20. Oktober 2025
Programm
Eröffnungsworte
Walter Rosenkranz – Präsident des Nationalrates
Keynote
Maja Riniker – Nationalratspräsidentin, Schweizerische Eidgenossenschaft
Impulsvorträge
Irène Herrmann – Professorin für Schweizer Geschichte, Zeitgeschichte, Universität Genf
Peter Hilpold – Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht, Universität Innsbruck
Joachim Adler – Chef Verteidigungspolitik, Stv. Chef Strategie und Kooperation, Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS
Robert Brieger – General i. R., Österreichisches Bundesheer
Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Parlamentsfraktionen
Susanne Fürst – Abgeordnete zum Nationalrat, FPÖ
Friedrich Ofenauer – Abgeordneter zum Nationalrat, ÖVP
Robert Laimer – Abgeordneter zum Nationalrat, SPÖ
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff – Abgeordneter zum Nationalrat, NEOS
David Stögmüller – Abgeordneter zum Nationalrat, Grüne
Moderation
Christian Wehrschütz – Journalist, ORF
Christian Wehrschütz (Moderator): Guten Morgen! Mein Name ist Christian Wehrschütz, ich bin der Korrespondent des österreichischen Fernsehens, des ORF, für die Ukraine und den Balkan und habe die Ehre, heute diese Veranstaltung zu moderieren. Es gilt also nicht die Geschäftsordnung des Nationalrates, sondern es gelten die strengeren Regeln des Moderators des ORF.
Begrüßen möchte ich zunächst sehr herzlich den Hausherrn, Nationalratspräsidenten Rosenkranz. Ich möchte sehr herzlich die Präsidentin des Schweizer Nationalrates Maja Riniker begrüßen. Natürlich ist es für mich eine besondere Ehre, auch den Altbundespräsidenten Heinz Fischer, den Bundesratspräsidenten Herrn Samt, die Mitglieder des Diplomatischen Corps, alle Abgeordneten und Abgeordnete zum Nationalrat und natürlich auch alle Damen und Herren, die hier in diesem Plenarsaal anwesend sind, zu begrüßen.
Gestatten Sie mir zwei kurze einleitende Bemerkungen: Neutralität ist durchaus etwas, das sich wandeln lässt. Das weiß ich aus meiner eigenen Geschichte, denn als ich noch in die Schule gegangen bin – ich bin Jahrgang 1961 –, haben wir noch gelernt, Österreich dürfe der Europäischen Union nicht beitreten, denn Österreich sei neutral. Vielleicht war das damals falsch oder es hat sich dann angepasst, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Damit alle Anwesenden und auch die Zuschauer vor den Bildschirmen – denn dieses Symposium wird auch von ORF III übertragen – wissen, worum es geht, erlauben Sie mir noch ganz kurz, das Thema vorzutragen, nämlich das Neutralitätsgesetz, das vor 70 Jahren verabschiedet worden ist.
Da heißt es im Artikel I: „Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“
Der 2. Absatz des Artikel I: „Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.“
Jetzt kommt Artikel II: „Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung beauftragt.“
Sehr geehrter Herr Präsident des Nationalrates, sehr geehrter Herr Präsident Walter Rosenkranz, ich darf Sie um Ihre Ausführungen bitten.
Eröffnungsworte
Walter Rosenkranz (Präsident des Nationalrates): Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlichen Dank dem Moderator für die Einbegleitung – es wurde mir erspart, einen Gesetzestext vorzulesen, aber ich habe später noch einen zweiten.
Wie es sich für diese Veranstaltung geziemt, ist der Moderator nicht nur ein erfahrener Journalist, sondern auch Milizoffizier des österreichischen Bundesheeres im Rang eines Oberstleutnants. Das heißt, wir haben heute hier durchaus eine Sicherheitsdebatte, das Thema, wie Neutralität gelebt werden kann.
Da es die protokollarisch richtige Begrüßung seitens des Moderators gegeben hat, möchte ich mich in meinen Eröffnungsworten ein bisschen von der anderen Seite hinaufarbeiten. Es geht darum, dass sehr viele Menschen diese Sendung auch am Fernsehschirm sehen können, und ich danke ORF III für die Möglichkeit, dass diese Information auch dem österreichischen Volk zukommen kann – ich danke Direktor Schöber dafür.
Ich bedanke mich in erster Linie auch für das zahlreiche Erscheinen in diesem Sektor (nach rechts weisend) und auch hier (nach links weisend), bei den Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat beziehungsweise den Mitgliedern des Bundesrates, weil das Thema – die Diskussion zur Neutralität und wie sich Österreich dazu verhalten soll – eines ist, das uns – ich denke sogar an die letzte Nationalratssitzung, aber auch an die nächsten Sitzungen – verfolgen wird. Mir geht es darum, dass heute Positionen entsprechend ausgetauscht werden – mit wissenschaftlicher Expertise, mit der Erfahrung aus verschiedenen Spezialbereichen.
Ich freue mich ganz besonders, dass so viele Vertreterinnen und Vertreter des Diplomatischen Corps heute anwesend sind. Das heißt, dass das befreundete Ausland, unsere Nachbarn, unsere europäischen Partner, die es hier gibt und auch darüber hinaus, daran interessiert sind, wie Österreich seine sicherheitspolitischen Agenden sieht. Ich nehme an, dass Sie Ihren Regierungen in ihren Heimatländern Gutes darüber werden berichten können.
Ich darf natürlich auch Herrn Bundesratspräsident Samt begrüßen. Es ist mir eine ganz besondere Freude, auch immer unsere zweite Kammer, die Länderkammer, hier vor den Vorhang zu stellen. Seitens der Bundesregierung darf ich Frau Staatssekretärin Eibinger-Miedl begrüßen. Ja, sie ist diejenige, die zu einem Teil auf der Geldkatze sitzt – vielleicht wird das auch noch ein Thema sein, wenn es um eine Neutralität geht, bei der man auch entsprechend bewaffnet sein soll. Ich begrüße auch die Frau Präsidentin des Rechnungshofes, die dann darauf schaut, dass das Geld für das, was wir beschließen, und für das, was verwaltet wird, auch ordnungsgemäß ausgegeben wird.
An dieser Stelle auch herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Parlamentsdirektion, die diese Veranstaltung ermöglicht haben.
Es ist mir eine ganz besondere Freude, den Herrn Bundespräsidenten außer Dienst und auch gewesenen Präsidenten des Nationalrates Dr. Heinz Fischer in unserer Mitte zu begrüßen. Er ist einer, von dem ich weiß – und ich habe es auch bei der Feier aus Anlass von 70 Jahren Staatsvertrag gesehen und von ihm gehört –, dass man ihn mit Fug und Recht als Zeitzeugen bezeichnen kann, der dabei war, als der Staatsvertrag unterzeichnet wurde und der – sicherlich auch seinem Elternhaus geschuldet – einiges mitbekommen hat, in weiterer Folge dann vor allem auch, wie die Neutralität gelebt wurde. Ich denke da an die 1970er-Jahre, an die Zeit eines Dr. Bruno Kreisky als Kanzler. – Herzlich willkommen in Ihrem Haus! (Beifall.)
Zuletzt freut es mich ganz besonders, meine Kollegin aus der Schweiz, aus der Eidgenossenschaft, Frau Nationalratspräsidentin Riniker – dich, liebe Maja –, hier in unserem Sitzungssaal begrüßen zu dürfen. Es ist mir eine ganz besondere Ehre, aber auch persönliche Freude, nachdem wir uns schon einige Male getroffen haben und in einem sehr regen Austausch gestanden sind, dich heute hier im Hohen Haus der Republik Österreich begrüßen zu dürfen, noch dazu mit einem Thema, das uns historisch ganz besonders verbindet oder zumindest verbinden sollte. Vielleicht werden wir das in der Diskussion herausarbeiten können. – Herzlich willkommen und einen schönen Aufenthalt hier in Wien! (Beifall.)
Beginnen möchte ich mit einem kurzen Artikel, einem Kommentar eines Völkerrechtlers der juridischen Fakultät der Universität Wien, Ralph Janik, der unter der Überschrift „Mehr oder weniger neutral“ im Jahr 2023 formuliert hat: „Anno 1955 hat sich Österreich bekanntlich zur ‚immerwährenden Neutralität‘ nach Schweizer Vorbild verpflichtet. So richtig daran gehalten hat man sich aber von Anfang an nicht. Bis heute gibt es einige Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede.“
Mir ist es ein Anliegen, dass heute vielleicht das Folgende herausgearbeitet wird: Was ist denn eigentlich das Schweizer Muster, das Schweizer Vorbild? Ist es das von damals? Hat sich das auch geändert? – Das wird in erster Linie Kern der Diskussion und der Vorträge sein, die heute hier stattfinden.
Aus österreichischer Sicht ist die Neutralität anscheinend etwas ganz, ganz besonderes. Beschlossen wurde sie 1955, in einer Zeit, in der Österreich gerade auf dem diplomatischen Weg seine vollständige Freiheit wiedererlangt hat. Ich möchte nicht das historische Tauziehen um diese Verhandlungen, um die Position der Neutralität und andere Dinge jetzt hervorrufen: Es war jedenfalls ein diplomatisches Glanzstück, das damals der österreichischen Bundesregierung geglückt ist, nämlich Österreich frei und vor allem auch ungeteilt wiedererstehen zu lassen.
Es gab durchaus auch die Ideen – unter Beiseiteschieben der Neutralität –, einen Beschluss dahin gehend zu fassen, dass Österreich ähnlich wie Deutschland in eine West- und eine Ostzone geteilt werden wird – mit den Folgen wie für Deutschland bis ins Ende des 20. Jahrhunderts hinein. Das ist uns alles erspart geblieben. Die Neutralität – die erklärte Neutralität – war auch ein Mittel oder ein Angebot, das wir gestellt haben. Insbesondere die russische Seite hat das sehr stark forciert.
Eines finde ich ganz besonders interessant – jetzt komme ich zum versprochenen Gesetzestext –: Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz wurden nicht in einem beschlossen, es gab einen Zeitunterschied von mehreren Monaten. Und erst nach zwölf Jahren – man möchte sagen, nach einer Probe- oder Beobachtungszeit von zwölf Jahren – hat Österreich neben dem Staatsfeiertag am Ersten Mai einen zweiten, zusätzlichen Feiertag eingeführt. Als Anlass dieses Nationalfeiertages, den wir am Ende dieser Woche, am Sonntag, begehen werden – auch hier im Haus in Form eines offenen Hauses –, hat der Gesetzgeber der Neutralität, dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes den Vorzug gegeben. Es hätte durchaus andere Anlässe gegeben – die Gründung der Ersten Republik, der Abschluss des Staatsvertrags von Wien – oder andere Möglichkeiten, irgendwelche Gedenktage zu finden – nein, es war das Gesetz über die Neutralität Österreichs.
Das versuche ich jetzt auch einmal vorzulesen:
„Eingedenk der Tatsache, daß Österreich am 26. Oktober 1955 mit dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 211/1955 über die Neutralität Österreichs seinen Willen erklärt hat, für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren und sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen und in eben demselben Bundesverfassungsgesetz seine immerwährende Neutralität festgelegt hat, und in der Einsicht des damit bekundeten Willens, als dauernd neutraler Staat“ – und jetzt kommt für mich eine ganz wichtige Passage zum Schluss – „einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten zu können, hat der Nationalrat beschlossen: Artikel I Der 26. Oktober ist der österreichische Nationalfeiertag.“
Das heißt, es war damals dem Gesetzgeber auch ganz klar, die Neutralität als ein ganz besonderes Staatsziel – fast als eine Ikone – zu sehen, und das Ganze mit der Absicht, Friedensstifter in der Welt zu sein. Das ist das, was ich vorhin in Ihre Richtung, sehr verehrter Präsident, gemeint habe: In der Ära Kreisky ist es gelungen, diese Neutralität auch mit Frieden in der Welt zu verbinden, mit Österreich als Diskussionsort, mit Österreich als Verhandlungsort.
Heute sehe ich, dass die Verhandlungen in unser Nachbarland Ungarn gehen, in der Schweiz stattfinden oder auch in ganz anderen Staaten auf dieser Erde. Ich sehe unter Umständen auch, dass wir da vielleicht auch einiges an Terrain verloren haben. Ich höre von allen Fraktionen in den Debatten auch immer wieder: Daran sollte man auch arbeiten, dass dieser Status wieder erreicht wird! – Vielleicht hängt das auch mit unserem heutigen Verständnis von Neutralität zusammen.
Ein Zweites hat mich auch sehr beschäftigt: Ein jüngerer Abgeordneter dieses Hauses ist nach der Veranstaltung zu 70 Jahre Staatsvertrag zu mir gekommen und hat gesagt: Na ja, die Neutralität hat ja Österreich machen müssen; das war ein Zwang, das war nicht aus freien Stücken, das war eigentlich nur das Gegengeschäft dafür, den Staatsvertrag zu bekommen! – Dem kann ich nicht zustimmen.
Ich habe diese Zeiten Gott sei Dank nicht mehr erleben müssen, aber ich kenne sie aus der Schilderung meines Vaters. Der hat seine Maturareise – unter Anführungszeichen – nach Afrika antreten dürfen, mit dem Afrikafeldzug, und er ist nur knapp von einer Schafschützenpatrone verfehlt worden. So hat, glaube ich, jede Familie eine Geschichte, nicht nur aus dem Zweiten, sondern auch aus dem Ersten Weltkrieg.
Ich glaube, die österreichische Bevölkerung war nach einem halben Jahrhundert mit zwei furchtbaren Kriegen, mit einem furchtbaren Aderlass in der Bevölkerung für ein Nie-wieder. Ich lasse jetzt bewusst – aber nicht weniger wertschätzend in dieser Frage – die Opfer eines furchtbaren Terrorregimes in Österreich, nämlich des Naziregimes, in der Zivilbevölkerung – mit Ermordung und Vertreibung – weg, um bewusst jetzt nur das hervorzuheben, was der Krieg mit seinen Folgen angerichtet hat. Das ist ja ein Resultat dieser beiden Kriege, dass dieses Nie-wieder auch für die kriegerischen Auseinandersetzungen gelten muss.
Wenn ich durch meine engere Heimat, das Waldviertel, fahre und in den Dörfern die Tafeln an Kirchen, an Friedhofsmauern, auf Hauptplätzen sehe, auf denen die Namen der Gefallenen der beiden Weltkriege stehen – auf der linken Seite, auf der rechten Seite –, und ich sehe dann einen Familiennamen untereinander stehen – einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal – und auf der anderen Seite denselben Familiennamen noch einmal – es war oft so, dass ganze Generationen, dass drei, vier, fünf Brüder und vielleicht sogar noch der Vater im Krieg gefallen sind –, dann weiß ich eines: Die Generation nach 1945 hatte es absolut satt, sie wollte nie wieder in eine kriegerische Auseinandersetzung hineingezogen werden. Für diese Menschen war die Neutralität mit dem Erreichen der Souveränität und der Freiheit Österreichs ein ganz großer Meilenstein.
Das heißt, ich glaube nicht, dass es ein reiner Zwang war. Natürlich war es Verhandlungsgeschick und auch ein Teil im Rahmen der Verhandlungen, wie man diese Freiheit erreichen konnte, aber die Österreicher haben sich sehr wohl danach gesehnt – mit gutem Grund. Daher ist auch der Nationalfeiertag der Tag des Beschlusses der immerwährenden Neutralität.
Was ich heute auch noch gerne angesprochen gehabt hätte, ist die Frage, wie das derzeit zu bewerten ist. Die Seite der Neutralität ist nur eine Seite einer Medaille. Auf der anderen Seite der Medaille steht nämlich, dass wir für die Neutralität auch etwas bekommen haben, nämlich Garantieerklärungen, Garantieerklärungen der Hauptsiegermächte, des Vereinigten Königreichs Großbritannien, der Republik Frankreich, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion – der jetzige Nachfolgestaat der Sowjetunion ist die Russische Föderation. Diese vier haben uns die Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes garantiert. Beide Seiten einer Medaille gehören zusammen: Wie sieht es heute mit dieser Garantie aus?
In diesem Sinne freue ich mich auf gute, anregende Vorträge und im Anschluss daran – nach den anregenden Vorträgen – auf eine angeregte Diskussion.
Ich begrüße auch die Referentinnen und die Referenten des heutigen Tages und die Teilnehmer aus den politischen Klubs des Parlaments für die Podiumsdiskussion.
