Stenographisches
Protokoll

Festsitzung anlässlich 80 Jahre Länderkonferenz

 

23. Oktober 2025

Abteilung 1.4/2.4
Stenographische Protokolle
 

Festsitzung anlässlich 80 Jahre Länderkonferenz

 

Programm 

Eröffnungsworte 

Peter Samt – Präsident des Bundesrates 

Grußworte 

Walter Rosenkranz – Präsident des Nationalrates 

Festrede 

Karl Bader – Präsident des Bundesrates a. D. 

Abschlussworte 

Max Hiegelsberger – Vorsitzender der Landtagspräsident:innenkonferenz 

Empfang

 

Beginn der Festsitzung: 9.02 Uhr

Eröffnungsworte

Peter Samt (Präsident des Bundesrates): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Zuseher via Livestream und vor den Fernsehgeräten! Ich freue mich sehr, Sie heute zu einer Festsitzung anlässlich des Jubiläums 80 Jahre Länderkonferenz begrüßen zu dürfen.

Namentlich begrüßen möchte ich unsere Ehrengäste:

den Präsidenten des Nationalrates Dr. Walter Rosenkranz (Beifall),

den Präsidenten des Oberösterreichischen Landtages und Vorsitzenden der Landtagspräsidentenkonferenz Max Hiegelsberger (Beifall),

die Präsidentin des Burgenländischen Landtages Mag. Astrid Eisenkopf sowie

den Präsidenten des Bundesrates außer Dienst Karl Bader. (Beifall.)

Begrüßen möchte ich auch unsere beiden Damen, die uns musikalisch durch diesen Festakt begleiten dürfen. (Beifall.)

Schön, dass Sie alle dieser Einladung gefolgt sind!

Wir feiern heute 80 Jahre Länderkonferenz. Das ist für mich als Präsident des Bundesrates, der Länderkammer, ein besonderes Ereignis, denn es waren die Bundesländer, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus maßgeblich an der Wiederherstellung Österreichs beteiligt waren. So hat die erste Länderkonferenz von 24. bis 26. September 1945 im ehemaligen niederösterreichischen Landhaus stattgefunden. 

Mit dieser ersten Länderkonferenz wurden die Grundlagen für ein demokratisches, ungeteiltes und föderalistisches Österreich geschaffen. Die provisorische Regierung Karl Renners nach dem Zweiten Weltkrieg wurde anerkannt. Es war das erste Treffen von Christdemokraten, Sozialdemokraten und kommunistischen Politikern aus den östlichen und westlichen Bundesländern Österreichs seit dem Jahr 1933. Nur wenige Wochen später, am 25. November 1945, fand die erste Landtagswahl in Wien sowie die erste Nationalratswahl statt.

Die Länder haben also einen historisch bedeutenden Anteil daran, dass Österreich in der heutigen Form besteht. Beim 60. Jubiläum der Länderkonferenz hat der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die erste Länderkonferenz als das „eigentliche Gründungsdatum des geeinten Österreich“ bezeichnet und er hat recht. 

Der Föderalismus ist einer der Grundpfeiler der Republik, genauso wie das Zweikammersystem, das wir mit dem Nationalrat und dem Bundesrat aktiv mit Leben befüllen. Mittlerweile können wir auf 80 Jahre Erfolgsgeschichte dieser Strukturen zurückblicken. Dieses Prinzip steht für das Miteinander und den Interessenausgleich. Die Bundesländer sind die Basis Österreichs und als Präsident des Bundesrates möchte ich betonen, dass der Föderalismus in Österreich nicht nur einfach da ist, sondern letztlich auch eine große Stärke sein kann – kein Hemmnis, sondern eine Stärke, wenn man, meine geschätzten Damen und Herren, den Föderalismus wirklich lebt. – Und da ist, wie wir alle wissen, Luft nach oben.

Der Bundesrat gehört laut Verfassung zum Zweikammersystem des österreichischen Parlaments, dennoch hat er im Vergleich zum Nationalrat in Bezug auf die Gesetzgebung weniger Befugnisse und wirkt in seinen Kompetenzen oftmals zahnlos. Wenn wir uns die Gesetzgebung betrachten und auch die Kontrolle der Regierung, muss man feststellen, dass der Bundesrat wenig politische Macht hat. Bei der Gesetzgebung ist es in den allermeisten Fällen nur ein aufschiebendes Veto, das heißt, er kann Gesetzesbeschlüsse verzögern, aber nicht komplett stoppen. Bei der Kontrolle der Regierung fehlt vor allem das Misstrauensvotum. Anders als der Nationalrat kann der Bundesrat eine Bundesregierung nicht abwählen. Immerhin kann die zweite Kammer aber Verfassungsgesetze stoppen – eine nicht ganz unwichtige Kompetenz, wie wir wissen.

Die Bedeutung und die Wahrnehmung des Bundesrates steht und fällt mit seinen Abgeordneten. Ich möchte daher auch an die 60 Bundesräte appellieren, sich daran zu erinnern, dass sie nicht nur Vertreter ihrer Parteien und der Bundesregierung sind, sondern in erster Linie Vertreter ihrer Bundesländer – und nicht alles, was in unserem Land derzeit passiert, hat positive Auswirkungen auf die Bundesländer.

