Diskussionsveranstaltung

„Lösungen finden. Wie Regierungen im 19. und 20. Jahrhundert mit nationaler Vielfalt umgehen. Von der Habsburgermonarchie zur EU.“

Transkript

verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle

 

 

Dienstag, 26. November 2024

17.01 Uhr – 18.37 Uhr

 

Elise Richter Lokal 2

Programm

Eröffnungsworte

Harald Dossi – Parlamentsdirektor

Vertreten durch:

Susanne Janistyn-Novák – Parlamentsvizedirektorin

 

Inhaltliche Einführung

Börries Kuzmany – Professor für Neuere Geschichte Zentral- und Osteuropas und der Habsburgermonarchie, Universität Wien

 

Kurzvortrag I „Gruppenrechtliche, nicht territoriale Zugänge“

Börries Kuzmany – Professor für Neuere Geschichte Zentral- und Osteuropas und der Habsburgermonarchie, Universität Wien

 

Kurzvortrag II „Territorialrechtliche Zugänge“

Jana Osterkamp (verhindert) – Professorin für Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa, Universität Augsburg

 

Kurzvortrag III „Individualrechtliche Zugänge zum Minderheitenschutz“

Jürgen Pirker – Professor für Law and Governance, Universität Graz

 

Podiumsdiskussion

Börries Kuzmany – Professor für Neuere Geschichte Zentral- und Osteuropas und der Habsburgermonarchie, Universität Wien

 

Jana Osterkamp (verhindert) – Professorin für Verflechtungsgeschichte Deutschlands mit dem östlichen Europa, Universität Augsburg

 

Jürgen Pirker – Professor für Law and Governance, Universität Graz

 

Moderiert von:

Marija Wakounig – Professorin am Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

 

Anschließend hatte das Publikum die Möglichkeit, Fragen an das Podium zu richten.

 

Empfang

 

Moderation

Karin Schneider – Parlamentsdirektion


 

Beginn der Veranstaltung: 17.01 Uhr

Eröffnungsworte

Susanne Janistyn-Novák (Parlamentsvizedirektorin): Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich willkommen zur heutigen Diskussionsveranstaltung mit dem Thema „Lösungen finden. Wie Regierungen im 19. und 20. Jahrhundert mit nationaler Vielfalt umgehen. Von der Habsburgermonarchie bis zur EU.“ Das ist bereits die dritte Veranstaltung dieser Art, organisiert durch unser Parlamentsarchiv im Rahmen der Reihe „Parlament und Demokratie – gestern und heute“, aber ohne Unterstützung und den Input der Forschungsgruppe „Nationale Vielfalt in der Geschichte“ wäre die heutige Veranstaltung nicht möglich gewesen – dafür herzlichen Dank.

Diese interdisziplinäre und internationale Gruppe von Forscherinnen und Forschern untersucht die Geschichte ethnischer, sprachlicher und konfessioneller Vielfalt in Europa. Sie bedient sich dabei einer breiten Palette von Politikideen und kulturgeschichtlichen Zugängen. Federführend zur inhaltlichen Gestaltung des heutigen Abends hat Börries Kuzmany, ein Mitglied der Forschungsgruppe und Professor für Neuere Geschichte Zentral- und Osteuropas und der Habsburgermonarchie an der Universität Wien, beigetragen.

Wir haben die Gelegenheit Prof. Kuzmany später noch zu hören. – Ich bedanke mich schon jetzt an dieser Stelle für die Vorarbeiten und darf Sie auch gleichzeitig ganz herzlich begrüßen. (Beifall.)

Begrüßen möchte ich auch Jürgen Pirker, Professor für Law and Governance an der Universität Graz. Er wird später einen spannenden Kurzvortrag halten und anschließend auch mit Prof. Kuzmany eine Diskussion führen.

Jana Osterkamp, die im Programm angekündigt war, kann heute leider krankheitsbedingt an der Veranstaltung nicht teilnehmen.

Die Podiumsdiskussion wird von Marija Wakounig, Professorin am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, moderiert werden. – Herzlich willkommen. (Beifall.)

Durch den Abend führen wird die Leiterin des Parlamentsarchives Karin Schneider – auch ihr einen herzlichen Dank für die Organisation dieser interessanten Veranstaltung. (Beifall.)

Und last, but not least, möchte ich alle anwesenden Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates begrüßen. Schön, dass Sie da sind.

Nationale Vielfalt innerhalb eines Staates ist sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart ein weitverbreitetes Phänomen. Man denkt dabei meist an Vielvölkerstaaten wie das Habsburgerreich oder das Osmanische Reich oder  um die Brücke zum Heute zu schlagen  an die Europäische Union als Staatenverbund. Im Grunde galt und gilt das jedoch auch für die sogenannten Nationalstaaten, denn ethnische Homogenität war und ist eine Chimäre. In den meisten europäischen Staaten leben schon über Jahrhunderte Bevölkerungsgruppen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, unterschiedliche Religionen praktizieren und/oder sich als eigene ethnische Gruppe verstehen oder als solche definiert werden.

Die gesellschaftlichen Strukturen gleichen damit einem Blick durch ein Kaleidoskop, das die fluiden und vielfältigen Beziehungen zwischen und unter den Gruppierungen abbildet. Regierungen wählten und wählen im Umgang mit der sprachlichen, religiösen und kulturellen Vielfalt der Bevölkerung unterschiedliche Zugänge. Versuchen die Regierenden Einheitlichkeit durchzusetzen oder vielmehr der Vielfalt Rechnung zu tragen? Und wenn letzterer Weg eingeschlagen wird: Auf welcher Ebene wird Diversität geschützt? Auf jener des Einzelnen, auf einem bestimmten Gebiet oder bezogen auf eine bestimmte Gruppe?

Der heutige Abend ist der Diskussion nicht nur dieser Frage, sondern zahlreicher weiterer Fragen gewidmet. Dabei wird der Bogen sehr weit gespannt eben vom 19. bis zum 20. Jahrhundert. Hier finden wir auch die Verbindung zum Parlament beziehungsweise zum Parlamentsarchiv, denn auch die Habsburgermonarchie  ich habe es schon gesagt  war ein Vielvölkerstaat und auch damals wurde im Reichsrat über die Frage betreffend den Umgang mit nationaler Vielfalt diskutiert; diese Debatten fanden nur wenige Meter von hier entfernt in den beiden Sitzungssälen, jenem des Herrenhauses und jenem des Abgeordnetenhauses, das sich im Übrigen über uns befindet – statt.

Mark Twain hat übrigens eine dieser turbulenten Sitzungen im Oktober 1897 mit einem eindrucksvollen Bericht festgehalten. Ausgangspunkt der damaligen Auseinandersetzungen war die Anerkennung des Tschechischen neben der deutschen Sprache als Amtssprache. Ich kann Ihnen diese Lektüre wirklich nur sehr empfehlen, weil sie einen guten Eindruck gibt, wie emotional die Debatten damals geführt worden sind. Es waren gar nicht so zivilisierte Mittel, die damals eingesetzt wurden – da wir ja heute manchmal so streng mit unseren Abgeordneten sind, das ist aber im Vergleich zu heute nichts.

Die schriftlichen Zeugnisse der Debatten, die Protokolle, die Anträge, die Interpellationen sind nicht weit von uns entfernt im Archiv zu finden, im Parlamentsarchiv und in den Räumlichkeiten der Parlamentsbibliothek, und damit ist diese Veranstaltung praktisch buchstäblich eingebettet in den historischen Kontext des Themas. Es geht um den Umgang mit nationaler Vielfalt in Europa. Last, but not least darf ich Ihnen zum Abschluss einen sehr spannenden, sehr interessanten Abend wünschen, und ich hoffe sehr, dass Sie von der Gelegenheit Gebrauch machen werden, sich am Ende auch an der Diskussion mit unseren Experten zu beteiligen. Schönen Abend und danke fürs Kommen. (Beifall.)

Karin Schneider (Parlamentsdirektion, Moderation): Vielen lieben Dank für diese einleitenden Worte an die Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch ich darf Sie jetzt herzlich zur heutigen Veranstaltung willkommen heißen. Auf die kleine organisatorische Änderung hat die Parlamentsvizedirektorin ja bereits hingewiesen. Leider kann Frau Osterkamp heute nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen. Sie wollte ja über die territorialrechtlichen Zugänge im Minderheitenschutz sprechen. Das Thema wird nicht ganz unter den Tisch fallen, sondern die anderen Teilnehmer werden in ihren Beiträgen beziehungsweise dann vor allem in der Diskussion auch auf diese Aspekte eingehen.

Jetzt darf ich Ihnen gleich den ersten Vortragenden etwas näher vorstellen, nämlich Börries Kuzmany. Er ist Historiker und Slawist am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien. Er ist ein Experte auf dem Gebiet des Themas des heutigen Abends. Zwischen 2018 und 2023 leitete er das vom European Research Council geforderte Projekt „Nicht-territoriale Autonomie als eine Form des europäischen Minderheitenschutzes“. In diesem Projekt widmete er sich dem konkreten Umgang mit nationaler Vielfalt innerhalb der Staatenwelt des 19. und 20. Jahrhunderts. Seine Forschungsinteressen liegen in der mittel- und osteuropäischen Geschichte von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, und ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Habsburgermonarchie, auf Polen, der Ukraine und der Sowjetunion.

Sein besonderes Interesse gilt der Nationalismusforschung und Fragen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Dieses Interesse spiegelt sich dann auch in seinen Forschungen zu Grenzräumen, zur Stadtgeschichte, Migrationsgeschichte und zur jüdischen Geschichte wider. Heute gibt uns Börries Kuzmany zuerst eine inhaltliche Einführung in das Thema der heutigen Veranstaltung und anschließend wird er uns die gruppenrechtlichen nicht territorialen Zugänge zum Minderheitenschutz erläutern. (Beifall.)

Inhaltliche Einführung

Börries Kuzmany (Professor für Neuere Geschichte Zentral- und Osteuropas und der Habsburgermonarchie, Universität Wien): Schönen guten Abend! Herzlichen Dank für die Möglichkeit diese Veranstaltung hier zu machen. Ich danke dem Parlament ganz herzlich für diese Möglichkeit, und ich darf Sie im Namen, die Frau Vizedirektorin hat es schon gesagt, unserer Forschungsgruppe zur „Nationalen Vielfalt in der Geschichte“ an der Universität Wien und weit darüber hinaus mit vielen Kooperationspartnern begrüßen.

Die Frau Vizedirektorin hat ja schon angedeutet, dass dieses Haus einen sehr wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion, für diese Diskussion leistet – das, worüber wir heute reden, wird nicht nur das, was in der Habsburgermonarchie besprochen wurde, beinhalten, sondern auch etwas darüber hinaus –, denn hier fand ein Teil einer jahrzehntelangen Diskussion um eine Staatsreform der Habsburgermonarchie statt. Wie soll diese Monarchie, die mehr oder weniger die Gleichberechtigung der Nationalitäten anerkannt hat, mit dieser Vielfalt umgehen?

Generell: Wenn wir uns das 19. Jahrhundert anschauen, können wir drei Zugänge für den Umgang mit nationaler Vielfalt erkennen. Wir haben es gerade vorhin schon ein bisschen gehört: Wir können Rechte, nationale Rechte um das Individuum, um den individuellen Staatsbürger, die Staatsbürgerin herum organisieren, also zum Beispiel, dass man die Muttersprache bei Behörden verwenden darf oder dass man muttersprachlichen Unterricht hat – nationale Rechte (der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation), das wäre sozusagen der erste Fall hier, also jedenfalls das ganz linke Bild (Ausfall des Laserpointers)  okay, kein Problem, aber ich glaube, es ist eh klar, worüber ich gesprochen habe.