Ich wünsche uns einen schönen, erfolgreichen Tag. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Sehr geehrter Herr Präsident, herzlichen Dank.
Als die Schweiz neutral wurde, war Österreich in anderen geografischen Zuständen, denn das war der Wiener Kongress 1815. Ich glaube, man hat die Schweiz damals nicht wirklich gefragt, ob sie neutral werden möchte oder nicht. Sie wurde es auf jeden Fall.
Ich darf nun die Präsidentin des schweizerischen Nationalrates Maja Riniker bitten, uns ihren Beitrag über die Schweiz, ihre Neutralität und ihr heutiges Selbstverständnis darzulegen. – Herzlichen Dank.
Keynote
Maja Riniker (Nationalratspräsidentin, Schweizerische Eidgenossenschaft): Sehr geehrter Herr Präsident des Nationalrates! Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrates! Sehr geehrter Herr Präsident Fischer! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Gäste! Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Gelegenheit, hier vor Ihnen sprechen zu dürfen, auch wenn ich gleich betonen möchte, dass ich in keiner Art und Weise für mich in Anspruch nehme, eine Fachexpertin für das Thema zu sein. Ich bin froh, dass anschließend zu diesem Thema unsere Schweizer Gäste, insbesondere Frau Herrmann und Herr Adler, Ihnen gegenüber ihre Ausführungen zur Entstehungsgeschichte, zu den heutigen Herausforderungen und zur Schweizer Neutralität machen werden.
Was mir aber doch zugestanden sei: Als Schweizerin und Präsidentin des Nationalrates bin ich in einer gewissen Weise doppelt neutral – einerseits weil die Neutralität seit mehr als 200 Jahren zur DNA meines Landes gehört, andererseits weil mein Amt mich zur unparteiischen Vermittlung innerhalb unseres Parlaments verpflichtet, zumindest bis zum 1. Dezember 2025; dann wählen wir meinen Nachfolger.
Wenn wir aber heute das 70-jährige Bestehen des Neutralitätsgesetzes Österreichs vom 26. Oktober 1955 würdigen: Mir fällt auf, dass das ehrwürdige Haus, in dem wir uns versammelt haben, mehr als doppelt so alt wie die österreichische Neutralität ist. Vor gut 150 Jahren wurde es fertiggestellt, entworfen von Theophil von Hansen. Was allenfalls nicht allen von Ihnen bekannt sein dürfte: 1874 übergab Theophil von Hansen die Bauleitung an einen seiner Schüler, den jungen Schweizer Architekten Hans Wilhelm Auer. Nach seinen Lehrjahren in Wien kehrte Auer in seine Heimat zurück und entwarf dort in Bern unser Bundeshaus, eingeweiht im Jahr 1902. Man könnte also sagen: Die Architektur unseres Parlamentsgebäudes in Bern ist inspiriert vom ihrigen, wenn auch das Berner Pendant an Pracht nicht ganz mit dem Wiener Original mithalten kann.
Bei der Neutralität verlief die Inspiration umgekehrt: Bekanntlich wurde die Schweizer Neutralität 1815 hier in Wien im Rahmen des Wiener Kongresses nur wenige Schritte von diesem Parlament entfernt – am Ballhausplatz in der Hofburg – erstmals völkerrechtlich anerkannt. 140 Jahre später wiederum diente sie als Vorbild für die österreichische Neutralität, was im Moskauer Memorandum von 1955 ausdrücklich erwähnt wurde.
Nun, was hat die Baugeschichte unserer ehrwürdigen Parlamente mit der Neutralität zu tun? – Ich möchte diese Gebäude und die darin lebenden Institutionen als Metapher benutzen, um eine aus meiner Schweizer Sicht wichtige Unterscheidung zu verdeutlichen, nämlich jene zwischen der Neutralitätspolitik und dem Neutralitätsrecht. Diese Unterscheidung ist wichtig, wenn wir darüber sprechen, wie sich neutrale Staaten mit den Herausforderungen ihrer Zeit auseinandersetzen sollen. Ich denke, auch genau darum sollte es beim heutigen Symposium gehen.
Die Mauern unserer Parlamente sind massiv und unverrückbar, sie trotzen den Wogen der Zeit. Genauso solide sind die Grundmauern der Neutralität. Das Neutralitätsrecht wurde in den Haager Abkommen von 1907 kodifiziert. Diese Abkommen definieren die Pflichten neutraler Staaten. Erstens: Sie müssen neutral bleiben, sie dürfen sich nicht an Kriegen anderer Staaten beteiligen. Zweitens: Sie müssen ihr Territorium verteidigen und verhindern, dass es für militärische Zwecke missbraucht wird. Drittens: Sie müssen alle Kriegsparteien im Hinblick auf den Export von Rüstungsgütern gleich behandeln.
So wie unsere Parlamente nicht allein durch ihre Mauern bestehen, sondern durch das lebendige Geschehen im Inneren, so gewinnt die Neutralität erst durch ihre konkrete Politik Gestalt. Die Neutralitätspolitik umfasst alle Maßnahmen, die ein Staat über seine neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen hinaus trifft, um Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit seiner Neutralität zu sichern. Die Neutralitätspolitik ist wandelbar, sie geht mit der Zeit mit.
Dies konnte man in der Schweiz und auch in Österreich gut beobachten. Historische Ereignisse wie das Ende der Sowjetunion, der Kalte Krieg und, zumindest im Fall der Schweiz, die beiden Weltkriege haben jeweils die Neutralitätspolitik der Zeit beeinflusst. Sie war nie starr und auch von den politischen Personen geprägt, die zu diesen Zeitpunkten in den verantwortlichen Positionen waren.
Auch aktuell wird in der Schweiz die Frage im Parlament und in der Regierung wieder regelmäßig diskutiert. Ich wage auch die Behauptung, dass die nächsten Generationen sich auch wieder mit der Neutralität werden befassen müssen, und wenn sie es nicht müssen – was ich mir in der aktuellen Weltlage sogar sehr wünsche –, dann werden sie es trotzdem tun, weil sie es wollen; die Neutralitätspolitik treibt uns immer wieder um.
Aus diesem Grund danke ich Ihnen, geschätzter Kollege Walter Rosenkranz, für die Weitsicht, dieses Symposium zu initiieren und zu organisieren. Ich nehme sogleich Ihre Frage in Ihren einleitenden Worten, geschätzter Walter Rosenkranz, nach dem Grund und auch dem Sinn des Symposiums, die Gemeinsamkeiten und auch die Unterschiede zwischen der österreichischen und der schweizerischen Neutralität zu beleuchten, auf.
Bevor ich das aber kann, muss ich, glaube ich, noch kurz darlegen, was die Schweizer Neutralität überhaupt ist. Wenn wir ins Lehrbuch oder einfach auf die Website unseres Außenministeriums schauen, dann lesen wir – Zitat –: Die Schweizer Neutralität ist dauernd und bewaffnet, sie ist selbstgewählt, international anerkannt und „dient der Sicherung der Unabhängigkeit unseres Landes und der Unverletzlichkeit des Staatsgebiets. In Übereinstimmung mit dem Neutralitätsrecht nimmt die Schweiz nicht an Kriegen zwischen anderen Staaten teil.“
In dieser Grundhaltung ist sie der österreichischen Neutralität sehr ähnlich, auch wenn sie natürlich einem anderen historischen Kontext entwachsen ist. Die Schweizer Neutralität entwickelte sich in der alten Eidgenossenschaft im Zentrum des europäischen Kontinents und zwischen oft kriegsführenden Staaten nicht aufgrund eines einzelnen Ereignisses, sondern über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten.
In der heute noch erkennbaren Form ist sie jedoch ein Kind des 19. Jahrhunderts. Nach innen war sie ein Instrument, um die junge Eidgenossenschaft zusammenzuhalten. Sprachliche, konfessionelle und politische Unterschiede hätten eine gemeinsame Bündnispolitik fast unmöglich gemacht, Neutralität nach außen war deshalb der Schlüssel zum inneren Frieden und wurde so zu einem wichtigen Bestandteil bei der Entstehung unserer modernen nationalen Identität. Von außen wurde sie, wie ich schon eingangs erwähnt habe, 1815 am Wiener Kongress von den europäischen Großmächten im Herzen des Kontinentes anerkannt, eine strategische Pufferzone. Damit war die Schweizer Neutralität zugleich autonom gewachsen und völkerrechtlich festgeschrieben.
Wie wir schon gehört haben, hat Ihre Neutralität in dem Sinne 1945 begonnen. Sie ist ein Kind des 20. Jahrhunderts und entstand in einem völlig anderen Kontext. Sie war Bedingung für den Staatsvertrag und den Abzug der Besatzungstruppen und wurde zum Symbol der wiedergewonnenen Selbstständigkeit Österreichs. Die Sowjetunion akzeptierte die volle Souveränität Österreichs unter der Bedingung, dass sich das Land nach dem Muster der Schweiz für neutral erklärt. Damit wurde die Neutralität hier gewissermaßen zum Preis der Freiheit und auch zum Fundament der Zweiten Republik.
Nicht nur der historische Kontext unterscheidet unsere Neutralitätskonzepte, auch ihre rechtliche Verankerung. Herr Nationalratspräsident, Sie laden mich ein, mit Ihnen das 70-jährige Bestehen eines Verfassungsgesetzes zu würdigen. Ich muss Ihnen sagen: Unsere über 200-jährige Neutralität findet sich in unserer schweizerischen Bundesverfassung nur am Rande erwähnt. Die Bundesverfassung von 1848 übertrug Bundesrat und Bundesversammlung zwar die Aufgabe, Maßnahmen zur Wahrung der Neutralität zu treffen, doch die Verfassungsautoren verzichteten bewusst darauf, Neutralität in den Zweckartikel oder die außenpolitischen Grundsätze zu schreiben. In der Schweiz stützt sich die Neutralität somit nicht auf ein spezielles Gesetz, sondern auf das Völkerrecht und eine lange Staatspraxis. In der Schweiz versteht man Neutralität bis heute in erster Linie als Instrument – ein Mittel, um die Unabhängigkeit zu wahren, den inneren Zusammenhalt zu stärken und der Außenpolitik möglichst große Handlungsspielräume zu sichern. Ich sagte zwar eingangs von meiner Rede, dass die Neutralität in der DNA unseres Landes verankert ist, gleichzeitig betrachten wir sie jedoch verfassungsrechtlich lediglich als Mittel unserer Außenpolitik. Vielleicht haben wir es da mit einem guten Beispiel für das typisch schweizerische Understatement zu tun.
Auch bei der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen haben unsere Länder unterschiedliche Wege gewählt. Österreich trat bereits 1955 den Vereinten Nationen bei, die Schweiz folgte erst 2002. Noch bei der gescheiterten UNO-Beitrittsabstimmung im Jahr 1968 war die Wahrung der Neutralität das ausschlaggebende Gegenargument. Ebenso zeigen sich Unterschiede in unserer Beziehung zu Europa: Österreich ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union und damit auch Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Sie wissen es: Die Schweiz hingegen hat sich bewusst außerhalb der Europäischen Union positioniert. Sie verfolgt den bilateralen Weg, um wirtschaftlich eng verbunden zu bleiben, wahrt aber die Möglichkeit, in außen- und sicherheitspolitischen Fragen jeweils eigenständig zu entscheiden. Sicher ist, dass die Neutralität es der Schweiz erlaubt, in Konfliktsituationen unabhängig zu agieren. Sie stärkt ihre Rolle als Vermittlerin, als Schutzmacht, als Gastgeber in internationalen Organisationen und Konferenzen. Unsere Neutralität verschafft uns Glaubwürdigkeit, wenn wir uns für Frieden und Dialog einsetzen. Darüber hinaus ist die Neutralität eine Verpflichtung – ganz klar eine Verpflichtung –, das Völkerrecht zu wahren und Verletzungen klar zu benennen.
Die Neutralität ist aber nicht Schutz für uns selbst, sondern eben auch ein Beitrag zu einer friedlicheren Weltordnung. Doch gerade diese Verpflichtung stellt sich in jüngster Zeit mit einer neuen Dringlichkeit. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 war für ganz Europa eine Zäsur, auch für neutrale Staaten eine eigentliche Zeitenwende. Plötzlich stellten sich Fragen, wie Neutralität im Angesicht eines so klaren Verstoßes gegen das Völkerrecht nun gelebt werden soll. Die Schweiz reagierte entschlossen. Sie verurteilte den Bruch des Völkerrechts aufs Schärfste. Sie übernahm die Sanktionen der EU und sie leistete der Ukraine umfassende Unterstützung – humanitär, finanziell, bei der Aufnahme von Flüchtlingen, beim Wiederaufbau.
Neutralität bedeutet also nicht Gleichgültigkeit und Abseitsstehen. Sie heißt nicht, dass wir uns abwenden und schweigen, wenn grundlegende Prinzipien des Völkerrechts verletzt werden, im Gegenteil, Neutralität ist eine Verpflichtung gegenüber unseren eigenen Werten, gegenüber Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Sie verlangt von uns, klar Position zu beziehen, wo diese Werte missachtet werden, und mit Mitteln, die uns als neutralem Staat offenstehen, Verantwortung zu übernehmen.
Gleichzeitig sind die Herausforderungen der Gegenwart komplexer geworden, als es die Väter und Mütter von 1815 oder 1955 je voraussehen konnten. Heute geht es nicht nur um klassische Kriege, sondern auch um Cyberangriffe, hybride Bedrohungen, Desinformation oder die Sicherheit unserer Energieversorgung. All das wirkt auf die Glaubwürdigkeit der Neutralität. Man kann sich tatsächlich fragen, ob die Mauern und Säulen des Neutralitätsrechts, von denen ich gesprochen habe, wirklich so solide sind. Sie basieren auf Vereinbarungen aus dem Jahre 1907, die den Landkrieg zwischen Armeen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Zeit ohne Funkübertragungen oder Luftfahrt regelten. All das wirkt sich eben auf die Glaubwürdigkeit der Neutralität aus. Wir sehen aber: Nicht nur in Österreich, auch in der Schweiz genießt die Neutralität bis heute große Zustimmung, gerade in einer Zeit der Unsicherheit. Dennoch sind die Diskussionen über ihre konkrete Ausgestaltung lebendig – sei es im Spannungsfeld mit der EU-Mitgliedschaft in Österreich oder mit der Frage zur Sanktionspolitik oder, wie bei uns in der Schweiz, mit der Frage zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial.
Seit Ausbruch des Ukrainekrieges ist in der Schweiz eine lebhafte, kontroverse und teilweise auch polarisierende Neutralitätsdebatte zu beobachten. Studien weisen darauf hin, dass, wenn Kriege in Europa ausgetragen werden, die Neutralität von Stimmberechtigten kritisch gesehen wird und im Zuge dessen die Kooperationsbereitschaft mit der Nato steigt. Dabei gilt: Je strikter Stimmberechtigte die Neutralität auslegen, desto geringer ist die Nato-Kooperationsbereitschaft.
Das bringt mich zu einem anderen wichtigen Punkt: Zur Glaubwürdigkeit der Neutralität gehört auch die Verteidigungsfähigkeit. Ein neutraler Staat muss sich verteidigen können und sicherstellen, dass Kriegsparteien sein Gebiet nicht für ihre Zwecke nutzen. Hier müssen wir nüchtern feststellen – und ich spreche nun wirklich nur für die Schweiz –: In unserem Land ist sie nicht so robust, wie es die geopolitische Lage verlangen würde. Die Bestände der Armee wurden über Jahrzehnte reduziert und Budgets gekürzt, mit der Folge, dass Material, Vorräte und Einsatzbereitschaft nicht genügen. Zudem ist heute eine gute Verteidigungsstrategie ohne internationale Zusammenarbeit kaum denkbar. Ab dem 2. Dezember 2025 wird die Nationalrätin Riniker dann ganz klar sagen: Eine gute Verteidigungsstrategie ist ohne die internationale Zusammenarbeit nicht denkbar. – Deshalb beteiligt sich die Schweiz an Programmen wie der Partnerschaft für den Frieden, der Nato, am Euro-antlantischen Partnerschaftsrat, und sie hat sich gemeinsam mit Österreich der European-Sky-Shield-Initiative angeschlossen. Wir haben das auch unterzeichnet. Diese Zusammenarbeit stärkt die Verteidigung unserer Länder, ohne die Neutralität infrage zu stellen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Neutralität kein automatischer Schutzschild ist.