Wie Sie wissen, gab es ja auch einmal die Idee, die Bundesräte im Plenum des Bundesrates nicht nach Parteien, sondern nach Bundesländern zusammenzusetzen – ein spannender Gedanke, der am Klubzwang, den es ja nicht gibt, der Parteien gescheitert ist.

Ein weiteres Manko in der Außenwahrnehmung hat der Bundesrat durch den halbjährlichen Vorsitzwechsel. Jetzt bin ich seit Juli Präsident dieses Bundesrates. Im Jänner wird mein Kollege Markus Stotter aus Tirol dieses Amt übernehmen, denn die Präsidentschaft wechselt mit dem jeweiligen Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, die, anders als der Bundesrat, selbst nicht gesetzlich geregelt ist. Durch diesen ständigen Wechsel hat der Bundesrat aber keine Möglichkeit, ein Gesicht oder eine Stimme oder eine Identifikationsfigur für die Öffentlichkeit aufzubauen – damit meine ich sowohl die Bevölkerung, als auch die Medien. Nicht einmal lang gediente Politjournalisten und Innenpolitikjournalisten kennen die jeweiligen Vorsitzenden oder den Vorsitzenden des Bundesrates. 

Verstehen Sie mich nicht falsch, das sage ich jetzt nicht aus Eitelkeit – und keine Angst, obwohl mir das Amt sehr viel Freude macht, werde ich es am Ende des Jahres natürlich wieder zurücklegen. Ich möchte aber trotzdem anregen, einmal darüber nachzudenken, ob dieser Modus der Bestellung in Stein gemeißelt ist. Dem Image und der Außenwirkung des Bundesrates würde es jedenfalls guttun, wenn die Menschen auch ein Bild der Länderkammer im Kopf hätten. Ich halte es daher auch für enorm wichtig, ab und zu diese heiligen Hallen des Hohen Hauses zu verlassen und mit dem Bundesrat und den Bundesräten in die Länder zu gehen. Das passiert etwa mit Veranstaltungen wie Bundesrat im Bundesland oder mithilfe der parlamentarischen Demokratiewerkstatt, die sich besonders um die politische Bildung der Jugend bemüht.

Der heutige Tag ist eine wunderbare Gelegenheit, auf die 80-jährige Erfolgsgeschichte der Länderkonferenz und den traditionellen Föderalismus zurückzublicken. Gleichzeitig müssen wir diese Grundlage unserer Demokratie aber auch weiterentwickeln und mit Leben erfüllen. Der Bundesrat hat eine wichtige Repräsentationsfunktion für die Länder, er ist Ort des Dialoges, der Diskussion und leistet einen wichtigen Beitrag für ein aktives politisches Leben und einen Diskurs in Österreich.

Ich bedanke mich für Ihr Kommen und Ihre Aufmerksamkeit und wünsche dieser Veranstaltung einen guten Verlauf. (Beifall.)

Walter Rosenkranz (Präsident des Nationalrates): Nächster Tagesordnungspunkt: Grußworte des Präsidenten des Nationalrates. Also: Ich grüße Sie! (Heiterkeit.)

Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus, Artikel 24 unserer – und ich ergänze, ich füge hinzu: schönen – Bundesverfassung. Ja, in Wahrheit: Unsere Bundesverfassung ist das, was man schön nennt, sowie alles in unserer Republik Österreich, von der Kultur über die Landschaft und alles, was es so gibt, die Produkte, die in der Kultur, der Landschaft entstehen. – Ich verzettle mich jetzt schon am Beginn.

Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrates! Verehrte Damen und Herren! Liebe Nachbarn hier im Hause! Was für uns heute selbstverständlich ist, musste vor 80 Jahren erst wieder werden. Im Mai 1945 waren zumindest das Morden in den Konzentrationslagern, der Tod in den Schützengräben und die Opfer des Bombenterrors zu Ende. Manche waren trotzdem so geschwächt, dass sie auch danach noch ihr Leben lassen mussten. Aus dieser Asche ist unsere Zweite Republik erstanden. 

Das, was eben für uns heute selbstverständlich ist, musste vor 80 Jahren erst wieder werden, nämlich dass die Länder nicht nur Teil der Republik sind, sondern Mitgestalter des Bundes. Dieser eine Satz im Artikel 24 der Bundesverfassung – er steht übrigens auch, wenn man es genau beobachtet, am Eingang vor der Portikus und Säulenhalle – klingt schlicht, er bringt aber auf den Punkt, was Österreich im Innersten zusammenhält: Das Zusammenwirken von Bund und Ländern – nicht als formale Pflicht, sondern als Ausdruck gemeinsamer Verantwortung. 

Föderalismus ist nicht nur einfach ein Verwaltungsmodell, das man von einem Staat an den anderen übertragen könnte, nein, es ist auch ein Prinzip des wechselseitigen Vertrauens. Es basiert auf der Überzeugung, dass jene, die den Menschen am nächsten sind, auch am besten wissen, was sie brauchen. Es verlangt von uns, Entscheidungen zu teilen, Kompetenzen zu respektieren und im Ausgleich, das Ganze im Blick zu behalten. Das ist manchmal kein bequemer Weg, aber es ist auch der demokratische. Als Verfassungsjurist sehe ich darin eine Schule des Maßhaltens im Gleichgewicht der – wie sagt man so schön? – Player, die es hier gibt. Als Musiker, und wir werden es wahrscheinlich heute noch hören, sehe ich eine Kunst des Zusammenspiels, denn jede Stimme hat ihre Eigenart – die Violine genauso wie das Cello –, aber erst gemeinsam entsteht der Klang, der nicht nur die Musik, sondern auch unser Land prägt und trägt.

