswegen ist auch gerade der Simon-Wiesenthal-Preis so wichtig: weil er dieses zivilgesellschaftliche Engagement hochhält.
Was zudem als Zweites wichtig ist, ist konsequente Strafverfolgung. Das sollte an sich selbstverständlich sein, aber wir haben immer wieder gesehen, dass antisemitische Vorfälle abgetan werden zum Beispiel als politische Taten. Der Antisemitismus muss klar benannt werden, weil er ein Krebsgeschwür ist für die Bevölkerung. Was wir auf der europäischen Seite insbesondere auch machen können, ist, Netzwerke zu bilden in Bezug auf Antisemitismus online. Da sind wir jetzt dran, ein Netzwerk zu bilden von Organisationen, die antisemitische Inhalte erkennen können und dann entsprechend handeln können. Wir sind natürlich auch über Gesetzgebung dran, einen gesetzlichen Rahmen für die Plattformen zu bilden, und Europa ist in dieser Hinsicht die erste Region der Welt, die da einen rechtlichen Rahmen hat, wie die Plattformen agieren müssen, und das wird im Moment umgesetzt. Sie werden vielleicht sagen: Ich sehe davon noch nichts!, aber die Umsetzung passiert und wird, wenn das alles dann umgesetzt ist, auch ihre Folgen haben.
Und ein anderer wichtiger Aspekt ist auch insbesondere – und das haben wir mit Blick auf den 7. Oktober immer wieder gesehen – eine Holocaust-Distortion – ja, wie sagt man Holocaust-Distortion? – eine Verdrehung, ganz besonders mit Blick auf falsche Vergleiche mit der Situation in Gaza. Und auch dort gilt es – und das ist eine wichtige Initiative auch von unserer Seite –, immer wieder aufzustehen und ganz klar das Gedenken hochzuhalten, um – und das ist das ganze Herz unserer EU-Strategie zu Antisemitismus – jüdisches Leben zu fördern und sicherzustellen, dass Jüdinnen und Juden hier in Europa im Einklang mit ihren Traditionen und religiösen Gebräuchen und frei von Sicherheitsbedenken leben können, und davon sind wir im Moment weit entfernt. Aber wie es auch gerade gesagt wurde: Es ist eine Zeit für Resilienz und nicht zum Aufgeben. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Herr Adler, Sie sind im Zuge der Aufarbeitung Ihrer Geschichte auch nach Amsterdam gefahren und haben sich das Haus angeschaut, in dem Sie als kleines Kind gewohnt haben, und da ist dann ja auch etwas wirklich Bemerkenswertes passiert. Sie haben an der Tür geläutet – und dann?
Dirk Peter Adler: Also nicht ich habe an der Türe geläutet, meine Frau hat das getan nach einer kurzen Diskussion. Das Haus ist in Amsterdam, und da gehen so Stufen hinauf bis zu den Türen, einer linke und einer rechten Türe. Welche Türe – wir wollen ja läuten –, links, rechts? Also beschlossen wurde – durch meine Frau selbstverständlich –: die linke Türe.
Da war ich jetzt dran. Ich habe an der Türe geklopft. Es öffnet sich die Türe, es steht eine Dame, eine sehr nette Dame mit Lächeln und so weiter da, und ich sage: Guten Tag, ich muss mich bitte entschuldigen, aber ich habe hier gewohnt bis zu meinem zweiten Lebensjahr, und ich heiße Moldauer. Sie schaut mich an und sagt: Ja, das weiß ich. – Entschuldigung, was heißt das? Ich bin ein bisschen mit offenem Mund dagestanden. Und dann hat sie mir gesagt: Okay, kommen Sie herein.
Sie hat uns eingeladen in die Wohnung und sie sagte mir: Schauen Sie, meine jüngere Tochter, die zwölfjährige Tochter, hat von der Schule ein Projekt vorgeschrieben bekommen, dass sie die Geschichte der Menschen, die in diesen Häusern gewohnt haben – das heißt, jedes Haus musste da eine Geschichte machen – recherchieren. Und ich habe gefragt: Na, hat sie es gemacht? Da hat sie gesagt: Ja, kommen Sie mit!, und hat mich zu einem Tisch geführt, auf dem ein großes weißes Papier war, voll mit handgeschriebener Schrift. Sie sagte: Bitte, da steht Sarah Moldauer, Nachim Moldauer, Dirk Moldauer. Das war unglaublich!