Das haben die Erfahrungen anderer Länder im 20. Jahrhundert gezeigt: Neutralität schützt nur dann, wenn sie eben glaubwürdig ist, wenn sie militärisch abgesichert ist und wenn sie für andere Staaten einen erkennbaren Mehrwert schafft. Nach 70 Jahren österreichischer und über 200 Jahren schweizerischer Neutralität stellt sich die Frage: Ist dieses Konzept noch zeitgemäß? Manche Länder – wir wissen es alle: Schweden und Finnland – haben ihre Neutralität aufgegeben. In der Schweiz hingegen ist die Unterstützung in der Bevölkerung ungebrochen hoch: Über 90 Prozent sprechen sich für ihre Beibehaltung aus. Gleichzeitig aber sprechen sich in anderen Studien rund 30 Prozent der Befragten für einen Nato-Beitritt aus. Wie das zusammengehen soll, wäre dann schon einmal eine Diskussion für sich.
Auf jeden Fall bin ich aber überzeugt: Neutralität muss mit der Zeit gehen, sie muss weiterentwickelt werden, so wie sich unsere Gesellschaft und auch die Außenpolitik verändern. Nur so bleibt sie wirksam – als Instrument, das Unabhängigkeit sichert und eben Verantwortung ermöglicht.
In der Schweiz führen wir diese Diskussion über eine zeitgemäße Ausgestaltung der Neutralität, wie ich schon früher erwähnt habe, immer wieder aktiv. Gerade aktuell debattiert das Parlament eine Volksinitiative, die sogenannte Neutralitätsinitiative. Sie will eine – Zitat – immerwährende bewaffnete Neutralität – Zitatende – ausdrücklich in der Bundesverfassung verankern und den Beitritt zu militärischen Bündnissen sowie die Übernahme von Sanktionen gegen kriegführende Staaten einschränken. Die Schweizer Regierung und voraussichtlich auch die Mehrheit des Parlamentes lehnen diese Initiative jedoch ab, weil sie die Handlungsfreiheit der Außen- und Sicherheitspolitik zu stark einengen und auch die internationale Glaubwürdigkeit der Schweiz schwächen würde. Am Ende wird sich aber das Schweizer Stimmvolk dazu äußern. So will es unsere direkte Demokratie.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Mauern um unser Parlamentsgebäude sind alt und fest, doch innen wandelt sich vieles und manchmal wird auch gründlich renoviert. So wie das österreichische Parlamentsgebäude in den vergangenen Jahren umfassend saniert wurde und nun in neuem Glanz erstrahlt, so muss sich auch die Neutralität von Zeit zu Zeit erneuern – nicht, um ihre Fundamente zu verändern, sondern um sie den Anforderungen der Gegenwart anzupassen und ihre Strahlkraft für die Zukunft zu bewahren, ganz in dem Sinne, wie Sie es gesagt haben, Herr Bundespräsident, nämlich um auch einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt zu leisten. In diesem Sinne erwartet uns nun heute ganz sicher noch eine ganz spannende Diskussion, und sie wird in der Zukunft weitergeführt werden.
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, ich danke Ihnen noch einmal ganz herzlich für die Ausrichtung dieses Symposiums und ich freue mich nun sehr auf die Ausführungen der kommenden Referentinnen und Referenten. – Besten Dank. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank. Ich darf nun zu den Referentinnen und Referenten überleiten – eigentlich ist es ein Gruppenbild mit Dame – und darf als Erster den Blick in die Geschichte wagen, nämlich in die Geschichte der Schweizer Neutralität und hierzu Frau Irène Herrmann bitten, zur Rostra, zur Tribüne zu kommen. Sie ist Professorin für neuere schweizerische Geschichte an der Universität Genf, hat unter anderem Russisch und natürlich auch Geschichte studiert und ist auch Mitglied der Schweizer Gesellschaft für Geschichte. – Herzlichen Dank, Sie sind am Wort.
Impulsvorträge
Irène Herrmann (Professorin für Schweizer Geschichte, Zeitgeschichte, Universität Genf): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen für die Gelegenheit, die Sie mir als Französisch sprechende Historikerin geben, um über die Entwicklung der schweizerischen Neutralität zu sprechen, danken. Mein Vortag gliedert sich in zwei Teile: Zunächst werde ich die wichtigsten Entwicklungsschritte des Neutralitätskonzepts in den letzten zwei Jahrhunderten darstellen. Anschließend möchte ich einige grundsätzliche Überlegungen zur Funktionsweise und Wahrnehmung der Neutralität anstellen – mit einem Ausblick auf die Gegenwart.
Die erste offizielle Erklärung zur Neutralität als Prinzip und nicht nur als situative Notlösung der Schweiz stammt aus dem Jahr 1674, um einen Einsatz in der Freigrafschaft Burgund zu vermeiden. Es war also ein Ausdruck von Schwäche und Feigheit, der aber zugleich eine positive Deutung dieses Begriffs erkennen lässt. Für die Schweizer – und die Schweizer alleine – war Neutralität keine Feigheit, sondern eine schlaue und daher legitime Überlebensstrategie. 1815 war sie am Wiener Kongress die einzige gemeinsame Forderung der Kantone, und tatsächlich: Im November in Paris garantierten die Großmächte die immerwährende Neutralität der Schweiz – nicht aus Zuneigung, sondern weil es ihren europäischen Interessen entsprach. Weder die Neutralität noch ihre Garantie wurden klar definiert. Mächte wie Österreich und Russland versuchten, der Schweiz ihre eigene Vorstellung von Neutralität aufzuzwingen, was im Land selbst vor allem bei liberalen Eliten auf Widerstand stieß. Deshalb erschien die Neutralität in der Bundesverfassung von 1848 nicht als Staatsziel, sondern nur in einzelnen Nebenartikeln. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 zeigte der Schweizer Politik, dass sie im Ernstfall nicht auf die Garantiemächte zählen konnte. Um glaubwürdig zu bleiben, setzte sie auf das Humanitäre. Die Neutralität sollte nicht nur Selbstschutz sein, sondern auch einen Mehrwert für andere bieten. Mit der Entwicklung des Völkerrechts erhielt diese Haltung zusätzlichen Rückhalt. 1907 regelte die 5. Haager Konvention die Rechte und Pflichten neutraler Staaten, allerdings nur im Rahmen klassischer Kriege. Der Erste Weltkrieg, der kein klassischer Krieg war, stellte die Schweiz vor enorme Herausforderungen. Sie war umgeben von Kriegführenden und litt unter Versorgungsengpässen. Gleichzeitig engagierte sie sich humanitär, übernahm Schutzmachtmandate und versuchte, Friedensbemühungen zu unterstützen. Dabei kam es sowohl auf Schweizer wie auch auf gegnerischer Seite zu Verletzungen des Neutralitätsrechts. Doch am Ende des Krieges blieb das internationale Ansehen der Schweiz erstaunlich intakt.
Nach 1919 beherbergte die Schweiz den Sitz des Völkerbundes. Der Beitritt erforderte eine Anpassung, die als differenzielle Neutralität bezeichnet wird. Die Schweiz beteiligte sich an wirtschaftlichen Sanktionen, nicht aber an militärischen. 1938 kehrte sie zur integralen Neutralität zurück, in einem Moment, da der Völkerbund seine Ohnmacht längst bewiesen hatte und der nationalsozialistische Bellizimus eine neue Katastrophe ankündigte.
Im Zweiten Weltkrieg war die Schweiz besser vorbereitet, hielt aber nicht immer die Haager Regeln ein. Besonders ihre Finanzgeschäfte begünstigten das Dritte Reich. Wirtschaftliche Notwendigkeiten spielten dabei eine große Rolle, wurden aber international oft als ideologische Nähe zu den Achsenmächten gedeutet. Nach 1945 stand die Schweiz deshalb auf der Seite der moralischen Verlierer. Ein UNO-Beitritt kam politisch nicht infrage, weil die Schweiz nicht eingeladen wurde und weil die Schweizer, erleichtert, dem Konflikt entkommen zu sein, die sogenannte integrale Neutralität als Garant des Überlebens betrachteten.
Um internationale Isolation zu vermeiden, erfand die Regierung die Formel Neutralität und Solidarität: neutral im militärischen Bereich, aber aktiv in humanitären und internationalen nicht politischen Organisationen. So versuchte die Schweiz, ihre Neutralität durch Engagement und Nützlichkeit glaubwürdig zu machen.
Trotz dieser offiziellen strikten Neutralität war im Kalten Krieg klar: Die Schweiz ist ein kapitalistisches Land, dessen Lagerzugehörigkeit eindeutig ist, und auf vorsichtige Weise trat es sogar schrittweise internationalen Organisationen bei, die sogenannte Schweizer Werte wie Demokratie vertraten. Doch schon 1986 zeigte das Nein zum UNO-Beitritt, dass das Stimmvolk noch stark an einer integralen Auslegung festhielt.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts entwickelte sich die Neutralität tatsächlich in zwei Richtungen: einerseits in Richtung aktive Neutralität, mit dem im Jahre 2002 erfolgten UNO-Beitritt und der darauffolgenden Einhaltung von Kapitel VII der Charta sowie mit einer Außenpolitik der aktiven solidarischen Neutralität, die internationale Rechtsnormen nicht nur anerkennt, sondern auch fördert. Andererseits aber verstärkte sich eine nostalgische Haltung: Für viele Bürgerinnen und Bürger blieb die Neutralität in ihrer klassischen integralen Form die einzig wahre.
Was lässt sich daraus lernen? – Erstens: Neutralität ist kein einheitlicher Block. Sie besteht aus mehreren Schichten. Das Fundament bildet das Völkerrecht von 1907, für die Schweiz 2002.
Darauf bauen die Neutralitätspolitik oder alle Maßnahmen auf, die ergriffen werden, um diese Neutralität glaubwürdig zu machen. Es ist eine Neutralitätspolitik, die im Laufe der Zeit flexibel gehandhabt wurde, mit humanitärer Hilfe, Vermittlung, guten Diensten, Förderung internationaler Normen und mit wirtschaftlichen Sanktionen oder Übereinkünften.
Doch das Entscheidende ist die dritte Dimension: die Wahrnehmung im In- und Ausland. Neutralität wird international nur akzeptiert, wenn sie auch den Interessen anderer Staaten dient. Sie wird abgelehnt, sobald sie als einseitig oder opportunistisch erscheint. Deshalb mussten die Schweizer stets zeigen, dass ihre Neutralität nicht nur Selbstschutz war, sondern auch einen Mehrwert für die internationale Gemeinschaft bot.
Die innere Wahrnehmung wiederum hat die Neutralität zu einem Symbol nationaler Identität erhoben. Aus einem umstrittenen außenpolitischen Werkzeug wurde seit den zwei Weltkriegen ein fast heiliger Bestandteil der schweizerischen Selbstdefinition. Das erschwert jede Anpassung, weil jede Diskussion so geführt wird, als sei die Neutralitätspolitik zum Neutralitätsrecht und zum Staatsziel geworden. Noch mehr: Auch die internationale Gemeinschaft scheint dieser Verwechslung zu erliegen.
Genau deshalb ist es entscheidend, Veränderungen der Neutralitätspolitik zu erklären, nach innen wie nach außen. Nur so lässt sich etwa die kooperative Neutralität, die Außenminister Bundesrat Cassis vorgeschlagen hat, verständlich machen. Gerade im Ukrainekrieg zeigt sich trotz aller Ähnlichkeiten, dass man sich nicht mehr auf die sogenannte integrale Neutralität des Kalten Krieges zurückziehen kann – nicht zuletzt, weil es diese sogar damals nie gegeben hat.
Die Neutralität hat immer den Spielraum genutzt, den das Neutralitätsrecht bietet, sie war immer flexibel, angepasst an die politischen, wirtschaftlichen und prestigebezogenen Herausforderungen des Augenblicks.
Aus historischer Perspektive scheint es für die Schweiz überaus wichtig, ihre Werte klar zu artikulieren. Sonst droht die internationale Gemeinschaft wie einst im Jahre 1674 Neutralität wieder als Ausdruck von Schwäche oder Feigheit zu betrachten. – Ich danke Ihnen sehr. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Ich komme nun zur juristischen Seite und darf Prof. Peter Hilpold begrüßen. Er ist Professor für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Innsbruck und Professor für internationales Recht an der Universität Padua.
Lieber Herr, Professor, ich darf Ihnen zu Beginn eine Frage mitgeben, die ich in die Form eines Bonmots kleiden möchte, und zwar, wie der ehemalige sozialdemokratische Finanzminister Hannes Androsch es mir einmal auf die Frage der Neutralität hin gesagt hat. Ich habe gefragt: Wie wird sich die Neutralität entwickeln?, und er hat mir darauf geantwortet: Schau, mit der Neutralität wird es so sein wie mit der Bärenführerverordnung Maria Theresias: Sie wird nie abgeschafft, aber nicht mehr angewandt werden.
Bitte, ich darf Sie um Ihre Ausführungen bitten.
Peter Hilpold (Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht, Universität Innsbruck): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin! Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Symposiums! Ich darf mich sehr herzlich für die Einladung bedanken, vor diesem Hohen Haus zur Frage der Neutralität zu sprechen. Auf die Frage von Herrn Wehrschütz werde ich dann im Laufe des Referats eingehen können.
Ich glaube, ganz grundsätzlich ist in den Vorträgen, die bislang gehalten worden sind, schon sehr viel vorweggenommen worden, worauf ich mich dann stützen kann, worauf ich Bezug nehmen kann, und ich glaube, so fügen sich diese Überlegungen sehr gut zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Ganz spontan: Die Bemerkung der Frau Nationalratspräsidentin, dass man zwischen Neutralität in rechtlicher und politischer Hinsicht unterscheiden müsse, also zwischen Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik, ist, glaube ich, ganz zentral. Wenn man sich diese Differenzierung vor Augen führt, dann kann man, glaube ich, auch viele Missverständnisse überwinden.
Ich werde mich also primär auf die rechtliche Perspektive konzentrieren, aber ja, wenn ich im Jahr 2025, im Herbst 2025, aus rechtlicher Sicht über Neutralität sprechen soll, dann könnte das nahelegen, primär die Frage aufzuwerfen, welchen Stellenwert dieses Institut überhaupt noch haben kann, wenn dieses doch primär einer Zeit zuzurechnen ist, in der es noch ein Ius ad Bellum gegeben hat, also kein allgemeines Gewaltverbot, sondern ein freies Recht auf Kriegsführung geherrscht hat, während das gegenwärtige Völkerrecht eben von einem allgemeinen Gewaltverbot gekennzeichnet ist. Ja, man kann sagen: Im Völkerrecht ist eigentlich wenig mehr vom Neutralitätsrecht verblieben.
Das Unionsrecht kennt nunmehr in Art. 42 Abs. 7 EUV eine Beistandspflicht, und diese überlagert gemäß Artikel 23j B-VG das im Neutralitätsgesetz von 1955 enthaltene Verbot, ein militärisches Bündnis einzugehen. Was verbleibt dann noch vom verfassungsrechtlichen Neutralitätsrecht, wenn man von den ungewissen Spielräumen aus absieht, die die sogenannte irische Klausel im zweiten Unterabsatz von Art. 42 Abs. 7 eröffnet? Diese Aspekte auch nur annähernd zu erläutern, würde die zur Verfügung stehenden 10 Minuten bereits restlos konsumieren – und wohl noch viel mehr.
Der heutige Anlass ist aber ein feierlicher, und deswegen sollten wir, so denke ich, die positiven Aspekte in den Vordergrund stellen, was ja auch geschehen ist. Deshalb werde ich in erster Linie auf die historische Perspektive Bezug nehmen, die auch der Herr Nationalratspräsident schon angesprochen hat.
Ich kann nur bestätigen: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Neutralitätserklärung eine politische – wenn auch nicht eine rechtliche – Vorbedingung für die Wiedergewinnung der vollen Souveränität für Österreich im Jahr 1955 war. Dieser Aspekt kann für eine Zeit extremer politischer Anspannung – das kann man sich ja heute oft schwer vorstellen, wie intensiv der Kalte Krieg in jener Zeit war – gar nicht hoch genug bewertet werden.
Die Neutralität Österreichs hat auch ermöglicht, wirtschaftlich einen eigenen Weg zu gehen, als der Beitritt zur EWG über die Jahrzehnte hin nicht möglich war. Die Neutralität ist schließlich auch Teil der österreichischen Identität geworden, auch das ist angesprochen worden. Sie ist ein ideeller Wert, aber dennoch von ganz großem Gewicht.
