Fachinfos - Fachdossiers 05.12.2022

Wie sind Staatsanwaltschaften in Europa und den USA organisiert?

Das vorliegende Fachdossier bietet einen schematischen Überblick über die Staatsanwaltschaften in Österreich im Vergleich zu anderen ausgewählten europäischen Staaten sowie den USA. (05.12.2022)

Wie sind Staatsanwaltschaften in Europa und den USA organisiert?

Staatsanwaltschaften sind bezüglich ihrer Stellung und Organisation in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt weder ein einheitliches Modell noch einen einheitlichen Standard. Daher soll das vorliegende Fachdossier einen schematischen Überblick über die Staatsanwaltschaften in Österreich im Vergleich zu anderen ausgewählten europäischen Staaten sowie den USA liefern.

Reformpläne zu den Staatsanwaltschaften in Österreich

Im Mai 2020 hat die österreichische Bundesregierung angekündigt, durch eine Strafrechtsreform die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften bei ihrer Ermittlungsarbeit zu stärken. Seit September 2022 liegt nun der Endbericht einer Arbeitsgruppe des Justizministeriums zur Schaffung einer Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft vor.

Die Arbeitsgruppe sieht die Schaffung einer neuen obersten Weisungsbehörde der Staatsanwaltschaften vor. Diese soll aus mehreren Generalanwält:innen bestehen und von einer Generalstaatsanwältin bzw. einem Generalstaatsanwalt geleitet werden. Damit könnte die bzw. der Bundesminister:in für Justiz (BMJ) die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften nicht mehr durch Weisungen steuern.

Derzeitige Stellung der Staatsanwaltschaften in Österreich

Im Rahmen der Verfassungsreformen 2008 („Verfassungsbereinigung“) wurde ein neuer Art. 90a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) geschaffen. Staatsanwält:innen werden seitdem organisatorisch der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit zugeordnet. Staatsanwält:innen haben in der Strafrechtspflege die öffentlichen Interessen wahrzunehmen. Sie leiten das Ermittlungsverfahren, erheben die Anklage und vertreten diese im Strafverfahren. Sie sind aber keine unabhängigen Richter:innen, sondern weiterhin an Weisungen der „ihnen vorgesetzten Organe“ gebunden (siehe auch §§ 29 ff. Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG)). An der Spitze der staatsanwaltschaftlichen Behörde steht somit die bzw. der BMJ.

Nationalrat und Bundesrat können jene Akte überprüfen, auf welche die bzw. der BMJ durch das Weisungsrecht Einfluss nehmen kann. Dazu gehören Akte der Staatsanwaltschaften, die im Rahmen der Vollziehungstätigkeit (das umfasst auch die Ermittlungstätigkeit) erfolgen (siehe das Fachdossier „Wie stehen Parlament und Justiz in Österreich zueinander?“).

Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften als wichtiges Kriterium

Unabhängige und unbeeinflusste Entscheidungen von Staatsanwaltschaften sind wichtige Kriterien, die für sämtliche EU-Mitgliedstaaten regelmäßig geprüft werden. So haben in der Vergangenheit sowohl die Groupe d’états contre la corruption (GRECO) als auch die EU-Kommission in ihren Rechtsstaatsberichten die Unabhängigkeit der Justiz und die Organisation der Gerichte in europäischen Staaten untersucht und länderspezifische Empfehlungen abgegeben.

Auch in der Diskussion um die (Neu-)Organisation der österreichischen Staatsanwaltschaften werden häufig Vergleiche mit anderen Staaten herangezogen. Die folgenden Ausführungen basieren auf einer Auswertung einer Anfrage des Europäischen Zentrums für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) / PDF, 315 KB vom Juni 2022, die einen Überblick über die Stellung und Organisation von Staatsanwaltschaften in ausgewählten europäischen Staaten (Deutschland, Italien, Niederlande, Slowakei) und den USA gibt.

