Diskussionsveranstaltung anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust
Transkript
verfasst von der Abteilung 1.4/2.4 – Stenographische Protokolle
Montag, 27. Jänner 2025
15.08 Uhr – 16.21 Uhr
Nationalratssaal
Programm
Lesung
Maria Köstlinger – Kammerschauspielerin
Zeitzeuginnengespräch
Erika Freeman – Zeitzeugin
Q&A-Session
Empfang
Moderation: Danielle Spera – Executive Director Kultur.Medien.Judentum
Danielle Spera (Moderatorin; Executive Director Kultur.Medien.Judentum): Liebe Schülerinnen und Schüler! Ihr seid heute hier im Mittelpunkt. Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass ich Sie zur heurigen Diskussionsveranstaltung anlässlich des internationalen Holocaustgedenktages hier im Parlament begrüßen darf – für mich ist es ja schon eine Tradition: Ich durfte hier schon einige Male stehen und diese Veranstaltung moderieren, und ich finde, heute ist das wichtiger denn je.
Heute ist ein ganz besonderer Tag: Heute vor 80 Jahren, am 27. Jänner 1945, ist das Konzentrationslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit worden. An dieser Gedenkstätte versammeln sich in diesen Stunden Dutzende Staatsoberhäupter aus aller Welt, um zu gedenken. Auch wir denken heute an die 65 000 Wiener Jüdinnen und Juden, darunter Tausende Kinder, die in den verschiedenen Konzentrationslagern ermordet worden sind.
In Auschwitz und in den anderen Konzentrationslagern hat man den Opfern ihre Würde, ihre Namen, ihre Geschichten genommen. Es ist den Nationalsozialisten gelungen, die österreichische Gesellschaft, die österreichische Wissenschaft, die österreichische Kultur nachhaltig zu beeinträchtigen. Was ihnen nicht gelungen ist, ist, die Erinnerung an diese Menschen auszulöschen. Wir halten die Erinnerung in Gedenkveranstaltungen, wie auch der heutigen, immer aufrecht und treten somit, und das ist ganz wichtig, dem Vergessen entgegen.
Das Gedenken darf aber kein Lippenbekenntnis sein, sondern wir müssen uns heute mehr denn je gegen jede Form von Antisemitismus, Intoleranz und Diskriminierung stellen. Das ist eine Aufgabe, die niemals endet und die in den vergangenen Jahren in Österreich vorbildlich gehandhabt worden ist, und wir müssen dafür sorgen – und das ist mein heutiger Appell –, dass das auch weiterhin so bleibt.
Die heutige Diskussionsveranstaltung mit Schülerinnen und Schülern findet auf Einladung des Nationalratspräsidiums sowie der Frau Bundesratspräsidentin statt, und ich darf daher Herrn Präsidenten Rosenkranz und Frau Präsidentin Eder-Gitschthaler herzlich begrüßen. (Beifall.)
Es ist für mich ein ganz, ganz besonderes Privileg, eine besondere Frau begrüßen zu dürfen: Frau Dr. Erika Freeman. Dr. Erika Freeman musste als 12-jähriges Mädchen die Stadt Wien verlassen. Wir sind ihr dankbar, dass sie heute ihre bewegende Geschichte mit uns teilen wird, mit euch Schülerinnen und Schülern. Danke, dass du hier bist, Erika. (Beifall.)
Ganz besonders möchte ich die zukünftige Generation begrüßen. Es ist wunderbar, dass ihr heute alle da seid, dass ihr euch diese Geschichte anhört, dass ihr mit vielen Fragen gekommen seid und dass ihr mit Frau Dr. Freeman heute ins Gespräch kommen werdet. Das ist eigentlich der Anlass dieses Gedenkens heute, und daher heiße ich euch alle sehr, sehr herzlich willkommen. (Beifall.)
Wir dürfen uns auch auf Maria Köstlinger freuen. Sie wird aus dem Leben von Erika Freeman, das Dirk Stermann aufgezeichnet hat, vorlesen. – Ein herzliches Willkommen auch an dich. (Beifall.)
In diesem Sinn darf ich auch noch Frau Ministerin Gewessler, Herrn Minister Kogler, den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland Vito Cecere sowie die anwesenden Abgeordneten zum Nationalrat, Mitglieder des Bundesrates sowie das Direktorium des Parlaments und Sie, meine Damen und Herren, herzlich begrüßen. Ich wünsche uns allen eine bereichernde Veranstaltung und darf dich, liebe Maria, jetzt um die Lesung bitten. – Danke schön. (Beifall.)
Lesung
Maria Köstlinger (Kammerschauspielerin): Was für ein Mensch war deine Mutter?, fragte ich sie.
Vor allem sehr humorvoll. Alle liebten sie. Ich selbst habe damals nie darüber nachgedacht. It was for granted. Es wurde mir erst nach ihrem Tod bewusst, als ich nach Wien zurückkam, ich kann mich noch genau erinnern, es war auf einem Spaziergang mit meiner Tante.
Erikas Tante hatte überlebt, weil sie nicht zu den anderen Juden im Philipphof wollte. Sie war aufs Land gegangen und hatte dort die Nazijahre überstanden, als U-Boot.
Wir gehen also spazieren, da spricht mich eine Frau an. Sind Sie die Tochter vom Fräulein Grau?, fragte sie. Ihre Mutter hat meinen Bruder für die Bar Mizwa unterrichtet. Er liebte das Fräulein Grau so sehr, dass wir Schwestern unsere Mutter gequält haben, bis sie uns erlaubte, auch Unterricht bei ihr zu nehmen.Erika strahlte mich an: Kannst du dir das vorstellen, Dirk? Kleine Kinder, die unbedingt freiwillig lernen wollen? Was meine Mutter für ein Mensch war!
Rachel Grau Schächter, Erikas Mutter, ist wohl die erste Hebräischlehrerin Europas gewesen. Yentl. Geboren in dem galizischen Stetl Kuty, in der Nähe von Lemberg, wurde sie gegen alle Widerstände zum Hebräischstudium zugelassen. Zum Abschluss des Studiums führten die Studenten in der Toraschule ein Theaterstück auf. Erikas Großvater hatte von der ganzen Sache nichts wissen dürfen, weil es Mädchen ja verboten war, Hebräisch zu studieren. Das Stück hieß „Josef und seine Brüder“, und es begeisterte den Großvater.
Damals war es so, dass du, wenn du es dir leisten konntest, einen armen Schüler aufnahmst, der dann nicht arbeiten musste und sich stattdessen ganz dem Torastudium hingeben konnte, erklärte mir Erika. Nach dem Theaterstück ging mein Großvater zum Rabbi und sagte, den Bub, diesen Josef, den will ich in meinem Haus! Da sagte der Rabbi, aber siehst du denn nicht, wer dieser Bub Josef ist? Das ist deine Tochter, Rachel.
Er hat seine eigene Tochter nicht erkannt?
Nein, er hatte keine Ahnung. Verkleidet as a boy. Who would dream that there is a girl in the Chejder, when there never, never, never was any!
Dann war der Rabbi wohl sehr liberal.
Ja, wahrscheinlich. Ich weiß nicht genau, wie sie es geschafft hat, aber dieser Rabbi hat sie in die Klasse aufgenommen. Studieren musste sie zu Hause, in einem großen Kasten, den meine Großmutter versperrte, wenn der Großvater heimkam, damit er sie nicht beim Lernen erwischte. So ist sie die erste Hebräischlehrerin in Westeuropa geworden. Und, plötzlich war es klar, dann kam sie nicht mehr heraus. Wir haben noch versucht, auf Skiern über die Grenze nach Italien zu kommen, aber an dem Tag schlossen sie die Grenzen. Also blieb sie hier. Als U-Boot. Und dann, am 12. März 1945.
So knapp.
Ja, sie hat es fast geschafft. Heute denke ich mir, vielleicht wollte der Herrgott sie schneller haben.
Ja, vielleicht.
Man muss doch eine Antwort haben.
Ich sehe meine Mutter vor mir. An Jom Kippur. Die Synagogen waren schon geschlossen. Sie stand den ganzen Tag am Fenster und betete. You know, Yom Kippur, it’s a whole day of beten. Sie brauchte keine Synagoge. Gott ist überall.
Aber nicht immer, antwortete ich.