Ich selbst habe, wie viele von Ihnen, in der Gemeindepolitik begonnen. Ich kann nur empfehlen, diesen Weg auch zu beschreiten. Die Kommunalpolitik ist wahrscheinlich das, was am meisten an Erfahrung gibt. Dort lernt man, was Politik im Kern bedeutet: Zuzuhören, die Verantwortung daraus zu übernehmen, eine Entscheidung zu treffen und als Ganzes mit knappen Mitteln das Beste für die Menschen vor Ort zu erreichen. Man spürt sehr direkt, was Entscheidungen bedeuten und wie nah dort auch Vertrauen und Kritik, Zustimmung und Widerstand beieinander liegen können. Diese Erfahrung begleitet einen, auch wenn man später in andere politische Ebenen wechselt, denn im Grund ist es immer dasselbe Prinzip. 

Demokratie beginnt nicht im Hohen Haus, sondern sie beginnt, wenn es um die Gebietskörperschaften geht, in der Gemeinde. Es wurde bereits angesprochen, sie beginnt eigentlich schon viel früher. Sie beginnt wahrscheinlich schon im Kindesalter in der Schule, nicht nur, wenn es eine Klassensprecherwahl gibt, sondern auch – und das Wort ist schon gefallen – als Demokratiewerkstatt. Ja, auch hier im Haus bietet die Demokratiewerkstatt jungen Menschen in Österreich etwas.

 Ich möchte da einen kleinen Exkurs machen: Vorgestern war der deutsche Bundespräsident hier – zeitlich sehr knapp bemessen: eine halbe Stunde für ein Arbeitsgespräch inklusive Fototermin. Die Zeit wurde heillos überzogen, weil der deutsche Bundespräsident Steinmeier von sich aus angesprochen hat: Wie ist das eigentlich bei Ihnen hier herinnen mit dieser Demokratiewerkstatt? – Das heißt, das ist ein Exportschlager. Es war auch die Bundesbildungsministerin anwesend, die sich, entgegen der Usance, laut der nur die beiden Präsidenten miteinander arbeitsam sprechen, auch sofort ins Gespräch eingemischt hat. Sie hat gesagt: Ja, die Demokratiewerkstatt, was können wir da unter Umständen gemeinsam machen, was können wir lernen? – Ich finde es sehr ermutigend, was auch hier im Hause passiert.

Es beginnt dort, wo die Nachbarn einander kennen – auch wir sind Nachbarn – und sich trotzdem, oder gerade deswegen, verständigen müssen. Föderalismus lebt von diesem Geist, von unten nach oben zu denken, Verantwortung dort zu belassen, wo sie getragen werden kann, und das Ganze zu stärken, indem man das Einzelne ernst nimmt. In diesem Sinne ist jede Gemeinde, jede Stadt, jedes Land ein Stück lebendige Verfassung und zusammen bilden sie das Fundament – ein unsichtbares aber trotzdem sehr starkes Fundament –, auf dem unser Parlament steht.

Das Bundesverfassungsgesetz ist ein Werk des Gleichgewichts zwischen Bund und Ländern – Mehrheit und Minderheit, Zentralität und regionale Eigenständigkeit. Ja, diese regionale Eigenständigkeit ist wichtig. Wir sehen hier und im Raumkonzept, dass der Bundesrat jetzt hier seine Bleibe gefunden hat, nicht nur, indem die Bundesländerwappen dort (in Richtung Decke blickend) angefügt worden sind, sondern auch historisch kann der Blick nach oben zeigen, was es in Österreich alles gegeben hat, und die Bundesländer sind auch schon dabei gewesen – damals noch ein bisschen anders genannt, aber der Kern ist da.

Die Diskussion der Eigenart der Bundesländer ist auch wichtig. Man sagt ja, jedes Bundesland hat unter Umständen einen eigenen Menschenschlag mit unterschiedlichen Sichtweisen, wie die Dinge angenommen werden – aber damit begebe ich mich schon auf glattes Eis. Dieses Gleichgewicht wird eben hier garantiert. Es ist auch das Geheimnis der Beständigkeit, wenn in Artikel 2, also in diesen Grundbausteinen, gesagt wird: Österreich ist ein Bundesstaat. Die Artikel 10 bis 15 teilen die Zuständigkeiten auf, und das ist, so wie mir die Diskussion erscheint, auch nicht unbedingt zwingend etwas Starres. Auch hier habe ich aus Bundesländern vernommen, dass in Fragen der Kompetenzen angesichts knapper Mittel die eine oder andere Diskussion bereits angestoßen wird. Dieses Zusammenspiel hat Österreich aber über Jahrzehnte Stabilität verliehen, weil es dem Ausgleich mehr zutraut als dem Befehl von oben.

Ein bekanntes rechtshistorisches Diktum sagt: Verfassungen entstehen meist aus Krisen. Das gilt auch für Österreich. Seit 1848 war jede neue Verfassung das Ergebnis eines tiefen gesellschaftlichen Umbruchs, aber eine Krise allein schafft noch keinen guten Start. Auch 1945, in einer Zeit von Leid, Zerstörung, Hunger und Besatzung, hätte man die Weichen anders stellen können. Der Ungeist der Regierungsformen der Ersten Republik und danach in der Zeit des Nationalsozialismus war eben auch nicht einfach verschwunden. Darum zeigt uns die Geschichte: Es reicht nicht, eine gute Verfassung zu haben, eine schöne Verfassung zu haben, es geht auch um das, was uns als Gesellschaft zusammenhält – nicht nur um das, was in Paragrafen geschrieben steht. 