Kommen wir nun zur Gegenwart und wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie vermerkt ist völkerrechtlich also wenig vom Neutralitätsrecht übrig geblieben, viele Völkerrechtslehrbücher erwähnen diesen Begriff gar nicht einmal mehr. Realistisch betrachtet ist aber die Aufgabe der Neutralität aktuell keine Option. Viel zu sehr ist dieser Begriff in Österreich – wie wir aber gehört haben, auch in der Schweiz – positiv besetzt, viel zu sehr der Glaube daran in der Bevölkerung verankert, auch wenn der rechtliche Gehalt dieses Konzepts wohl weithin unklar ist und die daraus resultierenden Konsequenzen auch nicht allgemein bewusst sind. Im Parteienwettbewerb ist das Bekenntnis dazu aber fast ein Muss. Wer sich dagegen ausspricht, hat wohl nicht die Ambition, eine Stimmenmehrheit zu erringen.
Man darf die Schwierigkeiten nicht unterschätzen, die damit für die Entscheidungsträger verbunden sind. Die modernen Herausforderungen der Verteidigung sind mit konsequenter Neutralitätspolitik kaum in Einklang zu bringen. Wenn beispielsweise wie erwähnt die Sky-Shield-Initiative mehr sein soll als eine bloße Einkaufsplattform – sie wird so dargestellt, aber die Dokumente deuten doch in eine andere Richtung und auch der Name deutet darauf hin, dass es nicht eine bloße Einkaufsplattform ist –, dann liegt ein Verteidigungsbündnis vor, das mit dem Neutralitätsgesetz eben nicht vereinbar ist; wobei noch erschwerend hinzukommt, dass diese Initiative auch keine EU-rechtliche ist, denn dann wäre sie ja durch Art. 42 Abs. 7 abgedeckt. Die Politik muss aber eine Neutralitätskonformität auch in Bezug auf diese Initiative vertreten – das ist ganz klar, sonst wäre diese Initiative ja verfassungswidrig –, aber es ist eben kein leichtes Unterfangen.
Zur Friedensfazilität wäre Ähnliches zu sagen: Österreich leistet da keine militärische Unterstützung im engeren Sinn, zahlt aber auf den Cent genauso viel ein, wie es die Höhe des Bruttoinlandsprodukts verlangt – unterm Strich sind Neutrale und Nichtneutrale somit genau gleich beteiligt. Wie Professor Rhinow von der Universität Basel sehr deutlich hervorgehoben hat, macht es in nüchterner, pragmatischer Betrachtung aus neutralitätsrechtlicher Sicht wenig Unterschied, ob ein bestimmter Geldbetrag für Waffen oder zum Beispiel für Verbandsmaterial zur Verfügung gestellt wird. Von der Staatengemeinschaft beziehungsweise von der EU wird Österreichs nominelles Festhalten an der Neutralität somit akzeptiert, solange Österreich den erwarteten Solidarbeitrag erbringt.
Völkerrecht ist Konsensrecht. Die Völkerrechtspraxis ist voller Sonderregeln und diplomatischer Rücksichtnahme, damit souveränen Anliegen formeller Natur Rechnung getragen werden kann. Entscheidend ist auf Dauer, dass die Reziprozität gewahrt bleibt und dass die Erwartungen an den einzelnen Staat erfüllt werden, wobei zusehends mehr Solidarität eingefordert wird. Frau Professor Herrmann hat das sehr treffend ausformuliert: Die Staatengemeinschaft erwartet Ehrlichkeit und setzt auf Vertrauen. Es kommt in der Substanz also darauf an, ob Zusagen im Kern eingehalten werden.
Österreich hat diese Erwartungen bislang erfüllt, und die Staatengemeinschaft hat Österreichs Bekenntnis zur Neutralität bislang akzeptiert – oft stillschweigend, aber immerhin auch im engeren Solidarverband der Europäischen Union. Der Rechtfertigungsaufwand der Politik ist aber wie gehört sehr groß. Das Ergebnis überzeugt auf der fachlichen Ebene häufig nicht, es ist immer wieder ein Zuwenig oder ein Zuviel. Es wird zu wenig getan: Wenn man Neutralität im traditionellen Sinn ernst nehmen würde, dann wäre wie gesagt eine Mitwirkung an Sky Shield nicht möglich, wenn es wirklich eine Initiative zur Verteidigung des Luftraumes ist. Es ist zu viel, wenn man berücksichtigt, dass das völkerrechtliche Neutralitätsrecht weitgehend an Bedeutung verloren hat und in der EU eventuelle Restbestandteile ganz wesentlich von Art. 42 Abs. 7 verdrängt worden sind.
Mein Appell kann also nur in diese Richtung gehen, dass mehr Ehrlichkeit gesucht wird – das ist auch angesprochen worden –; das ist auf politischer Ebene sehr wichtig, aber das kann man natürlich nicht einseitig erzwingen. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass Neutralität ja keine unilaterale Angelegenheit ist, sondern im Austausch mit anderen Staaten entsteht. Wir können aber intern, in der Wissenschaft, verlangen, dass mehr Ehrlichkeit und Objektivität gepflegt werden. Das ist aber häufig der Fall. Gerade letzthin haben die Kollegen Janik und Cede ein sehr schönes, kompetent verfasstes Buch zur Neutralität publiziert. In Kürze – das darf ich kurz in Eigenwerbung erwähnen – wird ein in meinem Kreis entstandener Sammelband mit Beiträgen von Experten aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und vor allem auch Italien erscheinen, in dem zahlreiche Analysen in allen Details genau in dem hier vorgetragenen Sinn – im Übrigen eben wiederum auch für die Schweiz – vorzufinden sind.
Die Politik muss hingegen den vorhin beschriebenen schwierigen Spagat schaffen – das ist keine einfache Aufgabe –, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Erkenntnisse der Wissenschaft auch in der breiteren Bevölkerung, in den Medien, in der Politik wahrgenommen werden. Die Bärenführerverordnung wird also noch eine gewisse Zeit lang in Kraft bleiben, würde ich meinen. Der Prozess ist im Gange, aber es liegt noch Weg vor uns. Auf jeden Fall ist das eine sehr spannende Herausforderung.
Es sei erneut Dank den Initiatoren dieser Veranstaltung, insbesondere dem Herrn Nationalratspräsidenten, ausgesprochen, der, wie ich glaube, auch diese Idee konzipiert hat, dass dafür ein Forum geboten wird. – Vielen Dank noch einmal. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Wir kommen nun zum eher militärischen Aspekt und kehren zunächst einmal zur Schweiz zurück, und zwar zu Joachim Adler. Er ist Chef der Verteidigungspolitik im Staatssekretariat für Sicherheitspolitik. Er war Verteidigungsattaché in London, auch akkreditiert für Irland und die Niederlande, und, was mich ganz besonders freut, er war als Milizoffizier ursprünglich bei der Gebirgsinfanterie und war leitender Nachrichtenoffizier in der Mechanisierten Division 4.
Lieber Herr Adler, bevor Sie drankommen, darf ich Sie noch bitten, auch auf zwei Themen einzugehen, das eine ist natürlich auch die Frage Schweiz und Sky Shield, was sicherlich sehr interessant ist, und zweitens: Neutralität und Landesverteidigung sind ja ohne eine entsprechende wirtschaftliche Absicherung auch in der Rüstungspolitik nicht möglich. Wie steht es da bei der Schweiz bei der Zusammenarbeit, aber auch bei der eigenen Produktion unter Neutralitätspolitik? Danke schön. – Bitte schön.
Joachim Adler (Chef Verteidigungspolitik, Stv. Chef Strategie und Kooperation, Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr General! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Damen und Herren! Ich freue mich, ein paar verteidigungspolitische Aspekte – und ich werde mich auf Verteidigungspolitik beschränken – zu diesem Thema darzulegen. Ich bin auch froh darüber, dass ich mich dabei auf die schon gemachte Unterscheidung von Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik stützen kann, das wurde ja schon sehr bildreich eingeführt.
Ich denke, zu Beginn sind zwei Aspekte ganz wichtig, wenn wir verteidigungspolitisch auf das Neutralitätsrecht blicken, nämlich erstens, das ist quasi die Einsteigerlektion: In Kriegszeiten darf natürlich der Neutrale eine Kriegspartei nicht unterstützen; aber in Friedenszeiten darf der Neutrale keine Sachzwänge eingehen, etwa Bündnis- und Beistandsverpflichtungen oder technische Sachzwänge, die diese Pflicht im Krieg verunmöglichen würden. Das ist – das will ich schon vorwegnehmen – schwieriger geworden, und zwar wegen der modernen Waffentechnologie, wegen der grenzüberschreitenden Bedrohungen im Cyberraum und natürlich auch im Weltraum. All das haben die Väter und Mütter 1815, 1907 und wahrscheinlich auch noch 1955 so noch nicht kommen sehen.
Wenn nun aber – und das ist der zweite Aspekt – der Neutrale angegriffen wird, dann sind natürlich die Pflichten der Neutralität hinfällig und er darf sich gemeinsam mit Partnern verteidigen, er darf sich einem Bündnis anschließen. Ob nun aber dieser Angriffsfall vorliegt, ist eben keine völkerrechtliche Frage, es ist auch keine militärische Frage, das ist eine absolut politische Frage. Und diese Frage steht im Kern der Neutralitätspolitik, wenn wir uns auch die wachsende Bedrohung durch eine zunehmende Lageverschlechterung in Europa anschauen.
Was heißt das jetzt für die Verteidigungspolitik der Schweiz? – Die Schweiz kann, das wurde schon gesagt, auf keinen Beistand zählen – weder nach Artikel 5 im Nordatlantikvertrag noch nach dem auch schon genannten Art. 42 Abs. 7 im EU-Vertrag. Sie hat also den Anspruch, sich eigenständig zu verteidigen – übrigens als einziges mitteleuropäisches Land neben Liechtenstein; das ist vielleicht noch einmal eine Geschichte für sich –, und deswegen sprechen wir von der bewaffneten Neutralität.
Nun hat Nationalratspräsidentin Riniker schon erwähnt, dass die Schweizer Armee diesem Anspruch derzeit nicht ganz gerecht werden kann – und ich bin froh, dass sie es war, die dieses Geheimnis gelüftet hat und nicht ich –, es ist aber auch kein Geheimnis, dass sich heute kaum ein Land in Europa alleine gegen einen modernen Gegner verteidigen könnte, nicht zuletzt aufgrund der umfassenden Bedrohung durch neue Waffen, wie ich sie schon genannt habe.
In der Schweizer Verteidigungspolitik geht es also darum, erstens die eigene Verteidigungsfähigkeit, soweit zumutbar, zu stärken, und zweitens die internationale Kooperation maßgeblich zu intensivieren.
Warum internationale Kooperation? – Sie verfolgt drei Ziele:
Erstens: Die eigenen Fähigkeiten stärken, etwa durch den Erfahrungsaustausch oder auch durch koordinierte Beschaffungen wie die European Sky Shield Initiative – und ich werde gleich darauf zurückkommen und die Frage gerne zu beantworten versuchen.
Zweitens: Für den vorhin erwähnten Fall eines Angriffs die Möglichkeit haben, sich gemeinsam mit anderen zu verteidigen. Da geht es um die Interoperabilität, also dass diese gemeinsame Verteidigung überhaupt gelingt.
Drittens: Die Bereitschaft der Partner zu dieser Kooperation erhöhen.
Wie gesagt, niemand muss der Schweiz helfen. Wenn wir wollen, dass uns jemand hilft, müssen wir etwas dafür tun. Die internationale Kooperation ist ein Geben und ein Nehmen, und unter anderem deswegen ist es auch so wichtig, dass wir in der militärischen Friedensförderung viel tun und in Zukunft noch mehr tun. Diese drei Ziele der internationalen Kooperation sind aus Schweizer Sicht problemlos mit der Neutralität vereinbar.
Damit bin ich bei der European Sky Shield Initiative und der Frage, ob das denn wirklich so ist. Zunächst einmal, glaube ich, ist sie deswegen so wertvoll, weil sie eben alle drei Ziele, die ich eben aufgezählt habe, erfüllt: Sie stärkt unsere eigenen Fähigkeiten in der Luftverteidigung – und ich muss Ihnen nicht ausführen, warum das das Gebot der Stunde ist –, zweitens erhöht sie die Interoperabilität, indem wir eben möglichst alle die gleichen Systeme beschaffen, und im Notfall können diese Systeme verbunden werden – im Notfall, wie ich gesagt habe, dann, wenn die Neutralitätspflichten ohnehin hinfällig sind –, und drittens können wir in den Arbeitsgruppen dieser Initiative einen Beitrag leisten – auch dort: ohne dass wir Sachzwänge oder Pflichten eingehen würden.
Und wenn wir schon bei dieser Initiative sind, will ich das auch noch anhängen: Das Vertragswerk enthält nichts zum Einsatz dieser Systeme, nichts, das mit der Neutralität unvereinbar wäre – es geht um die Beschaffung, es geht um die Kooperation bei Logistik und Ausbildung –, und sie enthält eine Suspendierungsklausel, die Österreich und die Schweiz gemeinsam erwirkt haben, sodass wir, wenn ich das so salopp sagen darf, jederzeit den Stecker ziehen können, wenn es uns mit der Vereinbarkeit ein bisschen mulmig wird.
Meine Damen und Herren, die Neutralität ist kein Selbstzweck. Sie ist zuerst, und aus meiner Funktion gesprochen, vor allem ein sicherheitspolitisches Instrument. Deswegen müssen wir sie an ihrem sicherheitspolitischen Nutzen messen, und dieser Nutzen hängt von der Lage ab, in der wir sie anwenden. Je starrer die Auslegung der Neutralität, je starrer die Neutralitätspolitik, desto schwieriger wird es eben, sie der Lage anzupassen, und desto größer ist die Gefahr, dass sie ihren Wert verliert.
Damit komme ich zu den Fragestellungen, die sich aus dieser Erkenntnis ergeben, und diese Fragestellungen beschließen meinen Vortrag.
Erstens: Wann liegt überhaupt ein bewaffneter Konflikt oder ein bewaffneter Angriff vor? – Hybride Konfliktführung verwischt genau diese Konzepte; es geht ja bei der hybriden Konfliktführung genau darum, eben nicht offenzulegen, dass man einen Krieg führt, und die Klarheit dieser Konzepte werden im Neutralitätsrecht vorausgesetzt. Oder anders gesagt: Wenn wir nicht mehr wissen, wann Krieg ist, wissen wir auch nicht, wann das Neutralitätsrecht anzuwenden ist. 1907 gab es noch eine Kriegserklärung, da war es natürlich ein bisschen einfacher.
Zweitens: Wie gehen wir mit den bereits erwähnten Sachzwängen um? Wie viel Selbstständigkeit ist im Cyberraum, im Weltraum oder in der Abwehr von modernen Distanzwaffen zumutbar? Wenn unser Lagebild an der Landesgrenze endet, dann sind wir gegen ballistische Lenkwaffen, Marschflugkörper und Drohnen chancenlos, und wenn die dann auch noch aus dem Osten herangeflogen kommen und wir sie möglichst nicht über unserem Hoheitsgebiet bekämpfen möchten, dann sollten wir zumindest mit Österreich sprechen können, sonst könnte es für Sie schädlich enden.
Drittens: Wie gestalten wir eine Neutralitätspolitik, die uns nicht isoliert? Für die Schweiz bedeutet Neutralität nicht Äquidistanz zwischen Aggressor und Opfer. Neutralität verbietet militärische Unterstützung, aber sie gebietet keine Gleichgültigkeit. Sie verlangt auch nicht, dass wir die Hilfe unserer Partner behindern, wie es beim Wiederausfuhrverbot, das ist auch schon erwähnt worden, leider im Moment der Fall ist. Das Schweizer Parlament, unter anderem Nationalratspräsidentin Maja Riniker – vor allem noch in der Rolle als Nationalrätin Riniker –, weiß von dieser nunmehr dreijährigen Debatte, die wir führen, um aus diesem Dilemma herauszukommen.