Doch, sagte sie. Weißt du, als meine Mutter mich in Wien in den Zug nach Holland gesetzt hat, ich war zwölf Jahre alt, da blieb sie in Wien und versteckte sich. Aber die Nazis haben sie gefunden. Sie haben meine Mutter geschnappt und nach Oppeln verschickt, das war ein Sammelplatz, von wo aus sie die Juden in die Konzentrationslager gebracht haben. Und stell dir vor. Meine Mutter steht dort und sieht einen Esel, der einen Heuwagen zieht. Meine mutige Mutter springt in den Wagen und versteckt sich im Heu. Um sie herum überall Soldaten mit Gewehren, und sie traut sich das! So konnte sie fliehen. Zurück nach Wien. In den Keller vom Philipphof. Meine Tante hat meiner Mutter nie verziehen, dass sie im Philipphof war, bei den anderen Juden. Ich habe sie nach dem Krieg nach Israel gebracht, dort ist sie gestorben. Ironischerweise. Sie ist in Israel begraben, meine Mutti in Wien. Dabei war sie die Zionistin. Und sie hätte nach Palästina fahren können, aber sie hat die Wiener Kinder Hebräisch gelehrt, und wenn sie fortgegangen wäre, wäre niemand mehr für die Kinder da gewesen. Es ist schön, wenn man Ideale hat, sage ich mir, für die Welt. Es wäre netter gewesen, wenn ich noch eine Mutti hätte, aber wenigstens war sie da für die Welt. Und die Juden haben eine Pflicht, eine offizielle Pflicht. Tikun Olam. Die Welt verbessern. Und dann kommt jemand, versucht die Welt zu verbessern, und sie ermorden ihn trotzdem. Interesting!
Interessant? Empfindest du nicht Hass?
Hass ist ein Gefühl, das man fühlen muss. Hab ich nicht. Ich hab nicht mal die Nazis gehasst. Ich hab Gemüse gehasst, aber keine Nazis. Für die hab ich nur Verachtung.
Du hast Gemüse mehr gehasst als Nazis? Das muss für Nazis schrecklich sein, wenn man Gemüse mehr hasst als sie.
Erika lachte und die kleine Frau mit der hohen Perücke auch.(Beifall.)
Zeitzeuginnengespräch
Danielle Spera: Wir versuchen es jetzt nochmal mit dem Mikrofon. Ich glaube, ihr habt gut gehört. Wenn es nicht klappt, dann probieren wir es ohne Mikrofon.
Frau Dr. Freeman und ich, wir kennen uns schon sehr lange. Daher erlaubt uns bitte, dass wir beim vertrauten Du bleiben, denn es kommt uns einfach leichter über die Lippen.
Frau Dr. Freeman, und vielleicht darf ich ein paar biographische Sätze über dich sagen - -
Erika Freeman: Schrei mich an! Ich kann gar nichts hören. Ich bin so nervös.
Danielle Spera: Ich schreie dich an. – Frau Dr. Freeman wurde am 1. Juli 1927 in Wien geboren. Sie ist hier aufgewachsen – wir werden gleich darüber sprechen –, dann hat dieser 12. März 1938 die gesamte Familiensituation verändert. Erika ist geflüchtet, alleine geflüchtet – auch darüber werden wir sprechen –, als sie zwölf Jahre alt war. Ihr Vater wurde verhaftet, deportiert. Ihr Vater war Arzt, ihre Mutter war Hebräischlehrerin. Das haben wir gerade im Text gehört. Ihr Vater hat nicht als Arzt praktiziert, sondern er hat sich im Untergrund der Sozialdemokratie angeschlossen und war als Politiker aktiv, wurde deshalb, und auch weil er Jude war, verhaftet, wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Es ist ihm – und da gibt es auch wieder so viele Wunder in deinem Leben – wie durch ein Wunder gelungen, zu flüchten und nach Schweden zu gelangen. Und so hat er überlebt.
Leider, tragischerwise, ist das der Mutter von Erika nicht gelungen. Erikas Mutter hat als U-Boot in Wien gelebt, als U-Boot, so wie eigentlich auch mein Papa, der leider nicht mehr unter uns ist. Das heißt, die Kinder, die Jugendlichen waren versteckt, oft bei fremden Leuten, oft bei Verwandten, die zum katholischen Glauben übergetreten waren. Und so hat die Mutter fast bis zum Kriegsende überlebt, bei einem der letzten Bombenangriffe der Alliierten hat sie sich auf dem heutigen Albertinaplatz versteckt. Dort stand ein großes Haus, das ist bombardiert worden, der sogenannte Philipphof. Erikas Mutter war unter diesen Hunderten Toten, die dort heute eigentlich noch immer ruhen. Der Albertinaplatz ist eigentlich wie ein großer Friedhof.
Erika ist nach Amerika zu Verwandten gekommen, die sie nicht sehr gemocht haben und nicht gut behandelt haben – wir werden auch darüber sprechen –, und es ist ihr gelungen, weil sie unglaublich fleißig und diszipliniert war, zu arbeiten, zu studieren. Sie wurde zu einer ganz wichtigen Psychoanalytikerin und hat in dieser Funktion auch viele Filmstars betreut, hat viele Menschen kennengelernt. Und sie ist eine der klügsten Frauen, die ich kenne.
Ich bin wirklich dankbar, dass ich mit dir befreundet sein darf. Da wir heute so viele Schülerinnen und Schüler hier haben, wollte ich dich gleich eingangs fragen: Wie war denn dein Aufwachsen hier in Wien vor dem 12. März 1938?
Erika Freeman: Kann ich ganz einfach reden? Was war die Frage?Weil eigentlich war ich ein blöder Mensch. Aber wenn man viele Menschen kennt, die nicht blöd sind, wird man auch ein bissel gescheit. Und wenn man glaubt, dass man blöd ist, ist man manchmal nicht so blöd, wie man glaubt. Und wenn man gescheit ist, ist man nicht immer so gescheit, wie man glaubt. Also mach dir nichts draus! Und mach dir nichts draus, was andere Menschen denken, denn heute ist man eifersüchtig, morgen ist man stolz, dass man dich kennt. Sei mit dir zufrieden, und wenn nicht, dann frage den lieben Herrgott: Was brauche ich noch und wie kann ich es schaffen?!
Und: Was ist überhaupt meine Pflicht hier? – Weil für Juden ist die Pflicht Tikkun olam: die Welt zu verbessern. Aber man hat ein bissel Angst, weil jedes Mal kommt der Jude und die Welt verändert sich: Moses, Jesus, Freud, Marx.
Angst brauchen wir aber nicht zu haben, denn Angst macht dich blöd. Und wir wissen, was im Gehirn vor sich geht, wenn du liebst. Lieben ist auch schwer. Wenn du verstehst, dann kannst du etwas schaffen. Und wenn du etwas schaffst, dann bist du glücklich. Bist du glücklich, wirst du intelligent, bist du intelligent, magst du Menschen. Also hast du schon die Welt verbessert, weil du dich selbst verbessert hast. That’s not selfish. Blöd ist selfish. Ja, ich will das nicht wissen. Ich will nicht wissen, aber was ist das? Ein bissel neugierig kann nicht schaden. Manchmal weißt du etwas, das jemand anderer nicht weiß und dir nicht glaubt. Mach dir nichts draus! Du hast recht, aber lass’, die Zeit ist noch nicht reif. Aber du weißt es, oder wirst es schon wissen, wenn es passiert. Und dann wird man dir dankbar sein. Aber mach dir nichts draus, wenn dir jemand etwas Schlechtes sagt! Die kennen dich ja nicht. Und weil du jung bist, zweifelst du noch ein bissel. Aber du bist eine Blume, du wirst eine Blume. Jetzt bist du eine Knospe, morgen wirst du eine Blume sein; ob eine Rose oder Tulpe – egal. Also mach dir nichts draus, was die anderen Menschen sagen. Wenn du etwas von Herzen weißt, dann gehört es dir und du hast recht. Und wenn nicht heute, dann morgen.
Danielle Spera: Vielleicht erzählst du uns ein bisschen über deine Kindheit, über deine Familie hier in Wien, bevor die Nationalsozialisten gekommen sind. Ihr habt ja hier in Wien gewohnt.
Erika Freeman: Ja.
Danielle Spera: Du bist hier in die Schule gegangen. Es war ein geregeltes, behütetes Leben, als du aufgewachsen bist. Deine Eltern haben für dich gesorgt. Erzähle ein bisschen davon!
Erika Freeman: Ich war zuerst in der Schule in der Feuerbachstraße und dann war ich im Novara-Gymnasium. Nach dem Anschluss haben sie die jüdischen Kinder aus dem Gymnasium hinausgeschmissen. Die wollten nicht zugeben, wie schlecht es wirklich werden wird. Sie haben noch ein jüdisches Gymnasium behalten, das hat Chajes-Gymnasium geheißen, und die Vorzugsschüler sind dorthin. Und ich durfte auch dorthin. Ich war aber in einem Mädchengymnasium und wir waren nicht mit Buben bekannt und in derselben Klasse, denn wir dachten immer, die Buben sind eigentlich wirklich blöd. Wir waren die Gescheiten und die sind dagesessen und - - Okay, egal.
Das Wichtige war: Wir haben herrliche Lehrer gehabt, denn alle Lehrer waren die jüdischen Professoren, die man aus der Universität hinausgeschmissen hat. Die waren jetzt im Chajes-Gymnasium. StelI dir vor: Da sitzt der principal - - (Danielle Spera: Der Direktor!) – Der Direktor der Schule war der assistant von Einstein. Ich meine, das waren unsere Professoren, und wir haben es nicht gewusst. Bleib’ mit den Großen! Die sind sehr bescheiden, die wollen dir etwas schenken. Wenn sich jemand wichtigmacht, ist er nicht wichtig. Du bist wichtig. Mach dich richtig, dann bist du wirklich wichtig! Dann kannst du jemandem anderen helfen, dann bist du ansteckend; und man kann auch gut anstecken.