Eine Verfassung, die nicht im Bewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger verankert ist, bleibt ein ungehobenes Versprechen, ein Dokument ohne entsprechende Rückendeckung. Erst, wenn sie von gemeinsamen Werten getragen wird, wird sie zur lebendigen Grundlage des Staates. Zu diesen Werten gehören Freiheit und Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Verantwortungsbewusstsein und die Achtung des Rechts. Sie bilden auch ein absolutes Fundament unserer Republik. Die schmerzlichen Erinnerungen an den Zusammenbruch der Demokratie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lehren uns, dass es nicht allein auf die Qualität des Werkzeugs Verfassung ankommt, sondern auch darauf, wie und wofür man dieses Werkzeug einsetzt. Verfassungsrecht lebt von Verfassungstreue. Verfassungstreue bedeutet, die Demokratie nicht nur zu verwalten, sondern sie täglich neu zu gestalten. Kurz gesagt: Wir brauchen nicht nur eine starke Verfassung, die wir Gott sei Dank haben, sondern wir brauchen eine Verfassungskultur.

Wenn wir heute an die Länderkonferenz von 1945 erinnern, erinnern wir uns auch an den Moment, in dem dieses Gleichgewicht wiederhergestellt wurde.

Damals bewiesen die Länder Mut und Weitblick, nicht daran zu denken, was wäre, wenn tatsächlich – und den Plan gab es 1945 auch – Österreich so wie Deutschland in einen westlichen Teil, Mitglied der Bündnissysteme, der Nato, und in einen östlichen Teil unter sowjetischer Einflusszone getrennt würde.

Ich war gestern erst beim Nationalfeiertag der Republik Ungarn, wo gesagt wurde: Ihr habt es gut gehabt! Ihr wart 1955 befreit, was wir uns 1956 auch erhofft haben, was aber blutig niedergeschlagen wurde! Man soll nicht vergessen, was andere Länder zu erdulden hatten und dass sie erst Jahrzehnte später, erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, ihre Freiheit und Souveränität im eigentlichen Sinn wiederbekommen haben. Ja, es ruht auch in Österreich auf unseren gemeinsamen Schultern.

Wir erinnern uns auch an jene Politiker, die an schwierigen Tagen Verantwortung übernahmen – über alle Parteigrenzen hinweg. Ich fange jetzt nicht an, die Namen zu nennen, denn die Liste könnte nur unvollständig bleiben, aber jeder hat sie im Kopf. Sie alle verband der Wille, Österreich wieder zu einen, nicht in Einförmigkeit, sondern in Zusammenarbeit. Diese Szene, ein Bild des politischen Neubeginns, ist mehr als ein Dokument der Zeitgeschichte. Sie steht für das, was Föderalismus im Kern bedeutet: unterschiedliche Überzeugungen, verbunden durch gemeinsame Verantwortung.

Sehr geehrte Damen und Herren! Föderalismus bedeutet, nicht Macht, sondern Verantwortung zu teilen. Es ist die verfassungsrechtlich verankerte Form des Miteinanders, ein System, das uns lehrt, dass Stärke nicht im Durchsetzen liegt, sondern im Zusammenführen. Ich wünsche uns, dass dieser Geist der Zusammenarbeit, dieses Bewusstsein für unsere gemeinsame Verfassungskultur auch künftig das Miteinander von Bund und Ländern prägt. Sie als Mitglieder des Bundesrates sind das Scharnier zwischen diesen beiden Ebenen. Ich fand es immer ein bisschen beneidenswert, zumindest war es in meiner Fraktion so, dass die Bundesräte sowohl an den Sitzungen der Landtagsklubs, die sie entsenden, als auch immer an den Sitzungen des Nationalratsklubs hier im Haus teilgenommen haben – ein Informationsvorsprung, der unbezahlbar ist. Ich wünsche Ihnen, dass es gelingt – hier im Parlament und überall in Österreich. Ich danke Ihnen, und nochmals: Ich grüße Sie! (Beifall.) 

 

(Es folgt die musikalische Darbietung des Stückes „Duo für Violine und Cello Nr. 3 – Gavotte“ von Reinhold Glière, dargebracht von Eva Lucia Schmölzer (Violine) und Dorottya Standi (Cello).)


(Beifall.)

Karl Bader (Präsident des Bundesrates a. D.): Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident! Sehr geschätzter Herr Bundesratspräsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Präsident! Liebe Damen und Herren Mitglieder des Bundesrates! Verehrte Gäste! Es ist mir eine große Freude und Ehre zugleich, anlässlich des 80-Jahr-Jubiläums der Länderkonferenz vor Ihnen sprechen zu dürfen, daher sage ich gleich vorneweg ein Danke an Herrn Bundesratspräsidenten Samt für die Einladung, die ich natürlich sehr gerne angenommen habe.

