Fachinfos - Fachdossiers 23.01.2023

Warum gibt es eine Bundesversammlung?

Am 26. Jänner 2023 wird Alexander Van der Bellen vor der Bundesversammlung das Gelöbnis für seine zweite Amtszeit als Bundespräsident ablegen. Aus diesem Anlass werden Entstehung und Aufgaben dieses Gremiums erklärt. (23.01.2023)

Einberufung der Bundesversammlung am 26. Jänner 2023

Der Bundespräsident wird die Bundesversammlung für den 26. Jänner 2023 einberufen, damit er das Gelöbnis für seine zweite Amtszeit ablegen kann. Seit 1951 ist die Bundesversammlung nur mehr zu diesem Zweck zusammengekommen. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert daher ihre zeremonielle Seite. In diesem Fachdossier wird erläutert, warum es die Bundesversammlung gibt und welche Funktion sie im politischen System Österreichs hat.

Warum gibt es neben National­rat und Bundes­rat noch eine Bundes­versammlung?

Als 1919/20 über die Verfassung der neuen Republik Österreich verhandelt wurde, war die Frage des Staatsoberhaupts besonders umstritten (siehe dazu das Fachdossier „100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz“). Schließlich setzten sich die Anhänger eines starken parlamentarischen Regierungssystems durch: Nur der Nationalrat sollte von allen Bürger:innen direkt gewählt werden. Alle anderen Organe des Bundes sollten vom Parlament bestellt werden. Im sogenannten Renner-Mayr-Entwurf, der die Grundlage der Verhandlungen Richtung Bundes-Verfassungsgesetz 1920 (B-VG) bildete, wurde dafür eine eigenständige Bundesversammlung vorgesehen. Sie sollte die Präsident:innen des Verfassungsgerichtshofes, des Rechnungshofes und auch das Staatsoberhaupt wählen. Weiters sollte sie Entscheidungen über Krieg und Frieden treffen. Letztlich setzte sich aber die Auffassung durch, dass sich die Wahl der Bundespräsidentin bzw. des Bundespräsidenten (BPräs.) von allen anderen Wahlen unterscheiden sollte. Daher sollte ausschließlich diese in der Bundesversammlung vorgenommen werden.

Unterschiedliche Modelle zur Wahl des Staatsoberhauptes

Damit folgte man dem Beispiel anderer Staaten mit einem starken parlamentarischen System wie etwa Frankreich oder der (damaligen) Tschechoslowakei. Auch in diesen wurde das Staatsoberhaupt in einer Versammlung der beiden Kammern gewählt. Bis heute bestehen vergleichbare Modelle in neun europäischen Staaten, wie die folgende Karte zeigt.

Quelle: eigene Recherche, Stand 15.1.2023.

Während der ganzen Ersten Republik blieb die Frage des Staatsoberhaupts umstritten. Durch die Verfassungsreform 1929 wurde ein semipräsidentielles Regierungssystem geschaffen, welches die bzw. den BPräs. und die Bundesregierung stärkte (siehe das Fachdossier „Welche Stellung hat die bzw. der Bundespräsident:in in der Republik?“). Das Staatsoberhaupt sollte vom Volk gewählt werden und dadurch ein Gegengewicht zu Parlament und politischen Parteien bilden. Die Angelobung der bzw. des BPräs. in der Bundesversammlung wurde aber beibehalten. Dazu orientierte man sich an der Monarchie: Bereits Art. 8 Staatsgrundgesetz 1867 über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt hatte bestimmt, dass der Kaiser beim Regierungsantritt ein Gelöbnis vor beiden Häusern des Reichsrates leisten sollte.

Ist die Bundes­versammlung eine dritte Parlamentskammer?

Aus den verschiedenen Bestimmungen, welche die Bundesversammlung im B-VG regeln, folgt, dass sie ein eigenständiges Organ des Bundes ist. In der Bundesversammlung kommen daher nicht die Mitglieder von Nationalrat und Bundesrat zusammen. Vielmehr ist jede:r Abgeordnete zum Nationalrat bzw. jedes Mitglied des Bundesrats mit Antritt des Amts auch automatisch Mitglied der Bundesversammlung.