Die zweite Möglichkeit ist: Man kann es um ein gewisses Gebiet innerhalb des Staates organisieren. Man sagt, ein gewisses Gebiet hat eine Selbstverwaltung und alle Personen, die dort wohnen, haben eine abgesonderte Administration. Was auf den ersten Blick natürlich klug klingt, kann sich als Problem erweisen, denn auch dieses abgesonderte Gebiet kann ja wieder andere Bevölkerungsgruppen oder Gruppen der Mehrheitsbevölkerung, Personen haben. Das heißt, eigentlich verlagert sich das Problem der Vielfalt vom Gesamtstaat dann nur auf die untere Ebene dieses Teilgebietes. Insbesondere wenn wir Staaten haben, die besonders stark durchmischt sind, macht so eine territoriale Unterteilung kaum mehr Sinn.

Dann gibt es die dritte Idee, dass man nicht das Individuum, nicht ein Territorium, sondern die Gruppe per se autonom stellt. Das heißt, man organisiert die Gruppen als Kollektivkörperschaften, die entsprechende Selbstverwaltungsrechte haben. Darüber werde ich später noch ein bisschen sprechen.

Um diese drei Zugänge geht es heute aus einer historischen Perspektive mit Bezügen bis zum heutigen Tag. Und wie gesagt: Alle drei Formen kamen in einer gewissen Art und Weise in diesem Haus zur Sprache, waren in Diskussion. Diese Unterteilung ist natürlich in der Realität nicht so feinsäuberlich gewesen, wie ich Ihnen das jetzt gerade gesagt habe, also a, b, c. Das wäre zu leicht und zu schön. Dinge sind oft komplizierter. Denken Sie jetzt zum Beispiel nur an das individuelle Recht der Religionsfreiheit: Sie können eine Religion ausüben, das ist Ihr individuelles Recht. Aber was bringt Ihnen denn dieses individuelle Recht, wenn es nicht das Kollektivrecht der Organisation von Religionsgemeinschaften gäbe? – Sie können natürlich Ihre Konfession und ihre Religion auch im stillen Kämmerchen ausüben, aber meistens sind das Gruppen, sind das individuelle Rechte, die eine kollektive Dimension haben.

So finden wir auch in gesetzlichen Anwendungen, wo diese Idee des Minderheitenschutzes vorkommt, Mischformen. Hier ist ein besonders schönes Beispiel, das habe ich Ihnen mitgebracht: der Artikel 19 des österreichischen Staatsgrundgesetzes von 1867. Das ist ein ganz zentrales Gesetz in der Habsburgermonarchie oder in der österreichischen Reichshälfte gewesen. Da sehen Sie ich habe das in Rot hervorgehoben , dass hier eigentlich alle drei Aspekte vorkommen. Nämlich zunächst wird gesagt, dass alle „Volksstämme“  so hat man damals zu den unterschiedlichen Nationalitäten gesagt – „des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache“. Das Subjekt hier ist: Jeder Volksstamm, hat ein unersetzliches, unveräußerliches Recht. Das heißt, hier haben wir die Gruppe, den Volksstamm, der das Subjekt dieses Absatzes ist.

Im zweiten Absatz: „Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.“ Landesübliche Sprachen: Das heißt, eine Sprache kann in Kärnten landesüblich sein, zum Beispiel Deutsch und Slowenisch, aber Polnisch zum Beispiel war nicht landesüblich, aber in Galizien war Polnisch sehr wohl landesüblich. Das heißt, hier haben wir eine territoriale Einschränkung.

Das Dritte: „In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten“ – also die Schulen – „derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.“

Ohne Anwendung eines Zwanges: Das heißt, der Zwang bezieht sich auf das Individuum, das nicht gezwungen werden darf, eine andere Sprache zu lernen. Sie sehen in diesem zentralen Gesetz der Habsburgermonarchie, aus der Verfassung der Habsburgermonarchie, schon eine Mischform von all diesen drei Punkten.

Damit bin ich quasi mit dem Einführungsteil am Ende und darf jetzt noch einmal über diesen dritten Bereich, das Gruppenrechtliche, etwas sagen. Karin stimmt das, dass ich jetzt flugs darüber weiterrede?

Karin Schneider: Ja.

Börries Kuzmany: Nur eine kurze Frage zum Ablauf; da kennen sich andere Leute besser aus.

Kurzvortrag I „Gruppenrechtliche, nicht territoriale Zugänge“

Börries Kuzmany: Jetzt werden Sie sich natürlich fragen das ist ja eigentlich sehr kompliziert, wird man sich so als Erstes denken –: Was heißt das, eine Gruppe hat Rechte? Eine Gruppe, wie definiert man denn überhaupt eine Gruppe? Das heißt, das sind alle Leute, die sich entweder selber zu dieser Gruppe als zugehörig bekennen oder die dieser Gruppe zugeschrieben werden.

Das eine ist eine Frage des Selbstbekenntnisses oder es ist die Frage der Zuschreibung. Was aber das Wichtige ist oder was die Idee von nicht territorialer Autonomie ist: dass diese Gruppe mit wie auch immer definierten Personen, die dazugehören, eine Rechtsgemeinschaft ist, also eine Kollektivkörperschaft, die Rechte und Pflichten und Aufgaben hat; die Aufgaben natürlich in einem bestimmten festgelegten Bereich, meistens kulturelle Aufgaben, wie Schule, Theater, Vereine. Und es ist nicht wichtig, wo diese Person in dem Staat lebt, die sich dieser Gruppe zugehörig fühlt, sondern wichtig ist, dass sie sich zu dieser Gruppe bekennt oder bekannt wird.

Ich habe wieder versucht, das hier mit dieser Grafik ein bisschen darzustellen: Also Sie haben ein gemischtes Gebiet, und jede Person wählt quasi entsprechend ihrer Zugehörigkeit die eigenen Vertreter in irgendeiner Form, eine Art parlamentarischen Vertretung. Sie können sich das ein bisschen so vorstellen, wie heutzutage Religionsgemeinschaften organisiert sind. Sie können evangelisch im Burgenland oder in Kärnten oder in Vorarlberg sein, sie würden immer den gleichen evangelischen Kirchenstrukturen in Österreich angehören.

Ich habe es vorhin schon erwähnt: Es gab in der Habsburgermonarchie einen jahrzehntelangen Staatsreformdiskurs, und der ging in alle Richtungen. Der ging hinsichtlich rein individualer Rechte, aber es ging auch sehr stark in die Richtung einer Föderalisierung der Habsburgermonarchie. So wie es heute die Bundesländer in Österreich gibt, gab es in der Habsburgermonarchie Kronländer, die sehr oft gemischt waren. Da gab es Diskussionen, in denen man gesagt hat: Ja, wir werden die Bundesländer, die Kronländer autonom stellen. Dann gab es Leute, die gesagt haben: Nein, wir müssen die Grenzen der Kronländer neu ziehen, entlang der Sprachgrenzen, um klare territoriale Einheiten zu schaffen. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt: schwierig!

Und das Ganze führte ja letztendlich nicht, es gibt keine - -, das wissen Sie natürlich aus dem Geschichtsunterricht, bis 1918 gibt es keine allumfassende Lösung für den Gesamtstaat, aber ich glaube, dass es aus diesem jahrzehntelangen Staatsreformdiskurs zwei starke Erkenntnisse gab. Das eine ist, dass in nationalen Fragen ein reines demokratisches Mehrheitsprinzip nicht funktionieren kann, denn wenn eine Gruppe, eine nationale Gruppe eine Minderheit ist, dann wird die bei einer Abstimmung nie den Sieg davontragen. Das heißt, man muss sich andere Überlegungen in einem demokratischen System überlegen, die nicht auf reinen Mehrheitsentscheidungen basieren.

Die zweite große Schlussfolgerung ist wohl die  und Sie haben mir das Wort quasi schon vorweggenommen, Frau Vizedirektorin –: Es ist eine Chimäre, dass es in Gebieten eine nationale Homogenität geben könnte. Gebiete sind nie völlig einsprachig. Sie können fast einsprachig sein, aber sozusagen eine ganz strikte territoriale Trennung ist nie möglich. Man kann das natürlich trotzdem machen, aber es ist sozusagen eine Chimäre, dass damit alles gelöst wäre.

Das Interessante ist und damit komme ich jetzt zu dem Teil, wo ich über die Entwicklungen in der Habsburgermonarchie zur nicht territorialen Autonomie sprechen möchte : Ganz wichtig für die Entwicklung dieser Idee war die Sozialdemokratische Partei beziehungsweise die Austromarxisten Etbin Kristan, ein slowenischer Sozialdemokrat, Karl Renner und Otto Bauer, die man hier in diesem Haus ein bisschen besser kennt. Die kannten diesen jahrzehntelangen Staatsreformdiskurs sehr, sehr gut und entwickelten deshalb ein Modell, das sowohl territoriale Elemente aufwies als auch nicht territoriale, also eine bewusste Mischung dieser beiden Systeme.

Die Idee, die vor allem Karl Renner formuliert, ist ein Organisationsmodell für einen Nationalitätenbundesstaat. Das heißt, die konstitutiven Elemente dieses Staates sollten nicht Territorien sein, sondern Nationalitäten, die natürlich irgendwo leben insofern gibt es sehr wohl territoriale Bezüge, aber sozusagen vom Grundaufbau ist es ein Staat, der aus den Nationalitäten gebaut worden ist.

Besonders spannend finde ich die Verknüpfungen von Ideen, wie ich sie jetzt gerade geschildert habe, mit der politischen Praxis in der späten Habsburgermonarchie. Dabei geht es mir nicht um eins zu eins Umsetzungen weder von austromarxistischen Ideen noch von föderalistischen Ideen , sondern um die Art und Weise wie nicht territoriale Arrangements in der Nationalitätenpolitik der Habsburgermonarchie Eingang gefunden haben.

Nach der Jahrhundertwende kam es in einigen Kronländern der Habsburgermonarchie, vor allem zunächst in Mähren, dann in der Bukowina und in Galizien, später dann auch noch in Bosnien und Herzegowina zu neuen Regelungen, wo solche gruppenrechtliche Elemente Eingang ins Wahlrecht und ins Funktionieren der Landesparlamente gefunden haben.

Natürlich gab es in diesen vier Kronländern unterschiedliche - - Die Regelungen waren nicht ident, aber das lag auch daran, dass unterschiedliche Machtverhältnisse in diesen Kronländern geherrscht haben und auch unterschiedliche sozioökonomische Bedingungen. Es lassen sich aber meiner Meinung trotzdem zwei grundlegende Gemeinsamkeiten feststellen. Das eine, es handelte sich - - oh, das fehlt jetzt, da müssen Sie mir jetzt so zuhören. Also die zwei Gemeinsamkeiten dieser nationalen ausgleichenden Provinzen: Das eine war, es gab kein gleiches Wahlrecht, aber es gab ein allgemeines Wahlrecht, und diese Wahl wurde nach nationalen Kurien durchgeführt. Das heißt, Sie konnten, wenn Sie jetzt zum Beispiel in Mähren wohnten, wo es eine tschechische und eine deutschsprachige Bevölkerung gab, im selben Haus wohnen und der tschechische Wahlberechtigte wirft seinen Zettel in die eine Urne, quasi für den einen Wahlkreis, und der deutschsprachige Wähler in eine andere Urne für den deutschen Wahlkreis. Sie wohnen also oft im selben Haus, haben aber unterschiedlich gewählt und wählen somit unterschiedliche Abgeordnete für den gemeinsamen Landtag. Das finden Sie in allen diesen vier Gebieten.

Das Zweite ist: Es ging bei diesem System vielleicht nicht um Friede, Freude, Eierkuchen. Es sollte nicht alles wunderbar und schön und Glück und Demokratie und Glückseligkeit eintreten, aber es ging immerhin doch um ein besseres Austarieren nationaler und sozialer, sozioökonomischer Ungleichheiten. Das heißt es war ein Schritt in die Richtung diese Sachen auszugleichen. Deswegen spricht man in diesen vier Kronländern auch vom nationalen Ausgleichen.