Danielle Spera: Erika, nach dem Anschluss haben dich andere Kinder sogar einmal verprügelt. Ich kenne diese Geschichte auch von meinem Vater. Mein Vater hat mir erzählt, dass in diesen Tagen nach dem sogenannten Anschluss der Lehrer gesagt hat – es war noch ein anderer jüdischer Bub in seiner Klasse –, sie müssen sich in eine spezielle Bank setzen und die anderen Kinder können mit ihnen machen, was sie wollen.
Erika Freeman: Ja. Und wir dürfen nicht - - Ich war im Chorus. Wie sagt man? (Danielle Spera: Im Chor!) – Im Chor. Ich war soprano. Weil ich aber jüdisch war, musste ich alto, in der zweiten Reihe, singen. Es ist interessant, wie klein dich der Hass machen kann: Sogar ein soprano muss alto singen, wenn sie jüdisch ist. Stell dir vor! Hass macht dich wirklich blöd. Also, ich brauche keinen Hass. Du brauchst nicht zu lieben, denn das macht dich auch verrückt, aber ein bissel nett sein, kann nicht schaden.
Danielle Spera: Du hast mir erzählt, dass dich einmal eine Gruppe von anderen Jugendlichen verprügelt hat, weil du Jüdin warst, aber du wolltest das deiner Mama nicht sagen.
Erika Freeman: Nein, ich wollte es niemandem - - Die haben immer - - Damals waren im Chajes-Gymnasium nur jüdische Schüler. Und da waren die Hitlerjugend und der BDM, das ist der Bund Deutscher Mädel. Yimach shemam! Die haben auf uns gewartet und haben uns verprügelt. Damals gab es noch kein Kleenex. Meine Nase hat geblutet und ich wollte nicht, dass meine Mutti das Blut auf dem Taschentuch sieht. Ich bin im Tor gestanden und habe gewartet. Ihr sollt das nicht wissen, aber man kann das so verhindern, dass das - - Und dann hört es auf und da hat meine Mutti, soviel ich weiß, wie ich glaube, ich hoffe, nicht davon gewusst. Aber: Wer weiß?
Danielle Spera: Du wolltest , dass sich deine Mutter keine Sorgen macht?
Erika Freeman: Nein, keine Sorgen, denn sie hat genug zu tun gehabt. Und dann hat man sie nach Moosbrunn – das war so eine Farm, wo die Kinder gelernt haben, auf einem Kibbuz zu leben, bis man sie nach Palästina, wie es damals geheißen hat, geschickt hat – geschickt, und dann musste meine Mutti dort wohnen bei den Kindern, damit sie lernen können. Und ich war im Gymnasium, und am Abend habe ich bei der Brigitte-Landberg-Familie [phonetisch] geschlafen und während des Tages war ich mit der Familie Kniesbacher. Dann konnte ich in Wien bleiben und musste meiner Mutti nicht Sorgen machen oder, ich weiß nicht, unangenehm oder unbequem sein. Das war immer sehr wichtig, dass meine Mutti sich keine Sorgen machen soll, denn sie hat enough on her plate, sie hat genug auf ihrem Teller gehabt, glaube ich, und da lernt man, ein bisserl verantwortlich zu werden für andere Menschen.
Denn mit dem Hass kann man nur blöd werden, wirklich: Man kann dann nur hassen, man wird kleiner und kleiner. Und das Gehirn wächst, wenn du etwas gern hast und wenn du etwas gerne tust. Dann wird das Gehirn stärker, wirst du mehr gescheit und wirst mehr ein Mensch – und ein Mensch zu sein ist sehr wichtig. Aber Schiller hat geschrieben: Gerade unter Menschen kann man es verlernen, ein Mensch zu sein. – Maria Stuart.
Aber glaub das nicht! Geh mit den Menschen, die dir gefallen! Und wenn dir etwas guttut, dann kannst du es schenken. Und das ist alles ansteckend, das Gute und das Schlechte. Sei das Gute! Es macht dich gesund!
Danielle Spera: Deine Mutter hat dann die Entscheidung getroffen, dass du nach Amerika gehen sollst.
Erika Freeman: Das war eigentlich meine Entscheidung. Ich war einmal die persönliche Beraterin von Golda Meir, die war da Prime Minister.
Danielle Spera: Israelische Ministerpräsidentin.
Erika Freeman: Yes. Und ich habe ja gesagt, ich hatte die Wahl, nach Palästina zu fahren, wo meine ganze Familie schon in Kibbuzim war, oder nach Amerika zu fahren, und da sagt meine Mutti: Du fährst nach Palästina! Das ist der Traum, die Familie - - – Ich sage: Nein, ich fahre nach Amerika. – Sagt sie: Warum? – Sage ich: Schau, das Zertifikat hat keinen Namen, das kann jedes Kind oder jeder Mensch benützen. Das Zertifikat hat nur meinen Namen. Also wenn ich nach Amerika fahre, kannst du ein anderes Kind retten! – Ich würde gerne wissen, wer das war.
Danielle Spera: Erika war in der glücklichen Situation, Verwandte in Israel zu haben – also im heutigen Israel, damals Palästina – und auch Verwandte in den USA. Für viele Wiener Jüdinnen und Juden, die keine Verwandten hatten, hat das den sicheren Tod bedeutet, denn sie konnten nicht ausreisen. Es gab bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges die Möglichkeit, Kindertransporte zu benützen. Das heißt, dass Kinder mit Kindertransporten nach Großbritannien kommen konnten. Das war für viele Kinder aus Wien eine Rettung. Bei dir war es aber so, dass du durch die Verwandten die Möglichkeit hattest, entweder nach Israel zu gehen, wo ein anonymes Zertifikat offenbar nötig war, oder in die USA, wo deine Verwandten sozusagen auch schon als Bürgen gewartet haben, und du hast dann eben die Entscheidung getroffen: Amerika, weil - -
Erika Freeman: Ja, denn wenn ich nach Palästina gefahren wäre, hätte niemand anderer das Affidavit - - Das wäre schade gewesen. Also ist ein Kind nach Palästina gefahren, ich nach Amerika, und die sogenannten Verwandten - - Sie haben mich nicht einmal gekannt. Wie kann man dich so hassen, wenn man dich nicht einmal kennt? Ich habe es noch nicht verdient. Hass muss man sich leider nicht verdienen.
Danielle Spera: Aber gehen wir vielleicht noch einmal zurück: Du bist von, glaube ich, deiner Tante zum Bahnhof gebracht worden. Du warst zwölf Jahre.
Erika Freeman: Nein, meine Mutti hat mich zum Bahnhof gebracht.
Danielle Spera: Deine Mutti hat dich zum Bahnhof gebracht. Erzähle: Wie war das? Das kann man sich ja heute gar nicht vorstellen. Wir haben heute so viele Schülerinnen und Schüler hier. Du warst zwölf Jahre alt, du bist zum Bahnhof gefahren und hast gewusst, das ist jetzt ein Auf-Wiedersehen, und du warst ganz alleine.
Erika Freeman: Aber mir wäre lieber, wenn ihr das nicht versteht. Es gibt ein paar Sachen, die man nicht zu wissen braucht, und ich würde es euch lieber nicht beibringen, denn ihr braucht das noch nicht zu wissen. Wenn es nicht notwendig ist, braucht man den Schmerz nicht zu lernen. Glaub an das Gute, schaffe das Gute, und wenn dir jemand nicht glaubt: Du hast doch recht! Und wenn es gut ist, wird es gut bleiben. Und wenn man das nicht weiß, tun sie dir leid.
Danielle Spera: Erika ist dann alleine mit dem Zug gefahren. Ihre Mutti hat ihr vorher noch eine Mutter mit einem Kind vorgestellt und hat sie gebeten, dass sie ein bisschen auf Erika schauen. Sie war dann alleine im Zug, ist mit diesem Zug nach Holland und in Holland dann auf ein Schiff nach Amerika, und da hast du mir auch - -
Erika Freeman: Habe ich schon erzählt: Ich war das einzige Kind. Da war eine Mutter mit ihrer Tochter, aber die war schon, ich dachte, alt, 20 Jahre. Ich war zwölf. 20 schien damals sehr alt zu sein – stell dir vor! – Okay, ihr könnt euch das noch nicht vorstellen, noch nicht. Okay. Und wenn man dich nicht mag, dann weiß das Kind das sehr schnell, und man braucht das nicht zu zeigen. Das ist genug, du weißt: Oh, oh, lieber nicht! – Aber mir war das egal, denn man hat die Juden gehasst, und das war dann noch ein Hass dazu. Also du hast schon einen Korb voll mit Sachen, und noch einen Hass. Mach dir nichts draus! Der liebe Herrgott liebt dich, aber man muss mit ihm Geduld haben, denn er hat die ganze Welt. Wir meinen, die Erde ist die ganze Welt, aber es gibt andere Welten auch noch, also ist er sehr beschäftigt. Du kannst an ihn glauben, aber habe ein bisschen Geduld! Bete für etwas, aber du musst wissen: Es dauert eine Woche, ein Jahr – und du kannst es schaffen. Und wehe, man sagt, du kannst es nicht schaffen. Wie kann er wissen, was da in dir ist?