Vergleich der Staatsanwaltschaften ausgewählter Staaten

Staatsanwaltschaften sind in den europäischen Staaten und den USA sehr unterschiedlich organisiert. Es gibt weder einheitliche noch vorherrschende Typen. Die folgende Beurteilung der einzelnen Modelle erfolgt daher immer individuell und konzentriert sich jeweils auf die folgenden Aspekte:

  • Einordnung der Staatsanwaltschaften zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit
  • Unabhängigkeit oder Weisungsgebundenheit
  • Verhältnis zum Parlament

Die Auswahl der Staaten basiert zum einen auf Ähnlichkeiten zum österreichischen Modell (z. B. Deutschland, wo die bzw. der BMJ weitgehende Weisungsrechte hat), zum anderen sollen auch deutliche Unterschiede (z. B. die autonome Organisation in Italien oder die praktische Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in den Niederlanden) aufgezeigt werden. Die Staatsanwaltschaften der Slowakei und der USA stellen hingegen Sonderfälle dar. Im ersteren Fall lassen sich die Staatsanwaltschaften als Organ sui generis („eigener Art“) weder der Verwaltung noch der Gerichtsbarkeit zuordnen. In den USA fällt das Amt der Generalstaatsanwältin bzw. des Generalstaatsanwalts mit dem Amt der Justizministerin bzw. des Justizministers zusammen.

Deutschland

Auf Ebene des Bundes gibt es in Deutschland nur eine Staatsanwaltschaft, nämlich die Bundesanwaltschaft. Organisatorisch wird sie zwar der Verwaltung zugeordnet, sie ist funktional jedoch in die Justiz eingegliedert. In jedem Bundesland gibt es außerdem eigene Staatsanwaltschaften.

An der Spitze der Bundesanwaltschaft steht die Generalbundesanwältin bzw. der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Diese bzw. dieser wird wie die anderen Bundesanwält:innen auf Vorschlag der bzw. des BMJ und mit Zustimmung des Bundesrates von der bzw. dem Bundespräsident:in ernannt.

Die Generalbundesanwältin bzw. der Generalbundesanwalt untersteht der Dienstaufsicht der bzw. des BMJ und ist an deren bzw. dessen Weisungen gebunden.

Die Bundesanwaltschaft ist nicht unmittelbar dem Parlament gegenüber verantwortlich. Vielmehr trägt innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament die bzw. der BMJ die politische Verantwortung für die Tätigkeit der Bundesanwaltschaft.

Ähnlich wie in Österreich gibt es auch in Deutschland immer wieder Diskussionen über die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und die Reichweite des Weisungsrechts der bzw. des BMJ.

Italien

Die italienische Staatsanwaltschaft ist Teil der ordentlichen Richterschaft und somit der Gerichtsbarkeit zugeordnet. Nach der Konzeption der italienischen Verfassung wird die Staatsanwaltschaft als Organ geschützt, indem sie von der Exekutive unabhängig ist.

Das Justizministerium hat keinerlei Einfluss auf die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwält:innen sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Ebenso hat das Parlament keine Befugnis, die Arbeit der Staatsanwaltschaft zu beeinflussen. Es kann aber Informationen in Form von schriftlichen Fragen zu einzelnen Fällen anfordern.

Am italienischen Justizsystem kritisiert etwa die Staatengruppe GRECO die Tätigkeit des Obersten Richterrats (CSM) hinsichtlich fehlender Transparenz und Objektivität: Der CSM ist die für personelle Entscheidungen zuständige Behörde der Gerichtsbarkeit. Weiters bemängelt GRECO das Fehlen angemessener Vorschriften über politische Tätigkeiten von Richter:innen und Staatsanwält:innen im Falle der gleichzeitigen Ausübung einer politischen Funktion auf lokaler Ebene.

Niederlande

In den Niederlanden werden die Staatsanwält:innen von einem Kollegialorgan, der Generalstaatsanwaltschaft, geleitet. Die Generalstaatsanwaltschaft wird von der Königin bzw. dem König auf Empfehlung der Justizministerin bzw. des Justizministers mit Zustimmung der Regierung ernannt.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist Teil der Justiz, aber der bzw. dem Justizminister:in gegenüber weisungsgebunden. Faktisch kommt der Generalstaatsanwaltschaft jedoch ein hohes Maß an Unabhängigkeit zu.

Im Fall einer Weisung durch die bzw. den Justizminister:in, von einer Strafverfolgung Abstand zu nehmen, muss das Parlament informiert werden. Nach den vorliegenden Informationen ist eine solche Weisung bisher aber noch nie erteilt worden.