Jetzt verschwanden natürlich diese Ideen mit der Habsburgermonarchie 1918 nicht von heute auf morgen, sondern in der Zwischenkriegszeit nahm die Staaten- und Parteienlandschaft Ostmitteleuropas das Konzept auf. Das Spannende daran ist, es nimmt sie auf, aber die früheren Praktiken wurden nicht eins zu eins umgesetzt. Das ist jetzt eigentlich gar nicht erstaunlich, denn wenn Sie sich das überlegen: Sehr oft, wenn Ideen aus einem anderen Staat oder aus einer früheren Zeit aufgenommen werden, werden die angepasst, sie werden übersetzt in eine neue Zeit, in neue Gegebenheiten.

Und Ideen, ich verwende dafür das Bild der Reise, wandern nicht direkt von a nach b, sondern gehen oft verschlungene Wege und sie passen sich an. Besonders gut können sie sich anpassen, wenn sie ohne ideologisches Gepäck reisen, und wenn Sie so wollen, wenn ich das auf Wienerisch sagen darf  nicht territoriale Autonomie hat per se kein ideologisches Mascherl. Das sieht man sehr schön an der Zwischenkriegszeit: Es konnte mit sehr unterschiedlichen liberalen, aber auch autoritären Vorstellungen von ganz links bis ganz rechts gefüllt werden.

Wenn wir uns einen demokratisch-sozialistischen Kontext anschauen, wäre das die Ukrainische Volksrepublik, die am Ende des Ersten Weltkrieges entsteht, die baltischen Staaten in der Zwischenkriegszeit, die eine sehr liberale Verfassung hatten, aber es konnte eben auch – das sehen Sie ganz links am Rand und ganz rechts am Rand  in autoritäre Kontexte übersetzt werden, in ein bolschewistisches Denksystem, aber auch in ein rechtsradikales Denksystem. Weit über diese Vier-Länder-Beispiele hinaus gehörte in der Zwischenkriegszeit nicht territoriale Autonomie zum Allgemeinwissen jener Personen, die sich für Minderheitenrechte einsetzten. Das waren interessierte Diplomaten, Völkerrechtler, aber auch Aktivisten und Politiker von Minderheiten.

In späteren Jahren, in der Zwischenkriegszeit mausert sich der Europäische Nationalitätenkongress und das ist sozusagen ein Bericht über diese Organisation, die größte Minderheitenschutzorganisation der Zwischenkriegszeit, heute würde man NGO sagen zu einer der wichtigsten Befürworter dieser Idee. Das lag daran, dass dem Europäischen Nationalitätenkongress im Gegensatz zum Völkerbund  der Völkerbund war ein Bund von Staaten, von Nationalstaaten, das war die ideale Organisationseinheit des Völkerbunds ein anderes Organisationsmodell, eine andere internationale Ordnung vorschwebte, und zwar eine Ordnung, die auf nationalen Gruppen beruhte und nicht auf Nationalstaaten. Deswegen fanden die ein großes Interesse an dieser Idee der nicht territorialen Autonomie.

Für meinen Teil danke ich jetzt. Wir können nachher in der Diskussion noch mehr darüber reden. (Beifall.)

Karin Schneider: Vielen Dank.

Ich darf jetzt gleich den nächsten Vortragenden vorstellen, das ist Jürgen Pirker. Er ist Universitätsprofessor für Law and Governance und Leiter des Fachbereichs Global Governance am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen an der Karl-Franzens-Universität Graz. Er ist außerdem Mitglied des Sachverständigenausschusses des Europarates nach der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sowie der Steuerungsgruppe des Austrian Cluster for Conflict, Peace and Democracy. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich nicht nur mit Fragen des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts, sondern auch mit Fragestellungen in den Feldern Grundrechtsschutz, Minderheitenrechte, kulturelle Vielfalt und interaktive Konflikttransformation in Europa.

Aus diesem Zusammenhang speisen sich auch seine Forschungsinteressen wie Recht und Diversität, Grund-, Menschen- und Minderheitenrechte, Rechtsentwicklung im öffentlichen Recht, Erinnerungspolitik und Conflict Studies.

Heute spricht er über die individualrechtlichen Zugänge zum Minderheitenschutz. (Beifall.)

Kurzvortrag III „Individualrechtliche Zugänge zum Minderheitenschutz“

Jürgen Pirker (Professor für Law and Governance, Universität Graz): Vielen herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Veranstaltung, die mich sehr ehrt. Ich darf zunächst meine Ausführungen mit einem Blick nach Europa beginnen. (Der Redner unterstützt in der Folge seine Ausführungen mittels einer Powerpoint-Präsentation.) Wenn wir uns das Europa des Europarates und das Europa der Europäischen Union vor Augen führen, so sehen wir, dass wir im Rahmen des Europarates in den Staaten etwa 100 Millionen Menschen finden, die zu etwa 350 verschiedenen ethnischen oder sprachlichen Minderheiten gehören. In der Europäischen Union leben an die 190 Minderheiten. Die EU, das wissen Sie, anerkennt 24 Amtssprachen, aber 50 bis 60 Millionen Menschen in der Europäischen Union sprechen Regional- oder Minderheitensprachen. So ist der Schutz der kulturellen, der ethnischen und sprachlichen Vielfalt eine besondere Herausforderung und Aufgabe für die Union, wenn sie tatsächlich eine immer tiefere Union sein will.

Konflikte um nationale Zugehörigkeit prägen Europa an allen Ecken und Enden. Wenn wir nach Westen blicken: Denken Sie an Spanien und das Baskenland oder die Sezessionsbewegung in Katalonien. Im Norden haben Sie vielleicht mitbekommen, dass der Nordirlandkonflikt nach dem Brexit wieder in Diskussion geraten ist. Es gibt wiederkehrend Debatten um die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien. Im Süden wurde in Bosnien-Herzegowina ein System des Powersharings etabliert und eingerichtet nach einem Krieg, um sozusagen öffentliche Ressourcen unter den dort lebenden nationalen Gruppen aufzuteilen, was aber auch dazu geführt hat, dass das politische System heute blockiert ist. Und wenn wir in den Osten blicken, dann haben Sie mitbekommen, dass die Aggression Russlands auf die Ukraine auch mit dem vermeintlichen Schutz der dort lebenden, in der Ostukraine lebenden russischen Bevölkerung gerechtfertigt wurde.

Blicken wir zuletzt in das Herz der Europäischen Union: Da sehen wir, in Belgien hat ein nationaler Konflikt bereits 1968 die Universität Leuven gespalten – in einen Teil für Flamen und einen Teil für Wallonen. Das Abstruse ist, dass Studierende der beiden Teile im jeweils anderen Teil ein Erasmus-Semester absolvieren können.

Wir verstehen solche nationalen Konflikte nur dann, wenn wir ihre Geschichte kennen, und aus dieser Geschichte können wir dann Lehren ziehen für den Umgang mit nationaler Vielfalt. Die Habsburgermonarchie hat – das haben wir im ersten Vortrag schon gehört – versucht, ihre innere Vielfalt zu akkommodieren und hat Rechte für Nationalitäten gewährt, zumindest im österreichischen Teil der Monarchie mit Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes, der bereits angesprochen war.

Dieser Artikel 19 hat sowohl individuelle als auch kollektive Rechte für die Angehörigen dieser Nationalitäten, dieser Volksstämme gewährleistet. Zunächst einmal wusste man nicht wirklich, was man mit dieser Norm anfangen soll. Man hat debattiert im Herrenhaus, das ist doch nur ein Verheißungsgesetz, heute würde man sagen eine Staatszielbestimmung, da braucht es Ausführungsgesetzgebung dazu, aber das Reichsgericht hat hier eine sehr moderne, an der Funktion dieser Bestimmung angelegte Auslegung vorgenommen und hat letztlich erkannt, einzelne, mehrere Gemeinden, Institute, Vereine können dieses Recht wahrnehmen als eigenes Recht.

Wenn wir auf den Reichsrat blicken, kurz vor der Jahrhundertwende, dann waren dort mehr als 516 Mitglieder aus acht Nationalitäten vertreten, die elf verschiedene Sprachen gesprochen haben. Es wurde heute schon angesprochen: Mark Twain hat Debatten beobachtet in diesem Reichsrat und er hat als Journalist in die USA über die Debatten, die er hier gesehen hat, berichtet; dies wurde später auch als Buch veröffentlicht. Er beschreibt die Habsburgermonarchie als eine Ansammlung von Nationalitäten, und er versucht auch zu erklären, warum hier keine Revolution möglich wäre, obwohl es dieses Völkergemisch gibt. Und er sagt: Na ja, eine Revolution kann es nicht geben, denn es hassen zwar alle Nationalitäten die Regierung, aber sie hassen sich auch gegenseitig und das mit ganz hingebungsvoller Bitterkeit, aus diesem Grund gelingt die Revolution nicht. Was er beobachtet hat, das haben Sie schon gehört, war parlamentarische Obstruktion. Also Sie sehen hier Abgeordnete, die mit Instrumenten Musik und Lärm machen, um die anderen zu stören, oder mit Brettern auf die Bänke klopfen – alles Dinge, die heute so nicht mehr möglich wären, wie die Parlamentsdirektion weiß.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Europa neu geordnet und diese Grenzziehung war eine herausfordernde Aufgabe, insbesondere für die alliierten Mächte. Der amerikanische Präsident hat in seinen 14 Punkten eine sehr idealistische, aber auch in sich widersprüchliche Vorstellung von dieser Neuordnung Europas ausformuliert. Was man vor Augen hatte, war, wenn man über Nationalität oder Grenzen nach nationalen Zugehörigkeiten gesprochen hat, eigentlich sprachliche Grenzlinien entlang der Sprache zu ziehen. Was man nicht verstanden hat, ist, dass sehr viele Gebiete gemischtsprachig waren und eine solche Grenzziehung daher nicht möglich gewesen wäre und auch vielerorts zu Problemen geführt hat.

Abgesehen davon, dass in der Grenzziehung letztlich die Interessen, vor allem strategische, aber auch wirtschaftliche, militärische Interessen der Alliierten, diese Argumente der sprachlichen Grenzziehung oft überwogen haben, hat man aber nach dem Ersten Weltkrieg den Minderheitenschutz etwas umorientiert, weg von einer kollektiven Schutzperspektive hin zur Verpflichtung von zentral- und osteuropäischen Staaten auf die Gewährung individueller Rechte für die Angehörigen von Minderheiten, und zwar in den Friedensverträgen, die man mit Ost- und osteuropäischen Staaten geschlossen hat – darunter der Vertrag von Saint-Germain, der mit Österreich geschlossen wurde, und hier finden Sie unter dem Kapitel „Schutz der Minderheiten“ individuelle Rechte, die Angehörigen der Minderheiten gewährt werden. Das sind vorwiegend Gleichbehandlungsrechte mit einzelnen fördernden Minderheitenschutzmaßnahmen.

Diese Verträge und diese Rechte waren von internationalem Interesse und wurden auch unter die Auspizien des Völkerbundes gestellt. Was man hier sieht, ist, dass es sich bei den Rechten einmal um allgemeine Gewährleistungen handelt, wie das Recht auf Leben und Freiheit oder das Recht seine Religion ohne Einschränkungen ausüben zu können. Gleichheit vor dem Recht soll gewährleistet sein, es soll eine Freiheit geben, eigene Ausbildungs- und Lehranstalten zu organisieren, und es soll ein Recht auf Elementarunterricht in der eigenen Muttersprache geben.

Im Völkerbund wurde dann ein eigener Mechanismus vorgesehen, dass auch Beschwerden eingebracht werden konnten an eine Kommission, die dafür etabliert wurde, und es hat 585 Petitionen geben. In einzelnen Fällen hat sich der Völkerbund auch damit beschäftigt, aber wie Sie wissen ist dieses System der Zwischenkriegszeit gescheitert.