Und da ist sehr viel! Okay, du schaffst Blumen, er schafft Bäume und der schafft ein Haus. Und lass niemanden dir Nein sagen, und verliere keine Zeit, ihn zu überreden! Tu, was du tust! Tu das, von dem du weißt, dass es richtig ist, dann hast du wenigstens die Genugtuung, dass du das Richtige getan hast. Und dass er noch jemand anderem hilft, ist noch besser – das heißt eine Mizwe –, und das macht dich gesund. Wenn du etwas Gutes tust, macht es dich gesund.
Eric Kandel hat den Nobelpreis gekriegt, weil er erforscht hat, was in deinem Gehirn passiert, wenn du glücklich bist. Wenn du glücklich bist, wirst du mehr gescheit und mehr gesund. Es zahlt sich aus, dich glücklich zu machen – und dann bist du ansteckend und dann machst du andere glücklich. Da hast du schon - - Wie nennt man das? Bei uns heißt das eine Mizwe. Wie heißt das auf Deutsch, wenn du etwas Gutes tust?
Danielle Spera: Eine Mizwe, eine gute Tat.
Erika Freeman: Eine gute Tat, die dem lieben Herrgott gefällt. Aber er meldet sich nicht sofort. Er hat sich ja schon bei uns gemeldet. Wir haben zwei Beine, zwei Hände, einen Kopf, ein Herz. Mehr braucht man nicht – drei Hände nicht, zwei Herzen auch nicht. Du hast, was du brauchst, und jetzt kannst du es schaffen, aber du musst helfen, damit es wächst: studieren, hilfreich sein, tanzen, wenn du kannst, singen, wenn du kannst, schreiben, wenn du kannst. Mit Liebe ist es ein bisschen schwer. Man kann nicht jeden lieben, leider. Es gibt ein paar Menschen, die - - Aber nett kann man sein, höflich ist auch nicht schlecht.
Danielle Spera: Du hast auch viel erzählt über Wunder und über Glück. Es war vielleicht auch ein Glück, dass du blond warst und blonde Zöpfe hast.
Erika Freeman: Das war für mich sehr wichtig, denn ich habe ausgeschaut wie eine - - Bei uns heißt das Schickse, das heißt ein nicht jüdisches Mädchen. Ich habe blonde Zöpfe gehabt. Und einmal ist die SS gekommen – da war ich mit meiner Mutti –, zwei SS-Offiziere – schwarze Uniform, SA war braun, davon sollt ihr nichts wissen –, und der eine hebt mich auf und sagt: So soll ein deutsches Kind ausschauen! – Ich habe nichts gesagt, okay, aber es hat geholfen, denn alles, was du kannst, macht dich nützlich auf der Welt. Und wenn dir jemand sagt: Nein, das kannst du nicht!, was liegt dir daran? Der weiß ja nicht, was du kannst, und er weiß nicht, was in dir liegt und was in dir wachsen kann und was dir eine Freude machen kann – und Freude macht dich glücklich, glücklich macht dich gescheit. Schau, wie es geht! Und wenn jemand zu blöd ist, nett zu sein, lass ihn laufen! Das ist schon seine Strafe, dass er nicht nett ist.
Danielle Spera: Das Nützlichmachen zieht sich eigentlich durch dein ganzes Leben. Und du hast mir erzählt, dadurch, dass du eben blond warst und Zöpfe hattest, hast du dich sozusagen nützlich gemacht, indem dich jüdische Bekannte, wenn sie zu den Behörden gegangen sind, um eine Ausreisemöglichkeit zu erreichen, mitgenommen haben, damit sie auf der Straße nicht verhaftet werden – weil du blonde Zöpfe hattest.
Erika Freeman: Da war ich nützlich. Sie sind zur Klasse gekommen, haben mich abgeholt. Die anderen Kinder waren nicht sehr glücklich, weil ich von der Straße wegkonnte, von der Schule, aber ich war nützlich. Man kann alles benützen, das der Welt helfen kann, auch wenn du es nicht weißt. Aber wenn du nützlich sein kannst, auch wenn es den anderen Kindern nicht gefällt: Warum darf sie weg? Sie schaut aus wie eine Schickse, sie schaut nicht jüdisch aus! – Und darum war das nützlich: dass ich Menschen geholfen habe, von dem Land wegzulaufen, die das ohne mich nicht geschafft hätten. Damals habe ich es nicht so gut verstanden, aber jetzt bin ich sehr dankbar.
Danielle Spera: Und du hast damit auch vielen Menschen geholfen.
Erika Freeman: Yes. (Danielle Spera: Sonst wären sie vielleicht - -!) Aber das hat mir Freude gemacht. Aber ich habe nicht gewusst, dass es so wichtig war. Mach dich nicht wichtig, mach dich richtig! Dann geht schon alles gut und dann wird der Kopf mehr gescheit. Das ist eine Belohnung, wenn du etwas Gutes tust.
Der (nach rechts weisend) schläft. Tut mir leid, dass ich ihn langweile. Schau!
Danielle Spera: Ich glaube, wir haben jetzt eine zweite Lesung.
Erika Freeman: Okay, aber er muss müde sein. Das heißt, ich soll entweder mehr gescheit, mehr interessant oder lauter reden.
*****
Maria Köstlinger: Wie sind deine Gefühle für Wien? (Erika Freeman: Schöne Stadt!)
Weißt du, ich habe keine. Ich habe nichts gegen Wien, ich habe aber auch keine Gefühle für Wien. Für mich war das Wichtigste, dass sich meine Mutti nicht schämen muss für mich. Und sich keine Sorgen macht. Mein Vater war Sozialdemokrat, Arzt und Außenminister im tschechischen Schattenkabinett und schon früh im KZ. Und meine Mutter hatte immer Sitzungen mit den Zionisten. Ich blieb bei meinen Tanten und meiner Großmutter, bis sie starb. Eines Abends musste meine Mutter zu einem Meeting und ich habe geweint. Und meine Tanten waren wütend auf meine Mutter. Ich habe den Streit gehört und beschlossen, das kommt nicht mehr vor. Also habe ich nie mehr geweint.
Dann sind wir umgezogen zu sechs fremden Menschen in eine kleine Wohnung und ich erinnere mich, dass jemand meine Mutter fragte, ob es nicht ein Problem sei, dass sie so oft zu diesen Treffen ging und ihr kleines Kind allein zu Hause blieb, und sie sagte, überhaupt nicht, meine Tochter ist kein Problem. Sie liest ihre Bücher und schläft ein, gar kein Problem. She gives me no Ärger. Ich denke, ich habe das für sie gemacht. Stell dir vor, ich wäre ein Kvetch gewesen und ich hätte ihr das Leben schwer gemacht, schwerer, als es eh schon war!
Kvetch
Eine Jammerin, eine, die sich ständig beklagt. Das wollte ich nicht sein. (Beifall.)
*****
Danielle Spera: Ja, ich glaube, du hast uns ja vorhin auch schon sehr viel mitgegeben: dass du keine Jammerin bist und was du Menschen auf den Weg mitgibst. Du hast deine Mama dann auch schon stolz gemacht als Kind, da du nicht gejammert hast, da du wirklich diesen Weg gegangen bist. Du bist dann nach Amerika, alleine auf dem Schiff, du bist zu den Verwandten, die dich nicht gern gehabt haben, und diese Verwandten haben dich in ein Waisenhaus gegeben. Und das war eine harte Schule für dich, weil du versuchst hast, auch zu erzählen, was du in Wien erlebt hast, dass in Wien die Juden verfolgt werden. Und man hat dir nicht geglaubt.
Erika Freeman: Man hat mich zu einem Psychiater geschickt. Und es ist niemandem eingefallen, dass ein zwölfjähriges Kind sich solche Sachen ausdenken kann. Man muss doch ein Genie sein, sich so etwas Fürchterliches, Schlechtes auszudenken. Aber das macht mich zu einem guten Therapeuten, weil ich alles glaube, und wenn nicht jetzt, dann morgen. Aber: Du hast recht, was du spürst, was dir daran liegt, ist wichtig und wahr. Und wenn es jemand anderes nicht versteht: You are creative! Du hast mehr, also können sie dir ein bisschen leidtun. Du verstehst mich nebbich nicht. Okay, es wird schon gehen. Ich gehe meinen Weg. Ich habe ein Schicksal, und mein Schicksal ist, die Welt zu verbessern. Wenn du mir helfen willst, damit es leichter wird, schön, aber wenn nicht: Ich tue es trotzdem. Und du tust es trotzdem. Du bist da, du hast einen Zweck. Und lass dir nichts gefallen! Wenn dir jemand Nein sagt: Okay, dann habe ich keine Zeit.