Veranstaltungen wie diese bieten Gelegenheit zu erinnern, innezuhalten, aber natürlich auch, den Blick nach vorne zu tun und zu wagen. 2025 ist bekanntlich ein großes Jubiläumsjahr in unserer Republik: 80 Jahre Kriegsende – der Herr Präsident hat es schon angesprochen –, Ende der Naziherrschaft, 70 Jahre Staatsvertrag – wahrlich Jubiläen, die man groß feiern soll und muss. Das 80-Jahr-Jubiläum der Länderkonferenz wird hier herinnen jedoch im Vergleich in einem bescheideneren Rahmen gefeiert, obwohl das Ergebnis derselben für mich das Fundament unserer Zweiten Republik gelegt hat und das Zustandekommen dieser Länderkonferenz gar nicht so einfach war, weil gerade in den westlichen Bundesländern Skepsis herrschte, ob die Regierung Renner nicht doch eine Marionette der kommunistischen Russen sei. Flammende Reden von Raab und Figl, unter anderem in Salzburg, haben aber dazu beigetragen, dass schließlich alle Bundesländer an dieser Länderkonferenz teilgenommen haben.

Wenn wir uns vergegenwärtigen, in welchem Kontext diese Länderkonferenz stattgefunden hat, so finden wir damals ein Österreich, das in Trümmern liegt, ein Österreich, das nach den großen Schäden des Zweiten Weltkriegs vor einer Riesenherausforderung des Wiederaufbaus steht, und ein Österreich, das den Besatzungsmächten aber vor allem sich selbst beweisen muss, dass der Aufbau eines demokratischen föderalistischen Staates gelingen kann.

Die Länderkonferenz war daher besonders Ausdruck eines klaren Gedankens: Die Bundesländer sollten bei den großen Fragen des Wiederaufbaus, der Neuordnung des Staatsaufbaus nicht nur gehört, sondern aktiv beteiligt werden. Allen Beteiligten war damals bewusst: Nur durch Zusammenarbeit kann die Einheit Österreichs, die ja auf dem Spiel stand – wie der Herr Präsident schon angesprochen hat –, dauerhaft sichergestellt werden. Der Staatskanzler der provisorischen Regierung Karl Renner sagte am 24. September im Landtag in der Herrengasse, Tagungsort der Länderkonferenz – und ich zitiere –: Kein Teilnehmer an dieser Konferenz soll mit seiner Meinung hinter dem Berg halten, aber halten Sie sich, meine Damen und Herren, immer eines vor Augen, ein großes Ziel, das erreicht werden soll, und das heißt: die Einheit des österreichischen Staates!

Trotz der großen Herausforderungen war die Länderkonferenz von einem Gefühl der Zuversicht, der gemeinsamen Verantwortung, des Optimismus und des Vertrauens zueinander geprägt. Dieses Vertrauen in unsere gemeinsame Kraft ist etwas, das wir heute natürlich bei den Herausforderungen, vor denen wir stehen, auch brauchen. Dieses Vertrauen gipfelte damals 1945 auch in der Weihnachtsansprache des Bundeskanzlers Leopold Figl, in der er gemeint hat: „Glaubt an dieses Österreich!“

Wir feiern heute jedoch nicht nur ein historisches Ereignis, wir feiern ein Stück gelebter österreichischer Identität, genauso ein Fundament unseres Zusammenlebens, unserer wirtschaftlichen Stärke, unseres kulturellen Reichtums, nämlich den Föderalismus.

Österreich ist ein kleines Land. Geografisch gesehen stimmt das natürlich. Dennoch sind unsere historisch gewachsenen Bundesländer alle einzigartig. Die Menschen in Österreich sind stolz auf ihre Heimat und sie fühlen sich ganz besonders ihrer Region verbunden. Kulturell, historisch, wirtschaftlich sind wir eine Vielheit in der Einheit.

Ich bin heute mehr denn je überzeugt, dass diese Diversität unserer Regionen das Fundament unseres Wohlstandes bildet. Föderalismus fördert Verantwortungsgefühl, Eigeninitiative, Bereitschaft, sich an demokratischen Abläufen zu beteiligen. Das sind wohl Eckpfeiler für eine funktionierende Demokratie. 

Der Bundesrat, meine Damen und Herren, ist Ausdruck und Institution dieses Grundgedankens unseres politischen Systems. Ein Ort, an dem Vielfalt als Chance, als Ressource verstanden wird, in dem Brücken zwischen regionalen Interessen und dem nationalen Gesamten gebaut werden. 

Gleichzeitig muss der österreichische Bundesrat aber die Zukunftskammer des Föderalismus sein, denn der Föderalismus ist kein starres Prinzip, wie manche meinen. Er muss gelebt, ständig weiterentwickelt werden, um zukunftsfähig zu bleiben. Dazu gehört auch, dass bestimmte Bereiche und Entwicklungen kritisch hinterfragt und beleuchtet werden und Kompetenzverteilungen, wenn nötig, auch neu geregelt werden. 

Ich persönlich blicke da sehr hoffnungsvoll auf die von der Bundesregierung ins Leben gerufene Reformpartnerschaft, in deren Rahmen Bund, Länder, Städte- und Gemeindebund gemeinsam an einem schlankeren, effizienteren Staat arbeiten. Es geht um ein Gleichgewicht zwischen Aufgabenverantwortung und Finanzierungsverantwortung, das in einigen Bereichen aus dem Ruder gelaufen ist. 

