Das Europäische Semester 2022 wurde gegenüber den bisherigen Abläufen stark adaptiert, um es mit der Abwicklung der neu geschaffenen Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) abzustimmen. Die Abwicklung der RRF soll auch in den Folgejahren in das Europäische Semester integriert werden. Die Vorlage der während der COVID‑19-Pandemie kurzfristig ausgesetzten Länderberichte der Europäischen Kommission (EK) wurde 2022 wieder aufgenommen. Diese wurden allerdings nicht im Februar, sondern erst Ende Mai 2022 (gemeinsam mit dem Vorschlag für länderspezifische Empfehlungen) von der EK veröffentlicht. Die Berichtspflichten der Mitgliedstaaten wurden gestrafft, deshalb ist auch die halbjährliche verpflichtende Berichterstattung der Mitgliedstaaten im Rahmen der RRF im Nationalen Reformprogramm 2022 enthalten.
Der österreichische Aufbau- und Resilienzplan (ARP) enthält Maßnahmen mit einem geplanten Gesamtauszahlungsvolumen iHv 4,5 Mrd. EUR für die Jahre 2020 bis 2026, die die mögliche Bandbreite des letztlich verfügbaren Zuschussvolumens berücksichtigen. Die endgültige Höhe der Zuschüsse wird im Juni 2022 festgelegt. Die Bundesregierung reichte Maßnahmen für die vier Komponenten (Schwerpunkte) nachhaltiger Aufbau, digitaler Aufbau, wissensbasierter Aufbau und gerechter Aufbau ein. Es handelt sich teils um neue Investitionsprojekte und teils um die Aufstockung bereits bestehender Programme.
Die Mitgliedstaaten können die Zahlungsanträge an die EK erst nach Erreichen der entsprechenden Etappenziele und Zielwerte stellen, wobei maximal zwei Zahlungsanträge pro Jahr möglich sind. Bevor die EK über die Mittelfreigabe entscheidet, bezieht sie den Wirtschafts- und Finanzausschuss des Rates der EU ein. Im Jahr 2020 wurden 85,5 Mio. EUR ausgezahlt und es gab keine Abweichungen zur Planung. Beim Budgetvollzug 2021 zeigte sich insgesamt eine Minderauszahlung von 196,9 Mio. EUR gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Auszahlungsplan.
Die im Nationalen Reformprogramm 2022 dargestellten Maßnahmen und Projekte, die auch dazu beitragen die länderspezifischen Empfehlungen umzusetzen, wurden den vier Handlungssträngen ökologische Nachhaltigkeit, Produktivität, Fairness und makroökonomische Stabilität zugeordnet. Der Großteil der Maßnahmen im ARP befindet sich bereits in der Umsetzung (Stand April 2022). In den meisten Fällen wurden bereits die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen (z. B. Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG), Novelle Investitionsprämiengesetz, Novelle Abfallwirtschaftsgesetz, u. a.), zum konkreten Umsetzungsstand der beschlossenen Maßnahmen liegen vielfach aber noch keine Meldungen vor.
Die Europäische Kommission hat im Rahmen des am 23. Mai 2022 vorgelegten Frühjahrspakets im Länderbericht 2020 für Österreich die Fortschritte der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen eingeschätzt. Für den Großteil der (Teil‑) Empfehlungen wurden Österreich "einige Fortschritte" attestiert. Nur der Aspekt "wirksame Umsetzung von Liquiditäts- und Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen" wird mit "substantielle Fortschritte" beurteilt, was vor allem auf die umfangreichen COVID‑19-Unterstützungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Die länderspezifischen Empfehlungen 2022 wurden nach einem neuen einheitlichen Schema dargestellt, wobei zahlreiche Aspekte der Empfehlungen für 2020 und 2021 integriert und die Themenbereiche "Förderung der Erwerbsbeteiligung von Frauen" und "Ausbau erneuerbarer Energien" besonders hervorgehoben wurden.
Der mit dem Frühjahrspaket veröffentlichte Monitoringbericht zur Erreichung der SDGs in der EU zeigt, dass Österreich bei den SDGs Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG 16), Industrie, Innovation und Infrastruktur (SDG 9), keine Armut (SDG 1) sowie nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11) die größten Fortschritte erzielt hat. Die geringsten Fortschritte zeigen sich bei dem SDG 10‑Weniger Ungleichheiten, SDG 15‑Leben an Land und SDG 4‑Hochwertige Bildung. Im Nationalen Reformprogramm 2022 wird dargelegt, welche Maßnahmen aus dem ARP einen Beitrag zur Erreichung der jeweiligen SDGs leisten. Das SDG zur hochwertigen Bildung soll etwa durch das Förderstundenpaket, den Ausbau der Elementarpädagogik, die Bereitstellung von digitalen Endgeräten für Schüler:innen, den Zugang zu digitalen Grundkompetenzen und den Bildungsbonus unterstützt werden.
Die vorliegende Analyse gibt einen Gesamtüberblick über das Nationale Reformprogramm 2022 und den Umsetzungsstand des ARP. Aufgrund des umfassenden Datenmaterials erfolgt jedoch keine detaillierte budgetäre und wirkungsorientierte Einschätzung der einzelnen Maßnahmen der Bundesregierung. Das Nationale Reformprogramm orientiert sich stark an den Vorgaben der EK und fokussiert die länderspezifischen Empfehlungen der EK. Insgesamt könnte die Aussagekraft des Nationalen Reformprogramms insbesondere durch eine verbesserte Verknüpfung mit anderen Berichten sowie durch konsistentere und systematischere Darstellungen gestärkt werden.