Die Lösung dieses Problems ist deswegen so wichtig, weil viertens – und damit bin ich bei der Rüstungsindustrie – eine bewaffnete Neutralität ohne eigene Rüstungsindustrie kaum denkbar ist. Der eigene Rüstungsmarkt oder die eigene Abnehmerschaft im Land, also die Schweizer Armee, ist zu klein, um eine Rüstungsindustrie zu erhalten, also sind wir auf ausländische Käufer angewiesen. Diese ausländischen Käufer haben aber allmählich erkannt, was es mit der Neutralität im Waffengeschäft auf sich hat: Im Kriegsfall könnten wir nämlich kein Material liefern. Wenn sie bei uns Material kaufen, können sie dieses nicht weitergeben, und das ist ein Problem.
Damit bin ich bei fünftens und letztens: Wie können wir die Bereitschaft unserer Partner zur Kooperation erhöhen? Wie erhalten wir diese Partnerschaften, die sicherheitspolitisch für uns schlicht überlebenswichtig sind? – Einige unserer internationalen Partner sehen die Schweizer Neutralität zunehmend kritisch. Wenn wir also weiterhin darauf hoffen wollen, dass sie uns unterstützen, müssen wir immer wieder den Tatbeweis erbringen, dass die Schweiz auch als neutrales Land eine Mitverantwortung an Europas Sicherheit tragen will, und vor allem, dass Neutralität nicht Abkehr bedeutet. – Vielen Dank. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank, auch für die klaren Worte.
Für mich als Oberstleutnant der Miliz ist es eine besondere Ehre, den nächsten und letzten Experten einmoderieren zu können. Er hat 1975 die Ausbildung als Einjährig-Freiwilliger angetreten, anschließend die Militärakademie absolviert, ist als Leutnant der Panzertruppe ausgemustert und hat dann einen Generalstabskurs absolviert. Begegnet sind wir einander auch 2011/2012, als er Kommandant der Streitkräfte der Europäischen Union Eufor Althea in Bosnien war. Von 2022 bis 2025 war er Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union.
Es freut mich sehr, General in Ruhe Mag. Robert Brieger um seine Ausführungen zu bitten. Auch Sie bitte ich, dass Sie ein bisschen auf das Verhältnis zwischen Streitkräfte und Rüstungsindustrie eingehen, wie wichtig das auch für das österreichische Bundesheer ist. – Herzlichen Dank, Herr General. (Beifall.)
Robert Brieger (General i. R., österreichisches Bundesheer): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich herzlich für das Privileg, hier auf diesem wichtigen Symposium vortragen zu dürfen.
Ich habe mir folgendes Thema gestellt: Neutralität und Solidarität, ein Gegensatz? Österreichs Positionierung im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union.
Ich denke, dass der Ausgangspunkt für die gegenwärtige Diskussion – und die Diskussion hier ist ja nicht die einzige, die wir in Österreich führen – die verschlechterte sicherheitspolitische Lage weltweit und vor allem in Europa ist.
Wir mussten 2022 feststellen, dass in Europa wieder konventionelle Kriege geführt werden und dass eine nach dem Ende des Kalten Krieges lange gepflegte Illusion, dass die internationalen Probleme mit Handel und Wandel gelöst oder zumindest einer Lösung nähergebracht werden können, nicht mehr zutrifft.
Die Leitfrage für mich lautet daher: Wie kann Österreich als neutrales Land solidarisch in der Europäischen Union handeln? – Die Europäische Union ist, wie wir alle wissen, als eine politische und ökonomische Interessengemeinschaft gegründet worden und gewachsen, sie hat aber in den letzten zehn Jahren, zunehmend seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges, eine militärische Dimension hinzugewonnen, für deren inhaltliche Ausgestaltung der Vertrag von Lissabon, der 2009 ratifiziert wurde, maßgeblich ist. Dieser Vertrag beinhaltet die bereits erwähnte Beistandsklausel. Mit dem europäischen Vertragswerk ist diese Beistandsverpflichtung in Art. 42 Abs. 7 einstimmig angenommen worden, und die irische Klausel, die auch schon erwähnt wurde, lässt daran keinen Zweifel, dass die bestimmten völkerrechtlichen Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten davon unbenommen bleiben.
Für Österreich ist 1955 ein markantes Datum. Wir feiern 70 Jahre österreichische Neutralität. Der historische Kontext, auf dem sie fußt, ist natürlich der Kalte Krieg, weshalb man klar zum Ausdruck brachte: kein Beitritt zu Militärbündnissen, keine fremden Militärstützpunkte auf österreichischem Territorium.
Es ist im Laufe der Jahrzehnte ein Bedeutungswandel eingetreten, den Sie kennen, meine Damen und Herren. Die Distanz zu den Machtblöcken war eine inhaltliche Vorgabe. Man hat versucht, durch aktive Friedenspolitik, humanitäres Engagement und die Positionierung Österreichs in einer Vermittlerrolle eben auch in der Sinngebung der Neutralität sozusagen Akzente zu setzen.
Nun hat die Europäische Union wie erwähnt aufgrund der verschlechterten geopolitischen Situation seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges – teilweise hat sich das schon vorher stufenweise angekündigt –, mehr militärische Expertise angenommen, mehr militärische Instrumente entwickelt. Ich durfte in den drei Jahren in Brüssel an der Entwicklung dieser Prozesse und an der Gestaltung der entsprechenden Initiativen mitwirken. Das Ziel ist eben, eine gemeinsame Sicherheit zu etablieren, Verantwortungsteilung einzufordern und einen Beitrag zur internationalen Krisenbewältigung zu leisten.
Dafür hat es seit einiger Zeit das Instrument der europäischen Battlegroups gegeben, unter österreichischer Beteiligung. Österreich hat sich soldatisch an Operationen und Missionen der Europäischen Union beteiligt – Österreich ist da ein anerkannter Truppensteller. Die Europäische Union hat über 3 000 Soldatinnen und Soldaten in verschiedenen internationalen Missionen und Operationen im Einsatz und versucht damit, einen Beitrag zur internationalen Friedenssicherung zu leisten, der natürlich auf jene Gebiete fokussiert ist, wo europäische Interessen unmittelbar betroffen sind.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille, meine sehr geehrten Damen und Herren, weil sich seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges die Frage der territorialen Verteidigung mehr und mehr stellt und nunmehr auch die Europäische Union Institutionen entwickelt hat, die diese Frage zu beantworten haben. Das äußert sich einerseits in der Gestellung eines eigenen Kommissars für Verteidigung und Weltraum, andererseits aber auch in dem Umstand, dass die Bedeutung des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament nunmehr angehoben wurde.
Innerhalb der Entwicklung der verschiedenen Konzeptpapiere spielt die europäische Strategie für eine gemeinsame Sicherheit und Resilienz, das sogenannte „Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030“, eine zentrale Rolle. Dort wird eine europäische Verteidigungsunion angesprochen, deren Konturen – das muss man aber dazusagen – noch nicht wirklich absehbar sind. Einerseits versteht man darunter die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie, um jene Kapazitätslücken zu füllen, die sich im Zuge der Abrüstungsmaßnahmen nach Ende des Kalten Krieges aufgetan haben.
Auf der anderen Seite ist aber auch die zunehmende Involvierung in Maßnahmen und die Einsatzvorbereitung zur territorialen Sicherheit Europas zu nennen, und zwar durchaus in unmittelbarer Kooperation mit der Nato, weil davon auszugehen ist, dass bei einem konventionellen Angriff auf den Kontinent zwar die unmittelbare Beantwortung der Frage der kollektiven Verteidigung in den Händen des Nordatlantischen Bündnisses liegt, jedoch auch die Europäische Union Aufgaben wahrzunehmen haben wird – man denke etwa an den Schutz kritischer Infrastruktur, an die Sicherstellung der Bewegung, an die militärische Mobilität, die Notwendigkeit, große Truppenverbände über weite Entfernungen zu bewegen, und dass all diese Maßnahmen auch unter der Bedrohung von Drohnen und eben den entsprechenden neuen Dimensionen des Gefechtsfeldes, die wir ja in der Ukraine schmerzlich kennengelernt haben, durchzuführen sind.
Nun hat wie erwähnt Österreich in diesem Kontext im Rahmen der Neutralität versucht – ich glaube, sehr erfolgreich versucht –, Solidarbeiträge zu leisten und durch die Mitwirkung an den verschiedenen Initiativen auch seine Kapazitäten einzubringen. Österreich hat sich auch an der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit beteiligt und etwa im Bereich der ABC-Abwehr eine Leitfunktion übernommen.
Als Fazit kann man sagen: sicherheitspolitische Solidarität, aber kein Beitritt zu militärischen Bündnissen. Österreich hat im Rahmen der Sicherheitsstrategie, die jetzt neuerlich überarbeitet wird, auch klar festgelegt, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union der wesentliche Handlungsrahmen der österreichischen Sicherheitspolitik ist. Das heißt, die Einbettung von Österreich als neutralem Staat in dieses Projekt einer sich entwickelnden europäischen Verteidigung ist gegeben. Das begründet aus meiner Sicht natürlich ein Spannungsfeld, und es wird darum gehen, dieses Spannungsfeld sozusagen in einem idealen Kompromiss aufzulösen.
Aus meiner Sicht ist einerseits festzustellen, dass die Neutralität zwar Distanz zu Kontrahenten beinhaltet und keine militärische Parteinahme zulässt, auf der anderen Seite lässt sie aber – so wie das hier auch schon sehr treffend ausgeführt wurde – durchaus Maßnahmen der Solidarität, insbesondere in nicht militärischer Form, aber auch in militärischer Form, zu, nach den Vorgaben des Artikels 23j der österreichischen Bundesverfassung. Somit kann sie politisch verstanden werden, zivil verstanden werden, aber sie erfordert zunehmend militärische Kapazitäten.
Es wurde auch schon sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass die Neutralität als völkerrechtlicher Status ein schützenswertes Gut ist, das natürlich eine entsprechende bewaffnete Macht voraussetzt, um sie auch glaubwürdig politisch leben zu können und die Anerkennung anderer Partner und Nachbarstaaten zu gewinnen.
Es geht also zusammenfassend sicher darum, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Neutralität zeitgemäß zu interpretieren. Es entsteht kein Widerspruch, sondern eine Erweiterung des bisherigen Verständnisses, wie ich es sehe, durch Maßnahmen solidarischer Teilhabe an einer sich entwickelten europäischen Verteidigung.
Die Zukunftsperspektive ist aber nicht unkritisch, wenn man in Rechnung stellt, dass die Europäische Union eine sich entwickelnde politische Organisation ist, deren Beschlüsse, wie wir alle wissen, auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhen, jedoch festgestellt werden muss, dass die militärische sicherheitspolitische Dimension gegenüber den anderen Politikfeldern seit den letzten drei Jahren eine sehr, sehr maßgebliche Rolle eingenommen hat.
Die für mich offene Frage lautet daher: Wie lange bleibt die traditionelle Neutralität in einer zunehmend vernetzten Sicherheitsordnung haltbar, insbesondere wenn die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen, weiterentwickelt wird und zum Beispiel Aufgaben der territorialen Verteidigung Europas in Kooperation mit der Nato übernimmt?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Wir machen eine ganz kurze Pause von 5 Minuten. Bitte sich nicht zu weit vom Plenarsaal zu entfernen. Wir bauen nur um und setzen dann mit der Podiumsdiskussion fort. – Herzlichen Dank.
Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Parlamentsfraktionen
Christian Wehrschütz: Wir kommen jetzt zum zweiten Teil dieses Symposiums, das ich zu moderieren die Ehre habe, nämlich zur Diskussion mit den Abgeordneten der fünf Parlamentsparteien, die wir in Österreich im Parlament haben, zum gegenständlichen Thema.
Ich möchte gerne folgendes Prozedere vorschlagen: Wir haben 50 Minuten, das heißt pro Abgeordnetem 10 Minuten. Ich werde die Fragen so kurz wie möglich stellen und bitte dann auch um so präzise Antworten wie möglich, damit wir dann, wenn auf irgendetwas repliziert werden sollte, noch die Möglichkeit haben, in einer zweiten Runde noch etwas zu sagen.
Wir sind ja eigentlich sozusagen ein Gruppenbild mit Dame, daher erlaube ich mir, auch mit Ihnen zu beginnen – abgesehen davon, dass die FPÖ die stärkste Fraktion stellt –: Frau Dr. Susanne Fürst, Sie sind ja Abgeordnete zum Nationalrat seit dem Jahr 2017. Die FPÖ ist eine Partei, die eine ganz strikte Neutralitätslinie vertritt, die jedenfalls über das reine Gesetz, den reinen Gesetzestext hinausgeht. Wenn Sie sich die Entwicklung in der Europäischen Union anschauen: Könnte ein Punkt kommen, an dem dann die FPÖ der Meinung ist, dass EU-Mitgliedschaft und Neutralität trotz irischer Klausel nicht mehr vereinbar sind?
Susanne Fürst (Abgeordnete zum Nationalrat, FPÖ): Sehr geehrter Herr Wehrschütz! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, das liegt gerade an uns, dafür zu sorgen, dass das vereinbar ist und dass wir hier mehr denn je auf unserer Neutralität beharren, denn auch im Verhältnis zur Europäischen Union ist klar, dass wir beim Beitritt zur EU mit dem Status Neutralität akzeptiert wurden, und es gibt eben auch die irische Klausel. Und gerade jetzt in dieser Phase, in der diese europäische Verteidigungsfähigkeit im Aufbau ist und die Konturen der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik und auch der Spielraum der irischen Klausel noch nicht klar sind, ist es umso wichtiger, dass Österreich sich da wirklich ins Zeug schmeißt sozusagen und die Neutralität wieder aufwertet, belebt und positioniert, damit sie von der Europäischen Union akzeptiert wird.
Der Grund, warum wir als Freiheitliche Partei so eine strikte Proneutralitätslinie vertreten, ist: Erstens steht es nicht im Belieben der Politiker, sich neutral zu verhalten oder nicht, es gibt ein Verfassungsgesetz, wir haben eine völkerrechtliche Verpflichtung, wir haben das auch auf EU-Ebene vereinbart, daher ist diese von jeder Bundesregierung einzuhalten. Sie ist ein wichtiger, wertvoller Schatz für uns – so wird uns das auch von vielen Botschaftern vermittelt. Sie hat eine Innenwirkung, weil sie für uns identitätsstiftend ist, und auch eine außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Maxime, die es sowohl für Friedens- als auch für Kriegszeiten zu beachten gilt.
Aber sie hat natürlich auch eine Wirkung nach außen; das ist auch von den Vorrednern schon gut angesprochen worden, und Sie haben es auch gerade erwähnt. Man muss natürlich die Neutralität erklären, kommunizieren, man muss den Mehrwert eines neutralen Staates kommunizieren, gerade auch, wenn es Kriege und Krisen in der Nachbarschaft gibt. Da hängt es dann sehr von der Persönlichkeit und von der Glaubwürdigkeit der aktiven Politiker ab, dass man als Vertreter eines neutralen Landes geschätzt wird. Das ist sozusagen eine Bewährungsprobe, bei der man sich bewährt oder auch nicht.
Christian Wehrschütz: Österreich hat seit Jahren einen Status of Forces Agreement mit der Nato, kurz Sofa, das ist eine Vereinbarung, die unter anderem die Durchfuhr von Kriegsmaterial, Durchfuhr von Gütern zwischen Nato-Staaten regelt. Im Programm der FPÖ steht unter dem Punkt „Aktive Friedenspolitik statt NATO-Annäherung“, abgesehen jetzt von Sky Shield: Die Beteiligung Österreichs an Sky Shield ist genauso wie die Durchfuhr von Nato-Ausrüstung durch Österreich nicht mit der immerwährenden Neutralität Österreichs vereinbar und höhlt diese sukzessive aus.
Heißt das, dass nach Ansicht der FPÖ im Grunde genommen auch eine Durchfuhr von Kriegsmaterial von einem Nato-Staat zum anderen – ich rede jetzt nicht von der Durchfuhr von Kriegsmaterial in Richtung Ukraine – nicht zulässig wäre?