Wir wissen es ja alle, und ich denke wie Sie an die Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Bereich der Elementarpädagogik, im Bereich der Lehrerbildung, im Bereich des Gesundheitswesens, besonders der Krankenanstalten. Da braucht es aus meiner Sicht klare Zuständigkeiten, was die Verantwortung und auch die Finanzierung betrifft, und zwar im Sinne eines Verantwortungsföderalismus. 

Es gibt zu dieser Reformpartnerschaft ja schon auch – vorsichtig gesagt – einige Ideen, die veröffentlicht wurden, oder Vorschläge, und es gibt auch die typisch österreichische Reaktion der Ablehnung dazu. Es wird daher Mut zur Veränderung notwendig sein, aber nicht nur der Mut zur Veränderung, sondern auch der Mut zur Verantwortung, denn es wird zur Bewältigung künftiger Herausforderungen nicht um die Findung des kleinsten gemeinsamen Nenners gehen, sondern es wird ganz sicher um die Suche des größten gemeinsamen Ganzen beziehungsweise Sinnvollen für jede einzelne der Gebietskörperschaften gehen müssen. 

Sehr geehrte Damen und Herren, Österreich ist eingebettet in die Europäische Union. Die Regionen in Europa sind auch beispielgebend für sinnvolle grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Denken Sie an Kooperationen mit Vorarlberg im Bodenseeraum, denken Sie an die Zusammenarbeit des Weinviertels mit Mähren!

Denken Sie, und dieses Beispiel möchte ich ein bisschen hervorheben, an das Vorzeigebeispiel einer gelungenen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, das Gesundheitszentrum Healthacross in Gmünd, in Niederösterreich, ein Zentrum für hochwertige Gesundheitsversorgung in der Grenzregion zwischen Niederösterreich und Tschechien. Seit der Eröffnung 2021 ist dieses Zentrum, in dem sowohl tschechische als auch österreichische Patientinnen und Patienten behandelt werden, ein Leuchtturmprojekt, wie die Gesundheitsversorgung in einer Grenzregion gestaltet werden kann. Es hat sich als unverzichtbare medizinische Einrichtung etabliert und die Expertise und die Synergie der Expertise und der Ressourcen der beiden Länder Österreich und Tschechien ermöglichen eine wohnortnahe Versorgung der Menschen in dieser Region. 

Es wurden mit diesem Projekt rund 30 neue Arbeitsplätze geschaffen, und es sind in den ersten drei Jahren bereits rund 65 000 Patientenkontakte ermöglicht worden. Die internationalen Auszeichnungen für dieses Projekt sprechen für seinen Erfolg.

Die Bundesländer müssen auch weiter solche Motoren der regionalen Zusammenarbeit gerade im Grenzbereich sein. Die Herausforderungen, die wir haben, sind nicht nur im regionalen oder im nationalen Rahmen zu sehen, sondern im Gemeinsamen. Und diese Herausforderungen haben wir, das wissen wir alle. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Föderalismus ist kein bequemes System. Er verlangt Geduld, Kompromissbereitschaft und eines, das ich besonders einmahne, nämlich Respekt. Der Föderalismus ist aber, entgegen der Meinung mancher, kein Auslaufmodell, sondern er ist in meinen Augen eine Zukunftsantwort. Er ermöglicht vielfältige und individuelle Lösungen, er ermöglicht einen Wettbewerb von Ideen, garantiert vor allem die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern, schafft Identität und Zusammenhalt und ist natürlich für die Beteiligung am Gemeinwesen eine ganz, ganz besondere Notwendigkeit für unsere Demokratie. 

80 Jahre Länderkonferenz ist aber nicht nur ein historisches Jubiläum, es beinhaltet auch die Verpflichtung, den Weg des Föderalismus weiterzugehen – mutig, selbstbewusst und zukunftsorientiert. Es waren ja die Bundesländer, die 1945 ein klares Bekenntnis zur Einheit Österreichs abgelegt haben. Der damalige Wille zum Konsens, zum Zuhören und vor allem zum Überwinden von Gegensätzen, die wir aus der Ersten Republik zur Genüge kennen, haben dazu beigetragen, dass Österreich zu dem werden konnte, was es heute ist: Eine starke, geeinte Republik mit starken und erfolgreichen Regionen. 

Seit dem Beitritt zur Europäischen Union, insbesondere seit dem Vertrag von Lissabon nimmt der Bundesrat durch seine Mitwirkungsrechte und Aktivitäten auf EU-Ebene eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen der europäischen Ebene und den Bundesländern ein. Die Relevanz des Bundesrates im Subsidiaritätsprüfungsverfahren hat dazu beigetragen, dass das Ansehen unserer Länderkammer in Europa nachhaltig gestärkt worden ist. 

Der Bundesrat ist die Europakammer des österreichischen Parlaments, aber nicht nur des österreichischen. 71 Mitteilungen und 29 begründete Stellungnahmen wurden bis heute verabschiedet. Somit ist unser Bundesrat die aktivste Parlamentskammer Europas. 

Der Bundesrat ist heute aber auch Zukunftskammer des österreichischen Parlaments, eine Plattform, die Themen setzt und sich mit den vor uns liegenden Herausforderungen ganz besonders beschäftigt. 