Aber wo hat sie das her? – Ja, das waren Recherchearbeiten, die diese junge Dame gemacht hat, und das war selbstverständlich eine Überraschung. Wir durften uns weiterhin ein bisschen in der Wohnung umschauen, haben verglichen, wie die Gitter von den Fenstern damals und heute ausgeschaut haben, und die waren genau identisch. Meine Frau hat selbstverständlich zwei Fotos gemacht, eines so und eines so. Also das haben wir jetzt.
Lisa Gadenstätter: Das ist insofern eine bemerkenswerte Geschichte, weil eben ein zwölfjähriges Mädchen diese Geschichte aufarbeitet. Wir haben schon gehört die Ansätze Ihres Großvaters, Frau Kreisberg, die Ansätze der EU, und dass Sie jetzt auch an Schulen auftreten, Herr Adler, das ist eine große Ehre und ich danke Ihnen sehr dafür, wir alle danken Ihnen sehr dafür.
Ich danke Ihnen für das Gespräch. Vielen herzlichen Dank. (Beifall.) Vielen herzlichen Dank.
Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu einem weiteren, ja, ich würde sagen, emotionalen Höhepunkt dieser Veranstaltung: zur Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. So viele setzen sich entweder erst seit Kurzem oder schon seit vielen Jahren für eine Aufklärung ein, erzählen wirklich unermüdlich ihre Geschichten, und genau dafür werden sie heute geehrt. Wir haben die Namen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen schon gehört, sie wurden schon am Beginn genannt, und diese Ehrung wird jetzt die Vorständin des Nationalfonds durchführen, Hannah Lessing – ich darf Sie schon einmal ans Rednerpult bitten. Und für die – wie soll ich sagen? – Überreichung der Ehrennadeln und der Urkunden darf ich dann gleich noch zu uns bitten Präsident Haubner und Judith Pfeffer, ebenfalls Vorständin des Nationalfonds. Die beiden werden die Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen durchführen, und Hannah Lessing wird jetzt diese Ehrung vornehmen. – Bitte schön.
Hannah Lessing (Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Danke schön.
Meine sehr geehrte Damen und Herren, liebe Festgäste! Die Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ist für mich jedes Jahr einer der Höhepunkte des Simon-Wiesenthal-Preises. Im Nationalfonds konnten wir in den vergangenen 30 Jahren zahllose Gespräche mit Überlebenden des Holocausts führen; sie haben uns ihre Geschichte anvertraut und uns an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Es waren insbesondere Begegnungen, besondere Begegnungen, und es gibt wohl keine persönlichere und intensivere Art und Weise, Geschichte zu erfahren. Dank der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die seit vielen Jahren an Schulen, Universitäten und bei vielen anderen Anlässen ihre Erfahrungen weitergeben, können bis heute viele und insbesondere junge Menschen Geschichte aus dieser besonderen Quelle erfahren.
Ich habe in diesen Jahren aber auch immer wieder gesehen, welche schwere und belastenden Aufgabe es für die Überlebenden ist, das alles immer und immer wieder zu erzählen.
Sie sprechen da über Zeiten, die die schwersten ihres Lebens waren, in denen ihnen oft alles genommen wurde, über den Verlust ihrer Heimat, ihrer Familie und Freunde, den Verlust ihrer Kindheit und Jugend.
Erzählen, das bedeutet Wiedererleben, und deshalb können wir ihnen nie genug dafür danken, dass sie diese Last über so viele Jahre auf sich genommen haben und bis ins hohe Alter immer noch auf sich nehmen. In den Jahren nach dem Krieg wurde über die NS-Verfolgung wenig gesprochen, es waren Jahrzehnte des Schweigens und der Verdrängung. Die meisten Menschen wollten den Überlebenden nicht zuhören, nichts von ihren Erfahrungen wissen. Erst im Laufe der Zeit haben wir gelernt, zuzuhören. Wir haben den Wert ihrer gelebten Erfahrungen erkannt und dieses große Geschenk der Erinnerung schätzen gelernt.