Man versucht nach dem Zweiten Weltkrieg aus diesem Scheitern zu lernen und etabliert nun im Internationalen Recht einmal zunächst einen universalistischen und individuellen Ansatz des Schutzes von Menschenrechten. In diesen Menschenrechten ist mehr oder weniger auch der Schutz von Minderheiten inkludiert. Es geht aber zunächst einmal darum, Gleichberechtigung des Individuums und Schutz des Individuums als Mensch sicherzustellen nach den Verwerfungen und Abgründen des Zweiten Weltkrieges.

Das heißt, die Idee ist zunächst einmal: Niemand soll diskriminiert werden, auch wenn er einer Minderheit zugehört. Die Idee ist also, individuelle Rechte gewähren die Gleichheit aller Menschen oder die Gleichheit aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor dem Gesetz. Das ermöglicht zunächst Gleichberechtigung. Das Problem ist aber, wenn Sie als Angehöriger einer ethnischen Gruppe Ihre besondere kulturelle Identität in einem Umfeld erhalten wollen, das von der Mehrheitssprache geprägt ist, weil Sie zum Beispiel nur in der Mehrheitssprache Medien konsumieren können oder finden, weil die Ausbildung mehrheitssprachlich organisiert ist. Dann brauchen Sie besondere fördernde Maßnahmen, die über diesen formellen Ansatz der individuellen Gleichheit hinausgeht. Das ist also sozusagen ein Pferdefuß dieser Regelungen und diese Debatte setzt dann erst später ein, um einen gezielten Schutz von Minderheiten auch in individuell rechtlicher Perspektive und mit sozusagen positiven Maßnahmen zu ermöglichen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Staaten noch vorsichtig bei der Gewährung von kollektiven Minderheitenrechten, also die gruppenrechtliche Perspektive wurde eher von Nationalstaaten als eine potenzielle Gefahr gesehen, weil damit sehr schnell die Idee der Autonomie bis hin zur Sezession, also Unabhängigkeitsbewegungen verbunden sein könnte.

Nun finden wir in der österreichischen Verfassung in Artikel 7 des Staatsvertrages von Wien Minderheitenrechte, die als ein Kompromiss nach dem Zweiten Weltkrieg hier auch festgeschrieben wurden, nachdem Jugoslawien auf Gebietsforderungsansprüche verzichtet hat. Diese Rechte sind aber, wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung ausführt, individuelle Rechte. Das ist ein individuelles Recht auf die Verwendung der Minderheitensprache als Amtssprache in den dafür vorgesehenen Gebieten und ein Recht auf Elementarunterricht in der Muttersprache.

Sie haben wahrscheinlich mit Artikel 7 auch gleich verbunden das Recht auf zweisprachige topografische Aufschriften. Das ist aber weder ein individuelles Recht von Minderheitenangehörigen – Sie haben, wenn sie einer Volksgruppe angehören, kein Recht darauf, dass eine Ortstafel zweisprachig ausgeführt wird –, sondern das ist ein, wie der Verfassungsgerichtshof sagt, bloßer Auftrag an die Staatsorgane, also eine sozusagen objektive Verpflichtung der Republik.

Das Volksgruppengesetz aus 1976 schützt sechs anerkannte Volksgruppen in Österreich, und die Schutzperspektive ist hier eine zweifache: einerseits werden individuelle Rechte gewährleistet, denn es geht um den Schutz von Angehörigen der Minderheiten, andererseits zielt man aber auch auf den Erhalt der Gruppen.

Die Zielrichtung ist also zweigestaltig, aber die Rechte, die umgesetzt werden, sind alles individuelle Rechte durch dieses Volksgruppengesetz, und das gilt auch nur für die hier aufgezählten Gruppen. Die werden de facto anerkannt, indem ein Volksgruppenbeirat eingerichtet wird, der die Regierung berät und im Wesentlichen über die Verteilung der Förderungen für die Volksgruppen entscheidet und in dieser Frage der Verteilung berät. Das sind also alles individuelle Rechte und gilt nur für sogenannte anerkannte autochthone Volksgruppen, nicht für neue. Das ist vielleicht auch ein Punkt, den man in der Diskussion dann ansprechen kann.

Wenn wir abschließend wieder nach Europa zurückkommen und einen Blick auf die Europäische Perspektive werfen: Ich habe beim Minderheitenschutz in Europa im Hintergrund dieser Überschrift nicht eine Karte der Union gewählt, sondern die Karte des Europarates, weil er die hier aktivere Organisation ist. Denn wenn man nach Minderheitenrechten in der Europäischen Union fragt, dann hat man zwar den Schutz und den Respekt für den Schutz von Minderheiten als einen Grundwert, auf dem die Europäische Union aufbaut, in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union verankert, aber die Europäische Union ist nicht kompetent in Fragen des Minderheitenschutzes und auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union finden sich keine Klauseln über den Minderheitenschutz.

Als diese Grundrechtecharta Anfang der 2 000er-Jahre diskutiert wurde, hat man durchaus aus der Perspektive einzelner Staaten heraus Vorschläge in den Konvent eingebracht, um Minderheitenschutzbestimmungen aufzunehmen – das waren Österreich, Finnland, Deutschland, die sich hier starkgemacht haben für die Aufnahme individueller, zum Teil auch kollektiver Rechte für die Angehörigen von Minderheiten in die Grundrechtecharta –, aber es gab eine zu starke Opposition anderer Staaten, zum Beispiel Spanien oder Frankreich oder auch Portugal, die so eine Aufnahme abgelehnt haben. Was man gefunden hat ist ein Kompromiss. In Artikel 22 der Grundrechtecharta verpflichtet sich die Europäische Union zum Erhalt ihrer kulturellen, religiösen und sprachlichen Vielfalt. Das ist eine Norm, die für sich als Grundsatz in der Rechtsprechung nicht intensiv angewendet wird.

Intensiver mit dem Minderheitenschutz befasst ist der Europarat als internationale Organisation mit derzeit 46 Mitgliedstaaten. Im Rahmen des Europarates finden Sie zwei zentrale Abkommen, die sich der Frage der Regelung der nationalen Vielfalt widmen. Zunächst einmal das ältere Instrument: die Europäische Charta zum Schutz der Regional- oder Minderheitensprachen wurde 1992 zur Unterzeichnung aufgelegt; das haben inzwischen 34 Staaten getan, die Charta unterzeichnet, aber nur 25 haben sie auch ratifiziert. Diese Charta versucht weder individuelle noch kollektive Rechte in der Umsetzung den Mitgliedstaaten abzuverlangen, sondern zielt auf den Schutz von Sprachen als kulturelles Erbe der Gesamtgesellschaft, und dafür werden Maßnahmen realisiert und verlangt.

Das zweite Instrument ist das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, das inzwischen 39 Staaten ratifiziert haben. Das gibt einen Rahmen vor, der in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss zum Schutz von Angehörigen nationaler Minderheiten. Dieses Rahmenübereinkommen enthält aber nur Verpflichtungen, die individuellen Rechten entsprechen, also auch keine kollektiven Rechte.

Vielleicht interessant und auch ein Ausgangspunkt für die spätere Diskussion: Wir finden in diesem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten keine Antwort auf die Frage was eine Minderheit ist.

Als Letztes möchte ich auf eine Debatte zurückkommen, die das Parlament auch im Jahr 2011 noch beschäftigt hat, weil man eine Lösung für einen Konflikt im Bundesland Kärnten auf Verfassungsebene gefunden hat, nämlich für die Regelung der zweisprachigen Aufschriften in Kärnten und dann in diesem Paket auch für das Burgenland. Ich habe mich in Projekten mit Schülerinnen und Schülern damals mit dieser Frage beschäftigt und mehr als 5 000 wurden in Kärnten und Slowenien befragt zu ihrer Einstellung zu Europa, zu Nachbarländern, zu Minderheiten und dem Minderheitenschutz, und wir haben gefragt, wie die Schülerinnen und Schüler Minderheitenschutzmaßnahmen bewerten.

Was wir gesehen haben, ist, dass gerade jene Maßnahmen besonders positiv bewertet werden, die auf Förderung und Schutz der Sprache abstellen und die auch einen Zugang zur Sprache der Mehrheitsbevölkerung ermöglichen, zum Beispiel der zweisprachige Unterricht.

Eher negativ oder stark polarisiert bewertet waren alle jene Maßnahmen, die mit historischen Konflikten verbunden sind, zweisprachige Aufschriften zum Beispiel oder auch die Kirchensprache. Wir haben sehr viel erlebt in diesen Projekten, denn es sind einige Schüler:innen auch mit der Aufgabe betraut gewesen, Familiengeschichten zu recherchieren und sich dann zu treffen. Knapp 100 sind zusammengekommen im zweisprachigen Gebiet aus Österreich und Slowenien. Die haben sich mit Familiengeschichten beschäftigt, mit der Meinung, die es in der Familie gibt zu Minderheiten, aber auch zum Nachbarland, zu Europa und haben sich dann ausgetauscht.

Was zum Beispiel passiert ist, ist, dass eine Schülerin den Fragebogen, den sie hatte, mit nach Hause genommen hat, und der Vater hat dann angefangen zu erzählen: Ja, ich habe ja auch Slowenisch gelernt, und ich spreche ja eigentlich Slowenisch, und dieses und jenes ist passiert, und die Mutter hat dann aus der Küche heraus gesagt: Jetzt fängst du schon wieder an mit deinen Geschichten! Was die Tochter dann gemacht hat, war, sie hat „Engel des Vergessens“ von Maja Haderlap gelesen, und sie hat begonnen Slowenisch zu lernen. Sie hat das eigentlich als verpasste Chance empfunden, dass Slowenisch in der Familie nicht weitergegeben wurde, was aber gerade in so einer Situation eigentlich ein typischer Fall ist sozusagen, den die Geschichte hier tragischerweise hinterlassen hat.

Für viele andere war es das erste Mal eine Möglichkeit, in Kontakt mit Angehörigen einer Minderheit zu kommen und dann auch zu verstehen, warum der Schutz von Minderheitensprachen eine solche Relevanz erhält. Warum es wichtig ist, dass man zum Beispiel auf öffentlichen Aufschriften die zweite Sprache sieht – weil das bedeutet, dass die Gruppe willkommen ist, weil das bedeutet, dass die Sprache, in der die Personen ihre Muttersprache sprechen, ihre Emotionen ausdrücken, auch im öffentlichen Raum sichtbar ist und anerkannt ist. Dafür braucht es nicht nur rechtliche Gewährleistungen, sondern dafür braucht es auch einen Kontext und ein Klima, in dem Rechte umgesetzt werden.

Rechte sind nicht nur das Papier, auf dem sie formuliert werden, sondern sie müssen auch umgesetzt werden in einem Klima, das Effektivität der Umsetzung gewährleistet. In diesem Sinne formuliert auch zum Beispiel die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, dass es ein Klima der Toleranz braucht, in dem Minderheiten als Bereicherung begriffen werden, damit Staaten auch geneigt sind, diese Rechte effektiv umzusetzen. – Damit danke ich und freue mich auf die Diskussion. (Beifall.)

Karin Schneider: Das war jetzt auch schon das Stichwort, nämlich Diskussion, unser nächster Programmpunkt.

Jetzt möchte aber noch kurz die Gelegenheit nutzen, die Moderatorin der Diskussion vorzustellen, das ist Marija Wakounig. Sie war Professorin am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien und ist zudem Leiterin des Austrian and Central European Center an der Universität Wien und außerdem leitet sie das vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geförderte Projekt „Verfolgung und Vertreibung der Kärntner Slowen:innen 1938 bis 1945“.