Susanne Fürst: Das Verhältnis zur Nato ist genau dort, was Sie jetzt zitiert haben, geregelt. Wir haben zuvor von Prof. Hilpold, glaube ich, genau gehört, was es mit Sky Shield auf sich hat, dass das neutralitätsrechtlich wohl nicht zulässig ist, weil es diese Ebene der bloßen Einkaufsplattform verlässt, sondern mehr ist, eine Nato-Kooperation ist, und daher für Österreich nicht zulässig ist. Die Transporte, die Sie angesprochen haben, sind sehr klar geregelt. Für uns auf jeden Fall untersagt sind Transporte in ein Kriegsgebiet, aber nicht Transporte in Friedenszeiten von Nato-Land zu Nato-Land. Es gibt dazu ja auch eine Regelung, ich glaube, im Verteidigungsministerium, wo diese Ein- und Ausfuhrgenehmigungen erteilt werden; da bin ich kein Spezialist. Aber jedenfalls untersagt und mit der Neutralität nicht vereinbar ist, dass durch Österreich ein militärischer Transport, der auf den Einsatz dann in einem Kriegsgebiet zielt, erfolgt.
Christian Wehrschütz: Noch eine letzte Frage: Die Freiheitliche Partei hat ja eine Entwicklung in Ihrem Verhältnis zur Neutralität durchgemacht. Ich habe mir das Buch Jörg Haider „Friede durch Sicherheit / Eine österreichische Philosophie für Europa“ angesehen. Ich könnte auch aus dem Inneren etwas zitieren, aber im Eingangsband steht drinnen: „wobei die Frage von zentraler Bedeutung ist, welche Interessen der Kleinstaat Österreich im Herzen Europas dabei zu verwirklichen suchen soll.“ Haider kommt zum Schluss, dass Österreich die sicherheitspolitische Einbindung seiner Nachbarländer im eigenen Interesse durch seinen Nato-Beitritt fördern soll. Denn die bevorstehende Osterweiterung der Nato begründet für diese Länder jene notwendige Stabilität, um die wirtschaftliche Transformation unter Beteiligung der EU erfolgreich bewältigen zu können.
Was hat eigentlich dazu geführt, dass die FPÖ dann aus diesem noch 1996/1997 formulierten Kurs eine derartig strikte Hinwendung zur Neutralitätspolitik vollzogen hat?
Susanne Fürst: Ich denke, wir haben heute schon gehört: Die Neutralität unterliegt dem Wandel, und ich denke auch, dass die Geschichte der Freiheitlichen Partei und von Jörg Haider hier einem Wandel unterlag und diese Ansicht mit Sicherheit Geschichte und ein Ausreißer ist. Wir sind strikt aufgefordert, die Neutralität gerade jetzt wieder zu leben, wieder aufzuwerten, auch mit der Schweiz gemeinsam sozusagen eine kleine mitteleuropäische Oase zu schaffen, womit man der Welt vermitteln kann, dass die Neutralität einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten kann. Und da kommt es auf Politiker und Regierungen an, die das wirklich leben und ausfüllen können.
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Ich komme zum Abgeordneten der Grünen, zu David Stögmüller. Er kommt aus Oberösterreich und ist seit Oktober 2019 Abgeordneter zum Nationalrat, wenn ich es der Biografie richtig entnommen habe, die auf der Parlamentsseite veröffentlicht ist.
Wie steht eigentlich die grüne Fraktion vor allem zum Thema bewaffnete Neutralität? – Denn: Wir haben ja das Ziel, dass das Verteidigungsbudget bis 2032 2 Prozent des BIPs betragen soll. Das ist an sich eher maßvoll, um es höflich zu formulieren. Wie stehen Sie zu diesem Element der bewaffneten Neutralität, die ja offensichtlich ein wichtiger Bestandteil der Neutralität an sich ist?
David Stögmüller (Abgeordneter zum Nationalrat, Grüne): Vielen Dank für die Frage. Zuerst einmal muss ich etwas für die Grünen vielleicht Untypisches machen: Ich danke Ihnen, Herr Präsident Rosenkranz, für diese Diskussion. Ich fand die heute sehr bereichernd, ich fand sie wirklich auch sehr spannend, gerade auch deshalb, weil die Expertise aus der Schweiz hier eingebracht wurde. Ich danke Ihnen und allen Expertinnen und Experten für diese unglaublichen Inputs. Ich glaube, das ist genau das, was das Parlament braucht: einen Diskurs über die Neutralität, darüber, wohin sich die Neutralität entwickelt. Also vorneweg einmal herzlichen Dank für diese Veranstaltung. Ich glaube, es ist eine Notwendigkeit, dass wir in diesem Haus inhaltlich und über die Parteigrenzen hinweg über ein so wichtiges Thema, das uns ja tagtäglich betrifft, diskutieren.
Ich bin seit 2019 Wehrsprecher, Sprecher für Landesverteidigung, und für mich war mit Regierungseintritt klar: Wir haben ein Problem im Bundesheer, nämlich was Personal und Fähigkeiten betrifft, und wir haben in der Regierung gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch das Wehrbudget erhöht, nämlich auf die 1,5 Prozent bis 2032, und ich unterstütze auch weiterhin, dass es auf 2 Prozent erhöht wird. Ich glaube, das ist eine Notwendigkeit, eine dringende Notwendigkeit. Und klar ist auch, es braucht eine Kooperation mit Europa.
Nach den Ausführungen der Frau Kollegin ist es ja Isolation. Wenn wir Neutralität im strengsten Sinne hernehmen, bedeutet das Isolation; es bedeutet keine Kooperation. Es bedeutet Austritt aus der Europäischen Union, es bedeutet weniger Zusammenarbeit. Genau das brauchen wir aber nicht, wir brauchen mehr Kooperation.
Gerade wenn man die inhaltlichen Auseinandersetzungen der Expertinnen und Experten hört, muss man sagen, das heißt Europa, heißt Sky-Shield-Initiative, heißt Zusammenarbeit und heißt zum Beispiel auch – ein gutes Beispiel, ich finde es super, Sky Shield – Radaraustausch. Also die Kooperation, mit Ländern zusammenzuarbeiten, wenn Flugkörper nach Österreich eindringen würden, ist keine Erfindung, die wir mit der Sky-Shield-Initiative starten werden, sondern die gibt es bereits; zum Beispiel 2006 mit Deutschland unter einer Schüssel-Regierung, gemeinsam mit der FPÖ. Also das war nicht irgendwann, weit zurückliegend, sondern das ist 2006 unter der FPÖ-Regierung gemeinsam beschlossen worden.
Ich finde es gut, dass wir mit Deutschland Radaraustausch haben. Ich finde es gut, dass wir mit der Schweiz, mit der neutralen Schweiz, Radaraustausch haben, das ist Kooperation. Und ich finde es besser, wenn alle europäischen Staaten zusammenarbeiten, um gemeinsam dagegenzuwirken. Das ist die Notwendigkeit.
Also: Es bedeutet Isolation, wenn man die Neutralität ganz eng auslegt. Ich bin für Kooperation. Und genau das ist der Punkt: Es braucht mehr Europa, es braucht einfach mehr Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union gerade bei der militärischen Zusammenarbeit.
Christian Wehrschütz: Zur Europäischen Union komme ich in der dritten Frage.
Was es in Österreich offensichtlich auch braucht – und das haben die Vortragenden aus der Schweiz, aber auch General Brieger natürlich betont –, ist eine eigene relevante Rüstungsindustrie.
Jetzt haben wir den Fall von der Firma Steyr gehabt, die 8 000 Stück des Modells StG 77 an Tunesien hätte liefern sollen, Auftragswert 9,5 Millionen Euro; Folgeauftrag wären weitere 25 Millionen Euro gewesen. Tunesien war sehr daran interessiert, die Kooperation fortzusetzen. Diese Ausschreibung ist gescheitert, unter anderem deswegen, weil die Prüfungsverfahren so komplex waren und weil dann auch die Partner - - oder es möglicherweise Vorbehalte zum Thema österreichische Neutralität gab. Das erinnert natürlich an frappant ähnliche Vorfälle in der Ära Kreisky, als Panzerexporte gescheitert sind, 120 Panzer nach Argentinien, und dann die Panzerindustrie zusammengebrochen ist.
Wie steht Ihre Fraktion zu dieser Frage? Wie steht Ihre Fraktion dazu, dass offensichtlich das ganze Ausschreibungs- oder Kontrollverfahren für Rüstungsexporte in Österreich extrem bürokratisch und komplex ist?
David Stögmüller: Ja, da spielt einerseits die Neutralität hinein und auf der anderen Seite auch die Europäische Union. Ich glaube, es braucht einen europäischen Standard, es braucht eine gemeinsame europäische Initiative, auf europäischer Ebene, hier gemeinsam zu arbeiten. Warum? – Weil es ein Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union ist: Wer hat die strengeren Regeln, wer hat mehr Aufsicht, wer hat weniger Aufsicht?
Es gibt aber auch mit den sogenannten Gegengeschäften ein Problem – das haben wir immer wieder in der Diskussion –, es braucht also auch da Transparenz. Es braucht Transparenz und eine europäische Einigung oder gemeinsame europäische Normen, wie wir mit diesen Ausfuhrgenehmigungen umgehen und die entsprechenden Reglements handhaben. Ich glaube, das wäre notwendig und müsste dringend gegeben sein.
Wie gesagt, Dual-Use-Produkte gehören streng geregelt, aber auf europäischer Ebene, sonst steht dem Österreich ja selber mit den ganzen Regeln entgegen und unsere Wirtschaft wird abwandern.
Kollege Adler, glaube ich, war es, der auch gesagt hat, dass genau das in der Schweiz die Diskussion ist, weil natürlich die Neutralität bedeutet oder jede Firma sich zweimal oder dreimal überlegt: Gehe ich in die Schweiz, gehe ich nach Österreich?, denn wenn wir strengere Regeln haben als andere EU-Mitgliedstaaten, wird sich das nicht etablieren. Und das ist ja das Problem, das wir haben – nicht notwendig.
Es braucht Europa – und das möchte ich noch einmal betonen –, Europa muss gerade bei der Beschaffung wieder einen eigenen Markt etablieren. Europa muss auch aufwachen. Es ist auch aufgewacht, aber es ist noch ein langer Weg, bis wir selbstständig Industrie, gerade wenn es um Militärausrüstung, um Militärbeschaffung geht, auch wieder aufbauen. Da haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns und da braucht es auch noch mehr Investition und Zusammenarbeit.
Christian Wehrschütz: Mir ist zwar nicht klar, warum Rüstungsindustriebetriebe aus Frankreich, Deutschland auf gemeinsame europäische Regeln Wert legen sollten, damit wir leichter exportieren können, aber - -
David Stögmüller: Weil die Länder sich gegenseitig ausschalten. Ich glaube einfach, ein gemeinsamer liberaler Markt ist besser, als wenn jedes Land einzeln - -, sonst wird Österreich immer hinterherhinken. Das ist einfach Faktum.
Christian Wehrschütz: Noch eine Frage: Wo sehen Sie oder wo sehen die Grünen die Zukunft der Europäischen Union? Es ist ganz klar, da wird auch mehr in Richtung Verteidigungspolitik entwickelt werden, rein schon vom Praktischen her, auch von den administrativen Ebenen. Ist das etwas, was die grüne Fraktion unterstützt?
David Stögmüller: Absolut. Es braucht mehr Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Europäischen Union. Und gerade Sky Shield, das nichts anderes ist – ich glaube, ich muss das jetzt nicht wieder ausführen –, genau das darf nicht daran scheitern, dass einzelne Fraktionen ihr eigenes Spiel spielen, sondern es braucht hier Aufklärung, gemeinsame Kooperation, wenn es um die europäische Verteidigung geht. Es braucht Investition. Es braucht auch mehr militärische Befugnisse in der Europäischen Union, um entsprechend weiterzukommen.
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Ich komme jetzt zum Wehrsprecher der Sozialdemokratischen Partei, zum Abgeordneten Robert Laimer. Er ist seit 9. November 2017 Abgeordneter zum Nationalrat. – Sie sind auch Wehrsprecher, Sie sind Niederösterreicher.
In Niederösterreich gibt es eine Firma, die auch im Bereich Verteidigungsausstattung sehr interessiert ist, das ist die Firma Schiebel. Ich konnte sie vor einigen Wochen interviewen. Die Aussage der Firma war ganz klar: Wer glaubt, dass die Ukrainer auf uns warten, wenn wir uns nicht einmal daran beteiligen können, dass wir Minen räumen, während das die Iren tun, irrt.
Wie sehen Sie diese gesamte Problematik im Bereich Exportreglement, Exportwirtschaft für Rüstungsgüter? Denn es geht in der Art, wie es gehandhabt wird, ähnlich weit, aber jedenfalls über den Kern des Neutralitätsgesetzes hinaus.
Robert Laimer (Abgeordneter zum Nationalrat, SPÖ): Vielen Dank, Herr Wehrschütz. – Ich möchte mich auch beim Herrn Nationalratspräsidenten für dieses Format, für diese Enquete im Hohen Haus bedanken.
Meine Damen und Herren! Natürlich ist Schiebel ein sogenannter Weltmarktführer mit höchster Expertise. Ich als Sozialdemokrat, und das wird Sie nicht wundern – ich komme aus einer sehr friedensbewegten Bewegung oder Partei in diesem Fall –, wir legen hier beim Rüstungsexport natürlich schon strenge Kriterien im Sinne der Menschenrechte an. Das ist für uns grundsätzlich einmal die oberste Prämisse. Es ist klar, dass wir in Krieg führende Länder und so weiter nicht exportieren können; es ist auch schwierig in mit Sanktionen belegte Länder.
Zur Entminung muss ich sagen: Wir arbeiten mit hohem Kontingentaufwand in internationalen Missionen und haben in vielen Teilen der Welt mit unseren Entminungsdiensten schon für Entminung gesorgt. Und zur damaligen Zeit hat es – auf diese Anfrage der Ukraine – hier durchaus Neutralitätsvorbehalt gegeben, zu dem ich auch stehe.
Christian Wehrschütz: Wie sehen Sie eigentlich trotzdem diesen gesamten Bereich? Ich habe mit Firmen geredet, wie Frequentis, 3 000 Mitarbeiter in Österreich, ein weltmarktführender Bereich. Von der Notrufsäule in Österreich bis zum amerikanischen Flugzeugträger sind dort überall Elemente von Frequentis enthalten. Aber wie sehen Sie das in puncto Wirtschaftsstandort Österreich? Denn wenn wir in diesen Bereichen sehr viele Hindernisse haben und diese Hindernisse beispielsweise so weit gehen, dass es schwierig ist, auf einem Truppenübungsplatz eine Drohne zu testen, weil die Frage der Versicherung für diese Drohne nicht geklärt ist – gehen wir zum Resilienzgesetz, wo bisher nur Innenministerium und Verteidigungsministerium Antidrohnengeräte verwenden dürfen, aber nicht die EVN und andere Energieversorger –, ist dann nicht das, was ein früherer Bundeskanzler einmal Handlungsbedarf genannt hat, sehr stark gegeben?
Robert Laimer: Da haben Sie natürlich völlig recht. Also Resilienz versus Verbürokratisierung – dem ist entschieden entgegenzutreten. Wir haben hier eine gesamtstaatliche Aufgabe, militärisch und im zivilen Bereich, unsere Resilienz zu stärken, denn nur ein resilienter Staat, der noch dazu neutral ist, kann hier in einer wehrhaften Demokratie schützen.
Also irgendwelcher bornierter Verordnungen und so weiter müssen wir uns natürlich entledigen. Das kann man liberalisieren. Ganz oben stehen natürlich immer die Menschenrechte – und dass unsere Firmen auch Geld verdienen wollen, das ist, glaube ich, jeder Partei in diesem Haus sonnenklar.
Man sieht es ja schon an der Diktion: Früher hat man von Gegengeschäften gesprochen; da sind wir ja ein gebranntes Kind – Eurofighter als Stichwort. Nunmehr ist das ja schon positiv als Industriekooperation inszeniert. Und ich glaube, Österreich wird da gerade aufgrund seines Wissensstands, der Qualität seiner Technik einen Weg gehen, der auch die wirtschaftliche Prosperität fördern wird. Dafür sind wir verantwortlich, ja.
Christian Wehrschütz: Noch eine dritte Frage: Im Regierungsprogramm der Bundesregierung „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“, dem Regierungsprogramm von 2025 bis 2029, steht unter anderem der Satz: „Eine aktive Beteiligung an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und der kommenden Entwicklung der europäischen Verteidigungsunion (EVU) sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit Österreichs.“ – Persönlich kann ich das nur unterschreiben.
Wie ist Ihrer Meinung nach das Verhältnis dieser Festlegung zur Neutralitätspolitik?