Slowakei

An der Spitze der slowakischen Staatsanwaltschaften steht die Generalstaatsanwältin bzw. der Generalstaatsanwalt.

Die slowakische Generalstaatsanwaltschaft ist ein staatliches Organ sui generis und weder der Verwaltung noch der Gerichtsbarkeit zugeordnet. Die Generalstaatsanwaltschaft ist unabhängig, die untergeordneten Staatsanwält:innen sind ihr gegenüber weisungsgebunden. Die Generalstaatsanwältin bzw. der Generalstaatsanwalt kann auf jedes Verfahren Einfluss nehmen.

Sie bzw. er wird von der bzw. dem Staatspräsident:in auf Vorschlag des Nationalrates aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses für sieben Jahre ernannt. Eine Wiederernennung ist nicht möglich. Vor der Erstellung des Vorschlags findet ein öffentliches Hearing im Nationalrat statt. Einer Reihe weiterer Institutionen kommt das Recht zu, Vorschläge für die bzw. den Generalstaatsanwält:in zu erstatten. Die Generalstaatsanwältin bzw. der Generalstaatsanwalt muss einmal jährlich einen Bericht an den Nationalrat übermitteln.

Die interne Organisation der Staatsanwaltschaften, die Ernennung von Staatsanwält:innen und der Umgang mit Interessenkonflikten sind Kritikpunkte der EU-Rechtsstaatsberichte am System der Staatsanwaltschaften in der Slowakei. Die EU-Rechtsstaatsberichte 2021 und 2022 fordern auch die Beschränkung der Kompetenzen der Generalstaatsanwältin bzw. des Generalstaatsanwalts, jedes Ermittlungsverfahren zu stoppen.

USA

Die (Bundes-)Staatsanwaltschaften der USA sind stark dezentralisiert, gehören zur Exekutive und sind Teil des Justizministeriums. Das Justizministerium ist für die Verfolgung sämtlicher Bundesstraftaten zuständig. Es bearbeitet über die Bundesbezirksstaatsanwaltschaften (United States Attorney’s Offices) in jedem Bundesstaat und über das Justizministerium in Washington, D.C. eine Vielzahl von Fällen von Wirtschafts- und Gewaltkriminalität.

Die U.S. Attorneys werden von der bzw. dem U.S.-Präsident:in auf Vorschlag und mit Zustimmung des U.S.-Senats für vier Jahre ernannt (Wiederwahl möglich). Sie arbeiten unter dem Vorsitz der Generalstaatsanwältin bzw. des Generalstaatsanwalts (U.S. Attorney General), die bzw. der gleichzeitig auch Justizminister:in ist. Die Ernennung erfolgt auf Vorschlag des U.S.-Senats für eine Amtszeit von vier Jahren. Damit ist sie bzw. er oberste:r Strafverfolgungsbeamtin bzw. -beamte der USA. Sie bzw. er ist gegenüber den U.S. Attorneys weisungsbefugt, nicht aber gegenüber den District Attorneys (lokale Staatsanwält:innen in den einzelnen Bundesstaaten).

Die Tatsache, dass die Generalstaatsanwältin bzw. der Generalstaatsanwalt gleichzeitig Justizminister:in ist und von der bzw. dem U.S.-Präsident:in jederzeit entlassen werden kann, gibt immer wieder Anlass zur medialen Diskussion, ob die Aufgabe der Generalstaatsanwältin bzw. des Generalstaatsanwalts darin besteht, der bzw. dem U.S.-Präsident:in und nicht dem Gesetz zu dienen.

Zusammenfassung

Die Debatten über Reformen von Staatsanwaltschaften sind in den ausgewählten Staaten inhaltlich ähnlich zu jenen in Österreich. Es sind die Themen Zuordnung der Staatsanwaltschaften zu Justiz oder Verwaltung, die Vermeidung politischer Einflussnahme auf ihre Tätigkeit, eine effiziente Organisation und Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Staatsanwaltschaften, Polizei und Gerichten, sowie Fragen der personellen und materiellen Ausstattung von Staatsanwaltschaften.

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