Jetzt darf ich die beiden Diskutanten und die Moderatorin bitten, auf dem Podium Platz zu nehmen.

Podiumsdiskussion

Marija Wakounig (Professorin am Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien): Ich begrüße Sie ganz herzlich bei dieser Podiumsdiskussion. Wir sind hier alle drei vorgestellt worden. Wir werden uns duzen, weil wir das beibehalten möchten; vielleicht ist das im Parlament nicht so üblich, aber so wie draußen, drinnen auch.

Es freut mich sehr, dass Sie so zahlreich erschienen sind zu einem Thema, das mir persönlich auch selbst am Herzen liegt, denn ich bin Kärntner Slowenin, ich bin zweisprachig und kenne das Problem von verschiedenen Seiten, was Minderheitenschutz auch bedeuten kann.

Aber zuerst: Wir haben heute zwei tolle Vorträge gehört. Ein Vortrag war etwas mehr mit der Habsburgermonarchie, das heißt, dort haben wir die ganze Problematik auch verankert, die sich dann über die Erste Republik in die Zweite zieht, in der wir jetzt sind. Und uns fehlt ein bisschen das Bindeglied, das Jana Osterkamp hier dargestellt hätte, aber ich bin überzeugt, dass die beiden Herren das schaffen, und deswegen beginne ich mit dem Artikel 19.

Dieser Artikel 19, dazu gibt es eine kleine Geschichte, die ich erzählen möchte, ganz kurz: Dieser Artikel 19 wurde im Jahr 1867 eingeführt, und ein Kärntner slowenischer Priester hat ihn dann sofort umgesetzt und hat die Matrikelführung in slowenischer Sprache begonnen. Danach ist ihm jemand auf die Schliche gekommen und diese Matrikelführung in slowenischer Sprache wurde sofort verboten, unterbunden. Die Matrikelführung in slowenischer Sprache wurde erst im Jahr 1907 von der Gurker Diözese zugelassen, und im Jahr 1923 von der Gurker Diözese mit einem Erlass wieder verboten, und zwar aufgrund des Drucks der Kärntner Heimatverbände. Ich werde jetzt noch nicht verraten, welcher Priester das war, denn wir sind gerade mitten in einem Forschungsprojekt, aber für mich war das schon sehr interessant, zu sehen, wie schnell dieser Mann das umgesetzt hat.

Jetzt meine Frage zum Artikel 19: Dort wird von den Volksstimmen gesprochen. In der Veranstaltung wurde dann von Minderheiten gesprochen und am Ende sind wir dann bei den Volksgruppen gelandet. Eigentlich auch eine Reise eines Wortes. Börries, vielleicht fängst du damit an und erklärst es, und du, Jürgen, könntest uns als Jurist beantworten, ob der Artikel 19 noch in Kraft ist, wie so manches aus dem Staatsgrundgesetz, oder ob er unterschiedlich interpretiert ist. – Bitte sehr.

Börries Kuzmany: Ja, tatsächlich, die Begrifflichkeiten sind variabel. Also im Gesetz von 1867 steht Volksstämme, allerdings war eigentlich zu der Zeit auch schon der Begriff Nationalitäten genauso im Umlauf. Der Begriff Minderheit wird in der Habsburgermonarchie eigentlich nicht verwendet, weil der Begriff Minderheit hat ja ein bisschen etwas Abwertendes oder er könnte sich ja auch abwertend interpretieren lassen, dass man sagt: Na ja, die Minderheit, die soll schauen, wo sie bleibt, die Mehrheit im Sinne auch eines demokratischen Mehrheitsentscheides entscheidet.

Das heißt, in der Habsburgermonarchie spricht man von den Nationalitäten, und der Begriff der Minderheit ist eigentlich etwas, was erst in der Zwischenkriegszeit - -, das, was Jürgen auch erwähnt hat, mit dem Völkerbundbestimmungen, den Minderheitenschutzbestimmungen. Da sind wir schon ganz klar nicht mehr in multinationalen Staaten, sondern in Nationalstaaten, wo es eine Staatsnation gibt, und alle anderen, die halt eine andere Sprache sprechen, sind Minderheiten. Und interessant finde ich, dass eben das Volksgruppengesetz von der Zweiten Republik eigentlich diese Idee der Nationalitäten oder dass das Staatsvolk, das österreichische Staatsvolk, Volksgruppen besitzt – Gruppen klingt ein bisschen weniger minderheitlich als der Begriff Minderheit - - Ich weiß nicht, warum das gewählt wurde, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das auf Wunsch der nationalen Gruppen in der Zweiten Republik passiert ist.

Marija Wakounig: Was ist deine Antwort?

Jürgen Pirker: Danke vielmals für die Frage. Sie bringt uns ja wieder zu einer Art Tour de Raison durch die Geschichte. Die Volksstämme, die Minderheiten und die Volksgruppen könnte man sagen, haben ja alle dasselbe personelle Substrat. Es geht um dieselben Personen, die die eine Affiliierung zu einer zusätzlichen Gruppe haben, die sich kennzeichnet durch eine gemeinsame Sprache – jetzt einmal im Besonderen, durch den Sprachnationalismus auch so befördert –, eine gemeinsame Kultur und eine gemeinsame Geschichte. Jetzt hat man in der Habsburgermonarchie, wie du richtig angesprochen hast, den Terminus der Volksstämme verwendet. Man hat aber schon in den Debatten in Kremsier und später im Abgeordnetenhaus immer wieder davon gesprochen, dass es in den Kronländern Minoritäten gibt – im Verhältnis zur jeweils dominanten Bevölkerung, wenn man das einmal so vereinfacht sagen kann. Also einerseits war dieser Begriff schon da, nicht im Gesetz, aber in der Debatte und im Verständnis davon, was man eigentlich genau mit dem Begriff bezeichnen will. Das Problem bei all diesen Kategorien ist ja immer: Wer bestimmt eigentlich, wer eine Minderheit ist und wer nicht? Das überlassen Nationalstaaten in der Regel niemand anderem außer sich selbst. Das sehen wir auch heute noch in der Debatte, wenn es um die Frage geht: Wer soll überhaupt eine anerkannte und geschützte Minderheit in einem Staat sein? Darauf kommen wir wahrscheinlich später in der Diskussion noch zurück.

Ich möchte jetzt nicht zu weit von der Frage abschweifen. Der Terminus Minderheit kommt aus dem Internationalen Recht, weil da über Minorities gesprochen wird. Da hat es auch keinen negativen Beigeschmack. Da geht es eher darum, zu unterscheiden: Personen im Staate gesehen in einer dominanten oder nicht dominanten Position. Also Minority im Englischen ist nicht negativ konnotiert so wie Minderheit im Deutschen, weil da dieser Begriff „minder“ mitschwingt. Daher wird dieser zu Recht auch, glaube ich, von den Angehörigen der Volksgruppen immer wieder infrage gestellt, eben aus diesem Grund.

Volksgruppe selbst ist ein einerseits problematischer Begriff, weil er ja doch zurückgeht auf die Ideologie der Zwanziger- und Dreißigerjahre, die dann im Nationalsozialismus verbrämt wurde, und da springt auch dieses sozusagen deutschnationale Volkstum mit im Begriff der Volksgruppe. Man hat ihn aber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, insbesondere von katholisch-christlicher Position - - Politiker und Expert:innen aus sozusagen eher konservativen Kreisen haben diesen Begriff in der internationalen und österreichischen Debatte weiter genutzt und dafür gesorgt, dass er dann letztlich bei uns in das Recht Eingang gefunden hat.

Der Artikel 19 wäre ja eigentlich – das hat mein Mentor Franz Merli, der jetzt einer der Berater des Bundespräsidenten geworden ist, einmal gesagt – eine Sleeping Beauty, die man doch wecken könnte. Sie schlummert ja in unserem Staatsgrundgesetz. Das Problem ist, wir haben eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahre 1952, die hat einmal zunächst mit Artikel 19 nicht viel zu tun. Da geht es um einen deutschsprachigen Verein, ich glaube, der wird untersagt – irgendwie so ist die Ausgangskonstellation –, und der beruft sich auch auf Artikel 19 Staatsgrundgesetz. Der Verfassungsgerichtshof sagt in einem Obiter Dictum – Obiter Dictum heißt, was halt noch dazugesagt wird, obwohl es mit dem eigentlichen Fall nichts zu tun hat –, Artikel 19 ist nicht mehr anwendbar, denn der ist verdrängt durch den Staatsvertrag von Saint-Germain und Artikel 8 B-VG, wo die deutsche Staatssprache festgelegt wird für die Republik, und es gibt auch keine Volksstämme mehr im damaligen Konzept dieses Nationalitätenstaates. Das ist eine Position, die sich schon in der Ersten Republik entwickelt hat, die dann als einer der Vertreter dieser Position, dann auch Präsident des Verfassungsgerichtshofes - -, wo die sich durchgesetzt hat am Verfassungsgerichtshof in dieser Entscheidung.

Aber die wird auch zu Recht kritisiert. Man könnte das auch ganz anders sehen. Man könnte auch sagen: Normalerweise gibt es gerade bei Grundrechten keine Verdrängung, sondern ein Günstigkeitsprinzip, das heißt, die kumulieren eigentlich zugunsten der Betroffenen und schränken sich nicht gegenseitig ein.

Börries Kuzmany: Darf ich noch ganz kurz anmerken, weil du es vorhin erwähnt hast: Die Charta der Regionalsprachen, also aus den 1990er-Jahren, des Europarates ist bewusst als Charta der Regional- und Minderheitensprachen gewählt worden, weil zum Beispiel Vertreter aus Katalonien oder dem Baskenland gesagt haben: Nein, nein, wir haben keine Minderheitensprache! Also hier in Katalonien, wir mögen eine Regionalsprache haben, aber wir haben definitiv keine regionale Sprache!

Und man könnte das auch von Zell Pfarre sagen, der einzige Ort in Österreich, wo es eine slowenischsprachige Mehrheit gibt. Man könnte dort auch sagen: Ja, Slowenisch ist dort definitiv keine Minderheitensprache, sondern eine Regionalsprache. Die Begrifflichkeit Minderheitensprache oder Regionalsprache ist sozusagen letztendlich eigentlich bis heute durchaus aktiv und hat auch eine Bedeutung für die Menschen.

Marija Wakounig: Die nationalen Minderheiten, diesen Begriff, das hat Aristide Briand auf den Pariser Friedenskonferenzen eingeführt, das heißt, es ging ja damals auch um nationale Minderheiten. Davor gibt es tatsächlich in den Debatten von Kremsier und so weiter, Kroměříž praktisch, dass man darüber spricht, ob es Minoritäten - -, also das Wort Minderheit kommt ja gar nicht vor in den Debatten, sondern tatsächlich immer die lateinische Form – Minorität.

Du hast jetzt etwas angesprochen – weil du mit Zahlen gekommen bist –, denn Zahlen spielen auch immer eine ganz große Rolle, und: Wie definiert man so etwas? Meine Frage an beide: Spielte diese Kategorie – ich sage jetzt einmal – des Volksstammes, der Minorität eine Rolle bei denjenigen, die zum Beispiel die Volkszählungen vorbereitet haben – denn da gibt es dann verschiedene Kategorien, welche Muttersprache man spricht oder welchen Kulturkreis man sich zugehörig fühlt? Die Muttersprache wurde übrigens ein einziges Mal abgefragt, und zwar im Jahr 1939, sonst wurde immer die Umgangssprache abgefragt. Auf die verschiedenen Zählbeamten möchte ich nicht eingehen, da gibt es sicher große Manipulationsmöglichkeiten. Wer möchte antworten?