Zum Beispiel: Damals war das einzige independent Land, das offiziell rassistisch genannt wurde – offiziell –, Israel. Israel war offiziell rassistisch. Wir sind an allem schuldig. Sogar dass wir uns retten wollen, ist auch nicht - - Da habe ich gesagt: Das darf aber nicht sein, weil das Konsequenzen hat, psychologisch, ökonomisch! Da habe ich gesagt: Okay. So I made the international committee of women for human rights, für menschliche Rechte. Dann bin ich zu jeder wichtigen Frau, das heißt jeder berühmten Frau, gekommen und habe gesagt: Schau, das muss weg, das darf nicht offiziell sein, dass Zionismus rassistisch ist! Es ist für Juden, es ist kein - - – Und da haben viele Nein gesagt.
Da habe ich gesagt: Schau, ich habe keine Zeit, dich zu überreden! Ich brauche ein Ja! Wenn du kein Ja hast, dann komme ich später! – Und alle, die Ja gesagt haben, waren die Großen. Gehe zu den Großen! Verlier keine Zeit mit den Kleinen! Die machen sich zu klein und die wollen groß werden. Die Großen sind großzügig, die verstehen dich und die wissen, dass nichts unmöglich ist. Es gibt es noch nicht, aber es gibt kein Unmöglich. Ja, und 19- - sagt man: Das gibt es ja nicht! – Aber doch, und wenn nicht jetzt, später. Aber du wirst es schaffen oder du wirst helfen, es schaffen zu können. So lass dich - - Don’t let anybody discourage you. Wie sagt man das? (Danielle Spera: Nicht einschüchtern!) Lass dich nicht überreden, dass du etwas nicht kannst. Das heißt nur, du verstehst nicht, was ich meine. Du hast auch recht, aber ich habe bei etwas anderem recht. Also bleib bei deinem Recht, und wenn ich geschafft habe, was ich muss, komme ich zurück, aber inzwischen brauche ich Alliierte. (Danielle Spera: Verbündete!) – Yes. Und wenn es unmöglich ist: Freut es dich? Komm mit mir! Schaffen wir das Unmögliche, und morgen ist es selbstverständlich.
Danielle Spera: Es gab eben Bestrebungen, dass Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt werden sollte. Da hast du dich dafür eingesetzt, dass das sozusagen nicht kommt, diese Formel. Und heute nach dem 7. Oktober stehen wir wieder vor einem unglaublichen Antisemitismus. Israel ist - - (Erika Freeman: Noch einmal!) Israel ist – noch einmal – in der Kritik. Und viele Menschen wissen überhaupt nicht, wie Israel entstanden ist, was das Bedürfnis war, dass es einen einzigen, wirklich winzigen jüdischen Staat auf der Welt gibt, der keine Bodenschätze hat. Es gibt so viele katholisch geprägte Staaten, es gibt so viele muslimisch geprägte Staaten, und es gibt einen einzigen, winzigen jüdischen Staat.
Erika Freeman: Und sechs Millionen sind dafür gestorben. Und trotzdem hasst man uns. Das ist sehr interessant. Warum hasst du mich? Du kennst mich ja, ich bin vielleicht ein schlechter, unangenehmer Kerl, okay. Aber nur weil ich jüdisch bin: Ist das genug, mich zu hassen?
Weißt du, ich war einmal die persönliche Beraterin von Kardinal König, und damals habe ich Wien noch nicht gemocht. Und da habe ich bei der brasilianischen Botschaft gewohnt. Kardinal König hat einen offiziellen Berater gehabt und ich war sein persönlicher Berater, und einmal die Woche ist er zum dinner, supper gekommen und wir haben geredet. Und einmal sagt er zum Botschafter: Ich kriege mehr von der Frau in einer Stunde als von meinem offiziellen Berater in einer Woche! Da wurde ich übermütig und sagte zu ihm: Eminenz, wenn wir Juden euch versprechen würden, nie mehr wieder einen anderen Jesu Christi auf die Welt zu bringen, könnt ihr uns endlich für den ersten verzeihen? – Und der Botschafter ist ein bisschen grün geworden – stell dir vor! –, und der Kardinal sagt: Eine gefährliche Frau!
Wir sind alle gefährlich, weil wir die Zukunft schaffen können. Manche Menschen sind sehr bequem mit dem, was jetzt ist, und dann kämpfen sie. Anstatt dir zu helfen, eine neue Zukunft zu bauen, machen sie einen Krieg gegen das Neue. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn man den Edison nicht das Licht hätte machen lassen. Lass es, es kann dir nicht schaden! Und wenn du jemandem hilfst, ist das gut für dein Gehirn, für deine Gesundheit, es macht dich glücklich – zufrieden ist auch genug, glücklich weiß man nicht immer. Das ist genauso wie verliebt und lieben: Lieben ist bequem, verliebt ist meschugge. Man weiß ja nicht einmal, was: hmmm!
Mach es dir leicht, hilfreich – da hast du etwas geschafft. Das ist gut genug.
Danielle Spera: Wie hast du es geschafft? Du hast ja dann erfahren, dass deine Mutti gestorben ist, wirklich in den letzten Kriegsereignissen in Wien. Dein Papa hat durch ein Wunder überlebt, du hast ihn dann in New York auch wiedergetroffen, auch wieder ein Wunder. Es waren aber trotzdem in deinem, in eurem Leben doch viele Schicksalsschläge. Wie hast du diese positive Energie geschafft?
Erika Freeman: Der liebe Herrgott ist ein netter Kerl, wenn man Geduld mit ihm hat. Wunder passieren die ganze Zeit. Dass wir so sind, wie wir sind, ist schon ein Wunder, aber für uns ist es das nicht, weil: We take it for granted, wie kann es anders sein? Gott behüte – es kann viel anders sein. Was du jetzt bist, ist schon ein Wunder. Mach das Beste daraus! Hassen macht dich blöd und krank. Lieben kann man nicht jeden, weil es Menschen gibt, die man nicht lieben kann, tut mir leid, aber Respekt, nett sein, helfen können: Es ist doch nur ein Mensch. Es gibt aber keine Übermenschen. Pass auf: Wenn man jemanden vergöttert, müssen viele andere Menschen sterben. Dass man Hitler vergöttert hat, hat Israel sechs Millionen gekostet – das und die Leute, die dort hingefahren sind. Ich habe es schon gesagt – als ich Golda erzählt habe, dass ich damals nach Palästina hätte fahren können, hat sie gesagt: Ich freue mich, dass du nicht gekommen ist, ich brauche die Konkurrenz nicht! – Das war ein großes Kompliment.
Aber darf ich dir etwas erzählen: Ich war einmal ihre persönliche Beraterin – das darf ich schon, das ist schon so lang her, das ist schon Geschichte –, da ruft um Mitternacht ihre PA an: Golda packt und macht sich Sorgen, willst du mit ihr reden? – Golda macht sich Sorgen, natürlich will ich mit ihr reden. Dann sage ich: Schau, ich mache mir über Sorgen über Nixon, er ist ein bekannter Antisemit, und ich muss dort hingehen und jeder sagt mir, du kannst nichts erwarten, aber du musst gehen, er ist der President of the United States. Du sagst, du kriegst, was du willst – das musste ich sagen, denn im Allgemeinen hat sie es nicht gesagt, nur geglaubt. Ich sage aber: Schau, als Nixon Präsident sein wollte, hat er die Wahl verloren. Dann wollte er Governor of California werden und hat die Wahl verloren. Natürlich hat er eine Weltreise gemacht, und jeder hat ihn behandelt, als ob er ganz fertig wäre; nur Israel und Pakistan waren nett zu ihm, und das hat er niemals vergessen. Und trotzdem: Das State Department ist auch anti-Israel, aber er selbst, innerlich, für sich selbst, hat das niemals vergessen. Seine Frau und seine Töchter sind noch zwei Wochen länger im Kibbuz geblieben.
Wenn du ein Berater wirst, musst du dich auch an diese kleinen Dinge erinnern, denn alles, was wir erleben, sind ja kleine Dinge, die ganz einfach nicht wegwollen. Sie ist gekommen, hat alles gekriegt und hat gesagt: Da hast du recht gehabt! – Gott sei Dank.
Zwei Wochen später sind die Flugzeuge nicht angekommen. Was ist passiert?
Danielle Spera: Sie hat um Flugzeuge gebeten, richtig?