Robert Laimer: Also ich kann da jedes Wort unterstreichen; das ist auch gut formuliert, finde ich. Vorweg: Das neutrale Österreich ist Teil der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, oder kurz: Die EU und Österreich sind da prosperierend, einander ergänzend, befruchtend. Man darf das nicht als Gegensatz ansehen, sondern wir – und ich sehe das aus einer geografischen Logik heraus – sind das einzige neutrale Land am Kontinent, am Festland. Alle anderen neutralen Länder sind eher Inseln. Also Österreich im Herzen Europas ist neutral und EU-Mitglied. Das ist ein strategischer Vorteil, den es zu nutzen gilt.
Heute war ich erfreut, dass ich die Frau Außenminister im „Morgenjournal“ von der aktiven Neutralitätspolitik reden gehört habe, denn genau um die aktive Neutralitätspolitik geht es. Kein anderer als Bruno Kreisky hat das so gelebt. Er war nämlich auch noch als Bundeskanzler eine Art Überaußenminister. Entscheidend ist, dass wir Sozialdemokraten Neutralität nie rein passiv ausgelegt haben, wir wollten da nie dem japanischen Bild der drei Affen gleichen; für uns war Neutralität nie nichts hören, nichts sehen und nichts sagen.
Im Gegenteil, und da zitiere ich Universitätsprofessor Heinz Gärtner, der für mich ein Leuchtturm an Expertise auch in der Neutralitätspolitik ist: einmischen, wann immer möglich, heraushalten, wann immer nötig. – Ich glaube, das sollten wir in Österreich zur Prämisse unseres Handelns erklären.
Christian Wehrschütz: Danke vielmals.
Ich gebe die Frage an den Vertreter des Koalitionspartners ÖVP weiter, Mag. Friedrich Ofenauer. Sie sind seit Dezember 2013 Abgeordneter zum Nationalrat und haben ebenfalls Jus studiert – ein anständiges Studium, wie ich selbst weiß.
Die erste Frage, die ich stellen möchte, ist: Wie weiß der internationale Partner im Ausland, wann was möglich und wann was notwendig ist? Wenn ich diesen Punkt nämlich in der Regierungserklärung oder im Koalitionsvertrag lese, geht es ja immer um die Frage: Wohin führt uns die konkrete Güterabwägung, also inwieweit kann Österreich ein sicherer, berechenbarer Partner sein, der überall mitmacht, wenn wir da mitmachen und dort nicht mitmachen?
Friedrich Ofenauer (Abgeordneter zum Nationalrat, ÖVP): Vielen Dank, Herr Wehrschütz, für diese überaus spannende Frage. Ich denke, man kann die Zukunft, was getan werden wird oder was notwendig ist, aus dem Verhalten in der Vergangenheit ersehen. Man hat da bereits gesehen, dass wir uns auch – ich will nicht sagen trotz, sondern gerade, weil wir neutral sind – entsprechend solidarisch verhalten haben.
Ich bin auch sehr dankbar für diese Diskussion. Vielen Dank auch an alle, die hier vorgetragen haben, weil das gezeigt hat, dass die Welt im Wandel ist. Und wenn sich die Welt wandelt, dann wandelt sich, wie wir gehört haben, auch die Ausgestaltung der Neutralität von 1674, von der Schweiz, bis 2009, bis zum Vertrag von Lissabon. Eine durchaus spannende Bandbreite wurde da angesprochen.
Ich habe Jus studiert, ja. Es ist also meiner Ansicht nach auch ganz wichtig, eben diesen Wandel zwischen 1955 und 1995, dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, und die Vorkehrungen, die Österreich getroffen hat, um auch aktiv an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilnehmen und all das solidarisch mitunterstützen zu können, was im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der EU passiert, zu beachten.
Das war damals der Artikel 23f und ist mittlerweile der Artikel 23j. Genau der ermöglicht es uns, auf der einen Seite Ja zu unserer Neutralität zu sagen, weil sie im Bewusstsein der Bevölkerung ein entsprechend identitätsstiftendes Merkmal ist, gleichzeitig aber auch darauf hinzuweisen, dass sich seit 1955, als das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität beschlossen worden ist, sehr viel getan hat.
Die beiden Machtblöcke haben sich aufgelöst, der Kalte Krieg ist mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 zu Ende gegangen. Seitdem sind wir 1995 der Europäische Union beigetreten, und damit hat sich natürlich auch unsere Neutralität gewandelt. Dafür wurde auch verfassungsrechtlich entsprechend Vorsorge getroffen.
Es wurde auch das Weißbuch der europäischen Verteidigung angesprochen. In diesem Rahmen haben wir natürlich noch vieles zu tun, es wird sich auch noch vieles entwickeln. Und vor allem ist natürlich, auch das ist angesprochen worden, unsere Fähigkeit, uns selbst verteidigen zu können, entsprechend weiterzuentwickeln.
Christian Wehrschütz: Mich interessiert in diesem Zusammenhang noch eine Grundfrage – auch die habe ich bereits den beiden anderen Abgeordneten gestellt –: Wie sehen Sie eigentlich die Frage der wirtschaftlichen Neutralität beziehungsweise auch die Neutralitätsfrage bei Rüstungsexporten?
Das ist eine entscheidende Frage, damit auch die Firmen Klarheit haben. Das sagen mir Firmen immer wieder. Durch Beiträge beziehungsweise auch dadurch, dass ich mit Firmen – es sind relevante Firmen – gesprochen habe, habe ich mich extra entsprechend vorbereitet. Sie haben einfach das Problem, dass sie oft nicht wissen, was sie dürfen, dass sie oft erst viel zu spät erfahren, was sie dürfen. Natürlich sind auch Partner nicht zufrieden, wenn sie keine Klarheit darüber haben, was sie dürfen oder nicht dürfen. Gibt es da eine Perspektive, dass sich die Gesetzeslage oder die bürokratische Form der Abstimmung vereinfacht?
Friedrich Ofenauer: Ich bin für Vereinfachungen in bürokratischen Abläufen immer zu haben. Genauso wie die Welt ständig im Wandel ist, müssen sich natürlich auch die Gesetze entsprechend verändern. Das Ganze wird geprüft, wird auch verhandelt und muss sich natürlich an aktuelle Gegebenheiten anpassen. Das ist ganz klar. Dort, wo es Beispiele dafür gibt, dass etwas an der Bürokratie liegt, muss man auch hinschauen, ob man das nicht verbessern, vereinfachen kann. Ich glaube, es ist auch Common Sense in der Verwaltung und in der Politik, Vereinfachungen herbeizuführen.
Wichtig ist vor allem auch, militärische Neutralität und politische Neutralität auseinanderzuhalten. Auf diese Unterscheidung haben auch die Vortragenden hingewiesen. Das ist auch sehr wichtig.
Christian Wehrschütz: Im Grundsatzprogramm der ÖVP aus dem Jahr 2015 heißt es: „Eine zentrale Zukunftsfrage stellt daher die Weiterentwicklung hin zu einer Verteidigungsunion mit dem langfristigen Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee dar.“ – Gilt diese Festlegung aus dem Jahre 2015 auch heute noch?
Friedrich Ofenauer: Das dachte ich mir fast, dass Sie das Programm aus 2015 zitieren werden. Es wurde bisher nicht aufgehoben. Allerdings ist es natürlich immer wieder – es ist mittlerweile zehn Jahre alt – im Lichte der aktuellen Entwicklungen zu beurteilen, zu bewerten und zu prüfen. Was festzustellen ist, ist, dass wir auf der Grundlage des von mir bereits genannten Artikel 23j im Bundes-Verfassungsgesetz aktiv an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilnehmen. In diesem Rahmen ist es wahrscheinlich so, dass wir rechtlich tatsächlich mehr könnten als wir politisch derzeit noch wollen und faktisch auch können. Und genau daran gilt es, zu arbeiten.
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Damit komme ich zum Abgeordneten der NEOS, und das mit einem ganz klaren Hinweis und mit folgender Bitte: Sie haben jetzt alle diese Positionen gehört. Die NEOS haben die klarste Position auf der Kontraseite, wenn man das so sagen kann. Ich könnte das aus dem Programm zitieren, aber das, glaube ich, brauche ich nicht: gemeinsame europäische Armee, gemeinsame europäische Zukunft, natürlich auch ein Weg in Richtung Nato.
Deswegen gibt es auch bei dieser Veranstaltung oder diesem Symposium – bei anderen Veranstaltungen dürfte kein Publikum dabei sein, bin ich belehrt worden, also kehre ich zur Bezeichnung Symposium zurück – wirklich einmal eine Debatte darüber. Eigentlich gibt es seit 1991 die Situation, dass diese Debatte in den vergangenen 30 Jahren immer wieder verweigert worden ist.
Aus Ihrer Sicht: Wenn Sie diesen Weg gehen wollen, wie ist da eine Zusammenarbeit vorstellbar? Wie wollen Sie die Bevölkerung oder einen guten Teil der Bevölkerung davon überzeugen, dass diese Position, die Sie vertreten, die richtige ist? Fangen wir einmal so an. – Bitte.
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (Abgeordneter zum Nationalrat, NEOS): Ich versuche, die Frage aufzugreifen. Gleichzeitig, auch an Sie gerichtet, Herr Präsident – Herr Wehrschütz hat es soeben angesprochen –: Es gab vor Kurzem noch einen Bundeskanzler, der die Debatte über die Neutralität und wie wir damit umgehen für nicht existent erklärt hat. Ich glaube, es gehört durchaus zu einem Parlament, das selbstständig ist und auch eine gewisse Aufrichtigkeit hat, so einen Diskurs zu führen.
Ich glaube, es ist durchaus ein Zeichen eines lebendigen Parlamentarismus, dass wir diese Veranstaltung, dieses Symposium öffentlich abhalten können. Ich halte das für sehr wertvoll.
Dann zur zweiten Frage, zu Ihrer Frage, die angesprochen wurde: Ich glaube, es beginnt ja schon einmal damit, was die Aufgabe eines Politikers ist. Die Aufgabe ist, nicht nur auf Umfragen zu schielen und zu sagen: Na ja, die Meinung ist so oder so!, sondern die Aufgabe eines Politikers ist meiner Meinung nach, für zwei Dinge zu sorgen: einerseits eine klare Vision zu haben, wohin es gehen kann, und andererseits alles daranzusetzen, die Bevölkerung von dieser Vision zu überzeugen und dafür zu kämpfen. – Ich glaube, das tun wir durchaus sehr aktiv. Wir zeigen und sprechen sehr offen an, was unsere Perspektive ist: Wir sehen sie in einem gemeinsamen, starken Europa.
Ich möchte dazu etwas sagen, das in solchen Diskussionen oft, glaube ich, zu kurz kommt: Nur, weil man sagt, dass man für ein gemeinsames, starkes Europa ist, heißt das nicht, dass man seine Hausaufgaben nicht machen muss. Das soll ja kein Abschieben von Verantwortung sein, sondern eigentlich heißt das, viel mehr Verantwortung zu übernehmen.
Es wurde vorhin von Herrn Adler in der Diskussion, glaube ich, gesagt: Internationale Zusammenarbeit ist ein Geben und ein Nehmen. – Ich glaube, es wird viel zu oft darauf vergessen, dass es dabei auch ein Geben von unserer Seite geben muss.
In vielen Redebeiträgen wurde ja schon angesprochen, welche Notwendigkeiten es gibt. Wir haben als österreichisches Parlament, glaube ich, sehr selbstbewusst einerseits mit dem Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz ein gemeinsames Gesetz, einen klaren Rahmenplan für die Steigerung der Mittel in den nächsten Jahren gemacht. Wir haben aber darüber hinaus als Bundesregierung auch eine sehr klare Haltung: Wir sind eine sehr klar proeuropäische Bundesregierung, was ja nicht nur in dem von Ihnen angesprochenen Regierungsprogramm festgehalten wurde, sondern auch in einem sehr wesentlichen gemeinsamen Ministerratsvortrag der Bundesministerinnen Beate Meinl-Reisinger und Klaudia Tanner – ich glaube, er war im April –; da wurde noch einmal sehr klar unsere aktive Rolle in Europa, für gemeinsame Sicherheit zu sorgen, festgelegt. Das halte ich für einen sehr wesentlichen und richtigen Weg.
Christian Wehrschütz: Im Programm der NEOS steht: eine „echte Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist die neue Basis für Europas Rolle in der Welt“, „Teil einer echten Verteidigungsunion muss auch eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik sein“.
Das führt mich zu zwei weiteren Fragen. Erstens: Führen Sie Debatten mit der österreichischen Bevölkerung, in denen Sie auch klar sagen, dass das, was Sie sich vorstellen, eigentlich natürlich mit dem Neutralitätsgesetz, so wie es jetzt besteht, de facto nicht mehr vereinbar ist?
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff: Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Die Frage ist – und das wurde ja auch schon in der Diskussion angesprochen –: Wo stehen wir heute? Wir sind mit dem Beitritt zur Europäischen Union auf gleicher Ebene solidarisch innerhalb Europas. Das heißt, diese Neutralität in der klassischen Form gibt es innerhalb von Europa sowieso nicht. Das muss einem auch einmal ganz klar gesagt werden.
Es ist auf der gleichen Ebene in der Verfassung festgelegt, und damit gibt es die europäische Solidarität. Dementsprechend ist das, glaube ich, schon aktuelle Gesetzeslage. Das ist jetzt gar nicht einmal so kreativ, wie das manchmal dargestellt wird. Man muss die Gesetzeslage hernehmen und sich anschauen, wo die aktuelle gesetzliche Regelung zu Hause ist, und das eben auch klar und offen ansprechen.
Christian Wehrschütz: Wie stehen die NEOS, deren Ministerin ja mit dem Völkerrechtsbüro an der Frage von Rüstungsexporten beteiligt ist, zum Thema Rüstungskooperation, Erleichterung für österreichische Firmen?
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff: Sie haben vorhin Fälle im Detail angesprochen. Bei diesem Bereich sind ja mehrere Ministerien betroffen – BMLV, BMI und BMEIA –, die immer wieder in Abstimmung gehen müssen. Das ist natürlich höchst bürokratisch und dementsprechend muss man das, glaube ich, einerseits im Sinne des Wirtschaftsstandortes, andererseits auch im Sinne der Entwicklung betrachten – man darf ja auch nicht vergessen, dass Einnahmen für Entwicklung sorgen. Es ist auch in einem der Expertenvorträge angesprochen worden, dass es in der Debatte ja auch darum geht, dass man selbst in der Logik eines neutralen Landes eine eigene Rüstungsindustrie braucht.
Wir müssen da übrigens auch über Europa sprechen, denn ich glaube, dass wir Europäer in der Industriepolitik der letzten Jahrzehnte massive Verfehlungen gemacht haben. Das betrifft nicht nur die Rüstungsindustrie, sondern auch andere Kernindustrien, ich denke da an Telekommunikation et cetera; da gibt es sehr viele Dinge.
Es ist dementsprechend natürlich so, dass man einerseits Bürokratie abbauen muss, dass man andererseits aus meiner Sicht aber auch eine offene Diskussion über das Kriegsmaterialgesetz und über das Außenwirtschaftsgesetz führen muss. Das sind zwei Gesetzesmaterien, in denen viel davon enthalten ist. Ich glaube, dass man das debattieren muss, gerade in Zeiten wie diesen, nämlich einerseits für den Wirtschaftsstandort, andererseits aber auch für die Sicherheit.
Die Prämisse bei allen Maßnahmen muss immer sein: Was sorgt dafür, dass die höchste Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa, aber dementsprechend auch für die Bürgerinnen und Bürger in Österreich gewährleistet sein kann?
Christian Wehrschütz: Herzlichen Dank.
Wenn ich mich nicht irre, haben wir noch 15 Minuten für Diskussionen. Ich möchte eine Frage an alle Abgeordneten stellen und natürlich Ihnen, Frau Abgeordnete Fürst, dann auch als Erste das Wort erteilen.
Ich komme wieder zurück auf die fantastische Formulierung des früheren Finanzministers Hannes Androsch, mit der Neutralität werde es so sein wie mit der Bärenführerverordnung Maria Theresias: Sie wird nie abgeschafft, aber nicht mehr angewandt werden. Ich habe sogar eine Doktorarbeit zum Thema Gaukler und Bärenführer und so weiter unter Maria Theresia gefunden, die zu diesem Thema geschrieben wurde.
Sind wir eigentlich mit der derzeit gelebten Praxis schon bei diesem Diktum, bei dem, was Hannes Androsch dazu vor einigen Jahren gesagt hat, Frau Abgeordnete Fürst?