Börries Kuzmany: Du ergänzt dann. – Ja, Zahlen sind wahnsinnig wichtig, aber eigentlich sind sie unwichtig, weil nämlich im Artikel 19, die Gleichberechtigung der Nationalitäten, keine Prozentzahlen genannt sind. Aber natürlich, de facto sind Zahlen ganz wichtig gewesen. Und du hast es schon angedeutet: Die Form, wie gezählt wird, war natürlich ganz, ganz bedeutsam für das, was dann nachher politisch argumentiert wurde.

Eine kleine Kuriosität: In der österreichischen Reichshälfte wurde bei den Volkszählungen nach der Umgangssprache gefragt, also die Frage, die in normalen Alltagsleben gesprochen wird. Im Königreich Ungarn, in der ungarischen Reichshälfte, wurde nach der Muttersprache gefragt. In der Zwischenkriegszeit wird in Österreich natürlich auch nur mehr nach der Umgangssprache gefragt.

Stellen Sie sich vor: Wie läuft so eine Volkszählung ab? – Da kommt ein Zählbeamter zu den Häusern, denn es wird ja jede Wohneinheit selber erfasst, und der fragt: Na ja, wir reden jetzt so schön Deutsch miteinander. Ist also Ihre Umgangssprache eh Deutsch? Oder man fragt den Haushaltsvorstand und der sagt: Nein, mit meinem Dienstmädel rede ich natürlich Deutsch. Das kommt aus Böhmen. Nein, nein, für das geben wir auch Deutsch als Umgangssprache an! – Das heißt, wir haben hier neben einer nationalen oder sprachlichen Hierarchie natürlich auch soziale Hierarchien, die sich in den Zählergebnissen widerspiegeln. Dementsprechend können Sie sich auch vorstellen, dass die diversen Nationalitätenpolitiker diese Ergebnisse immer sehr stark beeinsprucht haben und gesagt haben: Nein, darauf können wir uns eigentlich nicht stützen, die sagen nichts aus! – Letztlich stimmt das, die Zahlen per se sagen nichts aus.

Marija Wakounig: Deine Antwort.

Jürgen Pirker: Ja, da würde ich zustimmen. Also das Erste, was problematisch ist, ist die Kategorie, die man fragt – Umgangssprache; Denksprache wurde auch einmal gefragt. Das Zweite ist, wie gefragt wird und in welchem Kontext gefragt wird, und das Dritte ist, wofür diese Zahlen dann auch verwendet werden. Wenn man weiß, man war auf einer Liste irgendwo registriert und wurde dann im Nationalsozialismus verfolgt, dann ist man eher geneigt, zu sagen, ich will nie wieder gezählt werden oder mich bekennen müssen, denn wir wissen, was dann passiert ist. Also diese Zählungen haben eher eine negative Konnotation, weil sie auch missbraucht wurden.

Wir haben Zählungen auch als Ausdruck von Protest miterlebt. 1976 hat man das Volksgruppengesetz erlassen. Ein Jahr später sollte eine Volkszählung durchgeführt werden, um die Umsetzung des Gesetzes zu ermöglichen. Das wurde boykottiert auf Initiative von Sloweninnen und Slowenen aus Kärnten. Die haben österreichweit eine Solidaritätsbewegung dafür starkgemacht, und am Ende hatte man in Wien mehr Slowenen als in Kärnten. Also das ist auch etwas, wo man gesehen hat, wie dagegen protestiert wurde, gezählt zu werden.

Die Frage ist: Geht es eigentlich darum, über das Zählen dann Rechte zu beschränken, oder geht es darum, einen sozusagen sinnvollen Ansatzpunkt zu finden, um sich zu überlegen, wo welche Instrumentarien benötigt werden? Das wäre ja Zugang des Europarates, wenn er die Einhaltung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten prüft und darauf besteht, dass die Mitgliedstaaten valides Zahlenmaterial liefern, damit man sieht: Wo besteht denn welcher Bedarf, und wo muss daher welche Maßnahme umgesetzt werden? Also dieser Kontext ist auch immer entscheidend für die Frage des Zählens. Und überall, wo wir historische Verfehlungen hatten beim Zählen, da verweigern sich auch Angehörige von Minderheiten diesem Gezähltwerden.

Marija Wakounig: Machen wir so ein bisschen einen historischen Rückschritt, nicht Rückschritt (erheitert), sondern ich gehe ein bisschen zurück. Ich möchte dich fragen, du hast Karl Renner erwähnt. Warum hat er diese Idee entwickelt? Schließlich war er deutschsprachig, also im Prinzip, er war in einer ganz komfortablen Position.

Börries Kuzmany: Renner, eine sehr interessante Persönlichkeit und durchaus nicht unumstritten, sowohl in der eigenen Partei als auch bei den Kollegen aus den anderen sozialdemokratischen Nationalitätenparteien. Renner wurde nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass er ein Deutschnationaler ist in seinem Herzen und letztendlich auch von der höheren Gesinnung, also von der höheren Sendung des Deutschtums in der Habsburgermonarchie ausgehend. Dennoch hat er etwas verstanden: dass die Sozialdemokratie selbst als Partei nicht funktioniert, wenn es nur den deutschen Parteiapparat gäbe.

Du hast so schön das Bild von 1897 gezeigt, das ist die Badeni-Krise, wo es eigentlich um die Sprachengesetze in Böhmen und Mähren ging. Aber letztendlich stimmt dort dann auch die deutschsprachige Sozialdemokratie gegen diese Zweisprachigkeit, und das kam bei den tschechischen Kollegen nicht so gut an. Renner dämmerte, dass man etwas machen musste. Gleichzeitig war Renner auch Marxist, und Marxisten zu dieser damaligen Zeit fanden große Staaten, große Wirtschaftsräume wichtig, Zollverbände, wo Arbeiter mobil sein können, um halt die besten Konditionen an unterschiedlichen Orten zu haben. Das heißt, Renner war im Prinzip für die Erhaltung des Staates und hat sich deshalb etwas überlegt: Wie kann man diesen Staat neu bauen? – Die alten Kronländer wollte er nicht und deswegen hat er sich neue Formen überlegt.

Marija Wakounig: Du hast Etbin Kristan erwähnt. Etbin Kristan ist ein Slowene, der deswegen diese non-territoriale Ausrichtung wollte, weil er die meiste Zeit in Kroatien verbracht hat und war dort selbst eine Minderheit, also fühlte er sich als Minderheit, und ist dann, weil er seine Rechte nicht umsetzen konnte, nach Amerika gegangen und wieder zurückgekommen. Eine sehr berührende Geschichte.

Börries Kuzmany: Ja, der Kristan ist total spannend, weil erstens wird er immer vergessen. Warum wird er immer vergessen? Weil wir in der Habsburgermonarchie letztendlich natürlich nationale und sprachliche Hierarchien hatten. Er war zwar Sozialdemokrat, aber er war aus der südslawischen, also slowenisch-kroatischen Abteilung. Er spricht auch auf den Parteitagen. Er ist der Erste, der am Parteitag der gesamten Partei der Sozialdemokraten diesen Vorschlag macht, nur nimmt ihn niemand ernst, wahrscheinlich, weil er auch Slowene ist. Er hat andere Probleme auch, nämlich, dass er gegen diesen Gesamtstaat ist und dass er außerdem Anarchist ist.

Er passt nicht so ganz so gut in die Sozialdemokratie. Aber es ist schon eben auch ein Problem, das einen Unterschied macht – ob Karl Renner als deutschsprachiger Sozialdemokrat oder ob ein slowenischer Sozialdemokrat mehr oder weniger ähnliche Vorschläge machen.

Marija Wakounig: Auf das wollte ich hinaus, danke schön.

Wenn würdest du so im 20. Jahrhundert als einen Schützer dieser Minderheitenrechte bezeichnen – denn ich habe ja jetzt ihn befragt, ich bin ein bisschen zurückgegangen –, und zwar möchte ich wissen, wer dafür eintritt, ob dir Personen einfallen, die Vielfalt fördern möchten im Rahmen der Europäischen Union? Gibt es da Personen, oder sind das auch immer Kollektive, die sich verstecken und dann etwas fordern?

Jürgen Pirker: Es gibt sicher europaweit einzelne Personen, die sich aktiv dafür einsetzen. Aber es gibt sehr viele sozusagen Organisationen, die das zu einem Teil ihres Engagements gemacht haben, zum Beispiel die föderative Vereinigung der Europäischen Volksgruppen wäre eine, die man nennen könnte. Die Zivilgesellschaft besteht eigentlich aus Vereinigung verschiedenster Volksgruppen in Europa, um sich für den Einsatz von Rechten von Minderheiten starkzumachen.

Wir haben in Österreich eine Tradition, sich auch mit den Rechten nationaler Minderheiten zu beschäftigen. Wenn man im 19. Jahrhundert die Literatur liest von Jellinek bis Kelsen über Bernatzik, so hatte jeder etwas zu Minderheitenrechten zu sagen, weil das ein Thema war, das die staatsrechtliche Debatte dominiert hat. Später hat sich das etwas reduziert. Da können wir dann bei Felix Ermacora zum Beispiel nachlesen, als einen Wiener Vertreter, der sich auch international stark für das Thema eingesetzt hat und starkgemacht hat. Da gibt es auch noch viele andere, Franz Matcher könnte man hier nennen und andere.

Ich glaube, ein wichtiger Aspekt ist, dass Minderheitenschutz ganz stark von der Zivilgesellschaft auch getragen und eingemahnt wurde und das oft aus den Gruppen heraus kommt: weil ich das Anliegen habe, dass ein Recht gewährleistet wird. Denken Sie da an die Siebzigerjahre mit der Ortstafelfrage in Kärnten, als die den Anstoß genommen hat: wo junge, eigentlich junge Angehörige der Volksgruppe begonnen haben, auf die Nichtumsetzung der Rechte des Staatsvertrages hinzuweisen, indem zweisprachige Aufschriften auf Ortstafeln ergänzt wurden. Dann hat die SPÖ in einer schnellen Aktion eigentlich, mit nur wenigen Stimmen Mehrheit im Parlament eine Lösung für Kärnten durchgesetzt, und ein Teil der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung hat sich darangemacht, diese neu errichteten Ortstafeln zu entfernen und in Wagenkolonnen dann einmal vor der Wohnung des Landeshauptmannes und vor der Landesregierung abzuliefern. Also das waren schon Konflikte, die sozusagen auch virulent waren, und dann formiert sich wieder eine Solidaritätsbewegung aus der Zivilgesellschaft heraus.

Es ist eigentlich oft der Druck von außen, der auf den Staat kommt, der dann für Bewegung sorgt, entweder aus der Zivilgesellschaft heraus oder auch international wie nach dem Ersten Weltkrieg als in den Verträgen, in den Friedensverträgen die Minderheitenrechte gesichert werden.

Marija Wakounig: Ich möchte nämlich mit der Frage an etwas anschließen und zwar an deine letzte Folie. Auf der letzten Folie war die Umfrage österreichischer und slowenischer Schüler:innen zu lesen, also Kärntner und slowenischer Schüler:innen zu lesen, und die Antworten, in den Prozenten haben mich frappiert. Sie zeigen ganz genau auf, dass in Kärnten die Frage relativ - -, die slowenischen Schüler:innen haben es normal gefunden, dass eine Minderheit oder eine Volksgruppe, was auch immer, auch Medien braucht, mit denen sie sich stärker äußern kann oder dass sie sich positionieren kann in Österreich. Ich glaube, da war das eine sehr niedrige - - Vielleicht können wir später auf diese Umfrage noch einmal zurückkommen, auf diese Powerpoint-Präsentation und diese Folie zeigen. Das ist eigentlich fast beschämend, dass so etwas herauskommt im 21. Jahrhundert: dass Schüler der Meinung sind, im Nachbarland, dass sei nicht so notwendig. Also das ist schon eine sehr interessante Sache.

Wir sollten ja langsam zum Schluss kommen. Ich soll die Sache auch ein bisschen im Griff halten und deswegen - - Nein, es ist ja ganz normal so, damit Sie auch mitdiskutieren können.