Erika Freeman: Ja, und da ruft sie mich an und sagt: Nixon hat Ja gesagt, aber die Flugzeuge sind nicht angekommen. Hat er mich angelogen? – Dann sage ich: Nein, er hat nicht gelogen, aber der Präsident nimmt doch nicht das Telefon und sagt: schick Flugzeuge! Er hat a Secretary of State, einen Außenminister, der heißt Kissinger, und das ist ein deutscher Jude, der beweisen will, dass er seinem neuen Land treu ist. Natürlich, wenn es an Israel geht, dann ist das nicht so schnell, weil er beweisen will, dass ihm nichts daran liegt – weniger daran liegt. Also ruf Nixon an!
Dann hat sie ihn angerufen und gesagt: Okay, wenn du das sagst! – Man hört zu, das ist das Beste, wenn man zuhört. Dann ruft sie zwei Tage später an und sagt: Die Flugzeuge fliegen schon. – Schön.
Danielle Spera: Da hast du wirklich etwas Großes geleistet – eines der vielen Dinge, die du geleistet hast.
In Amerika hast du gelebt, du hast hier deine Kindheit verbracht und lebst jetzt wieder hier. Wo siehst du denn den Unterschied zwischen Amerika und Österreich? Wir haben einmal darüber gesprochen, wie man in Amerika mit Erfolg umgeht, wie man in Österreich mit Erfolg umgeht.
Erika Freeman: In Österreich – vielleicht ist das jetzt ein bisschen anders – ist man ein bisschen neidisch. Wenn du in Amerika etwas Gutes schaffst, dann celebrate, aber hier leider nicht – das hat sich vielleicht schon geändert, aber noch nicht genug. Wenn etwas Gutes passiert, dann freu dich! Es macht dich glücklich, es macht dich gescheit, es ist hilfreich, es verbessert irgendwie die Welt. Du kommst in einen Saal und du fühlst, da bin ich sicher. Dass ich hier sicher sitze, ist wirklich das Wunder der Welt. Ich bin schon fast 100 Jahre alt – 98 ist fast 100, doch, ein bisschen.
Danielle Spera: Vielen, vielen Dank – ich glaube, jetzt seid ihr an der Reihe, eure Fragen zu stellen. (Beifall.)
Erika Freeman: Und jetzt hört sie endlich auf zu reden.
Danielle Spera: Nein, nein, jetzt kommen die Fragen.
Erika Freeman: Okay.
Q&A-Session
Danielle Spera: Ich weiß nicht, wer beginnen möchte. Ich glaube, es geht doch noch ein bisschen um deine Jugend und deine Kindheit in Wien. Vielleicht haben wir auch schon viel davon besprochen, also ihr müsst euch nicht an euer Skript halten. Ihr müsst euch nicht an das halten, was ihr eingeschickt habt, vielleicht gibt es auch etwas Zusätzliches, das ihr Erika Freeman fragen wollt.
Tatjana Stevanovic (Schülerin): Mein Name ist - - (Erika Freeman: Schrei mich an!) – Okay. Mein Name ist Tatjana Stevanovic. Ich bin die Schulsprecherin der Berufsschule für Verwaltungsberufe. Meine Frage wäre, wie sich Ihre schulische Situation nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich geändert hat. Sie erwähnen, dass Sie Hass ablehnen und dass Sie sich Sorgen gemacht haben, wie Ihre Mutter alles aufnimmt, aber wie ging es Ihnen emotional, wie sind Sie durch den Tag gegangen?
Danielle Spera: Wie ist es dir in der Schule emotional ergangen, als du plötzlich die Schule verlassen musstest? Wie hast du dich da gefühlt?
Erika Freeman: Man hat uns sowieso gehasst, und dann hat man alle jüdischen Kinder aus dem Gymnasium rausgeschmissen, aber da war ein Gymnasium, das Chajes, in das man die Vorzugsschüler hineingelassen hat. Das war sehr nett, aber die Hitlerjugend und der BDM haben auf uns gewartet und uns verprügelt, weil wir die Vorzugsschüler waren. Das habe ich schon erzählt: Da mussten wir laufen und aufpassen, dass die Mutti nicht sieht, dass die Nase geblutet hat, damit sie sich keine Sorgen macht.
Der Hass ist etwas, das dich krank macht. Wir wissen jetzt, dass, wenn du - - Vergiss Liebe, das macht dich auch meschugge. Verliebtsein ist nicht einmal Liebe, das ist etwas Nettes, schön, hilfreich, freundlich, es macht dich gesund, macht dich gescheit, macht dich menschlich. Es ist nicht so leicht, ein Mensch zu sein, denn Schiller hat recht: Gerade unter Menschen kann man verlernen, ein Mensch zu sein – aber nicht ihr, weil ihr ja da seid und mir zuhört. Es ist noch niemand aufgestanden und gesagt: Oh weh, langweilig! – noch nicht. Das sind gut erzogene Kinder, auch wenn es wahr wäre, würde es niemand zugeben – danke vielmals.
Danielle Spera: Bitte – aber vielleicht etwas, das wir noch nicht besprochen haben. Bitte, wir werden sicher noch etwas Neues hören.
Andrzej Nurzynski (Schüler): Mein Name ist Andrzej Nurzynski. Ich bin aus der Berufsschule für Verwaltungsberufe und meine Frage lautet: Haben Sie nach dem Einmarsch Hitlers gewusst, was auf sie zukommen wird?
Danielle Spera: Als die Nazis gekommen sind und am 12. März der sogenannte Anschluss war, wusstet ihr da schon, was auf euch zukommen wird?
Erika Freeman: Yes, man hat uns erzählt, was in Deutschland passiert ist. Ich kann mich erinnern, meine Mutti hat gesagt: Die armen Juden in Deutschland! – Ich habe es niemals vergessen: Als sie in Österreich einmarschiert sind, war so ein Jubel. Jedes Haus hat am nächsten Tag eine Nazifahne gehabt – stell dir vor! Meine Lehrer: Wenn du ein geheimes Nazimitglied warst, hast du ein special pin gehabt, so ein rotes, rundes, mit einem roten Rahmen, innen weiß und ein Hakenkreuz. Alle meine Lehrer in der Schule haben das getragen. Das war die Feuerbach-Schule, glaube ich. Jeder von meinen Lehrern hatte eine illegale Nazimitgliedschaft gehabt – stell dir das vor! –, und man hat uns so behandelt.Und wir durften in kein Gym – wie sagt man: Gymnasium? (Danielle Spera: Kein Turnen!) – Kein Turnen, das war nicht erlaubt. Alles, was gesund war, war uns nicht erlaubt. Und ich habe das schon gesagt, ich musste alto singen, trotzdem ich soprano war, weil ich eine Jüdin war. Aber wenigstens hat man mich singen lassen, so ist man noch nicht gestorben. Für jedes kleine Ding war man dankbar, das einem nicht weggenommen wurde. Man kann sich nicht einmal vorstellen, wie viel herrliche Sachen es gibt, von denen wir so einfach glauben, sie gehören uns, und wir denken nicht einmal darüber nach. Man weiß nicht einmal, dass man es hat. Du denkst ja nicht: Ich habe zwei Hände! Du hast sie ganz einfach. Und dann, wenn man es dir wegnimmt, dann verstehst du plötzlich, was du wirklich hast, und was du wirklich schätzen darfst und sollst und kannst.
Dass Österreich sich wieder so gewandelt hat, ist für mich ein kleines Wunder, eigentlich ein großes Wunder. Und dass ich da bin, dass ihr zuhört, das kann ich erst morgen glauben. Es ist schön!
Danielle Spera: Bitte.
Victoria Herman (Schülerin): Mein Name ist Victoria. Ich habe eine Frage an Sie, weil Sie so viel thematisiert haben bezüglich Liebe und verrückt werden. Wie war das damals bei Ihnen bezüglich des Kinderwunsches? Weil Sie ja sehr viel erlebt haben: Hatten Sie trotzdem das Bedürfnis, selbst Kinder in die Welt zu setzen, und wenn ja, warum?
Danielle Spera: Nach all dem, was du erlebt hast: Hättest du den Wunsch gehabt, ein Kind zu bekommen?
Erika Freeman: Ich habe niemals daran gedacht. Und mein Mann wollte keine Kinder haben. Damals habe ich gedacht – das war mein erster Gedanke –: Okay, keine Geisel! Das war aber blöd, denn ich hätte nach Israel fahren können und da wären sie keine Geiseln. Aber damals dachte ich noch an das, an das ich mich erinnert habe von Wien. Später habe ich gedacht: Na, ich habe nicht recht gehabt.
Und es ist mir nicht eingefallen: Man kann doch ein Kind haben, auch wenn er nichts davon weiß! Aber ich war blöd. Jetzt kann ich es schon sagen, weil ich schon fast 100 Jahre alt bin: Mein Mann war ein Künstler, ich glaube, das war er, und ich glaube, er war wahrscheinlich der einzige Mann auf der Welt, dem es nicht gefallen hat, that he married a virgin. Wie sagt man da?
Danielle Spera: Oh. (Heiterkeit.)
Erika Freeman: Ich bin schon 100 Jahre alt, jetzt kann ich es schon gestehen. Aber jetzt, wenn ich daran - - , das war blöd. Er hat es nicht gewusst. Und er war Künstler. Er war nicht daran gewöhnt.