Susanne Fürst: Nein, Hannes Androsch hat sich geirrt, und das wird die Zukunft weisen, denn die nächste Bundesregierung wird die Neutralität wieder sehr verstärkt leben und auch wieder glaubwürdig vertreten.
Ich darf noch zu meinen Vorrednern Stellung nehmen, es wurden die Themen Sky Shield und gemeinsame EU-Verteidigung, EU-Sicherheit und -Rüstung, die jetzt im Entstehen ist, angesprochen. Beide Dinge, beide Themen führen zur Nato-Kooperation, das haben wir heute in den Referaten schon ausführlich gehört, und das ist auch völlig klar. Das heißt, damit scheidet eine Mitarbeit von Österreich aus, weil wir neutral sind.
Sie haben vorhin den NEOS-Mandatar nach dem Austausch mit der Bevölkerung gefragt: Das ist das Entscheidende!
Erstens, Neutralität, Verfassungsgesetz: Man müsste dann ehrlich sein und hier in diesem Haus den Antrag auf Abschaffung der Neutralität stellen. Diese Diskussion muss man führen, wenn man in eine gemeinsame EU-Verteidigung geht, wenn man bei Sky Shield mitmacht.
Volksabstimmung: Es ist einmal die Bevölkerung dazu zu befragen. Da man weiß, dass die österreichische Bevölkerung überwiegend sehr realistisch und sehr vernünftig ist und zu einem hohen Grad hinter der Neutralität steht – so wie auch die Schweizer –, traut man sich das nicht zu tun und geht den unehrlichen Weg, indem man die Neutralität einfach durch die Regierungspolitik Stück für Stück abträgt. Das ist nicht zulässig.
Abgesehen von dieser verfassungsgesetzlichen innerösterreichischen Ebene haben wir jetzt rein rechtlich natürlich auch die völkerrechtliche Ebene. Da wird so getan, wie es auch der NEOS-Mandatar gerade geschildert hat, dass das Verfassungsgesetz EU-rechtlich jetzt ohnehin auf die Seite zu schieben ist – wir müssen jetzt mit der EU durch unseren Beitritt überall mitmachen –: Das stimmt so nicht. Es gibt die Ausnahmeklausel. Wir wurden als neutrales Land aufgenommen und es liegt jetzt an der österreichischen Bundesregierung, diesen neutralen Status in der EU zu verfestigen und in Brüssel klarzumachen, wo wir dabei sind und wo wir nicht dabei sind und wo wir nicht dabei sein können.
Nur – zum Abschluss noch –: Außerdem gibt es die völkerrechtliche Verpflichtung. Die Neutralität hat uns 1955 die Souveränität und die Freiheit gebracht, und das haben wir auch völkerrechtlich verbindlich erklärt. Das gilt völlig unabhängig von der EU-Ebene. Man sollte da also schon aufpassen, wie man kommuniziert, gerade auch seitens der Regierung. Da weckt man schon Geister, und das ist nicht im Sinne von Österreich.
Wirklich der letzte Satz: Es kommt immer diese Unterscheidung in politische und militärische Neutralität und das Thema der sehr opportunistischen oder schwachen Neutralität. Das ist sie, schwach und opportunistisch? Wenn man sagt: Na, politisch sind wir nicht neutral, wir moralisieren, wir urteilen, wir stellen uns bedingungslos auf eine Seite in einem Krieg, aber militärisch sind wir neutral, militärisch helfen können wir nicht!, ist das schwach.
Das heißt, die Neutralität ist politisch und militärisch, und das ist nicht zu spalten! Der politische Teil davon ist eben von einer glaubwürdigen Politik zu tragen.
Christian Wehrschütz: Alleine an der Körpersprache der anderen vier Abgeordneten habe ich gesehen, dass diese Meinung nicht geteilt wird. Ich möchte die Gelegenheit trotzdem wahrnehmen – fangen wir bitte wieder bei Ihnen als Vertreter der Grünen an –: Sie können natürlich auf das Gesagte replizieren, aber gehen Sie bitte auch auf meine Frage betreffend Bärenführerverordnung ein, ob das die Praxis ist.
David Stögmüller: Ich glaube, Neutralität darf kein Schlagwort sein. Es einfach nur politisch zu missbrauchen und zu sagen, wir lehnen uns zurück, ist der falsche Zugang.
Wichtig ist: Wir müssen, glaube ich, immer den Kompass neu ausrichten. Wenn es um Neutralität geht, geht es immer um eine Ausrichtung: Was bedeutet es, die Interessen Österreichs in den Vordergrund zu stellen, aber gleichzeitig auch die europäische Kooperation, die Zusammenarbeit, die Verwurzelung Europas und die Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen?
Die Frage ist ja auch – wenn ich jetzt Sky Shield höre und Kollegin Fürst –: Sie sind ja selbst Juristin, Sie wissen, dass die Neutralität ein Gesetz ist, das im Verfassungsrang ist, und genauso wie viele andere Gesetze im Verfassungsrang keine Volksabstimmung benötigt – oder wenn irgend so ein Fall ist. Es sind hier ja genügend Juristinnen und Juristen anwesend, die das ja auch bestätigen können.
Davon abgesehen – ich möchte auf diese Diskussion gar nicht eingehen – geht es doch darum, dass Sie Sky Shield einfach einmal - - Es geht darum, die Neutralität Österreichs zu verteidigen, und das muss ich als Wehrsprecher auch gewährleisten. Und wie soll ich die gewährleisten, wenn ich nicht die Mittel habe, Geld einspare, wenn es darum geht, Kooperationen mit meinen Partnerinnen und Partnern zu schmieden – es sind auch einige Botschafter:innen aus diesen Ländern hier; auch ein Danke für diese Kooperation seit Jahren und Jahrzehnten. Es geht weder um eine Beistandsklausel noch um eine Bündnisklausel, es geht rein darum, ob wir die Lufthoheit über Österreich beherrschen oder nicht. Es geht rein um eine Schutzmaßnahme und um nichts anderes. Es geht darum, unsere Neutralität zu verteidigen.
Jetzt frage ich mich schon: Wo sind da die politischen Parteien? Sind sie dabei, die Österreicherinnen und Österreicher zu schützen oder nicht zu schützen. Ich bin dafür, dass wir sehr wohl auch gegen Langstreckenraketen gemeinsam mit unseren internationalen Partnern zusammenarbeiten. – Das ist der Punkt.
Ich glaube, es ist notwendig, den Kompass auszurichten – wir haben ihn ausgerichtet, nämlich auf europäische Zusammenarbeit und darauf, dementsprechend die Österreicherinnen und Österreicher zu schützen, nämlich mit mehr Budget und mit mehr Fähigkeiten des Bundesheeres. Die hybride Krise ist nämlich viel größer, als nur die territoriale, denn da geht es auch um die Klimakrise und die Migration bis hin zu allen möglichen Sachen – und da können wir nur gemeinsam und vernetzt arbeiten.
Christian Wehrschütz: Ich darf den Wehrsprecher der SPÖ bitten.
Robert Laimer: Vielen Dank, Herr Wehrschütz! Grundsätzlich möchte ich voranstellen, dass Österreichs Neutralität mit hoher Verantwortung verbunden ist, mit einer wehrhaften Demokratie. Das ist eigentlich selbstverständlich, denn wenn wir unser Territorium nicht schützen oder Schutzoperationen im Anlassfall nicht durchführen können, dann wäre das eigentlich ein Neutralitätsbruch. – So viel zur Wehrhaftigkeit.
Allerdings unterscheidet uns als neutrales Land vor allem der Aspekt: Wir versuchen hier, friedenssichernd aktiv zu sein und nicht unbedingt kriegstauglich. Das ist auch der österreichische Weg auf einem neutralen Boden, dass bei uns diese martialischen Ausdrücke eigentlich aufgrund unserer Geschichte nichts verloren haben. Der Herr Präsident hat das richtig gesagt: Die Österreicher haben Kriege satt! Es waren welthistorisch zwei Österreicher – einmal der Kaiser und einmal das Böse für immer aus Braunau –, die zwei Weltkriege ausgelöst haben, das muss man auch einmal selbstkritisch festhalten. Das ist zutiefst in der DNA der Österreicher. Daher ist auch die Neutralität so etwas wie der Way of Life für uns. Das ist über Generationen weitergegeben, das ist DNA. Ich halte das für unersetzlich.
Ich habe noch die Ehre gehabt, mit Dr. Androsch nach der Invasion Putins auf die Ukraine zu reden. Er hat eine klare Sicht auf die Dinge gehabt, das muss man sehr wohl sagen. Er hat aber auch viel geholfen, auch in seiner Funktion als Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes. Er hat das nie an die große Glocke gehängt, aber Hannes Androsch hat sehr große humanitäre Hilfe für die Ukraine geleistet. – Posthum gilt mein größter Respekt.
Christian Wehrschütz: Ich weiß nur nicht, wie wir die Neutralität schützen sollten, wenn das Bundesheer nicht kriegstauglich wäre, denn das ist eigentlich das Wesen dieses Zusammenhangs. Vielleicht sollte man hier auch überlegen, welche Semantik man verwendet. Ein Vertreter der Firma Schiebel hat mir einmal gesagt, das österreichische Bundesheer ist ein Trachtenverein mit Waffentrageerlaubnis. Ich bin nicht dieser Meinung, aber das gehört auf jeden Fall geändert, auch diese Wahrnehmung.
Ich darf Sie um Ihre Stellungnahme zu den Diskussionen bisher bitten.
Friedrich Ofenauer: Vielen Dank. Ich glaube, dass sich die Wahrnehmung des österreichischen Bundesheeres ganz anders entwickelt hat, also nicht so, wie Sie das jetzt in Ihrer letzten Aussage getätigt haben, die ich jetzt nicht wiederholen möchte, um das nicht zu verstärken.
Christian Wehrschütz: Das war aber nicht meine Aussage, sondern ich habe zitiert.
Friedrich Ofenauer: Ich weiß. Ich weiß, dass Sie nicht dieser Ansicht sind.
Bevor die Nachfrage wegen der Bärenhalterverordnung kommt – Sie machen mich neugierig –: Möglicherweise wurde sie deswegen nicht aufgehoben, weil sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in anderen Bereichen auch verändert haben, so wie auch im Rahmen des Europarechts und auch des innerstaatlichen Rechts.
Man muss schon sagen: Das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität wurde völkerrechtlich den damaligen Ländern – ich glaube, 143 waren es an der Zahl – bekannt gegeben. Genauso wurde aber auch der Beitritt zur Europäischen Union mit der Adaptierung unserer Bundesverfassung bekannt gegeben. Das wurde nicht beeinsprucht, das Gegenteil ist der Fall, es wurde akzeptiert und es wird auch europaweit akzeptiert. Unsere Beiträge im Rahmen von Eufor, KFOR, Unifil werden sehr geschätzt, sind wesentliche Beiträge, wo wir über das Verhältnis anderer Staaten hinaus auch unseren Beitrag mit Soldatinnen und Soldaten leisten, und das wird auch sehr geschätzt.
Aber worüber wir reden, ist die Neutralität, die Sicherheit Österreichs. Die Neutralität ist ein Instrument – und das ist ja auch im Gesetz festgehalten – zum Zweck der Aufrechterhaltung der Souveränität und der Unverletzlichkeit des Staatsgebietes, daher erklären wir unsere immerwährende Neutralität. Das heißt, wir sind aber auch als neutraler Staat – zwar mit der Pflicht, uns selbst verteidigen zu können, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln – darauf angewiesen, dass andere Staaten die Unverletzlichkeit unseres Staatsgebietes akzeptieren und respektieren.
Eine der Gretchenfragen wird sein, wann dieser Respekt vor der Unverletzlichkeit und der Souveränität in Zeiten von hybrider Kriegsführung nicht mehr gegeben ist. Auf jeden Fall kann es – und jetzt komme ich zur Unterscheidung zwischen militärischer und politischer Neutralität – zur politischen Neutralität nicht gehören, dass man völkerrechtswidrige Angriffe wie von Putins Russland auf die Ukraine, das militärische Verschieben von Staatsgrenzen nicht als solches benennt und das dann unter dem – ich sage jetzt dazu – Vorwand der Neutralität geschehen lässt und den angegriffenen Staat gegen den Aggressor nicht unterstützt. Dann hätten auch wir als neutraler Staat ein massives Problem. In diese Richtung darf es nicht gehen, deswegen können und müssen wir auch alles das, was in unserer Verfassung möglich ist, anwenden, um eine moderne Interpretation der Neutralität zu finden.
Christian Wehrschütz: Ich darf den Abgeordneten der NEOS um seine Worte bitten.
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff: Ich kann mich bei vielen Dingen dem Kollegen der ÖVP anschließen. Ich glaube, eines der wesentlichen Dinge ist, der Realität in die Augen zu schauen. Wir sind mittendrin im Krieg, im hybriden Krieg. Der steht nicht vor unserer Haustür, sondern ist mittlerweile im Haus, wie wir sehr oft an Cyberangriffen et cetera – dafür geht jetzt die Diskussion leider nicht lange genug – sehen. Deswegen finde ich es schon verblüffend, wenn Frau Kollegin Fürst in ihrer ersten Wortmeldung davon spricht, sie würde gerne gemeinsam mit der Schweiz im Zentrum von Europa eine Oase machen. Das klingt nach Milch und Honig und zwar sehr schön, aber diese Oase ist nicht da.
Wir müssen der Realität in die Augen schauen! Noch einmal: Der Krieg ist angekommen, der hybride Konflikt ist mitten unter uns und wir sehen und spüren das alle vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber auf den zweiten Blick werden wir es sehen. Wir sehen Drohnenalarm quer durch Europa – heute in der Früh war es Mallorca, wo Drohnen am Flughafen unterwegs waren, et cetera, et cetera. Sich da hinzustellen und zu sagen: Na ja, es ist eh alles gut und wir müssen nichts machen!, halte ich für brandgefährlich. Ich glaube, es ist genau jetzt der Zeitpunkt, an dem wir aufwachen und schauen müssen, dass wir unsere Hausaufgaben machen, gemeinsam mit unseren Partnern.
Wir müssen einerseits gemeinsam dafür sorgen, dass wir wehrfähig sind – ganz Europa, das ist nicht eine Thematik, die wir in Österreich alleine haben –, und andererseits müssen wir dafür sorgen können, dass jeder Bürger auf diesem wunderbaren Kontinent genau dieses Gefühl auch hat: hier sicher leben zu können und dass eben nicht die Haustür sperrangelweit offen ist – wie sie es momentan ist, was hybride Kriegsführung und vieles darüber hinaus betrifft.
Christian Wehrschütz: Ich mache jetzt nicht eine weitere Runde, aber ich betone, dass Frau Abgeordnete Fürst nicht Ihrer Meinung ist. Das ist ja auch klar, wir sind ja jetzt nicht in einer Parlamentsdebatte.
Ich komme zum Schluss: Erstens einmal sage ich herzlichen Dank für die Disziplin und die Zeitdisziplin auch der Abgeordneten.
Ich sage im Namen von ORF III herzlichen Dank an unsere Zuschauer, und ich sage ganz besonders herzlichen Dank dem Präsidenten des österreichischen Nationalrates Walter Rosenkranz, dass es diese Veranstaltung gegeben hat. Ich hoffe, es wird nicht die letzte gewesen sein, nicht nur im Parlament, sondern ganz generell, denn Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik – und das ist meine Erfahrung aus 30 Jahren mit diesem Thema – sollte eben kein Rosenthema sein, das nur in politischen Eliten geführt wird, sondern es ist wichtig, auch der europäischen Bevölkerung und der österreichischen Bevölkerung insbesondere klarzumachen, dass das ein Thema ist, das auch den tagtäglichen Lebensbereich betrifft.
Weil auch Drohnen angeschnitten wurden: Vom Rennen in Zeltweg bis hin zu anderen Großveranstaltungen ist der Schutz vor Drohnen heute bereits ein relevantes Thema. Wir reden also nicht nur über irgendwelche Kriege oder über Ereignisse, wo die „Völker“ im Fernen Osten „aufeinander schlagen“, um Goethe zu zitieren, sondern wir reden über ganz konkrete Fragen, die die Sicherheit Österreichs betreffen.
Ich danke noch einmal für die Einladung. Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche noch einen schönen Tag. – Herzlichen Dank. (Beifall.)