Dennoch ist die Bundesversammlung keine dritte Parlamentskammer. Jurist:innen betonen seit Beginn der Republik, dass die Bundesversammlung nur unter organisatorischen Gesichtspunkten zur Staatsfunktion Gesetzgebung gezählt werden könne. Sie hat nämlich keine parlamentarischen Aufgaben. Das heißt, sie ist weder am Gesetzgebungsprozess beteiligt, noch übt sie Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung aus. Die Bundesversammlung hat ausschließlich Aufgaben, die Jurist:innen als „Vollziehung von Verfassungsbestimmungen“ beschreiben. Im Unterschied zu Nationalrat und Bundesrat kann sie sich auch nicht selbst versammeln.

Wenn sich die Mitglieder von Nationalrat und Bundesrat gemeinsam zu Veranstaltungen und feierlichen Anlässen versammeln (z. B. die jährliche Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus), ist das nicht die Bundesversammlung. Solche Veranstaltungen haben keine rechtliche Grundlage. Es können daher auch keine Beschlüsse gefasst werden.

Welche Aufgaben hat die Bundes­versammlung und wie wird sie einberufen?

Die Aufgaben der Bundesversammlung betreffen in erster Linie die Amtsführung und Verantwortung der bzw. des BPräs. Diese:r kann etwa nur dann vom Volk abgesetzt oder beim Verfassungsgerichtshof angeklagt werden, wenn es einen entsprechenden Beschluss der Bundesversammlung gibt. Die Aufgaben sind:

  • Angelobung der bzw. des BPräs. (Art. 38 B-VG) und Entgegennahme des Gelöbnisses (Art. 62 Abs. 1 B-VG)
  • Entscheidung über die Durchführung einer Volksabstimmung zur Absetzung der bzw. des BPräs. (Art. 60 Abs. 6 B-VG)
  • Zustimmung zur behördlichen Verfolgung der bzw. des BPräs. (Art. 63 B-VG)
  • Anklage der bzw. des BPräs. nach Art. 142 B-VG und Antrag auf Amtsverlust der bzw. des BPräs. nach Art. 141 B-VG (Art. 68 Abs. 2 und 4 B-VG)
  • Beschlussfassung über eine Kriegserklärung (Art. 38 B-VG)

Eine genaue Darstellung der aufgezählten Verfahren betreffend die bzw. den BPräs. findet sich im Fachdossier „Welche Stellung hat die bzw. der Bundespräsident:in in der Republik?“.

Wie die nebenstehende Grafik zeigt, wird die Bundesversammlung je nach Aufgabe von einem anderen Staatsorgan einberufen.

Quelle: Bundes-Verfassungsgesetz, Stand 15.1.2023, eigene Darstellung.

Ist die bzw. der BPräs. kurzfristig (< 20 Tage) verhindert, kommen die allgemeinen Vertretungsregelungen zur Anwendung. Dann obliegt die Einberufung der bzw. dem Bundeskanzler:in; dauert die Verhinderung mehr als 20 Tage, obliegt die Einberufung dem Kollegium der drei Präsident:innen des Nationalrats (Art. 64 Abs. 1 bzw. Abs. 4 B-VG).

Ob die Bundesversammlung tatsächlich eine Kriegserklärung beschließen kann, ist unter Jurist:innen umstritten. Österreich darf nämlich als neutraler Staat keinen Krieg beginnen. Allerdings könnte etwa – nach Ansicht von Markus Vašek oder Heinrich Neisser (siehe Quellenauswahl) – im Verteidigungsfall ein Beschluss der Bundesversammlung erforderlich sein.

Die Bundesversammlung ist bisher 18 Mal einberufen worden (Stand Jänner 2023). Somit wird die Angelobung von BPräs. Alexander Van der Bellen in der 19. Sitzung der Bundesversammlung stattfinden. Obwohl 1929 die Volkswahl der bzw. des BPräs. eingeführt worden war, erfolgte 1931 (4. Sitzung) und 1945 (5. Sitzung) die Wahl wieder durch die Bundesversammlung. Um das zu ermöglichen, musste beide Male ein eigenes Bundesverfassungsgesetz nur für diesen Zweck erlassen werden (siehe dazu auch das Fachdossier „Wie wird die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident gewählt?“).

Welche Anforderungen gelten für Beschlüsse der Bundes­versammlung?