Dazu braucht man nur einen Blick auf die letzten Schwerpunkte der Präsidentschaften zu werfen. Ich führe beispielhaft an: Digitalisierung und Demokratie ab 2019, beginnend mit meiner Präsidentschaft über sechs Präsidentschaften hinweg besonders die Förderung des ländlichen Raumes als Leitmotiv, Pflege und Gesundheit als Themen, die uns beschäftigen und beschäftigen müssen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, auf die ich schon hingewiesen habe, und erst kürzlich die Zukunft der Demokratie und der Zusammenhalt der Generationen. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Jubiläum 80 Jahre Länderkonferenz habe ich kein Geschenkpackerl mitgebracht. Dennoch bin ich – bildlich gesprochen – nicht mit leeren Händen hierhergekommen, denn ich habe drei Wünsche ganz bewusst so formuliert, wie ich sie formuliert habe, sodass sie dann möglicherweise auch Input für Festreden künftiger Jubiläen der Länderkonferenz sein könnten oder sollten. 

Erster Wunsch: Der Bundesrat ist als Länderkammer weiterhin die starke und engagierte Zukunfts- und Europakammer unseres Parlaments. Die Erfüllung dieses Wunsches liegt in Ihren Händen, meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte. 

Der zweite Wunsch: Der Föderalismus ist auch in Zukunft Grundlage unseres staatlichen Zusammenwirkens, Fundamt unserer Gesellschaft und damit unseres demokratischen Zukunftsmodells und Wohlstands. Die Erfüllung dieses Wunsches liegt in der Hand aller politischer Verantwortungsträger auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. 

Und schließlich der dritte Wunsch: Eine den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werdende, faire und transparente Kompetenzverteilung mit Aufgaben- und Finanzverantwortung ist das erfolgreiche Ergebnis der Reformpartnerschaft, und zwar deswegen, weil die politischen Verantwortungsträger aller Couleur und aller Ebenen, ob in Regierungsverantwortung oder Opposition, verstanden haben, dass die Herausforderungen der Zukunft, wie ich schon erwähnt habe, nicht durch die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner bewältigt werden können, sondern nur mit der Findung des größten gemeinsamen Ganzen und Sinnvollen für die jeweilige Gebietskörperschaft. (Beifall.) 

Sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Bundesrates! Wenn Sie genau aufgepasst haben, sind Sie die Einzigen, die für die Erfüllung der drei von mir formulierten Wünsche in allen Bereichen Verantwortung zu tragen haben und tragen. Daher wünsche ich Ihnen auf diesem Weg alles Gute, viel Kraft und viel Erfolg, aber nicht nur, damit mir eine Freude gemacht wird, weil die Wünsche erfüllt werden, sondern im Interesse Österreich und seiner Bevölkerung.

Es lebe die Republik Österreich und ihre neun Bundesländer, eingebettet in eine starke Europäische Union! – Vielen Dank. (Anhaltender Beifall.)


Es folgt die musikalische Darbietung des Stückes „Liebesfreud“ von Fritz Kreisler, Arrangement für Violine und Cello, dargebracht von Eva Lucia Schmölzer (Violine) und Dorottya Standi (Cello).


(Beifall.)

Max Hiegelsberger (Vorsitzender der Konferenz der Landtagspräsidentinnen und Landtagspräsidenten): Nach dieser sehr feurigen Einbegleitung durch das Duett sage ich wirklich Danke, und vielleicht ist das ja auch ein Zeichen von Österreich, dass wir zum 200. Geburtstag von Johann Strauß auch bei unseren Festveranstaltungen die Musik mitwirken lassen, die ja ein großes Aushängeschild unseres Landes ist. (Beifall.)

Hohe Festversammlung! Stellvertretend für alle Anwesenden begrüße ich Bundesratspräsidenten Peter Samt. Wir sind ja erst vor wenigen Tagen bei uns in Oberösterreich beim alljährlichen Treffen der Landtagspräsidenten unter meinem Vorsitz zusammengetroffen. So sage ich Ihnen: Schönen guten Morgen heute hier in Wien! Ich freue mich, dass ich heute als Vertreter der Länder vor Ihnen sprechen darf.

Es ist von wesentlicher demokratischer Bedeutung, dass ich als Vertreter des Landes ob der Enns – ich werde darauf noch zurückkommen – heute hier stehen darf. So kam unserem Bundesland aufgrund seiner geopolitischen Lage und geografischen Lage in Österreich immer schon eine Brücken- und Verbinderfunktion zwischen Ost und West zu, besonders auch in diesen aufgewühlten Tagen. Darauf wurde bereits in den Vorreden eingegangen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesem an Jubiläen reichen Jahr haben wir auch im Oberösterreichischen Landtag bereits die Feiern zu 80 Jahre Kriegsende, 70 Jahre Staatsvertrag und 30 Jahre sehr erfolgreiche Mitgliedschaft im gemeinsamen Europa begangen. Die Fundamente sind in dieser Zeit entstanden und müssen von uns auch in Zukunft getragen werden.

Ich möchte kurz in der Zeit zurückgehen, und zwar mithilfe eines Zitats, das die Ausgangssituation im Jahr 1945 sehr gut beschreibt: „Die Disziplin des Dritten Reiches ist Kriechertum und keine Freiheit. Der Antisemitismus und die nationale Hetzpropaganda sind Beschränkungen und keine geistige Weite. Der Faschismus ist [...] Sklaverei.“ Es galt damals, Österreich von diesem von Willy Brandt gezeichneten Bild aus in die Zukunft zu führen, die geistige Sklaverei aufzubrechen und ein Land neu aufzubauen – nicht nur materiell, sondern vor allem auch geistig und im Bewusstsein der Menschen.