Heute, acht Jahrzehnte nach dem Nationalsozialismus, erleben wir wieder ein rasantes Ansteigen von Hass, Rassismus, Antisemitismus weltweit. Die Demokratie wird nicht nur in Österreich auf eine harte Probe gestellt. Viele Überlebende des Holocausts haben einen geschärften Blick für die Zeichen an der Wand, denn sie haben in ihrer Jugend Ähnliches erlebt und die schmerzlichen Folgen erfahren müssen. Ihre Berichte sind eine Via regia, ein Königsweg zum Lernen aus Geschichte, und ihr jahrzehntelanges Engagement ist eine Inspiration für alle Menschen, die sich heute gegen Antisemitismus und Rassismus, für den Aufklärung über den Holocaust und für die Stärkung der Demokratie einsetzen.
Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen haben mit ihrem Mut und Engagement die Flamme entzündet, und sie geben die Fackel an die neue Generation weiter – ganz im Geiste von Simon Wiesenthal. Deshalb ist es so wichtig, dass es bei jedem Simon-Wiesenthal-Preis diese besondere Ehrung der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt.
Wir sagen mit dieser Ehrung Danke: Danke dafür, dass ihr eine Stimme seid für alle, die ermordet wurden und nicht mehr für sich sprechen können; Danke dafür, dass ihr wieder und wieder bereit seid, euch den schmerzenden Erinnerungen zu stellen, und uns, den jungen Generationen, eure Geschichte anvertraut; Danke dafür, dass ihr uns mahnt, und dafür, dass ihr uns Hoffnung gebt! Und schließlich ist diese Ehrung ein Versprechen, das besagt: Wir haben euch gehört und verstanden. Euer Engagement war nicht vergeblich, wir tragen diese Fackel, die wir von euch übernehmen, weiter.
Geschätzte Festgäste, wie auch im Vorjahr werden die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen heute diese Ehrung auch stellvertretend für alle anderen Überlebenden entgegennehmen, die wie sie immer wieder in der Öffentlichkeit Zeugnis ablegen, jede und jeder Einzelne von ihnen auf seine Weise.
Ich darf nun die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen dieses Abends in alphabetischer Reihenfolge vorstellen:
Heinrich Ehlers wurde 1939 in Wien geboren. Sein Vater war Violinist bei den Wiener Symphonikern, er wurde nach dem „Anschluss“ verhaftet, konnte entkommen und versteckte sich mit dem wenige Wochen alten Heinrich und dessen Mutter in einer Wiener Kellerwohnung. Heinrichs Bruder und Schwester wurden während des Lebens im Verborgenen geboren. Als sie 1945 befreit wurden, waren alle Familienmitglieder schwer krank, die Kinder unterernährt. Heinrich Ehlers ist seit vielen Jahren als Zeitzeuge bei Vorträgen, Schulbesuchen, Interviews und Dokumentarfilmen aktiv. (Beifall.)
Erich Finsches wurde 1927 in Wien geboren. Im November 1938 wurde er als Elfjähriger von der Gestapo verhaftet und gefoltert, kam 1939 ins Arbeitslager nach Eisenerz. Er flüchtete und konnte zwei Jahre lang in Wien untertauchen. Bei einer Razzia wurde er entdeckt und erneut zur Zwangsarbeit geschickt, abermals gelang ihm die Flucht. 1944 schließlich wurde er in Ungarn von der SS aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert. Erich Finsches überlebte einige Lager und den Todesmarsch. Als er befreit wurde, wog er nur mehr 30 Kilogramm. Bis heute ist er als einer der letzten und ältesten Zeitzeugen tätig. (Beifall.)
Don Jaffé: Don Jaffé wurde 1933 in Riga geboren, 1941 flüchtete er mit seiner Familie nach Sibirien, rund 70 seiner Verwandten wurden ermordet. In den 1970er-Jahren übersiedelte er – er war mittlerweile ein international erfolgreicher Cellist – mit seiner Familie zunächst nach Israel, danach in die Bundesrepublik Deutschland. Seine Kompositionen, die von der jüdischen, aber auch von seiner persönlichen Geschichte geprägt sind, widmet Don Jaffé als musikalische Mahnmale den Opfern der Schoah. Er versteht sie zugleich als Warnung in einer Zeit des wieder stärker werdenden Antisemitismus. (Beifall.)