Danielle Spera: Das hast du noch nie erzählt.
Erika Freeman: Also: Tut was ihr wollt! Macht euch eine Freude! Wenn man sich liebt, wird man sich schon daran gewöhnen. Und wenn man dich nicht liebt, zahlt es sich nicht aus. Aber: Verliebt ist meschugge, das ist keine Liebe. Das ist - - – auch schön, aber - -
Danielle Spera: Dann ist dein Mann auch früh gestorben. So hat das dann - -
Erika Freeman: Das ist eine Frechheit. Er war ein Künstler, und dann wurde er ein Kalligraf. Er hat mit dem Scribe - - Die Queen schreibt keine Briefe. Sie hat einen Scribe. Das heißt, einen Mann, der für sie in Kalligrafie schreibt. Der ist nach Amerika gekommen und hat ein Seminar gemacht. Und da er hat Kalligrafie studiert. Da hat er aufgehört zu malen, aufgehört zu zeichnen. Wie heißt das, wenn man ein Gemälde macht? (Danielle Spera: Skulptur!) – Bildhauer; das hat er alles aufgehört – dann nur mehr Kalligrafie. Und da habe ich mich gefreut, dass ich nicht gesagt habe: Schau, du kannst berühmt werden, wir könnten reich werden! Mir war wichtig, dass er sich entwickelt als Künstler. Und Kalligrafie war seine Leidenschaft. So he founded Society of Scribes und alle diese wichtigen - - und der Scribe of the Queen.
Die Queen war ein sehr netter Kerl. Sie war aus Schottland, und sie hat nicht erwartet, dass sie Queen werden wird, denn ihr Onkel sollte der König werden. Er hat sich dann in eine Frau verliebt, die schon zweimal geschieden war. Damals ging das nicht, also konnte er nicht König werden. Er hat gesagt, er liebt die Frau mehr als das Königtum – und dann soll er nicht König sein! – und hat abgedankt. Und dann ist sein Bruder König geworden, und dessen zwei Töchter waren die Prinzessinnen. Der Bruder war sehr nett, sehr bescheiden. Er hat ein bisschen gestottert und er hat sehr wenig geredet, und dann hat er einen Lehrer gehabt – man gibt nicht zu, dass er jüdisch war; aber egal – und der hat ihn – also den König, den Zweiten – gelehrt, how to make speeches; eigentlich eine sehr nette Familie.
Danielle Spera: Du wolltest aber von deinem Mann erzählen.
Erika Freeman: Die Mutter von Prinz Philip, vom Vater von der Königin, hat meiner Tante in Griechenland - - (Danielle Spera: Vom Mann von der Königin!) – Der Mann von der Königin, Philip, Prinz Philip hat er geheißen, der Vater von dem jetzigen König. Seine Mutter hat meiner Tante in Griechenland viel dabei geholfen, die Juden zu retten. Dort war ein Hafen und da war sie hilfreich; und sie ist darum in Jerusalem begraben. (Danielle Spera: Die Großmutter!) – Niemand redet darüber, denn die Engländer waren nicht sehr freundlich. Und Philip ist immer gekommen, um sie zu besuchen. Das war alles ein Geheimnis. Aber es soll kein Geheimnis sein! Trotzdem hasst man uns; aber okay.
Danielle Spera: Jetzt sind wir sehr weit gereist. Wir waren gerade bei deinem Mann, und jetzt sind wir aber nach Großbritannien - -
Erika Freeman: Okay, Entschuldigung! Ich bin – ein bisschen – not very organized. Aber es geht doch so, we call it free association: Du antwortest, dann fällt dir etwas ein, das nichts damit zu tun hat – das heißt free association. Und in der Psychoanalyse soll man das tun. (Beifall.)
Und wenn man dir sagt: Bleib beim Punkt! – Komm, flieg mit mir!
Danielle Spera: Es ist so wunderbar, dir zuzuhören. – Bitte.
Rafael Gebath (Schüler): Mein Name ist Rafael Gebath, ich komme von der Handelsakademie in Waidhofen an der Thaya. Mich würde interessieren, wie Sie mit dem Kulturunterschied zwischen Amerika und Österreich umgegangen sind.
Danielle Spera: Der Kulturunterschied zwischen Amerika und Österreich – (Erika Freeman: Zwischen Amerika und was?) – und Österreich, der Kulturunterschied.
Erika Freeman (erheitert): Das ist nicht dieselbe Welt. (Heiterkeit.) Überhaupt Amerika – yes, yes, no, no, okay. Was willst du? – Versuche es doch!
In Wien: Das geht nicht! Und wer hat das erlaubt? Wen hast du gefragt? (Heiterkeit.) Und: Du wirst es sowieso nicht schaffen! Nein, das ist ein bisschen zu - - Macht euch größer! Macht die Welt auf! Schau, Österreich hat doch der Welt viele Künstler geschenkt! Und ihr könnt selbst entweder die Künstler werden oder den Menschen die Türen öffnen. Und manchmal ist das sogar wichtiger. Also: Jeder kann nützlich sein. Man muss nur nützlich sein wollen, und man muss nur wissen, wie man nützlich sein kann. Du willst ein Moviestar sein? – Nett, aber nützlich eigentlich nicht; aber manche sind sehr nett.
Und hab ein Massel, denn wenn du ein Star bist in the movies, im Kino, heißt das ja nicht, dass du ein guter Schauspieler bist. Das heißt nur, dass dich die Kamera mag: Aha, ich mag die Person! – Schlecht für dich, kein Schauspieler, aber die Kamera sagt, du bist herrlich. Auf der Bühne bist du gar nichts, aber im Film doch. Also tu was du willst und frage nicht um Erlaubnis! Wenn du succeed- - (Danielle Spera: Wenn du Erfolg haben willst!) – Wenn du erfolgreich bist, wird er es dir schon verzeihen und wird sogar sagen, ich habe ihm geholfen. Also mach dir nichts draus! Nein!, ist keine Antwort. Nein!, ist der Anfang von Ja. Es fängt mit Nein an, weil Menschen Angst haben, Menschen kennen sich nicht aus, sie sagen: Wie ist das möglich?
Ich weiß nicht, wie ein Baby möglich ist – ist es aber doch. Das ist auch ein Wunder, aber ein Wunder, an das wir schon gewöhnt sind. Man kann sich an Wunder sehr leicht gewöhnen, aber man muss sich öfters daran erinnern, dass es doch ein Wunder ist – und daran, dass du es schaffen kannst. Egal wer, egal welche Farbe und egal ob - - Man muss die Juden nicht mehr hassen. Ich meine, wir sind ja nicht so gefährlich; eigentlich.
Nadine Hable (Schülerin): Mein Name ist Nadine Hable, ich komme ebenfalls aus der Handelsakademie Waidhofen an der Thaya. Meine Frage wäre: Als Sie als Kind nach Amerika gekommen sind, wie war die Berichterstattung über die Geschehnisse in Europa? Und: Wie haben Sie das empfunden? (Danielle Spera: Den Schluss habe ich nicht gehört!) – Wie haben Sie das empfunden?
Danielle Spera: Als du nach Amerika gekommen bist, die Berichterstattung über das, was hier passiert ist. Du hast schon ein bisschen erzählt: Man hat dir nicht geglaubt, und es ist auch so, dass in den Medien, sehr wenig über die Judenverfolgung geschrieben worden ist.
Erika Freeman: Man hat mich zu einem Psychiater geschickt und man hat es nicht geglaubt. Und der hat mich zu seinem Boss geschickt und der hat gesagt: Was redest du für Blödsinn? Solche Sachen! Was ist in deinem Kopf? Dann sage ich: Aber das ist wirklich passiert. Ein Kind kann doch nicht so gescheit sein, sich solche fürchterlichen Sachen auszudenken. Ich sage: Das ist wirklich passiert. Dann sagt er: Okay, dann shut up, und erzähl es niemandem mehr!
Okay. Die haben mir leidgetan. Ich dachte: Okay, Gott sei Dank, in Amerika wird das nicht passieren. – Es kann einmal passieren, denn wir haben jetzt einen sehr gescheiten blöden Kerl, der meint, er weiß alles und er kann alles besser, weil er nicht versteht, dass er nicht versteht. Aber okay, das ist auch - -, aber so gefährlich ist er noch nicht. We have a Congress, we have a Constitution. Und er hat sehr Gefährliches gesagt, er hat gesagt: Do away with the Constitution! – Das herrlichste Dokument, das es politisch gibt, und wenn du Präsident wirst, dann schwörst du auf the Constitution, und mit dem will er weg. – Trump heißt der Nebbich. Aber okay.
Er hat eine sehr nette Frau gehabt, die war aus der Tschechoslowakei, und wir waren zusammen auf so einem Podium. Da sagt sie zu mir: Eigentlich, weißt du, Amerika ist ein herrliches Land, wenn du etwas schaffen willst, kannst du es schaffen. Dann habe ich gesagt: Du hast recht!, aber ich habe nicht gesagt: Es ist eine große Hilfe, wenn man mit einem Millionär verheiratet ist! – Aber das kann niemals schaden, wenn du das Geld so benützt, wie es benützt sein soll.