Eine abschließende Frage an beide: Es hat die Wissenschaft hier gesprochen, schön aufbereitet. Wir haben die Hintergründe gezeigt, wie sich so etwas entwickelt. Kann die Wissenschaft so ein Problem überhaupt gemeinsam mit der Politik lösen oder nicht?

Jürgen Pirker: Sie kann nur Expertise bereitstellen und zeigen, welche Instrumente funktionieren in welchen Kontexten. Sie kann sozusagen begleiten, entscheiden und umsetzen muss immer die Politik. Der Europarat hat einen Mechanismus gefunden, wo er Expertinnen und Experten einlädt, dass Ministerkomitee zu beraten bei der Überprüfung der Umsetzung seiner Instrumente. Da fließt dann wissenschaftliche Expertise ein, auf deren Grundlage rechtlich verbindliche Empfehlungen abgegeben werden. Wie es dann mit der Umsetzung ausschaut dieser Empfehlung ist eine zweite Frage, aber es wird zum Beispiel Expertise hier in einem Evaluierungsprozess miteingebunden und da kann die Wissenschaft schon einen Beitrag leisten.

Marija Wakounig: Ich möchte von dir wissen – vor allem, weil du dich historisch damit beschäftigt hast –: Neben dem Interesse, denke ich mir, hast du vielleicht auch etwas gefunden, was du vielleicht der Politik empfehlen könntest als Wissenschaftler?

Börries Kuzmany: Ich glaube, wir beide sind ja in derselben Disziplin als Historikerin und als Historiker. Ich glaube, gute Historiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Policy-Recommendations geben wollen. Das hat einen guten Grund: weil viele Historiker in der Vergangenheit ganz schlechte Politikempfehlungen gegeben haben. Ich halte uns eigentlich für eine sehr gefährliche Spezies und möchte nicht, dass wir eins zu eins übernommen werden. Aber ich finde trotzdem nicht, dass wir obsolet sind (Wakounig: Hoffe ich doch!) und deswegen gleich alles gestrichen werden sollte, was sich mit Geschichte beschäftigt.

Jürgen hat schon angedeutet, ich glaube, wir können Expertise bereitstellen, ja. Ich glaube nicht, dass Geschichte sich wiederholt, es ist nicht so das Rad, es kommt alles wieder, aber wir haben oft ähnliche Situationen, oft ähnliche Problemstellungen, und wir können – und ich glaube, das ist eine Stärke der historischen Disziplin – sagen: Moment, in unterschiedlichen Situationen wurden unterschiedliche Lösungen oder Nichtlösungen gewählt. Wir können nicht sagen, ob die heutige Situation der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entspricht, das der Zeit 1880 entspricht. Das wissen wir nicht, weil wir die Zukunft nicht kennen, aber wir können sagen: Moment, es gab unterschiedliche Sachen, und jetzt überlegen Sie sich als Politiker, als Politikerin, als Entscheidungsträger:in: Was von dem kann ich mitnehmen? Es ist eine Offenheit für Entscheidungsmöglichkeiten. Das ist eigentlich, worum es mir auch in meiner Forschung geht: aufzuzeigen, welche Bandbreite es gibt. Ich bin kein Verfechter der nicht territorialen Autonomie per sie, aber in manchen Situationen könnte es interessant sein, wenn man sich das anschaut, in anderen nicht.

Aber zum Beispiel in Situationen, wo nationale Konflikte auf einem Gebiet so verhärtet sind, dass am Ende Krieg herrscht oder nationale Ausschreitungen sind, dann ist es vielleicht besser, Gruppen für eine Zeit zu trennen, aber nicht territorial, indem man neue Grenzen schafft und dann die Leute hierhin vertreibt und die anderen dorthin, sondern, dass man versucht, unterschiedliche Institutionen für sie zu schaffen. Vielleicht ist das aber 20 Jahre später, wenn sich die Sache beruhigt hat und eine neue Generation da ist, nicht mehr notwendig. Deswegen muss man sich unterschiedliche Sachen anschauen. Es gibt nicht die eine Lösung für alles und das, glaube ich, können wir Historiker gut aufzeigen.

Marija Wakounig: Das heißt, wir brauchen eine couragierte Zivilgesellschaft. Das ist für mich jetzt der Sukkus dieser beiden Antworten.

*****

Und jetzt eröffne ich Diskussion: 20 Minuten darf ich mit Ihnen diskutieren. Stellen Sie Fragen und die nette Dame, Frau Vogg, wird Ihnen dann das Mikrofon bringen und Sie können die Frage stellen.

Wer traut sich als Erster, als Eisbrecher, eine Frage zu stellen? – Bitte sehr.

Fragesteller eins: In Südtirol gibt es einen Proporz für den öffentlichen Dienst. Gibt es das in Österreich in denen Minderheiten - - oder in den Gebieten, wo eine mehrsprachige Bevölkerung lebt, auch?

Marija Wakounig: Sollen wir es sammeln? –Es sind so viele Fragen – also zuerst einmal die Südtirolfrage, dann die nächste.

Fragesteller zwei: Die völkerrechtliche Entwicklung ging ja – Sie haben das aufgezeigt am Beispiel von Woodrow Wilson – in die andere Richtung. Das heißt, das Selbstbestimmungsrecht der Völker steht in der Charta der Vereinten Nationen. Das ist das Sprengmittel für alle Imperien, und so hat es auch Stalin, der ja mit Otto Bauer im Konflikt stand und sich durchgesetzt hat mit seiner Ansicht, aufgezeigt in dieser Konfrontation.

Wenn wir jetzt zurückblicken auf die Entwicklung in Europa: Wir erleben eine Rückkehr des Wirtschaftsnationalismus. Auch in den USA ist das ein Thema. Also die alte Geschichte der Dreißigerjahre, wo es landwirtschaftliche Genossenschaften von Deutschen, Tschechen, Slowaken gab, wo es also eine Trennung entlang eben der berühmten Schilder gab: Kauft nicht bei Deutschen, kauft nicht bei Tschechen!, kommt wieder.

Marija Wakounig: Danke. – Die nächste Frage. Gibt es noch weitere? Ja, es gibt hier noch Fragen.

Fragesteller drei: Danke sehr. Zunächst zur territorialen Autonomie: Also ich finde es schade, dass das Thema Südtirol leider kein einziges Mal vorne am Podium ein Thema war. Da gerade Südtirol, die Region mit dem größten Wohlstand in Europa, vielleicht ein Beispiel für funktionierende Autonomie ist und für ein funktionierendes Erhalten von Volksgruppen.

Zu der Umfrage von den Kärntnern und von den Slowenen: Das habe ich auch sehr interessant gefunden mit den Prozenten, wobei ich auch sehr interessant finde, dass die Slowenen mit ihren Minderheiten - -, also die die Deutschen und die Italiener und die Ungarischen, die sie bei ihnen im Land haben, kaum anerkennen.

Was für mich auch interessant war: Der Volksgruppenbegriff, wie Sie den durch die Geschichte gezeichnet haben, zeichnet ja auch die Entwicklung des Österreicherbegriffs per se. Und wenn wir Lösungen finden – wie es im Titel der Veranstaltung ist –: Ist nicht die Öffnung dieses Österreicherbegriffs, also eine erneute Öffnung dieses Österreicherbegriffs, eigentlich eine Lösung für Integration?

Und abschließend: Ich war letztens im Kanton Graubünden und bin dort mit dem Kartonspräsidenten zusammengesessen, ein Kanton mit drei Volksgruppen. Diese Volksgruppen, das kostet sehr viel, das hat er sehr ausführlich beschrieben, aber er sagt auch, sie haben dadurch einen Mehrwert, er ist vielleicht nicht unbedingt wirtschaftlich, aber sie haben dadurch einen großen Mehrwert und es bringt ihnen sehr viel.

Vielleicht jetzt eine Frage an die Wissenschaft: Gibt es einen belegbaren wirtschaftlichen Mehrwert, den der Erhalt dieser Minderheiten bringt oder die Förderung dieser Minderheiten – so muss man sagen?

Marija Wakounig: Danke schön. Noch eine Frage? – Bitte etwas kürzer. Die Fragen sollten ein bisschen kürzer sein. Bitte.

Fragesteller vier: Man darf auch nicht vergessen, ein Freund von den Minderheiten war auch Bruno Kreisky, der hat sich auch für die Südtiroler sehr starkgemacht. Man darf auch nicht vergessen, das Nationalitätenproblem in der Monarchie war insofern auch so, Kaiser Franz Josef hat sich für die Völker eingesetzt und er hat gesagt, er hat seine Aufgabe zeitlebens darin gesehen, die Völker vor diesen Umschwüngen nämlich auch zu schützen. Das ist auch erwiesen.

Marija Wakounig: Und welche Frage hätten Sie, oder war das ein Beitrag zur Lösung?

Fragesteller vier: Das war auch ein Beitrag zur Lösung, und vor allem gilt das heute auch noch. – Danke.

Marija Wakounig: Danke schön. – Gibt es weitere Fragen? Hier gibt es noch eine Frage; ja, selbstverständlich.

Fragestellerin eins: Sie haben über die Monarchie debattiert. War nicht eine große Stärke in der Monarchie der Kaiser? War nicht seine Stimme sehr wichtig?

Marija Wakounig: Das wäre es, vielleicht ergeben sich dann noch weitere Fragen.

Ich möchte aber kurz jetzt auf die dritte Frage eingehen, die Sie gestellt haben. Sie meinten wohl, das heutige Slowenien, das angeblich - -, Sie haben gesagt, dass die die anderen Minderheiten nicht schützen. Es geht hier nicht um Österreich. In Slowenien sind die Minderheiten wohl geschützt, aber die deutschsprachige Minderheit wird nicht als Minderheit anerkannt, sondern als Gruppe – das ist jetzt außerhalb unserer Diskussion, glaube ich, das können wir nicht lösen –, aber überall in Slowenien finden Sie topografische Aufschriften in italienischer und auch ungarischer Sprache und auch in kroatischer Sprache, das kann ich Ihnen versichern. Also das ist außerhalb unserer Diskussion.

Ich würde meinen, du beginnst vielleicht mit dem Beantworten, denn es ist sehr viel Südtirol vorgekommen, und den Kaiser werden wir dann zum Abschluss haben. Danke schön. – Bitte sehr.

Jürgen Pirker: Also Südtirol hat, wie Sie schon angesprochen haben, eine sehr starke Form der Autonomie realisiert; es wird oft auch als Erfolgsmodell im Minderheitenschutz angesprochen und auch sozusagen weltweit als Modell des Minderheitenschutzes genutzt. Im Wesentlichen basiert Südtirol auf dem ethnischen Proporz, das heißt, entlang des Verhältnisses der drei Sprachgruppen – deutschsprachig, italienischsprachig und ladinischsprachige Bevölkerung – werden Ressourcen verteilt, werden öffentliche Positionen vergeben, werden Positionen etwa im lokalen Parlament vergeben und Ähnliches oder Wohnungszuschüsse, was auch immer. Es gibt sozusagen zunächst einmal eine Aufteilung der öffentlichen Ressourcen entlang der Stärke der Gruppen.

Dann muss man beim nächsten Schritt wissen, wer zur Gruppe gehört, wenn sich dann jemand um solche Ressourcen oder Ämter bewirbt. Dazu braucht es eine Zählung, und da muss man in der Volkszählung dann angeben, welcher Gruppe man sich zuordnet, also deutsch, italienisch oder ladinisch. Das System hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon zu Schwierigkeiten geführt, weil es Personen gegeben hat, die gesagt haben: Ja, aber wo soll ich mich denn zuordnen? Ich will mich nicht für eine Gruppe entscheiden, oder ich gehöre einer anderen Gruppe an. – Deshalb musste man das System auch reformieren, und man kann sich jetzt anders deklarieren, muss dann aber trotzdem eine Affiliierung zu einer der Gruppen wählen, wenn es darum geht, zum Beispiel ein öffentliches Amt zu besetzten.