Felix Lee wurde 1935 in Wien geboren. Seine jüdische Mutter hatte 1933 einen chinesischen Musikstudenten geheiratet. Nach dem „Anschluss“ waren die beiden als chinesische Staatsbürger vorerst geschützt, mussten aber in einer kleinen Wohnung mit 16 Personen auf engstem Raum zusammenleben. Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann heiratete die Mutter erneut einen chinesischen Staatsbürger, wodurch sie und ihr Sohn weiter vor Deportationen geschützt waren und den Holocaust überlebten. Felix Lee studierte später Akkordeon, Klavier und Komposition. Er tritt regelmäßig als Zeitzeuge vor Schülerinnen und Schülern auf. (Beifall.)
Ludwig „Lutz“ Popper wurde 1938 als Sohn des österreichischen Arztes und Sozialmediziners Ludwig Popper in Wien geboren. Nach dem „Anschluss“ flüchtete die Familie über die Schweiz nach Bolivien. 1947 kehrte er nach Wien zurück, studierte später wie sein Vater Medizin und ließ sich 1973 als Arzt in Oberwart nieder. Seit Jahrzehnten stellt er sich als Zeitzeuge in Schulen, Universitäten, Synagogen oder Kirchen zur Verfügung. (Beifall.)
Leider kann unser nächster Zeitzeuge, Josef Salomonovic, seine Ehrung aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst entgegennehmen. Ich begrüße an seiner Stelle seine Schwägerin und Biografin Shoshana Duizend-Jensen, die die Ehrung für ihn entgegennehmen wird. Wir wünschen Herrn Salomonovic gute Besserung.
Josef Salomonovic wurde 1938 in Mährisch-Ostrau geboren, die Familie wurde 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert. Er überlebte drei Jahre im Ghetto, danach mehrere Konzentrationslager – Auschwitz, Stutthof und Flossenbürg. 1971 zog er mit seiner Ehefrau nach Österreich. Er engagierte sich jahrzehntelang als Zeitzeuge an Schulen. (Beifall.)
Kitty Schrott wurde 1934 in Wien geboren und wuchs die ersten vier Lebensjahre in Laa an der Thaya auf. 1938 musste die Familie nach Wien ziehen. 1940 gelang ihnen die Flucht nach Palästina, sie wurden jedoch von den britischen Behörden nach Mauritius deportiert. Ihr Großvater ist dort gestorben. 1945 konnten sie endlich nach Palästina einreisen. 1947 starb die Mutter an Krebs und Kitty kehrte mit ihrem Vater nach Österreich zurück. Kitty Schrott hat in Dokumentarfilmen mitgewirkt und legt bis heute Zeugnis von der Zeit des Nationalsozialismus ab. (Beifall.)
Adolf Silberstein wurde 1936 als uneheliches Kind in Wien geboren. Weil seine Mutter krank war, kam er zunächst in ein Fürsorgeheim, später zu einer Pflegefamilie. 1942 wurde er in ein Sammellager für den Abtransport in die Vernichtungslager gebracht. Adolf bekam jedoch Mittelohrentzündung und wurde in ein Kinderspital überstellt. Er überlebte die NS-Zeit vor allem dank der Hilfe der jüdischen Fürsorgerin und Widerstandskämpferin Franzi Löw. Seine leibliche Mutter und seine Pflegefamilie wurden ermordet. Adolf Silberstein engagiert sich seit Langem als Zeitzeuge. (Beifall.)
Stanislaw Zalewski wurde 1925 in Polen geboren. Nach dem deutschen Überfall auf Polen ging er in den Untergrund, stellte Kontakt zu Widerstandsgruppen her und beteiligte sich an Sabotageakten. 1943 wurde er verhaftet und kam über Auschwitz und Mauthausen nach Gusen. Er überlebte das Lager und kehrte 1945 nach Warschau zurück, wo er erfahren musste, dass seine Mutter und sein Bruder umgekommen waren. Er berichtet seit rund 40 Jahren über seine Erfahrungen, zuletzt in dem 2024 erschienenen Dokumentarfilm „Botschafter des Erinnerns“. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen herzlichen Dank; ein beeindruckender Moment mit beeindruckenden Menschen und auch ein sehr emotionaler Moment, den wir jetzt noch einmal mit Musik beschließen wollen. – Bitte.
Es folgt die musikalische Darbietung des Stückes „Surrey With the Fringe On Top“ von Richard Rogers, dargebracht von Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova.
(Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank noch einmal an Stefan Eitzenberger und Katarina Kochetova für die wunderbare musikalische Untermalung.
Abschlussworte
Lisa Gadenstätter: Meine Damen und Herren, zum Abschluss dürfen wir noch einmal die Vorständin des Nationalfonds Judith Pfeffer begrüßen. (Beifall.)
Judith Pfeffer (Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute bewegende Stimmen gehört: die deutliche Haltung von Präsident Haubner, Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds; die überzeugenden Worte der Preisträgerinnen und Preisträger, voller Leidenschaft und unermüdlichem Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust; die eindrücklichen Erinnerungen von Dirk Peter Adler, Zeitzeuge des Holocaust; das klare Erbe von Racheli Kreisberg, Enkelin von Simon Wiesenthal; den entschlossenen Einsatz von Katharina von Schnurbein, EU-Koordinatorin für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung jüdischen Lebens; und die berührenden Lebensgeschichten von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die mit ihrem außergewöhnlichen, persönlichen Einsatz das Erinnern lebendig halten.
Jede dieser Stimmen ist einzigartig, und doch eint sie eines: die tiefe Überzeugung, dass Erinnerung nicht bloß Rückschau ist, sondern ein Auftrag, ein Auftrag an uns alle; ein Auftrag, der Verantwortung bedeutet, ein Auftrag, der uns verbindet. Genau darin liegt die Kraft des Simon-Wiesenthal-Preises. Er erinnert uns daran, dass es auf jede einzelne Stimme ankommt und dass Gedenken lebendig bleibt, wenn es in Taten übersetzt wird.
230 Einreichungen aus 32 Ländern, ein Netzwerk an Stimmen, jede ein starkes Zeichen für Erinnerung, für Zivilcourage und für Haltung. Und wie Sie heute schon gehört haben: Die Jury hatte es nicht leicht, nur einige Projekte auszuwählen. Am liebsten hätten wir heute viele mehr auszeichnen wollen.
Darum gilt unser besonderer Dank auch jenen, deren Projekte heute nicht ausgezeichnet wurden. – Ihr Engagement ist unverzichtbar, auch Ihre Stimmen hören wir. Jede Initiative ist ein Beitrag zu unserem gemeinsamen Auftrag, aus Erinnerung Verantwortung in die Zukunft zu tragen. Genau darin liegt auch die Zuversicht des Simon-Wiesenthal-Preises. Sie sind nicht alleine, Sie sind viele. Wir sind viele, verbunden in der Überzeugung, dass zivilgesellschaftliches Engagement Zeichen setzt und Hoffnung bringt, Hoffnung, die wir in Zeiten wie diesen so dringend brauchen.
Darum laden wir Sie ein: Machen Sie weiter! Reichen Sie Ihre Projekte wieder ein! Die Ausschreibung für den Preis 2025 beginnt schon morgen.
Wenn Simon Wiesenthal heute hier wäre und sehen könnte, dass 230 Stimmen aus 32 Ländern in seinem Namen gegen Antisemitismus aufstehen und für die Aufklärung über den Holocaust einstehen, was würde er wohl sagen? – Ich könnte mir vorstellen, er würde lächeln und sagen: Es geht weiter, ihr macht weiter, denn Erinnerung endet nicht! Erinnerung bleibt Verantwortung, Erinnerung bleibt Auftrag. – Und genau das durften wir heute hier mit Hoffnung hören und sehen.
Vielen Dank Ihnen allen, liebes Publikum. Genießen Sie den Abend und seien Sie stolz auf Ihr starkes, sichtbares zivilgesellschaftliches Zeichen, das Sie alle heute hier eingebracht haben. – Danke schön. (Beifall.)
Lisa Gadenstätter: Vielen Dank für diese schönen Abschlussworte, Judith Pfeffer.
Meine Damen und Herren, ich darf auch vielen Dank sagen, für Ihr Dasein, für Ihre Aufmerksamkeit, für Ihre tollen Projekte, Ihr so wichtiges Engagement. In der Säulenhalle beginnt jetzt gleich der Empfang, zu dem Sie alle recht herzlich eingeladen sind. Ich darf Ihnen noch einen schönen Abend wünschen – auf Wiedersehen. (Beifall.)