In der Regel erfordern Beschlüsse die Anwesenheit von einem Drittel der Mitglieder der Bundesversammlung und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Im Falle eines Beschlusses über die Anklage gegen die bzw. den BPräs. bzw. den Antrag auf Amtsverlust gibt es jedoch besondere Beschlusserfordernisse (Art. 68 Abs. 3 bzw. 4 B-VG): Dann muss jeweils mehr als die Hälfte der Mitglieder von Nationalrat und Bundesrat anwesend sein. Der Beschluss erfordert eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen. Die nebenstehende Grafik illustriert die Beschlusserfordernisse in Zahlen.

Quelle: Bundes-Verfassungsgesetz, Stand 15.1.2023, eigene Darstellung.

Welche weiteren Verfahrensregeln gelten für die Bundes­versammlung?

Aus den verschiedenen Bestimmungen über die Bundesversammlung und ihre Aufgaben im B-VG folgen grundlegende Verfahrensregeln, etwa für die Beschlusserfordernisse. Die Vorsitzführung in der Bundesversammlung regelt Art. 39 Abs. 1 B-VG: Sie erfolgt abwechselnd durch die Präsidentin bzw. den Präsidenten des Nationalrats bzw. des Bundesrats. Dementsprechend wird die Sitzung am 26. Jänner 2023 vom Präsidenten des Nationalrats Wolfgang Sobotka geleitet.

Art. 39 Abs. 2 B-VG bestimmt, dass die Geschäftsordnung des Nationalrats sinngemäß anzuwenden ist. Das betrifft nur jene Regeln, die sich auf den allgemeinen Ablauf, die Redeordnung oder Abstimmungen beziehen, da die Bundesversammlung, wie oben ausgeführt, etwa keine Aufgaben im Bereich der Gesetzgebung hat.

Die Sitzungen der Bundesversammlung sind öffentlich. Im Unterschied zum Nationalrat (Art. 32 Abs. 2 B-VG) und zum Bundesrat (Art. 37 Abs. 3 B-VG) räumt die Bundesverfassung keine Möglichkeit ein, die Öffentlichkeit auszuschließen. Die öffentliche Berichterstattung über die Sitzungen der Bundesversammlung ist wie jene über Nationalrat und Bundesrat frei und damit von der sachlichen Immunität umfasst (Art. 39 Abs. 3 iVm. Art. 33 B-VG; siehe das Fachdossier „Was umfasst die sachliche Immunität?“). Die Mitgliedschaft in der Bundesversammlung zählt zur „Ausübung des Berufs“ von Abgeordneten zum Nationalrat und Mitgliedern des Bundesrats. Ihnen kommt im Rahmen der Sitzungen der Bundesversammlung folglich Abstimmungs- und Redefreiheit – also berufliche Immunität – zu (siehe das Fachdossier „Was umfasst die berufliche Immunität?“).

Gemäß Art. 75 B-VG sind auch die Mitglieder der Bundesregierung und die Staatssekretär:innen berechtigt, an allen Verhandlungen der Bundesversammlung und ihrer Ausschüsse teilzunehmen. Daraus wird auch abgeleitet, dass die Bundesversammlung – wie Nationalrat und Bundesrat – Ausschüsse einsetzen kann (was aber noch nie erfolgt ist). Die Beschlüsse der Bundesversammlung werden gemäß Art. 40 B-VG von der bzw. dem jeweiligen Vorsitzenden unterfertigt und von der bzw. dem Bundeskanzler:in gegengezeichnet.

Quellenauswahl

Sternförmiges Mosaik Muster am Boden.

Wie wird die Bundespräsidentin oder der Bundespräsident gewählt?

Lesen Sie in diesem Fachdossier über das Wahlverfahren zur Wahl des Staatsoberhauptes und einen Überblick über die bisherigen Wahlen.

Sternförmiges Mosaik Muster am Boden.

Welche Stellung hat die bzw. der Bundespräsident:in in der Republik?

Am 9. Oktober 2022 fand die Bundespräsident:innenwahl statt. Lesen Sie hier über die rechtlichen Grundlagen der Amtsführung und deren Anwendung.

Blick in den Bundesversammlungssaal

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Allgemeine Informationen und FAQ zur Bundesversammlung