Danielle Spera: Aber die Frage war eben nach den Medien und nach der Berichterstattung. Es war ja – weil wir über Auschwitz sprechen – auch eine Diskussion in der amerikanischen Regierung, ob man in Auschwitz die Öfen und die Gaskammer bombardieren soll. Das ist leider nicht geschehen. Also das heißt, es ist sehr wohl auch dort nicht so thematisiert worden, wie das gewünscht worden wäre – es wäre vielleicht ein bisschen anders ausgegangen, früher aus gewesen.
Erika Freeman: Jetzt gibt es sehr blöde Menschen, die wollen, dass Kinder, die in Amerika geboren sind – die sind automatisch Amerikaner –, dass sie nicht automatisch Amerikaner werden sollen. Das ist fürchterlich, auch blöd, aber sehr gefährlich.
Danielle Spera: Vielleicht noch ganz kurz zur amerikanischen Constitution. Dort steht ja auch der pursuit of happiness; das heißt, du sollst glücklich sein. Du sollst glücklich sein!
Erika Freeman: Das ist eine herrliche Pflicht, die Frage ist nur, was dich glücklich macht. Wenn du so eine neidische Person bist und du machst nur zu anderen: Hmmm! – Das macht dich glücklich? Not so good. Lass dich das Gute glücklich machen, dann bist du ansteckend und du brauchst nichts zu tun. Das ist genau so, wie wenn du krank bist: Du bist krank, sitzt da und du steckst jemanden an. Sei glücklich, dann steckst du jemanden an – und das ist noch dazu gesund, und da kannst du noch etwas schaffen. Und unmöglich gibt es nicht. Unmöglich ist der Anfang von möglich.
Noch etwas: Wenn du etwas schaffen willst, frag nicht um Erlaubnis, schaff es ganz einfach! Jemand wird schon kommen und sagen: Ich habe das geschafft!, egal, aber du weißt, dass du es geschafft hast. Man soll es schaffen. Du wirst es schaffen. Es wird nicht leicht sein, aber du hast es geschafft – und das ist Genugtuung genug. Der kommt hinein: Ich bin das! – Aha, und ohne mich wärst du es nicht gewesen. Bitte schön, mach dir nichts draus.
Und lass dir nichts - - Überhaupt zu Frauen muss ich das sagen: Wenn es dir nicht gefällt, lass es dir nicht gefallen! Die Männer wissen das schon, aber die Frauen nicht. Irgendwie glauben wir doch ein bisschen - - Nein, nicht gut für dich, nicht gut für die Welt.
Und wenn nicht heute, dann morgen. Es gibt immer ein Morgen – sogar nach der Atombombe; und jetzt haben wir Gott sei Dank schon lange keine gesehen.
Und ihr seid ja die Zukunft. Ihr habt so ein Massel, ihr versteht das ja nicht. Was du willst, kannst du schaffen, und du – nur du! – kannst die Welt verbessern! – Herrlich. Und wenn dir niemand hilft, der liebe Herrgott (nach oben weisend) wird schon helfen. Fang an, es wird schon gehen! Und Nein ist keine Antwort. Nein ist der Anfang von Ja.
Danielle Spera: Ich glaube, das war einfach das wunderschönste Schlusswort. Ich glaube, es gibt noch so, so viele Wortmeldungen.
Erika Freeman: Entschuldigt, wenn meine Antwort zu lange ist.
Danielle Spera: Nein, ich schaue nur auf die Uhrzeit. Ja, wir dürfen noch Fragen nehmen. Ich habe mir nämlich gedacht, wir bleiben ja, glaube ich, nachher noch zusammen und es gibt dann nachher noch die Möglichkeit, dich anzuschreien – wie du immer sagst: Schrei mich bitte an!, damit du die Fragen hörst.
Vielleicht nehmen wir noch diese eine Frage.
Paul Riedl (Schüler): Ich bin Riedl Paul, ich bin der Schulsprecher von der Handelsakademie Waidhofen, und ich wollte Sie fragen: Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass der Krieg zu Ende ist? Und was hat Sie danach diesbezüglich am meisten beschäftigt?
Danielle Spera: Das ist eigentlich auch eine Frage, die uns ins Positive führt, denn wir wollen ja auch einen schönen, positiven Abschluss haben, so wie du es jetzt gerade gesagt hast.
Erika Freeman: Und was war die Frage? Ich habe sie nicht gehört.
Danielle Spera: Die Frage war: Was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ist?
Erika Freeman: What?
Danielle Spera: Was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ist? Kriegsende.
Erika Freeman: Ich verstehe die Frage nicht.
Danielle Spera: Dein Gefühl, das muss natürlich auch überwältigend gewesen sein: Der Krieg ist zu Ende, es ist Frieden, Frieden auf der Welt. Du hast - -
Erika Freeman: Es gibt keinen Frieden für Juden, leider. Man hasst uns. Israel ist voll mit Menschen von der ganzen Welt. Das Einzige, das sie alle haben, ist, dass sie Juden sind und dass man sie hasst. Es macht nichts, was sie Gutes tun: Wir sind immer schuldig. Seit Jesu Christi sind wir immer schuldig.
Weißt du, wer mir wirklich leidtut? – Der Bruder von Jesu Christi. Den kennt ja niemand. Das ist ein Heiliger, aber das war sein wirklicher Bruder. Das musste sehr interessant gewesen sein, dass er Gottes Kind ist und der Bruder nicht. Das ist sehr interessant.
Wenn du einen Bruder hast, musst du doch dieselben Eltern haben. Und egal, was man glaubt, und auch, wenn man an den lieben Herrgott nicht glaubt, der sieht das: Okay, du brauchst nicht an mich zu glauben, inzwischen bist du ein Mensch, bist nicht als Floh geboren, kannst was schaffen, wenn du willst, musst nichts schaffen. Und das Einzige, das man nicht braucht, ist der Hass. Hass macht dich blöd, macht dich krank, macht dich arm.
Aber es gibt Menschen, die lieben Hassen, und darum haben sie den – yimach shemo! – Hitler geliebt, weil er gesagt hat: Du darfst hassen, aber nur die Juden! – Blöd. Und Hass macht dich wirklich blöd. Und jetzt wissen wir, Eric Kandel hat die Medizin, das Chemical gefunden, dass: Wenn du glücklich bist, wirst du gescheit, intelligenter und hilfreicher. Na, was kann besser sein? Mach dich glücklich, dann kannst du die Welt retten!
Ich meine nicht schlechtes Glück, das ist Schadenfreude, das ist ganz schlecht, das ist nicht nett. Das ist ein Wort, das man leider in Wien kennt, ein bisserl zu viel, aber vielleicht mit euch nicht mehr, denn ihr seid ja die Zukunft. Das ist das Beste, das ihr habt. Was ihr wollt, wird die Zukunft sein, und niemand kann euch Nein sagen – auch wenn jemand im Weg steht, er wird schon bald altern. Du wirst es schaffen, weil du es schaffen kannst und schaffen willst und vielleicht sogar schaffen sollst.
Und man kommt dir schon zu nahe. – Auch wenn jemand anderes sagt: Das habe ich geschafft!, obwohl du es geschafft hast: Das Wichtigste ist, dass du es geschafft hast. Who gets the credit? Mach dir nichts draus, du hast noch etwas anderes zu schaffen. (Beifall.) – Danke schön.
Danielle Spera: Vielen herzlichen Dank. Wir sind wirklich glücklich und dankbar, dir zuhören zu dürfen, dass du hier bist, hier mit uns in Wien, dass du gerne auch wieder hier lebst, dass du zurückgekommen bist nach all dem, was dir hier passiert ist, dass du verzeihen konntest, dass du positiv auf unser Land schaust.
Erika Freeman: Man muss ja verzeihen, man soll ja verzeihen. Warum sollst du die Schuld in meinem Kopf haben? Der hat etwas Schlechtes getan und jetzt trage ich den Hass für sein Schlechtes? Das ist ein Diebstahl. Niemand darf deine Seele stehlen. Schlechtes getan, forget it. Es gibt punishment, und wenn nicht hier, dann (nach oben weisend) - -Der liebe Herrgott ist ein netter Kerl, aber bitte Geduld mit ihm haben! Und manchmal ist man so froh, dass man nicht gekriegt hat, was man wollte: wenn man etwas Besseres gekriegt hat – man muss es nur erkennen wollen.
Und ich bin wirklich dankbar: Ich bin fast hundert Jahre alt, und man hört mir zu; (nach rechts weisend) nicht die Dame (Heiterkeit), aber im Allgemeinen hört man mir zu. – Danke vielmals.
Danielle Spera: Danke Erika, danke vielmals. Danke dir. (Stehend dargebrachter Beifall.)
Erika Freeman: Wow!