Wir haben heute schon gehört, welche Abwägungen, Verhandlungen, Entwicklungen und auch Irrwege die Länderkonferenz im September 1945 getroffen und ausgelöst hat. Vorrangig mussten damals viele Hindernisse überwunden werden. Der von der Bundes-ÖVP entsendete Herbert Braunsteiner musste sogar über die Enns schwimmen, um sich mit Vertretern der westlichen Länder abstimmen zu können. Ein anderer Weg war damals nicht möglich. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wird dieses Zusammentreffen der Vertreter aller Länder und auch aller politischen Seiten zu Recht als eines der maßgeblichen Ereignisse auf dem Weg zu einem wiedererstanden Österreich angesehen.

Dass dies gelingen konnte, liegt am Einsatz der beteiligten Personen und am gemeinsamen Ziel, die Bundesländer in einem föderalistischen Bundesstaat wieder zusammenzubringen, oder wie es Peter Bußjäger ausdrückt: „Die Glieder wollten nicht völlig auf sich allein gestellt sein, sondern strebten nach Einheit, vermutlich schon mit dem Zeitpunkt an, an dem sie wieder ins Leben getreten waren.“

Die Länder und ihre politischen Vertreter haben in dieser entscheidenden Zeit Verantwortung gezeigt und den Willen zur Zusammenarbeit, auch über ideologische Gräben hinweg, eindeutig unter Beweis gestellt. Durch die Länderkonferenz und ihre Zustimmung zur Regierung in Wien verliehen sie diesem gemeinsamen Österreich Legitimität über reine Verträge und Schriftstücke hinaus. 

Die Vertreter der Länder –Frauen waren damals noch keine dabei – vermochten dies, weil sie das Vertrauen der Bevölkerung genossen, weil sie Bundesländer und Regionen klar glaubhaft darstellen und auch vertreten konnten. Das ist nach wie vor etwas, das uns im Landtag als demokratisches Zentrum der Länder auszeichnet: Die Verbundenheit mit den regionalen Abgeordneten, das rasche Aufgreifen der Themen der Menschen und eine faire und respektvolle Diskussion über jedwede parteipolitische Abgrenzung hinweg.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie viele über Gräben hinweg in die Zukunft denkende Menschen vorhanden waren, und zwar an den richtigen Stellen, welche Anstrengungen notwendig waren, um wieder Vertrauen aufzubauen und der Bevölkerung ein Überleben im vom Krieg zerstörten Land zu sichern, wie schlussendlich auch die internationale Politik und der beginnende Kalte Krieg Österreich erst die Möglichkeit gaben, wieder in den Grenzen von vor dem Krieg zusammenzufinden, wenn man sich an all diese einzelnen Faktoren, die notwendig waren, um Österreich wieder als demokratischen Staat neu zu gründen, erinnert und sie ansieht, kommt man nicht umhin, sich darüber zu wundern, wie leichtfertig aktuell in vielen Ländern die demokratischen Errungenschaften wieder aus der Hand gegeben werden. Wir werden gerade Zeugen, wie Hass, Zwietracht, Misstrauen und Spaltung, Falschinformation und schnelle Scheinlösungen wieder an Stärke gewinnen.

Wer eine Gesellschaft spalten will, muss nur die Moral und die Ehrlichkeit über Bord werfen. Dazu braucht es keine menschliche Größe und kein Durchhaltevermögen. Aber einen Staat neu zu gründen, verfeindete Fraktionen zu versöhnen und dabei Rivalitäten und Persönliches hintanzustellen, das ist wahrlich eine Großtat. (Beifall)

Vielleicht ist das auch die Botschaft, die nach 80 Jahren von der Länderversammlung im September 1945 ausgeht: Wir haben uns anzustrengen für unsere Demokratie und das Gemeinsame über das Trennende zu stellen, aus politisch Andersdenkenden keine Feindbilder zu machen und gemeinsam an der Zukunft weiterzuarbeiten, wie Präsident außer Dienst Bader bereits ausgeführt hat. 

Die Alternative dazu sehen wir täglich in Putins andauerndem, Menschenleben vernichtendem und sinnlosem Krieg in der Ukraine. Etwas zu zerstören, das geht schnell, aber aus Feinden, aus Tätern und Opfern wieder eine Gemeinschaft zu bilden, das ist wohl das Nobelste, was Menschen gemeinsam schaffen können.

Darum möchte ich mit einem Zitat von Fritz Molden schließen, der 1945 als Mitarbeiter von Tirols Landeshauptmann Karl Gruber zum Gelingen der Konferenz beitrug und sagte: Wir fuhren dann zur Länderkonferenz im September, die sehr spannend war. Sie war gekennzeichnet durch gegenseitiges Misstrauen, aber durch den gemeinsamen Willen, das Land wieder aufzubauen. Irgendwie haben alle Mitglieder im Unterbewusstsein gespürt: Jetzt oder nie! – Alles Gute. (Beifall.)


Es folgen die musikalische Darbietung der österreichischen Bundeshymne und der Europahymne, dargebracht von Eva Lucia Schmölzer (Violine) und Dorottya Standi (Cello).


( Beifall.

Peter Samt: Geschätzte Damen und Herren! Damit darf ich diesen Festakt beenden und Sie alle in den Empfangssalon zu einem Empfang einladen. – Danke für Ihr Kommen. 

Schluss der Veranstaltung: 09.54 Uhr