Vergleichbares haben wir in Österreich nicht. Das ist ein System, das führt gerade nach intensiven Konfliktphasen einmal dazu, dass die Situation stabilisiert und befriedet wird. Das ist sozusagen ein Modell, einen Konflikt einmal zu beenden und in den Institutionen einen Aushandlungsmechanismus umzusetzen, der die Situation auch einmal einfriert.

Die Frage, die sich dann immer stellt, ist: Wie entwickelt sich denn das System in Zukunft weiter? Jetzt gab es vor zehn Jahren in Südtirol einen Autonomiekonvent, der aber zu keiner Reform des Status geführt hat, weil jede der Gruppen dann bestimmte Elemente hat. Bei den Deutschsprachigen ist das zum Beispiel die getrennte Schule, die besonders wichtig für die Identität der Gruppen ist.

Wenn man jetzt dieses Modell Südtirol auf andere Situationen überträgt, wie es in Bosnien passiert ist, oder wie man das zuletzt 2017 versucht hat, auch auf Initiative der UNO in Zypern zu diskutieren, um eine Lösung für den Konflikt zu schaffen, dann muss man sich immer überlegen: Was macht das im Alltag? – Wenn mir immer ein Bekenntnis abverlangt wird, dann wird diese ethnische Zugehörigkeit auch relevant in Fragen wie: Wo schicke ich meine Kinder zur Schule? Wo melde ich sie zum Kindergarten an? Auf welche Position bewerbe ich mich einmal? Wie deklariere ich mich? Also die ethnische Zugehörigkeit wird dann eigentlich immer angetriggert und im Alltag präsent. Das ist auch ein Problem, das wir bei solchen entweder territorialen oder auch gruppenzentrierten Ansätzen sehen, weil man ja letztlich sagen muss, wer eigentlich zur Gruppe gehört.

Man hat das gesehen – wenn ich jetzt den Schwenk noch einmal zurückmachen darf – bei der Habsburgermonarchie, bei den Kompromissen, die du angesprochen hast. Da gab es ja Wählerlisten. Das hat aber bedeutet, dass man sich einmal auf so einer Wählerliste wiedergefunden hat, weil die zunächst aus der Kenntnis der Gemeinden einfach einmal erstellt worden sind. Dann konnte man reklamieren: Ich gehöre da nicht drauf!, man konnte aber auch reklamieren, dass jemand anderes da nicht drauf gehört, und dann wurden Verfahren über diese Frage der Zugehörigkeit geführt.

Ähnliches und noch intensiver in der Frage des Schulbesuchs unter dem Stichwort Kinderfang haben dann solche Aufsichtsgremien für Schulen reklamieren können, dass zum Beispiel ein deutschsprachiges Kind die deutschsprachige Schule zu besuchen hat und eben nicht die tschechische besuchen kann, auch wenn die Eltern das vielleicht wollten. Da hat sich eine interessante Rechtssprechungsrichtlinie entwickelt des Reichsgerichts und vor allem des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage. Zunächst hat man einmal darauf abgestellt, was denn die Person selbst wollte oder die Eltern wollten, also ein subjektives Bekenntnis: Was will ich? Will ich ein Angehöriger dieser Gruppe sein oder nicht? Mit der Zeit hat es dann immer mehr Konfliktfälle gegeben, wo man auch solche trojanischen Pferde vermeiden wollte – also jemand lässt sich auf eine Wahlliste setzen, um dann in Wirklichkeit gegen die Interessen der Gruppen zu usurpieren. Dann muss ja doch irgendwie objektiv festgestellt werden, ob jemand Mitglied einer Gruppe ist. Wie macht man das? – Man schaut sich an: Wie benimmt sich die Person im Alltag? Bei welchen Vereinen engagiert sie sich? Welche Medien werden konsumiert? Welche Sprache wird gesprochen? Welche Schule besuchen die Kinder? Man hat also zunehmend auf objektiv fassbare Merkmale abgestellt und am Ende entscheidet der Verwaltungsgerichtshof, dass es ein Recht der Gruppen ist, Kinder, die zu dieser Gruppe gehören, auch für die jeweilige Schule zu reklamieren. Also da sieht man auch eine Werteverschiebung von diesem individuellen Recht hin zu einer Unterordnung dieses Rechts der Gruppe.

Selbstbestimmungsrecht der Völker – weil sozusagen das große kollektive Recht in dem Zusammenhang, das vor allem in der Diskussion nach Woodrow Wilson ihm zugeschrieben wird und ausformuliert wurde - - –: Das Problem bei diesem Selbstbestimmungsrecht der Völker ist bis heute, zu sagen: Wer ist denn Rechtsträger, und was ist der Inhalt dieses Selbstbestimmungsrechts der Völker? Also: Was ist ein Volk? Wer gehört dazu, und was soll dieses Recht eigentlich umfassen? Das ist sozusagen bis heute ein Problem im internationalen Diskurs. Und: Bedeutet dieses Selbstbestimmungsrecht nur innere Selbstbestimmung, also innerhalb eines Staates?, denn äußere Selbstbestimmung bis hin zur Sezession, das wird in der Regel nicht mit diesem Selbstbestimmungsrecht verbunden.

Österreicherbegriff: Ja, also der Österreicherbegriff als österreichische Identität, aber das wissen die Historiker besser als ich, entwickelt sich ja erst spät. Allerdings muss man sagen, Badeni, über den wir heute gesprochen haben, hat sich ja selbst als Österreicher bezeichnet, und das war zur damaligen Zeit ein seltenes Bekenntnis. Das kann also durchaus integrativ sein. So wie Robert Musil von Weltösterreich gesprochen hat, könnten wir mit unserer Geschichte der Vielfalt auch ein Beispiel abgeben, wie man Vielfalt regelt und den Österreicherbegriff weit denken.

Minderheiten schaffen sicher einen Wert. Die Frage ist, ob er sich ökonomisch messen lässt. Ich weiß, es gibt Studien von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, die versucht haben, das einmal zu argumentieren, zum Beispiel für Südtirol; Max Haller, in Graz, hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Es zeigt sich, es gibt sozusagen einen Mehrwert, der entsteht, weil eine größere Innovationskraft in solchen Regionen vorhanden ist. Es zeigt sich aber auch, dass Konflikte Ressourcen binden und das eine Herausforderung darstellt.

Marija Wakounig: Danke schön für diese sehr umfassende Antwort.

Zum Österreichertum nur so viel, dass man das bereits 1867/68 finden kann. Ich habe mir da etliche Stenographische Protokolle angeschaut, also das geht weit zurück. Das wäre sicher zum Untersuchen. Vielleicht findet sich jemand unter den Jüngeren, die so etwas als Forschungsfeld entdecken.

Börries. – Bitte sehr, zum Kaiser.

Börries Kuzmany: Vorher möchte ich noch ganz kurz, bevor ich zum Kaiser etwas sage, sagen: Die Vielfalt kostet, würde ich sagen. Also rein pekuniär kostet sie wahrscheinlich mehr, als sie bringt. Aber ich glaube auch, und es ist sehr schwierig zu messen, dass zum Beispiel die kulturelle Entwicklung - -, also Leute, die tolle Kunstwerke hervorbringen, tolle Stücke schreiben, sind meistens Leute, die in irgendeiner Form nicht nur der Mehrheitsbevölkerung angehören. Das heißt jetzt nicht, dass die eine sprachliche Minderheit sein können - -, aber auch eine andere Konfession haben, die können eine andere geschlechtliche Orientierung haben. Also oft entsteht Kultur an so einer Bruchlinie, wo nicht alles ganz klar ist, nur können wir das überhaupt nicht messen, also jetzt ökonomisch. Aber generell: Ja, Mehrsprachigkeit kostet. Wenn ich zwei Gerichte brauche, kostet das etwas, aber individuell bringt Mehrsprachigkeit sehr oft etwas. Da gibt es soziologische Studien, dass Leute, die zweisprachig aufwachsen, durchschnittlich höhere ökonomische Einkommen erzielen im Laufe des Lebens.

Zur Rolle des Kaisers: Ich würde die Rolle des Kaisers hier nicht überbewerten. Ja, der Kaiser hat eine Bedeutung als übernationale Integrationsfigur. Der Kaiser kann auch einmahnen, gerade in Konfliktfällen, kann sozusagen hier auf die Bremse steigen und sagen: Ja, so nicht, das ist zu wild! Oder auch im Laufe dieser Aushandlungsprozesse in diesen Kronländern gibt es immer wieder, zwar nicht direkte Äußerungen, aber sozusagen da teilt dann der Ministerpräsident den Streitparteien mit, der Kaiser wünsche eine Einigung, solche Sachen schon. Der Kaiser ist zwar eine sehr gut informierte und durchaus einflussreiche Person, aber ich würde sie jetzt in diesen Diskussionen nicht überschätzen.

Ich möchte nur, um quasi den Schluss noch ein bisschen zu ziehen zu dem heutigen Thema und dass wir diese unterschiedlichen Zugänge territorial, nicht territorial und individualrechtlich gesehen haben: Südtirol ist ein wunderschönes Beispiel dafür, weil Südtirol an sich territoriale Autonomie innerhalb Italiens besitzt, aber eben das Proporzsystem ist letztendlich ein klarer, nicht territorialer Zugang, sondern ein gruppenrechtlicher Zugang über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

Das, was du eben erwähnt hast, die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, wie dieses wichtige Instrument in Südtirol eben heißt, also zu welcher Gruppe man sich zugehörig fühlt, um in diesem Proporz eine Stelle zu bekommen, ist letztendlich etwas nicht so viel anderes als ein Wahlkataster für die Landtagswahlen in Mähren oder in der Bukowina, wo du auch erwähnt hast, dass es dann sehr wohl Einsprüche gab, wer wo dazugehört und wer im Zweifelsfall entscheiden darf, wer zu welcher Gruppe gehört. Letztendlich ist Südtirol ein sehr schönes Beispiel für diese Mischformen und dass das alles nicht so fein säuberlich getrennt werden kann.

Marija Wakounig: Damit wären wir mit den beiden Antworten am Schluss dieser Veranstaltung angelangt. Frau Schneider wird diese dann wahrscheinlich abschließen. Aber ich möchte Ihnen einmal herzlich von hier aus danken, dass Sie uns zugehört haben. Und zum Mathematischen: Ein ist immer weniger als zwei, also Einheitlichkeit oder Einfältigkeit oder wie man das Ein auch definieren möchte, und dass zwei immer mehr kostet als eins, das ist klar. Es schafft aber auch Arbeitsplätze, zum Beispiel wenn ich allein an die vielen Übersetzerinnen und Übersetzer in der Europäischen Union denke, die angestellt wurden. Also denken Sie positiv, denken Sie immer in mehreren Kategorien! – Ich danke herzlichst einmal. (Beifall.)

Karin Schneider: Ich schließe mich jetzt gleich an mit dem Dank.

Ich möchte mich bei euch für die interessanten Vorträge bedanken und für diese wirklich total spannende Diskussion.

Dann möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von der Veranstaltungsabteilung, die uns heute Abend hier betreut haben, namentlich bei Valerie Vogg, für ihre umsichtige und professionelle Betreuung dieser Veranstaltung bedanken. – Und schließlich auch noch bei Ihnen für Ihr Kommen, für Ihr Interesse.

Der Fragen-Antworten-Teil war relativ kurz, aber Sie haben noch weiter die Gelegenheit, Fragen zu stellen, denn wir haben jetzt noch ein kleines Büfett und Getränke. In diesem weniger formellen Rahmen können sicher noch weitere Fragen diskutiert werden.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend. (Beifall.)

Schluss der Sitzung: 18.37 Uhr